Karl Emil Franzos
Der Pojaz / Vorwort
Karl Emil Franzos

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Neunundzwanzigstes Kapitel

Sender ließ sich eine Schlafkammer anweisen und in der Wirtsstube ein Mittagessen auftragen. Gottlob, der Kellner kannte ihn nicht und fragte daher nicht auch nach seinen Löckchen, wohl aber, ob er abends das Theater besuchen wolle, und als Sender bejahte, griff er in die Tasche und legte eine Karte vor ihn hin. »Sperrsitz ersten Ranges, vierzig Kreuzer. Nummer sechs. Erste Bank. Von dem Platz sieht man am besten!«

»Habt Ihr keinen billigeren?« fragte Sender.

»Ein Herr wie Ihr!« rief der Kellner, »ein ›Deutsch‹, der keine Löckchen mehr trägt und einen kurzen Rock. Der zweite Rang kostet dreißig Kreuzer – oder zwanzig – ich weiß wirklich nicht genau, denn mit Leuten, die dorthin gehen, hab' ich nichts zu tun. Aber auf diesem Platz ist vorgestern der Herr Kreishauptmann gesessen und gestern der Herr Oberst. Auch sieht man vom zweiten Rang nichts.«

Das gab den Ausschlag. Sender zählte ihm die vierzig Kreuzer zu. »Habt ihr keinen Zettel?« fragte er.

»Nein. Aber am Tor klebt einer. Es werden täglich nur sechs gemalt, weil wir ja hier noch sehr zurück sind. Gibt es denn in Zalefzczyki eine Druckerei? Aber halt – an der Kasse hängt ein Zettel, den bring' ich Euch.«

Er stürzte ab und brachte dienstfertig den Zettel herbeigeschleppt. Es war ein Riesenblatt, aus mehreren Bogen roten Papiers zusammengeklebt und mit einem Pinsel bemalt. Ein dicker Strich schied ihn in zwei Hälften. Die linke wies hebräische, die rechte lateinische Lettern. Beide Texte waren hochdeutsch und besagten ungefähr dasselbe, aber nur eben ungefähr.

Der Zettel lautete:

Theater in Zalefzczyki

Die berühmten
Czernowitzer Spieler!
Direktor Nadler
(jetzt heißt er Stickler!)

Theater in Zalefzczyki

Direktion Stickler,
vorm. Nadler
Gesellschaft des Czernowitzer
Stadttheaters.

 
Billig! Billig!!
An alle guten, edlen Israeliten
von Zalefsczyki,
die gern ein koscheres Vergnügen haben
wollen, ob arm, ob reich!

Billig!!! Billig!!!!

Nur weil uns alle so gebeten haben!
Zum aller-, aller-, allerletzten Mal!!
Morgen spielen wir ja in Borszczow!!!
Die Koffer sind schon unterwegs!!!!

An den hohen Adel!
An das hochlöbliche K. K. Offiziers-
korps!
An die hochmögende K. K. Beamten-
schaft!

An das ganze P. T. kunstsinnige Publi-
kum von Zalefzczyki und Umgebung!
Auf aller allgemeinstes Verlangen!
Ganz unwiderruflich allerletzte Vor-
stellung!
Morgen Vorstellung in Borszczow!
Nur noch dies eine Mal!

 
Heute zu Sabbat Eingang

beiläufig um acht!
Wo?
Was fragt ihr? Wie immer!

Bei der dicken Chane!

So was hat noch niemand gesehn!
Augen werdet ihr machen, wie Räder!
Nur weil uns die edlen Israeliten hier so
gut haben verdienen lassen und wir wol-
len ihnen dafür zum Dank ein großarti-
ges Vergnügen und einen riesigen Nut-
zen bereiten!
Kommt!

Heute Freitag
den 26. Februar 1853
Abends 8 Uhr.

Im großen Saale des Hotels der Frau
Chane Gurkensalat.

Große außerordentliche noch nie dage-
wesene Extra-Abschiedsvorstellung aus
Dankbarkeit
für unsere verehrten Gönner!

Wir haben es noch nicht gespielt!
Wir werden es nicht mehr spielen!
Zum
allerersten und allerletzten Mal!
 
