Karl Emil Franzos
Der Pojaz / Vorwort
Karl Emil Franzos

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Einunddreißigstes Kapitel

Auch Sender beeilte sich, seinen Sperrsitz einzunehmen. Es befremdete ihn, daß er auf der Treppe nur einige Knaben traf, die da umher lungerten, auch im Korridor war kein Erwachsener zu sehen, die Kassierin abgerechnet. Es war ein dickes, altes, grellgeschminktes Weib in seltsamem Kostüm: einer grauen Jacke, einem roten Unterrock und einem gelben Kopftuch.

»Wahrscheinlich sind die anderen schon drinnen«, dachte Sender und trat in den Saal. Aber da traf er nur Ruben, der eben die Talglichter an den Wänden anzündete.

»Sie sind zu früh gekommen«, sagte er, »vor neun fängt's kaum an. Die Juden sind nicht früher mit dem Essen fertig, und auch von den Herrschaften sind viele am Dniester unten. Das Wasser steigt sehr, sagt man.«

»Aber die Brücke ist doch nicht in Gefahr?«

»Nein, gewiß nicht«, beteuerte Ruben. Trotzdem überlegte Sender, ob er sich nicht selbst überzeugen sollte. Aber seine Lungen machten ihm heute besonders viel zu schaffen, und das Atmen in der schwülen schweren Luft war ihm vorhin sehr hart geworden, so blieb er denn und vertrieb sich die Zeit mit der Betrachtung des Theaters.

Aber daran war nicht viel zu sehen. Es war ein Saal, wie ihn jeder erste Gasthof einer galizischen Kleinstadt aufzuweisen hat, mittelgroß, mit niedriger Decke, die Wände grell bemalt, hier mit Palmen und Zitronenbäumen, unter denen nackte, seltsam gestaltete Wesen, vielleicht Menschen, vielleicht Affen, wandelten und nach den kürbisgroßen Früchten langten. Doch sah man vor lauter Schmutz wenig von all der Herrlichkeit. In halber Höhe war eine Holzgalerie angebracht, zu der wacklige Treppen emporführten. Der Raum diente für alle Lustbarkeiten der Stadt, in den hohen jüdischen Festtagen, wo die Synagoge die Scharen nicht zu fassen vermochte, auch als Betraum. Dann wurde die Galerie den Frauen eingeräumt, heute diente sie als billigster Platz, als »Eintritt«. Wie überall in der weiten Welt füllte er sich auch in Zaleszczki zuerst, mit Bauern, Kleinbürgern und ihren Weibern, und Soldaten.

»Fast alles Freibillets«, flüsterte der Kellner Sender zu. »Wir brauchen heut' viel Statisten.«

Das war auch deutlich zu hören. Hinter dem wahrscheinlich einst himmelblauen, nun schmutzig grauen Vorhang, auf dem ein wenig bekleideter Lümmel mit der Lyra im Arm von einigen sehr leicht geschürzten Vetteln umgeben, einhertanzte, klangen vielerlei Stimmen halblaut durcheinander. »Ihr jüdischen Schurken«, brüllte plötzlich jemand ruthenisch los, »wo bleibt der Schnaps? Wir wollen ihn vorher haben!«

»Vorher!« fielen einige ein.

»Können«, rief eine fettige Stimme, »führen Sie den Kerl unter die Pumpe im Hof, er ist ja schon besoffen!«

»Ich kann nicht, Herr Direktor, meine Maske ist noch nicht fertig.«

»Hol' der Teufel Ihre Maske! Ausgepfiffen werden Sie ja doch!«

Darauf hörte Sender die Stimme des Kleinen in ruthenischer Sprache flehen und beschwören.

Allmählich begannen sich auch die Sitzreihen unten zu füllen, mit Unteroffizieren, christlichen Bürgern in langen Kaputröcken und ihren Frauen in großgeblümten Umschlagtüchern, Juden mit ihren Frauen in Seidenkleidern, auf dem Haupt die perlenbesetzte Stirnbinde. Das war das Publikum des zweiten Ranges. Um Sender war es noch leer. Er begann auf und nieder zu gehen, sein Herz pochte erwartungvoll; es war eine elende Schmiere – aber doch erst die zweite Theatervorstellung in seinem Leben. Der Vorhang bewegte sich; an das Guckloch, das gerade in den Nabel des Apollo geschnitten war, legte sich zuweilen ein Auge. »Pst, pst«, hörte Sender, als er gerade vorbeikam, und sah sich um.

