Gustav Freytag
Soll und Haben
Gustav Freytag

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Der Förster hielt lange mit beiden Händen die Hand Antons fest und rief endlich: «Wenn ich's noch erlebe, daß es auf diesem Gute besser wird, so soll mich's freuen. Ich will tun, was ich kann; aber ich sage Ihnen im voraus, es wird harten Tanz setzen; durch die Verwalter und die liederliche Wirtschaft sind die Gutsleute wie die Räuber geworden, und ich fürchte, meine alte Flinte wird mehr als einmal das letzte Wort sprechen müssen.»

«Wir werden kein Unrecht ertragen und kein Unrecht tun; den Erfolg müssen wir abwarten», erwiderte Anton ernst. «Und jetzt, Förster, zeigen Sie uns Ihre Wohnung und machen Sie sich zurecht, uns in den Wald zu begleiten.» Anton durchschritt das kleine Haus. Es war von Balken gezimmert, die Stube von innen mit Brettern verschlagen. Durch die kleinen Fensterscheiben fiel das Licht trübe herein, die braune Farbe der Bretterwände und die schwarze Balkendecke vermehrten die Dunkelheit und gaben dem Zimmer ein geheimnisvolles Aussehen. Nur undeutlich war zu erkennen, was rundum an der Wand befestigt war, Geweihe, Hundehalsbänder, Jagdgerät und ausgestopfte Vögel. Am Ofen stand ein kleiner Schrank mit Küchengeschirr. «Ich koche mir selbst», sagte der Förster; «was ich brauche, hole ich aus der Schenke.» An den Fenstern hingen Vogelbauer zu zweien und dreien übereinander, und das Gezwitscher der kleinen Waldvögel, ein unaufhörliches Zanken, Locken und Schwatzen, klang wie eine heimliche Unterredung, die der Wald selbst mit seinem alten Wächter hielt. In der Nähe des Ofens saß ein Rabe mit struppigem Gefieder, weiße Federn schimmerten an seinem Kopfe und den Flügeln und bewiesen das hohe Alter des Vogels. Er hatte seinen Hals zusammengezogen und schien ganz in sich versunken, aber seine glänzenden Augen beobachteten jede Bewegung der Fremden. Neben der Wohnstube war die Schlafkammer, dort hingen die Gewehre, an dem Bett stand eine hölzerne Lade. Ein Gitter vor dem Fenster verriet, daß hier die Zitadelle des Hauses war.

«Wohin führt diese Tür?» fragte Anton, auf eine Falltür im Boden deutend.

«Es ist ein Kellerloch», erwiderte der Förster zögernd.

«Ist es gewölbt?» fragte Anton.

«Ich führe Sie wohl hinunter», sagte der Förster, «wenn Sie allein kommen wollen.»

«Erwartet uns im Hofe», rief Anton seinen Begleitern in die Stube hinein.

Der Förster zündete eine Lampe an, verriegelte sorgfältig die Kammertür und ging mit dem Licht voran. «Ich hätte nicht gedacht», sagte er, «daß bei meinen Lebzeiten ein fremdes Auge mein Geheimnis sehen sollte.» Wenige Stufen führten hinunter in ein enges Gewölbe, das durch einen Mauerritz notdürftig Licht erhielt. An der einen Seite aber war die Grundmauer durchbrochen, ein niedriger Stollen führte in die Erde. Er war durch Baumstämme abgestützt, die in spitzem Winkel aneinander ruhten.

«Dies ist mein Dachsbau», sagte der Förster und hielt die Lampe in die dreieckige schwarze Öffnung; «der Weg führt unter der Erde fort bis in das junge Holz. Er ist über vierzig Schritte lang, und ich habe lange Zeit gebraucht, ihn auszugraben. Auf dem Wege krieche ich aus dem Hause und wieder herein, ohne daß es jemand merkt; und ihm verdanke ich, daß ich hier ausgehalten habe, denn er ist Ursache, daß die dummen Bauern mich als einen Hexenmeister fürchten. Wenn sie mich belauert hatten, daß ich in den Hof hineinging, und sich sicher glaubten bei einer Dieberei, stand ich auf einmal wieder hinter ihnen. Es sind jetzt zehn Jahre her, da überfiel eine Bande mein Haus, ich aber fuhr als Dachs durch die Röhre. Verraten Sie niemandem, was ich Ihnen gezeigt habe.»