Deborah
die edelste und schönste Israelitin auf
der ganzen Welt!!!
oder:
Deborah
die fluchende und verfluchte Jüdin!
oder:
Du ehrlich jüdisch Kind!!
Laß dich mit keinem Christen ein!!
Sonst geht's dir schlecht!!!!!!
oder:
Christliche und jüdische Liebe und
was dabei herauskommt!
oder:
Großer Sieg der Israeliten, über alle
ihre Feinde, die sie zuletzt segnen müssen!
Ein Spiel für Arm und Reich, Groß und
Klein
in
neun langen, wunderschönen Teilen
Der Juden Fluch
ist
der Christen Segen!
Volksschauspiel in vier Akten
 
Aufgeschrieben
von

Schlome Hirsch Mosenthal.

Der Herr Schlome Hirsch Mosenthal ist
ein in der ganzen Welt berühmter, aus
Tarnow in Galizien gebürtiger
!!hochedler Israelite!!
der treu an seinem Glauben hängt, seine
Glaubensbrüder immer verteidigt und
daher von den Israeliten der ganzen Welt
geliebt, verehrt und bewundert wird.
Wer sich dies Stück nicht ansieht, ist
undankbar und verdient nicht, daß die-
ser weltberühmte Schlome Hirsch sein
Glaubensbruder ist! Er ist:

kk. Rat beim Kaiser persönlich

und hat nicht weniger als

170 Orden!!

Verfaßt
von

Dr. Prof. Ritter G. H. Mosentahl.

Der Herr Verfasser Dr. Professor Ritter
Sigmund Heinrich Mosenthal, ist ein in
der ganzen Welt berühmter drama-
tischer Dichter, aus Berlin (Hauptstadt
Preußens und der Intelligenz) gebürtig,
aber von Seiner kk. apostolischen Maje-
stät dem Kaiser Franz Joseph höchstper-
sönlich nach Wien berufen, mit den be-
deutendsten Orden ausgezeichnet – er
soll 17 haben! – und als kk. Staatsbeam-
ter angestellt. Sein Ururgroßvater soll
angeblich Jude gewesen sein, er selbst ist

!!katholisch geboren!!

kennt jedoch die Juden genau und weiß
sie nach Gebühr zu zeichnen!

 
Die Spieler heißen:
im Spiel: wirklich:
Lorenz, der Dorfrichter hat kein schlechtes Herz, aber – Herr Stickler.
Joseph, sein Sohn, macht eine Jüdin unglücklich, aber die Strafe bleibt nicht aus Herr v. Hoheneichen.
Der Schullehrer, ein niederträchtiger Mensch, ein getaufter Jud', der gegen Juden hetzt Herr Können.
Der Pfarrer, nicht der schlechteste, aber – Herr Birk.
Hanne, eine Christin, sehr schön Frl. Linden.
Der Polizeidiener *
Der Dorfbader Herr Cohn.
Der Schneider Herr Lewy.
Der Krämer Herr Moses.
Der Bäcker Herr Hirsch.
Die Wirtin Fr. v. Stranz.
Die alte Liese Fr. Mayer.
Jakob (aber kein Jud'!) Herr Cohn der Jüngere.
Röschen, ein noch schöneres Mädchen Frl. Rosen.
Abraham, ein hochedler, alter Israelit, leider blind, aber Gott läßt ihn sehen Herr Itzigsohn.
Deborah, die alleredelste, und allerschönste Jüdin auf der ganzen Welt **
Ein jüdisches Weib mit einem kleinen Kind und einem guten Herzen – Frl. Sinding.
Ruben, auch hochedel, führt die Juden aus der Verbannung nach Palästina zurück Herr Silberstein.
Ein Knabe Der Bube von dem Frl. Linden.
Ein Mädchen Das Mädchen von dem Frl. Linden.
Personen dieses
interessanten Dramas:
Lorenz, der würdige, leider allzumilde Ortsrichter Herr Stickler.
Joseph, sein edler, aber leider nur zu gewissenhafter, von einer Jüdin umstrickter Sohn Herr v. Hoheneichen.
Der Schullehrer, ein braver Mann, leider durch jüdische Bosheit sehr gekränkt Herr Können.
Der Pfarrer, leider nur allzu judenfreundlich Herr Birk.
Hanne, ein schönes Mädchen Frl. Linden.
Der Polizeidiener *
Der Dorfbader Herr Mohrenheim.
Der Schneider Herr v. Tutzing.
Der Krämer Herr Lilienau.
Der Bäcker Herr Sorge.
Die Wirtin Fr. v. Stranz.
Die alte Liese Fr. Mayer.
Jakob, ein Bursch Hr. Berwulski.
Röschen, ein besonders schönes Mädchen Frl. Rosen.
Abraham, ein alter jüdischer Betrüger, durch Blindheit von Gott gestraft Hr. Itzigsohn.
Deborah, die unschädlich fluchende, aber dann selbst verfluchte Jüdin, übrigens das allerschönste Mädchen **
Ein jüdisches Weib, ganz geldgierig und ganz gemein Fr. Cohn.
Ruben, ein verrückter Jude, geht nach Amerika und nimmt zum Glück viele mit sich Herr Silberstein.
Ein Knabe Kleiner Linden.
Ein Mädchen Kleine Linden.
* Hritzko! Euer Polizeidiener!
Heißt ein Spieler!
Der Herr Bürgermeister hat's erlaubt .
** Frl. Klothilde Schönau, vom kaiserlichen
Theater in Wien, als Gast.