»Grüß Gott, Kollege«, klang eine helle Mädchenstimme. »Ich wollte Ihnen nur sagen, daß Sie ein hübscher Junge sind. Ich bin die Schönau.«

Errötend schlug er den Blick zu Boden und ging weiter. »Freches Volk«, murmelte er.

Es ging auf neun, als sich endlich auch die Reihen des ersten Ranges füllten, mit Offizieren, Beamten und polnischen Herren, die Damen nach der Pariser Mode vor fünf Jahren gekleidet. Da jedoch die Stühle der Musikanten an den Pulten vor dem Vorhang noch leer waren, blieb Sender neben dem Vorhang stehen und musterte die Versammlung, bis er gewahrte, daß auch er nicht minder eifrig gemustert wurde. Er errötete, er schob es auf die neue Tracht, die ihm wohl seltsam stehen mochte, dann fiel ihm zu seinem Schrecken ein, daß ihn vielleicht unter den Juden jemand kenne. Mit flammenden Wangen setzte er sich auf seinen Platz in der ersten Reihe.

Rings um ihn wurde nur vom Eisstoß gesprochen.

»Morgen geht's los«, hieß es von allen Seiten. – »Diesmal wird's sehr bös«, erwiderte der Herr rechts neben Sender auf dessen Frage.

Sender seufzte tief auf, aber da klang ein Glöckchen, und der Vorhang rollte empor, wenn auch schwer. »Er zögert mitleidvoll«, sagte der Herr halblaut zu seiner Frau.

Der Kirchplatz des steirischen Dorfes wies ein mächtiges von Bäumen umgebenes gotisches Schloß auf. »Der Park von Fotheringhay«, flüsterte Senders Nachbar. Hanna und der Pfarrer traten auf. Die Linden war eine ältliche hagere, häßliche Blondine, die schrecklich kreischte, aber von Birk sagte sich Sender nach den ersten Sätzen respektvoll: »Der kann was! Oder hat doch was gekonnt«, fügte er bei, als er sah, wie Kniee, Hände und Kinnlade des hochgewachsenen Mannes zitterten und er angstvoll nach dem Souffleur schielte. Aber da kamen Stickler und Können als Lorenz und Schulmeister, und die Zuschauer lachten los.

Es galt der Maske Könnens; in dem Bestreben, die Nase zu mildern, hatte er sich dicke Wangen aus Pappendeckel und einen Riesenschnurrbart mit emporgerichteten Spitzen angeklebt, es war ein fürchterlicher Anblick. Der Kleine zuckte zusammen, als er sich so begrüßt sah. »Wel-Weltenlauf!« stotterte er das erste Wort seiner Rolle. Da lachten sie wieder. »Backen weg!« rief ein Offizier, »Nase heraus!« Das Johlen ward zum Brüllen. Erst bei Hannas Deklamation von der Judenfamilie, die sie im Wald gelabt, beruhigte sich das Publikum wieder, aber als nun Können sagte: »Die Jüdin? Ist die Jungfer verrückt?« rief jemand: »Pfui, Kohn, gönn's deinen Leuten«, und der Spektakel ging wieder an.

Die Bühne füllte sich, der Krämer, der Schneider, der Bäcker traten auf. Offenbar Soldaten in den seltsamsten Kostümen. Nun war Sender das lange Personenverzeichnis verständlich, wenn er auch nicht begriff, warum die Statisten auf der linken Seite jüdische, auf der rechten christliche Namen trugen. Die Reden, die ihnen der Dichter zugeteilt, sprach sämtlich die Kassierin als »alte Liese«.

Da erhob sich neues Lachen, aber auch Beifallsklatschen, zwei offenbar angetrunkene ruthenische Bauern, die man ruhig in ihrer Tracht gelassen, zerrten Deborah auf die Bühne.

