Karl Emil Franzos
Der Pojaz / Vorwort
Karl Emil Franzos

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Neunzehntes Kapitel

Es war spät am Abend, als Sender die Eingabe mit Müh' und Not und sicherlich nicht ohne zahllose Fehler zu Ende geschrieben, dennoch ging er nicht heim, sondern zu seinem einstigen Lehrherrn, dem Kutscher. Nach heiterer Gesellschaft stand ihm der Sinn freilich nicht, aber Simche war ein Freund und Nachbar des Marschallik, vielleicht fand er Jütte dort. Und er mußte das Mädchen sprechen, Näheres von ihr zu erkunden suchen.

Dem heißen Tag war, wie so oft in der großen Ebene, jäh und unvermittelt ein kühler Abend gefolgt; ganz Barnow hatte die dumpfen Häuser verlassen und erging sich im Mondlicht auf der Straße. Wo immer sonst Menschen wohnen, vernimmt man an solchen Abenden Liederklang, lautes Lärmen und Lachen. Die schwere Last des Tages ist zu Ende getragen; nicht allein die Brust, auch die Seele atmet in der Kühle leichter und tiefer. Anders bei diesem Volke, das auf seinem Leidensweg über die Erde das erquickendste Gut, die harmlos heitere Hingabe an den Augenblick, für immer verloren. Das Behagen am Leben fehlt, andere bedürfen zur Trauer einer Ursache, der Jude des Ostens zur Freude. Wie still sich die vielen Menschen hielten! Nur zuweilen summte ein Mann halblaut eine Melodie der Synagoge vor sich hin, sonst war nur gemessenes Reden hörbar, zuweilen aus einem Kreise gedämpftes Lachen der Männer, aus einem anderen unterdrücktes Kichern der Mädchen. Denn nicht bloß im Gotteshaus, auch auf der Straße und bei jeglicher Lustbarkeit sind die Geschlechter streng geschieden. Hier standen Frauen, dort Männer in dichtem Knäuel beisammen, zumeist eng um jemand geschart, der Witzworte oder eine Klatschgeschichte zum besten gab, hingegen ging das junge Volk Arm in Arm in langen Reihen auf und nieder, aber kein Jüngling wagte sich an die Kette der Mädchen, und wo die Reihen einander begegneten und ausweichen mußten, drückten sie sich stumm und verlegen aneinander vorbei. Nur vor den Haustoren ging es zwangloser zu; dieser Raum gehörte ja gewissermaßen noch zum Hause.

Raschen Schritts und gesenkten Hauptes ging Sender dahin; rief ihn jemand an, so murmelte er einen Gruß und drückte sich hastig vorbei. Aber als er endlich das Haus des Fuhrmanns erreichte, harrte seiner nur eine Enttäuschung; da saßen neben den Hausleuten auch der Marschallik und sein Weib, eine dicke, muntere alte Frau, aber Jütte war nicht zu sehen.

»Wenn man den Wolf nennt, so kommt er gerennt«, rief ihm der Marschallik entgegen. »Eben war Luiser hier, wir haben von dir gesprochen. Haben dir nicht die Ohren geklungen? Lauter Schimpf!«

»So?« fragte Sender leichthin, um nur etwas zu sagen.

»So?« äffte ihm der Marschallik nach. »Tu nicht, als ob es dir gleichgültig wär'. Wenigstens könntest du dich schämen, wenn das wirklich so wär'... Luiser sagt, du kannst schon heut' besser schreiben als Dovidl; wenn du, sagt er, die deutschen Gesetze fleißig lernst, so kannst du in zwei Jahren dein eigenes Geschäft begründen. Die Gesetze – hörst du?«

Sender erwiderte nichts. »Das wär' grad' das rechte für mich«, dachte er grimmig.

»Nun?« rief Türkischgelb ungeduldig, »warum antwortest du nicht? Mir scheint, du bist heut' nicht richtig im Kopf. Warum bist du Nachmittags davongelaufen wie ein Verrückter?«

»Mir war nicht wohl«, murmelte Sender. »Von der Hitze.«

»So? Weißt du, was meine Jütte gemeint hat: ›Er ist erschrocken, wie ich von den Spielern erzählt hab', dahinter steckt was!‹ Und meine Jütte –«

»Sieht ein Brett durch!« ergänzte Sender ärgerlich. »Was sollt' dahinter stecken?« Mißmutig setze er sich hin; nun konnte er sie auch bei einer künftigen Gelegenheit nicht mehr unbefangen ausfragen.