Zwanzig Bauern, dreißig Bäuerinnen, vierzig
Juden, fünfzig Jüdinnen und sehr viel Musi-
kanten.

Ort: Ein Dorf, – vielleicht kennt ihr's.

Zeit: Unter dem großen Kaiser Joseph.

* Mit gnädiger Bewilligung des hohen
Bürgermeisteramts
Herr Hritzko Tomczuk,
Polizeidiener hier, als Gast.
**Frl. Klothilde Schönau vom
kk. Stadt-Theater in Lemberg als Gast.

Volk. Juden. Musikanten.

Ort der Handlung:
Ein Dorf in Steiermark.

Zeit: 1780.

 
Preise.
Billig! Billig!! Billig!!!
wie nie!!!!!!
Kinder die Hälfte!
Auf drei eins umsonst!!
Preise.
Wie gewöhnlich äußerst billig!
Kinder und Soldaten vom Feldwebel
abwärts die Hälfte.

Bis Sender den Riesenzettel in seinen beiden Hälften zu Ende gelesen, war ihm der Braten kalt geworden, und dann konnte er vor Ärger kaum essen; Moskal konnte sich über seinen Anteil nicht beklagen. »Diese Gauner«, murmelte er in sich hinein, »allen wollen sie es recht machen und lügen das Blaue vom Himmel herunter. Und das sind auch Künstler. Habt ihr solche Zettel beim Herrn Nadler gelernt, ihr Halunken?« Fast am meisten ärgerte es ihn, daß sie dessen Namen zu mißbrauchen wagten. »Na, wartet, das wird er euch legen!«

Vieles an dem Zettel war ihm rätselhaft und reizte seine Neugierde, aber er mochte gar nicht wieder hinsehen. »Gesindel, eure Vorstellung will ich mir ansehen – wird auch was Schönes sein! Aber sonst seid ihr keinen Gedanken von mir wert!« Er zahlte und ging, sich die Stadt zu besehen, die er noch nie bei Tage gesehen; er hatte als Fuhrknecht da immer nur übernachtet.

Als er aus dem Tore trat, hörte er plötzlich rufen: »Pojaz – du hier?« Es war der Wirt, bei dem er damals zu übernachten pflegte. »Und bist nicht zu mir gekommen? Aber wo sind deine –?«

»Meine Löckchen geblieben?« rief Sender wütend. »Der Teufel hat sie zuerst geholt, nun kommt er über die Eurigen!« und er ließ den verblüfften Mann stehen und rannte davon.