Sender zuckte zusammen. »Um Gotteswillen, das ist ja Malke!«

Das waren ihre blauen Augen, ihr gewelltes braunes Haar. Aber die Gestalt, die das Hemde und der Unterrock kaum verhüllten, war viel üppiger, und als die Schönau zu sprechen begann, atmete er auf. Das war nicht Malkes Stimme, nicht ihr Ausdruck. »Hübsch sieht das Mädel heut' wieder aus«, murmelte der Offizier hinter Sender, er mußte ihm in Gedanken zustimmen und ließ kein Auge von ihr. Der Schrecken war verschwunden, aber sein Herz pochte in schweren Schlägen, und die Wangen flammten; es ärgerte ihn, daß dies schamlos entblößte Geschöpf, das so überaus deutliche Blicke ins Parterre warf, Malke ähnlich sah, aber schön war das Mädchen wirklich, und gerade diese Ähnlichkeit hatte einen unheimlichen Reiz. Als ihr Blick ihn traf und dann immer häufiger auf ihm haftete, schlug er den seinen zu Boden und nestelte an der ihm ohnehin ungewohnten Krawatte; das Atmen wurde ihm schwer. Erst als der Vorhang zur Verwandlung gefallen war, wich diese quälende Empfindung.

»Schade um sie«, sagte der Herr nebenan zu seiner Frau. »Sie soll ein ganz verworfenes Geschöpf sein, aber ein Talent ist die doch!« Darauf hatte Sender noch nicht geachtet. Als sich der Vorhang zur Waldszene zwischen Deborah und Joseph hob, gab er sich Mühe, auch ihrem Spiel zu folgen. Das gelang ihm freilich nur, wenn sie ihren Partner, Hoheneichen, anblickte, nicht das Parterre, aber sein Instinkt ließ ihn sofort den ungeheuren Abstand zwischen den beiden erkennen. Sie sprach fast natürlich, ihr Wehruf wie ihr Jubel gingen ihm ans Herz – »Die hätte sogar mein Pater gelten lassen«, dachte er, »der immer so fürs Einfache war.« Nun fiel's ihm auch bei – das war ja die Portia seines ersten Theaterabends. Hoheneichen hingegen heulte entsetzlich – er hatte sich in den beiden letzten Jahren offenbar sehr verschlimmert.

»Gott segne dich! Geliebter! Gute Nacht!« Deborah streckte sehnend die Hände aus, der Vorhang fiel, die Leute riefen: »Schönau, Bravo!« Und sie erschien dreimal und verbeugte sich, die runden Arme über dem üppigen Busen gekreuzt, auf den Lippen das Lächeln einer Hetäre. »Schade um sie«, dachte nun auch Sender.

»Bisher ist aber das Judenvolk gut weggekommen«, sagte Senders Nachbar zur Linken halblaut zu seinem Begleiter.

»Natürlich haben sie auf dem Zettel wieder geschwindelt«, erwiderte dieser verächtlich.

Sender schnitt ein grimmiges Gesicht. »Das will ich dem Kleinen sagen«, dachte er. Im übrigen sprach man aber nirgendwo vom Stück, sondern nur von der Schönau und spottete daneben über Können. Das Publikum war nur auf seine eigene Unterhaltung angewiesen, die Stühle der Musiker blieben leer. Sender erkundigte sich bei seinem Nachbar zur Rechten nach der Ursache.

Der Herr blickte ihn lächelnd an.

»Mir scheint«, sagte er, »das könnten Sie ebenso gut wissen wie ich. Es ist ja Sabbat Vorabend, da dürfen die Musikanten nicht spielen.«

Sender errötete. Er hätte in dem feinen Herrn den Glaubensgenossen nicht herausgefunden.

»Gewiß, ich bin auch ein Jude«, erwiderte er eifrig, worauf der »Herr Doktor« – so nannten ihn andere – abermals lächelte; die ausdrückliche Beteuerung mochte ihm wohl überflüssig erscheinen.

Die Eingangsszene des zweiten Akts brachte Sender eine weitere Erklärung für die Länge des Zettels. Der Dorfbader, der den vom Schlag gerührten und darum zunächst unsichtbaren Lorenz behandelte, obwohl er für die Christen »Herr Mohrenheim«, für die Juden »Herr Kohn« hieß, war derselbe Stickler, der im ersten Akt den Lorenz gespielt. Für die Heiterkeit sorgte auch diesmal der unglückliche Können schon durch seinen Anblick, noch mehr durch die Hetzrede gegen die Juden. Nach einer Weile kam Stickler wieder als Lorenz, dann nach der Verwandlung die Kassierin als Judenweib, und Birk als Abraham; er hatte sich nur einen weißen Bart umgebunden, der Talar war derselbe, den er als Pfarrer trug.