Aber er sollte noch am selben Abend alles erfahren, was sie darüber wußte. Nach einer kurzen Weile gesellte sich Jütte und die Tochter des Fuhrmanns zu der Gruppe. Das Gespräch kam natürlich auf das Leben in Chorostkow und Jütte meinte stolz, obwohl Barnow einige Einwohner mehr zähle, fühle sie sich doch wie in ein Dorf versetzt. Unter den Genüssen aber, die das Chorostkower Leben schmückten, nannte sie auch die Konzerte der Husarenkapelle im Schloßgarten und das Theater.

Die Frauen wußten nicht, was das Wort bedeute, der Marschallik aber erzählte, daß vor dreißig oder mehr Jahren auch in Barnow eine Truppe gewesen. »Aber die hat uns dann auch einen Ruf im Land gemacht, daß sich keine mehr hertraut; die armen Leut' sind fast verhungert. Unser Rabbi Manasse nämlich, der damals noch ganz jung war, aber womöglich noch strenger wie heut', hat verboten, hineinzugehen.«

»Ich begreif' nicht, wie man so was verbieten kann«, meinte Jütte. »Geht es denn gegen Gott, daß man sich unterhält und lacht und weint? Und was für schöne Spiele haben sie gemacht!«

»Erzähl' doch was davon«, munterte sie ihre Mutter auf, die nicht wenig stolz darauf war, daß die Tochter so gut zu reden wußte.

»Zum Beispiel das Spiel von den Räubern«, sagte Jütte. »Also – zwei Brüder, der eine ist schlecht und ein Gutsbesitzer, der andere ist gut und ein Räuber –«

»Umgekehrt, Kind«, verbesserte die Mutter.

»Nein, so ist es. Nämlich der Gute ist nur Räuber geworden, damit er den Menschen hilft! Das Spiel hat ein gewisser Schiller aufgeschrieben, sagt meine Malke.«

Ein feines Mittel, den Menschen zu helfen«, lachte Simche. »War denn dieser Schiller auch bei der Gesellschaft?«

»Nein, der Arme soll schon tot sein, sagt meine Malke. Und sie weiß ja alles. Aber noch besser hat mir das Spiel vom verliebten Schneider gefallen. Fips tut er sich mit deutschem Namen schreiben. Nämlich durch ein Loch in der Mauer wird ihm seine Braut entführt. Wenn ich dran denk', wie der Herr Stickler da gemeckert hat, lach' ich noch heut'. So heißt nämlich der Spaßmacher. Übrigens ein Lump, nicht zu sagen. Den ganzen Tag war er betrunken und ist schließlich Reb Hirsch mit der Zeche durchgegangen. Und erst die Weiber! Es war gut, daß sie selber fort sind, sonst hätt' sie Reb Hirsch hinausgeworfen.«

Sie wurde rot und verstummte.

»Man kann sich denken, was das für ein Gesindel ist«, sagte Simche. »Die Leut', die mit den Löwen und Schlangen herumziehen, sind doch, scheint's, ordentlicher. Die haben doch was!«

Sein Weib aber meinte: »Einmal möcht' ich so ein Spiel doch sehn. Vielleicht kommen sie her.«

»Ich glaub' nicht«, sagte Jütte. »Von Chorostkow sind sie nach Kolomea gezogen und von da wollten sie nach Siebenbürgen.«

Das Gespräch nahm eine andere Wendung; bald darauf ging die Gesellschaft auseinander. In bitterem Herzeleid schritt Sender seiner Wohnung zu. Auch diese Hoffnung war also zerronnen, er konnte doch den Leuten nicht aufs Geratewohl nach Siebenbürgen folgen. In dieser Nacht kam kein Schlaf über seine Augen.