»Recht war's nicht«, dachte er dann. »Aber dies viele Fragen macht einen ganz wild. Das muß aufhören. Ob ich mich hier ganz zum ›Deutsch‹ mache oder erst in Czernowitz, ist ja gleichgültig. Dann erkennt mich keiner mehr!«

Er trat in eine Barbierstube und ließ sich das Haar stutzen, den Schnurr- und Backenbart abrasieren. Der Barbier, ein Jude, tat es unter Kopfschütteln. »Wie ein Schauspieler«, sagte er, »das hat noch kein jüdisch Kind von mir verlangt. Zuerst die Löckchen –«

Sender warf sein Geld hin und schoß zur Tür hinaus. Unweit davon war ein Kleiderladen. Der Besitzer, gleichfalls ein Jude, sah ihn groß an, als er ihn fragte, ob er ihm für seinen Mantel und Kaftan sowie eine Draufgabe in Barem einen deutschen Anzug und einen modern geschnittenen Mantel eintauschen wolle. »Es kommt auf die Draufgabe an«, sagte er endlich langgedehnt und brachte seine Ware herbei. Sender mußte lange probieren, bis sich etwas Passendes fand, und dann noch länger feilschen, der Händler forderte einen unverschämten Preis. »Der Kaftan ist ja nichts nütz«, sagte er, »den hat kein Schneider abgeschnitten.« Erst als Sender davonging, lief er ihm nach und gab sich mit zwanzig Gulden zufrieden. Nachdem der junge Mann im Hintergrund des Ladens die Kleider angezogen, trat er vor den Spiegel. Er kam sich in der ungewohnten Tracht recht seltsam vor, auch der Hund bellte plötzlich auf, als ob er ihn nicht erkenne, oder doch um seine Verwunderung auszudrücken.

Seufzend zahlte Sender die zwanzig Gulden auf den Tisch, nun blieben ihm noch dreizehn. »Ihr seid ein rechter Räuber«, sagte er, »es sind ja keine neuen Kleider.«

»Aber von einem Grafen abgelegt«, erwiderte der Händler. »Übrigens – ich will nicht lügen. Daß Ihr's nur wißt, jeder Christ hätt's billiger bekommen. Aber einem zum Abfall verhelfen, ist eine Sünde, dafür will ich bezahlt sein. Wie lang mag's her sein, daß Ihr Eure Löckchen –«

»Schweigt!« donnerte Sender und lief davon. »Aber nun wenigstens hat's ein Ende!« dachte er.

In der Tat, im nächsten Laden, beim Hutmacher, wurde er bereits mit »Herr« angesprochen, also wohl gar nicht mehr als Jude erkannt. Noch mehr, unaufgefordert reichte ihm der Handwerker einen riesigen, weichen Filzhut hin. »So einen hat mir auch der Herr v. Hoheneichen abgekauft«, sagte er. Sender sah also sogar schon wie ein Schauspieler aus. Aber sein Stolz darüber minderte sich, als der Hutmacher, während er vor den Spiegel neben der Tür trat, sich vor dieselbe hinstellte und sogar ängstlich die Hand auf die Klinke legte. Moskal ließ wieder sein Bellen hören, aber Sender fand, daß ihm der Hut ausgezeichnet stehe, und kaufte ihn nach längerem Feilschen um drei Gulden, die Bauernmütze gab er drauf. Beim Anblick des Geldes erhellte sich das Antlitz des Meisters. »Wenn Sie vielleicht«, bat er, »Ihren Herrn Kollegen, den Herrn v. Hoheneichen, auch erinnern wollten...«

»Ich kenn' ihn nicht«, erwiderte Sender stolz. »Ich bin freilich auch Schauspieler, aber nicht bei der hiesigen Schmiere, sondern Mitglied des Stadttheaters in Czernowitz. Unter der echten Direktion Nadler...«

»Das hätt' ich mir denken können«, sagte der Hutmacher ebenso devot wie traurig. »Die Hiesigen zahlen nie...« Er riß respektvoll die Tür auf, und Sender schritt erhobenen Hauptes auf die Straße.

Die Dämmerung war eingebrochen, aber die Wärme gegen den Vormittag nur noch gestiegen, von allen Dächern triefte es nieder, durch die durchgeweichten Straßen flossen Bäche; aller Schnee schien auf einmal wegzuschmelzen. Der Westwind war stärker, aber auch noch schwüler geworden; fast erschlaffend legte sich sein Hauch um die Glieder, daß Sender kaum den Mantel ertrug, obwohl er viel leichter war als der alte, solide, der ihn so lange treu vor Wind und Wetter geschützt. Es war unbehaglich auf der kotigen Straße, er wollte eben in seinen Gasthof zurückkehren, als plötzlich die Worte an sein Ohr schlugen: »Das Wasser steigt! Nun kracht's auch schon im Eis!«