Die Leute schwatzten, erst als Deborah wieder erschien und ihren Monolog über die Liebe sprach, wurde es still. »Stark wie der Tod ist Liebe« – Sender errötete bis ins Stirnhaar, wieder blickte sie ihn voll an.

Auch diesmal folgte großer Beifall, aber den Vogel schoß doch der dumme Hritzko ab, der nun an Könnens Seite als Gerichtsdiener erschien. Er trug seine gewöhnliche Uniform, sogar der zerfetzte Strohhut mit dem Blechschild »Städtische Polizei« fehlte nicht. Alle klatschten wie besessen, und als sich Hritzko nun aber vernehmen ließ – er erwiderte auf Könnens Satz: »Gehen die Juden nicht gutwillig, so jagen wir sie fort!«, in ruthenischer Sprache: »Ja, die Juden müssen fort!« – wollte der Jubel kein Ende nehmen. Aber die nächste Szene, wo Birk-Abraham Können als Juden entlarvte, entfesselte fast gleiche Heiterkeit, »Kohn« jubelte es von allen Seiten, »da hast du's nun!« Der Verhöhnte tat Sender leid; aber daß er fast ebenso entsetzlich spielte, wie er aussah, mußte auch er sich sagen. Hingegen gefiel ihm Birk in dieser Szene, der ergreifendsten des sonst so hohlen Tendenzstücks, sehr. »Auch um den ist's schade«, dachte er.

Dann wieder eine Verwandlung – das heißt, der Vorhang fiel, – das englische Königsschloß hing noch immer da – die Verweisung Deborahs durch Lorenz, ihre Szene mit Joseph. Abermals klatschte das Publikum, sie erschien diesmal, Hoheneichen an der Hand; ihr Blick flammte Sender an, daß er seinen niederschlug.

So blieb er auch sitzen, nachdem der Vorhang gefallen war. »Die Schamlose«, dachte er, »die Leute merken es gewiß. Was will sie von mir?« Aber innerlich schmeichelte es ihm doch.

Da hörte er hinter sich einen Offizier seinem Kameraden zuflüstern: »Du, Röder, hast dich mit der Schönau eingelassen? Sie schaut dich immer so an.«

Der andere lachte verlegen. »Was soll man in dem öden Nest anfangen! »

Sender wurde abwechselnd bleich und rot. Er wußte sich vor Scham nicht zu fassen. Und er hatte geglaubt, es gelte ihm!

Der erste Teil des dritten Akts, die Hochzeit Josephs mit Hanna, währte nur kurz, da die meisten Rollen durch Statisten dargestellte waren, hingegen wurde der Schluß, die Fluchtszene, vollinhaltlich gegeben. So entrüstet Sender über die Schönau war, er mußte sich sagen, daß sie ihre Sache gut mache, und als nach den kuriosen Schlußworten, die der Dichter seiner Heldin in den Mund legt: »Leb' – elend! Denke mein! Auf Wiedersehn!« der Beifall losbrach, stimmte er mit ein.

Aber in diesen Beifall mischten sich nun auch Zischen und Widerspruch, die freilich nicht der Schauspielerin galten. »Das ist ja für die Juden!« riefen einige, »Juden hinaus!« worauf die Juden noch stärker applaudierten. Die Offiziere hörten erheitert zu, ohne sich in den Streit zu mischen, und als einer von ihnen rief: »Hoch Mosenthal, der jüdische Schiller!« stimmten alle lachend ein.

Nur Senders Nachbar zur Linken schien sich nicht zu beruhigen. »Juden hinaus!« rief er immer wieder. Sender wandte sich heftig zu ihm, da legte ihm der Herr zur Rechten die Hand auf den Arm. –

»Ruhe!« sagte er lächelnd. »Er geht ja gegen mich. Der Mann ist mein Kollege... Advokat Doktor Tittinger«, stellte er sich dann vor.

»Kurländer, vom Czernowitzer Stadttheater«, erwiderte Sender und fügte dann alter Gewohnheit gemäß bei: »Ein Barnower bin ich!«

Der Advokat war etwas erstaunt. »So, aus Barnow?« sagte er dann höflich. »Da kommt ja jetzt endlich auch ein Advokat hin, der Doktor Bernhard Salmenfeld aus Czernowitz. Die Ernennung steht heute im Amtsblatt... Kennen Sie ihn?« fragte er, als ersah, wie durch Senders Antlitz ein Zucken ging.