Das Tageslicht gab ihm seinen Mut wieder; mit frommer Inbrunst verrichtete er das Morgengebet. »Ich hab' nur noch zwei, auf die ich bauen kann«, dachte er, »Ihn und mich. Aber wenn ich mich nicht verlasse, so tut auch Er es nicht. Die Hauptsache ist: ich muß weiterarbeiten und mir die Bücher schaffen. Es mag vielleicht kein gutes Brot sein, sonst hätte nicht ein Spieler wie Nadler wegen fünfzig Gulden durchgehen müssen, aber ich will lieber dabei zu Grunde gehen, als anderswie reich werden!«

Heute waren keine Eingaben zu schreiben. Es war der Dienstag, der Tag des Wochenmarkts, zugleich der Schlußtag der wöchentlichen Kollekte, wo die meisten Einsätze gemacht wurden, da hatte er keine Zeit dazu. Kaum daß er den Laden geöffnet, kamen die Bauern angerückt und wollten ihre sauer erworbenen Groschen los sein.

Aber das ging nicht so rasch. Die meisten wollten vorher Rat und Hilfe in der richtigen Auswahl der Nummern. Gleich der erste, der sich vor Senders Tisch schob, war ein ihm wohlbekannter Kunde, der ihn in der Regel eine halbe Stunde kostete. Ein stattlicher Bauer, der Dorfrichter von Miaskowka, der in seiner Umgebung den Ruf großer Klugheit genoß.

»Nun, Senderko«, begann er wie immer mit vertraulichem Flüstern, »machen wir heute das Geschäft?«

»Nein«, erwiderte Sender kurz, »es geht nicht.«

»Aber warum denn nicht? Ich werde dich doch nicht verraten! Und wir reden ja auch nichts miteinander ab. Ich lege meine dreißig Kreuzer hin – so! – und du schreibst drei Nummern auf, die dir« – er zwinkerte schlau – »eben einfallen, und vom Gewinn bekommst du die Hälfte.«

Der Richter war nämlich der Meinung, es hänge nur von Sender ab, welche Nummern er am Mittwoch Vormittag als gezogen an die Ladentür stecke. Der Schreiber hatte ihn bisher ruhig bei diesem Glauben gelassen, und nur immer versichert, das Geschäft gehe gegen sein Gewissen. Es hatte ihm Spaß gemacht, durch welche Mittel dann der Richter seine Zweifel zu zerstreuen suchte. Heute aber sagte er kurz: »Seid nicht dumm, Richter! Wüßte ich, welche Nummern herauskommen, ich wäre längst ein reicher Mann und säße nicht mehr hier.«

Der Bauer sah ihn verdutzt an.

»Das heißt«, sagte er zögernd, »daß du es mir nie sagen wirst?« Sein Gesicht färbte sich hochrot vor Zorn, er hieb auf die Barriere los.«Dann treibt ihr ja Betrug hier, ihr elenden Juden! Betrug! Für gute dreißig Kreuzer so ein elendes Zettelchen!«

Auf den Lärm kam Morgenstern herbeigestürzt.

»Du Narr!« fuhr er Sender heftig an, nachdem er den Sachverhalt erfahren, »so sorgst du fürs Geschäft?«

Dann wandte er sich an den Bauer.

»Herr Richter«, flüsterte er ihm flehend zu, »ich sag' Euch die Nummern, die wir morgen ausstecken. Höchstens wenn mir der Herr Bezirksvorsteher andere befiehlt – aber sonst gewinnt Ihr gewiß! Und ich bin schon mit einem Viertel des Gewinns zufrieden!«

»Das ist was anderes«, sagte der Bauer begütigt und machte seinen Einsatz. »Aber betrügen lasse ich mich nicht, am wenigsten von so einem jungen Tölpel!«