Das versprach Anton, und sie kehrten zurück in den Hofraum. Dort fanden sie Karl beschäftigt, den hölzernen Trog eines jungen Fuchses zwischen vier Pflöcken festzuklammern, die er in den Boden schlug. Der Fuchs war unempfindlich gegen die Aufmerksamkeit des Husars, er fauchte ihn wütend an, rasselte mit seiner Kette und suchte fortwährend unter dem Brett, durch welches ihn Karl in die Hütte eingeschlossen hatte, die Hände und Waden des Arbeitenden anzufallen. «Willst du mir die Hand küssen, kleiner Rotkopf?» rief Karl hämmernd, «du bist ein artiger Junge, was du für treuherzige sanfte Augen hast! So, fertig; jetzt spring herüber und wieder zurück. Er folgt aufs Wort, Förster. Ein gutmütiges Tier, ganz Euer Naturell, Kamerad.»

Der Förster lachte. «Versteht Ihr mit einem Fuchseisen umzugehen?»

«Ich denke», sagte Karl.

«Es sind mehr solche Burschen hier», fuhr der Förster fort. «Wenn's Euch recht ist, unternehmen wir's den nächsten Sonntag.»

So schritten alle im besten Einvernehmen durch das Holz. Anton rief den Förster neben sich und ließ sich von ihm die nötigste Auskunft geben. Was der Alte berichtete, war freilich nicht gut, von schlagbarem Holze war kaum so viel vorhanden, als die Wirtschaft selbst bedurfte. Das alte Plünderungssystem hatte in rohester Weise den Forst verwüstet. Als der Förster am Rande des Waldes seine Mütze zog und respektvoll fragte, zu welcher Stunde er morgen auf das Schloß kommen dürfe, da empfand Anton mit Freude, daß es ihm gelungen war, die innere Unsicherheit zu verbergen, die ihn in den neuen Verhältnissen so sehr störte.

«Sieh», sagte er zu seinem Getreuen, als beide am Abend vor dem grünen Kachelofen saßen, «das ist es, was mir hier die größte Sorge macht; ich fühle mich unwissend und hilflos jedem Knecht gegenüber, und ich habe doch die Aufgabe, auch die Wirtschaft in Respekt zu halten. Wie wenig der gute Wille allein nützt, habe ich in diesen beiden Tagen deutlich erkannt. Jetzt gib guten Rat. Was sollen wir zunächst in der Wirtschaft tun?»

«Was von Vieh unbrauchbar ist, verkaufen Sie; die schlechten Leute bei den Kühen entlassen Sie auf der Stelle. Rindvieh und Pferde bringen Sie auf den großen Hof zusammen, damit sie unter Aufsicht sind. Was von Feldbestellung mit den geringen Kräften noch geschafft werden kann, das wird regelmäßig gemacht, nichts übereilt. Gekauft muß jetzt werden Stroh und Hafer. Hier auf dem Hofe übergeben Sie bis zum nächsten Frühjahr, wo ein ordentlicher Beamter notwendig wird, mir die Aufsicht; ich werde meine Sache nicht gut machen, aber besser als ein anderer von Ihren Leuten.»

Es war spät am Abend, als man eilige Tritte auf der Treppe hörte. Mit einer großen Stallaterne und einem Gesicht voll von argen Neuigkeiten trat der Schankwirt in Antons Stube. «Ich wollte dem Herrn doch melden, was ich gehört habe. Ein Deutscher aus Kunau, der soeben hier durchkam, hat die Nachricht gebracht, daß der Bratzky gestern nicht in Rosmin angekommen ist.»

«Nicht angekommen?» rief Anton aufspringend.