»Nein«, erwiderte dieser hastig. Die Nachricht kam ihm sehr überraschend, er hatte die Bemerkung in Bernhards Brief, daß dieser auch mit der Ernennung für Barnow zufrieden sein würde, für einen Scherz genommen. »Also wird Malke doch ihr Leben in Barnow verbringen«, dachte er. »Alles Gute mit ihr – aber es ist doch auch deswegen gut, daß ich fort bin.« Ihr Bild trat wieder klar vor ihn hin, es wurde ihm wehmütig ums Herz. »Die Schönau sieht ihr etwas ähnlich«, dachte er, »ja – aber wie eine Dirne einer Königin!«

Die erste Szene des vierten Akts – Ruben führte eine Schar Juden nach Amerika – brachte eine andere Dekoration, einen griechischen Tempel, und, da der »Herr Silberstein« des Zettels ein Pseudonym für Können war, stürmische Heiterkeit. Die Backen waren nun weg, hingegen hatte er das halbe Gesicht mit einem schwarzen Bart zu verdecken versucht, aber die Nase leuchtete nun wieder glorreich hervor und wurde stürmisch begrüßt. Dieser Szene folgte übrigens gleichfalls ein Streit, der das Stück betraf, nur spielte er sich diesmal unter den Juden ab. Namentlich auf der Galerie sah man sie heftig gegeneinander gestikulieren.

Sender begriff nicht, was sie wollten.

»Auch diesen Streit hat der Zettelschreiber auf dem Gewissen«, belehrte ihn der Advokat. »Auf der jüdischen Seite läßt er Ruben die Juden nach Palästina führen, darum sind heute auch viele Chassidim gekommen. Im Stück aber läßt ihn der Dichter sagen: »Jerusalem ist unsre Heimat nicht«, und für Amerika schwärmen, und nun schimpfen sie über Mosenthal und den armen Kerl, den Können, während die Aufgeklärten beide verteidigen. Aber ihr Eintrittsgeld bekommen sie doch nicht wieder«, schloß er lachend. »Sie sehen, der Zettelmann versteht sein Geschäft.«

»Mag sein«, erwiderte Sender, »aber bei uns am Czernowitzer Stadttheater kommt das gottlob doch nicht vor.«

Die Schlußszene befriedigte wieder alle Parteien, Christen und Juden. Die beiden Kinder des Fräulein Linden weckten allgemeine Rührung; die Christen waren befriedigt, daß sich der Titel »Der Juden Fluch ist der Christen Segen« insoweit bewahrheitet, als Joseph und Hanna miteinander glücklich waren und blieben, die Juden aber, daß »die Feinde schließlich die Israeliten segnen müssen« – sogar mit Rosenkränzen in den Händen! Der Beifall klang stürmisch, alle Mitspielenden, sogar Können, erschienen und verbeugten sich, ein zweites Mal trat Fräulein Schönau allein hervor und hielt eine Ansprache.

»Hochverehrte Gönner!« begann sie. »Im Namen der Direktion danke ich Ihnen für die überreiche Huld und Gnade, die Sie uns bisher erwiesen haben, und erlaube mir zugleich, Sie zu meiner Benefizvorstellung für morgen ergebenst und dringendst einzuladen. Es wird gewiß niemand das Theater unbefriedigt verlassen, denn wir werden geben: auf allgemeines Verlangen ›Schneider Fips‹, dann zum ersten Male ›Maria Stuart‹ von dem bekannten Dichter Friedrich Schiller, darauf das herrliche, hier noch nie gegebene Lustspiel: ›Das Landhaus an der Heerstraße‹ von dem unsterblichen Kotzebue, der auch den ›Schneider Fips‹ geschrieben hat. Ferner werde ich das Gedicht: ›Der Handschuh‹ von Schiller deklamieren, die Soloszene: ›Lieschen im Hemde‹ von einem unbekannten, aber noch berühmteren Dichter vorführen und zum Schluß, meine liab'n Herrn, da sing' i a paar fesche Weana Liadar, teils im Kostüm, teils ohne, Sie verstengen schon!«

Sie blinzelte cynisch und schloß: »Und so darf ich wohl auf geneigten Zuspruch rechnen, da ich keine Mühe gescheut habe und scheuen werde, meine teuren Gönner, die verehrten Damen und Herren zufrieden zu stellen.«

Lachen und Händeklatschen, und alles drängte dem Ausgang zu.


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