Ein Herr hatte es dem anderen zugerufen, beide eilten nun zum Dniester hinab. »Das wäre eine schöne Bescherung«, dachte Sender erschreckt und folgte ihnen. »Zehn Gulden hab' ich noch, das reicht knapp zur Zehrung und Reise bis Sonntag abend. Ich werd' ohnehin fast ohne Heller in Czernowitz ankommen. Geht mir nun die Schiffbrücke vor der Nase weg –«

Aber so bedrohlich sah es am Dniester noch nicht aus. Die Brücke unten war nun mit Fackeln beleuchtet, die Bastion voll von Menschen, die sich neugierig das ungewohnte Schauspiel besahen, Angst schien niemand zu empfinden. Das Wasser war gestiegen, aber man hatte auch die Ketten höher gewunden, so daß die Bohlen wieder über der Flut lagen; der Verkehr über die Brücke währte fort und wurde nur zeitweilig unterbrochen, wenn es die Arbeit der Pioniere erforderte; hatten sich Baumstämme und sonstiges Trümmerwerk an der Brücke angesammelt, so hoben sie es mit Spießen und Stangen aus der Flut, schleiften es über die Brücke und warfen es auf der anderen Seite wieder in die Strömung. Unheimlich war nur das Krachen im Eis, ein seltsamer Ton, dumpf einsetzend, dann immer heller und durchdringender anschwellend, als schnitte eine Riesenfaust eine ungeheure Glastafel entzwei, dann in einer Art Glucksen verhallend, dem Geräusch des Wassers, das in den Riß eindrang und ihn erweiterte.

Inmitten einer andächtigen Schar von Zuhörern stand ein dicker, alter Herr und perorierte heftig. »Nur keine Angst«, rief er, »vom Oberlauf ist noch kein Telegramm da. Ihr seht, ich habe noch nicht einmal den Mörser aufstellen lassen. Vor dem Montag kommt der Eisstoß nicht. Geht heim – ich wache!«

Ein jüdischer Greis in seidenem Kaftan – es mußte ein Vornehmer sein – drängte sich durch die Reihen. »Herr Bürgermeister«, rief er atemlos, »da hab' ich ein Telegramm bekommen –«

»Woher?«

»Aus Barnow!«

»Haha!« rief der Bürgermeister. »Seit wann liegt Barnow am Dniester?« Auch die Umstehenden lachten.

»Aber es ist wichtig!« erwiderte der Jude und sprach flüsternd auf den Bürgermeister ein. Aber der hörte ihn kaum an. »Ein andermal, Herr Silberstein. Jetzt hab' ich keine Zeit für Eure jüdischen Sachen.«

»Was mag das sein?« dachte Sender mehr neugierig als besorgt. Ihn konnte es doch unmöglich betreffen, er war ja kein Dieb, den man telegraphisch verfolgen konnte. Und für sein Fortkommen am Sonntag brauchte ihm nun auch nicht bange zu sein.

Er ging in den Gasthof zurück. im Torweg stand die dicke Wirtin und hielt ihn an als er vorbei wollte. »Wohin wünschen der Herr?

»Nummer neun«, erwiderte er kurz.

Da riß sie die Augen weit auf und schlug die Hände zusammen. »Ihr seid es! Also ein Spieler wollt Ihr – wollen Sie werden?«

Ähnlich empfing ihn der Kellner in der Wirtsstube, Sender fühlte sich sehr gehoben – kein Zweifel, wie ein Schauspieler sah er nun wirklich aus. Aber auch hier bekam er sofort die Kehrseite der Medaille zu sehen. Als ihm der Kellner das bestellte Fläschchen Moldauer brachte, blieb er am Tische stehen und sagte: »Verzeihen der Herr – hier wird gleich bezahlt.«

Lächelnd zog Sender seine Brieftasche und holte, ohne hinzusehen, die Zehnguldennote hervor. Das machte sich großartig und war doch kein Kunststück, sonst war nichts mehr drin.

Der Kellner wechselte. »Entschuldigen der Herr«, stotterte er, »die hiesigen Schauspieler...«

»Glaub ich gern«, sagte Sender herablassend. »Wir vom Czernowitzer Stadttheater kennen diese Leute auch.«


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