»Der Anfang war gut!« dachte Sender seufzend und beschloß, nun umso vorsichtiger zu sein. Zum Glück war unter den anderen Kunden keiner, der dem Richter von Miaskowka an Schlauheit gleichkam. Diese Bauern und Kleinbürger wollten nur wissen, ob jetzt »der Wind mehr nach Grad oder mehr nach Ungrad wehe«, ob sie also vorteilhafter 15 und 43 oder 16 und 44 setzen sollten, oder noch häufiger, ob »der Wind unten, in der Mitte oder oben wehe«, das heißt, ob sie die Ziffern zwischen 1 und 30, oder 31 und 60, oder 61 und 90 wählen sollten. »Der Wind« – was sie darunter verstanden, mochte der Himmel wissen, es war ihnen wahrscheinlich ebenso klar wie Sender, der diesen Wind abwechselnd durch alle drei Regionen streichen ließ. Wieder andere erzählten ihre Träume und verlangten die Nummern angegeben, die diesen entsprachen; zu dem Zwecke lag auch hier, wie in jeder Lottokollektur des Ostens, ein Traumbuch auf dem Schreibtisch. Sender glaubte den Leuten keinen Schaden zuzufügen, wenn er es nicht erst aufschlug.

»Also«, sagte er der Pfarrersköchin von Barnow, »Ihr habt von einem Bottich voll Geld geträumt – 7, von einem Korporal – 23, und ein Hund hat Euch in die Wade gebissen – 50. Und Ihr?« wandte er sich an eine alte Bäuerin.

»Von einem schwarzen Huhn habe ich geträumt«, erwiderte sie, »und daß mir ein junger Mann schön getan hat

»3 und 32. Was noch?«

»Und daß ich in der Kirche eingeschlafen bin.«

»50... Und Sie, gnädige Frau?«

Die Frage galt der Gattin des städtischen Försters, Frau Theodora Putkowska, ihrer boshaften Zunge wegen auch die Viper von Barnow genannt.

»Ein Rosaseidenkleid«, flüsterte sie ihm zu. »Das ist das einzige, was mir geträumt hat, aber wiederholt ...«

»50!« erwiderte Sender.

»Was?« rief sie und warf den Zettel, den er ihr reichte, zurück. »Empörend! Ist ein Rosaseidenkleid dasselbe, als wenn ein Hund in die Wade beißt oder wenn man in der Kirche einschläft? Immer 50! Das ist ja ein Betrug...«

Entsetzt erkannte Sender, daß er die Zahl, die ihn seit gestern begreiflicherweise, da er unablässig an Nadlers Los denken mußte, am meisten beschäftigt, etwas zu oft benützt. »Lassen Sie mich nachsehen«, bat er erschreckt und griff nach dem Traumbuch.

Es war zu spät; schon war Morgenstern wieder erschienen, nach dem Rechten zu sehen. Ein Strom von Klagen und Schimpfreden ergoß sich über das Haupt des Schuldigen. »Du willst mich zum Bettler machen«, schrie er, »aber eher jage ich dich davon!«

»Wie begütige ich ihn nur wieder?« dachte Sender, nachdem sich der Laden geleert. »Er soll mir ja die Adresse des Buchhändlers sagen.« Er trat vor den Meister. »Wenn Ihr eine Arbeit für mich habt – ich hab' gerade Zeit.«

Dovidl blickte ihn mißtrauisch an. »Was bist du plötzlich so eifrig? »fragte er.

»Es ist auch die Langeweile«, sagte Sender. »Ich hab' ja nichts zu lesen. Und da wollt' ich Euch bitten –«

»Daß ich dir etwas von den Gesetzen da gebe?« fragte der Winkelschreiber lauernd und wies auf die Bücher, die vor ihm lagen.

»Nein«, erwiderte der Schreiber. »Eine Sprachlehre will ich mir aus Lemberg kommen lassen, vielleicht auch ein Lesebuch, sagt mir, wie mach' ich das?«

Zornrot sprang Morgenstern vom Sessel empor.