«Eine halbe Meile von Rosmin im Walde ist der Wagen von vier Reitern überfallen worden, es war finster, der Bratzky saß gebunden im Wagen, neben ihm der Gendarm. Die Reiter aber haben den Gendarm überwältigt und selbst gebunden und den Bratzky mit allen seinen Sachen vom Wagen gehoben, und fort mit ihm auf ein Pferd und in die Büsche. Zwei Reiter sind beim Wagen geblieben und haben den Kutscher gezwungen, von der Straße abzufahren in ein Dickicht, und dort haben sie ihre Pistolen zwei Stunden lang dem Kutscher und dem Gendarm vorgehalten. Dann sind sie weggeritten. Der Kutscher sagt, die Pferde wären Herrenpferde gewesen und die Männer hätten vornehm miteinander gesprochen. Der Gendarm ist zerschunden, sonst ist ihm nichts geschehen; nur Ihren Bericht haben sie ihm genommen.»

Die Stubengenossen sahen einander betroffen an und dachten an die Reiter von gestern.

«Wo ist der Mann, der die Nachricht gebracht hat?» fragte Anton und griff nach seinem Hut.

«Er war eilig, weiterzukommen, wegen der Finsternis», sagte der Wirt. «Morgen werden wir vieles hören von der Geschichte. Das ist nicht vorgekommen seit Jahren, daß sie zu Pferde überfallen haben einen Wagen, in welchem sitzt der Gendarm selber. Wenn sie bei uns geraubt haben, so haben sie es immer getan zu Fuß.»

«Habt Ihr einen der Reiter gekannt, welche gestern nachmittag im Dorfe waren und nach dem Inspektor riefen?» fragte Anton.

Der Wirt warf einen schlauen Blick auf Anton, zögerte aber zu antworten.

«Nun», drängte Anton, «die Herren waren doch aus der Gegend, einen oder den andern müßt Ihr kennen.»

«Warum soll ich ihn nicht kennen?» erwiderte der Wirt unruhig. «Es ist doch der reiche Herr von Tarow selber mit seinen Gästen. Ein mächtiger Mann, Herr Wohlfart, welcher hat die oberste Polizei auch über Ihre Güter. Und was hat er zu tun gehabt mit dem Bratzky? Der Bratzky hat als Inspektor hier auch versehen die Polizei und ist manchmal gewesen ein Händler für die Edelleute beim Pferdekauf und bei andern Dingen. Wenn die Polizei mit dem Inspektor hat sprechen wollen, warum soll sie's nicht tun? Die in Tarow sind schlaue Leute, sie wissen, was sie haben zu tun und was sie haben zu reden.» So sprach der Wirt mit großer Zungenfertigkeit, aber seine Augen und der Ausdruck seines Gesichts sagten etwas ganz anderes.

«Ihr habt einen Verdacht», rief Anton, den Wirt scharf anblickend.

«Soll mich Gott bewahren vor allem Verdacht», fuhr der Wirt erschrocken fort. «Und, Herr Wohlfart, wenn ich mir erlauben darf, Ihnen zu sagen meine Meinung, wozu wollen auch Sie haben einen Verdacht auf jemanden? Sie werden genug zu tun haben hier im Gut und werden brauchen die Edelleute mehr als einmal. Wozu wollen Sie sich Feinde machen ohne Nutzen? Es ist hier das Land, wo die Herren auf einen Haufen reiten und wieder auseinander und ihre Köpfe zusammenstecken und wieder auseinander. Wer sich nicht darum kümmert, der handelt am klügsten.»

Als der Wirt mit einem Nachtgruß das Haus verlassen hatte, sagte Anton finster zu seinem getreuen Gefährten: «Ich fürchte, daß nicht das Gut allein uns Sorge machen wird, sondern daß noch etwas anderes um uns vorgeht, wogegen wir beide mit allem Witz nichts ausrichten werden.»

Der dreiste Überfall brachte die ganze Gegend in Aufregung. Anton wurde in den nächsten Wochen einige Male nach Rosmin beschieden, seine Aussagen hatten keinen Erfolg, es gelang den Behörden nicht, die Täter zu ermitteln oder die Person des entführten Inspektors in ihre Gewalt zu bekommen.


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