»Schäm' dich!« rief er. »So jung und schon so falsch! Glaubst du, ich weiß nicht, wer dahinter steckt? Mein lieber Luiser! Er redet dir immer zu: ›Lern' die Gesetze – dann kannst du Dovidl das Brot wegnehmen.‹ Und nun soll ich dir raten, wie du dir die Bücher schaffst!«

»Nein!« rief Sender. »Ich schwöre Euch...«

»Kein Wort mehr... So ein Undank...«

»Aber so nehmt doch Vernunft an«, rief Sender heftig. »Wenn Luiser dahinter stecken würde, so könnt' er's mir doch gleich selbst sagen –«

»Er weiß es ja nicht! War er denn je in Lemberg? Nein, nein, mich betrügt man nicht so leicht!«

Mißmutig setzte sich Sender wieder an den Schreibtisch. »Dann frag' ich Luiser wirklich«, dachte er. »Er kommt ja gewiß auch heute.«

In der Tat trat der Gemeindeschreiber kurz vor Mittag ein, wie jeden Freitag und Dienstag. So sehr ihn Dovidl sonst haßte, die Besuche ließ er sich gern gefallen. Luisers Einsatz war sehr ansehnlich, da er das Haupt einer Spielgesellschaft war. Ihre Mitglieder wollten die Regierung nicht betrügen, aber auch von ihr nicht betrogen sein. »Das lassen wir uns nicht einreden«, meinten sie, »daß die Nummern in Lemberg von einem Waisenknaben gezogen werden. Der Waisenknabe trägt Brillen und einen langen Bart und sieht vorher alle Listen durch. Jene Nummern, die am wenigsten besetzt sind, werden natürlich gezogen, damit auch möglichst wenig Gewinne ausbezahlt werden müssen.« Nun standen ihnen freilich nicht alle Listen des Landes zu Gebote, aber sie spannen ihre Netze so weit sie konnten; jeden Freitag wurden die Listen eingesehen, die Ergebnisse brieflich ausgetauscht und dann am Dienstag verwertet. Keine Enttäuschung vermochte die Überzeugung dieser seltsamen Kartellbrüder zu erschüttern, daß sie allein auf richtiger Fährte seien. Auch Luiser Wonnenblum zählte das Häuflein Papiergulden so fröhlich vor Sender hin, als hätte ihm Gott selbst den Gewinn zugesichert. Aber womöglich noch heiterer wurde seine Miene, als Sender ihn nach dem Buchhändler fragte.

»Recht so!« flüsterte er. »Du brauchst nicht einmal dem Buchhändler schreiben. Ich schaff' dir schon die Gesetze durch meinen Vetter in Lemberg.«

Sender lehnte dankend ab. »Bemüht Euch nicht, sagt mir nur, wie der Buchhändler heißt.«

»Das weiß ich nicht. Aber wie gesagt, mein Vetter...«

Als Sender es endgültig ablehnte, verließ Luiser sehr erstaunt den Laden. »Glaubt er vielleicht«, dachte er, »ich will am Preis verdienen? Nicht einmal – ich hab' schon so Vorteil genug davon, wenn sich Dovidl und Sender entzweien.«

Sender aber schrieb ungesäumt »an den deutschen Buchhändler in Lemberg« und bestellte die Bücher gegen Nachnahme. Die genauen Titel wußte er ja nicht, aber das war wohl auch bei einem, der damit Handel trieb, nicht nötig.

Als er den Brief in den Schalter des Postamts warf, streifte sein Blick die Briefe, die über dem Schalter ausgestellt waren. »An den Herrn Theaterdirektor Nadler« – Himmel, das war ja sein Brief, auf den er so schmerzlich Antwort ersehnt; er war als unbestellbar zurückgelangt!

Der Postmeister musterte Sender lächelnd, als dieser den Brief zurückerbat: »Mensch, was hast du für Bekanntschaften?! Übrigens liegt der Brief schon einen Monat da.« Auf der Rückseite stand: »Retour. Adressat unbekannt wohin verzogen.«

Senders Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Nun brauchte er niemand mehr zu fragen. Dieser Herr Stickler und die anderen hatten nicht gelogen...

Er war nun wirklich ganz verlassen, sein Gönner geflohen, warum hätte er sonst seine Adresse nicht zurückgelassen?... »Der Ärmste«, murmelte er, »wegen fünfzig Gulden!« Und neben dem Mitleid mit Nadler regte sich auch abermals das mit sich selber.

Aber nun weinte er nicht wieder. Als ihn die Mutter beim Mittagessen besorgt fragte, warum er so bleich und traurig sei, zwang er sich sogar zu einer fröhlichen Miene.


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