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XLII.

Dan ging darauf zur Polizeistation. Der diensttuende Sergeant sprach gerade telephonierend mit dem Polizeipräsidium New York. Kurze Zeit später wurde Huntington der Schauplatz emsiger Tätigkeit. Der Inspektor wurde gerufen, und die ganze Mannschaft versammelte sich. Innerhalb von zwei Minuten war ein Wagen, beladen mit Polizeibeamten, nach Lloyd Beach abgesandt.

Der Sergeant und drei Leute kehrten mit Dan in einem Wagen zum Wasser zurück und wurden zu dem Leichter hinausgerudert, der im Hafen Anker geworfen hatte. Alle Leute wurden von Bord ans Ufer gebracht. Der Kapitän und der Maschinist wanderten ins Gefängnis, der Verwundete wurde ins Hospital gebracht, der Tote ins Schauhaus. Lawrence, Julia, Dolan und der Koffer mit dem wertvollen Inhalt fanden sichere Zuflucht in dem Dorfgasthaus.

Dan widerstand allen Bitten Julias, sich zu Bett zu legen und von einem Arzt betreuen zu lassen.

»Ich muß bis zum Ende dabei sein«, erklärte er. »Das habe ich verdient.«

Er machte sich mit dem Sergeanten und drei Beamten auf, um dem ersten Wagen nach Lloyd Beach zu folgen. Inzwischen hatte er jedoch einige Überlegungen angestellt.

»Ich glaube nicht, daß Joe Penman in eine solche Falle gehen wird«, meinte er. »Er würde eher jeden verzweifelten Schritt unternehmen, als sich ergeben.«

»Was könnte er denn tun?« fragte der Sergeant.

»Darüber denke ich ja gerade nach. Was könnte er tun? Nach der Karte ist das Wasser hinter Lloyd's Neck nur eine halbe Meile breit, und an einer bestimmten Stelle noch weniger. Nehmen wir einmal an, er ist die Strecke geschwommen?«

»Kann er denn schwimmen?«

»Ich weiß es nicht. Aber seine Gestalt läßt darauf schließen, daß er in seiner Jugend ein Schwimmer gewesen ist.«

»Nun, dann hat er es sicher nicht verlernt.«

»Joe kennt die Karte bestimmt genau so gut wie ich«, fuhr Dan fort, »denn alle seine Maßnahmen hängen von dieser Kenntnis ab. Er weiß, wo die schmalste Stelle ist. Wenn ich mich recht besinne, liegt das Ende einer Straße dort an der Küste. Wenn wir diese Straße hinabfahren, haben wir eine Möglichkeit, ihn ebensogut zu fassen wie bei Lloyd Beach.«

»Tut mir leid«, erwiderte der Sergeant, »aber ich habe den Auftrag, an die Küste zu fahren, und ich muß meinen Befehlen nachkommen.«

»Gewiß. Aber ich habe ja Freiheit, zu tun, was ich will. An der Küste wird nichts los sein. Es sind zu viele Ihrer Kollegen dort. Wenn Sie mir ein paar Handschellen und eine Taschenlampe leihen, will ich die Straße hinuntergehen. Einen Browning habe ich bei mir.«

»Ich fahre Sie schnell hin, das dauert ja nur ein paar Minuten.«

»Nein. Wenn Joe dort irgendwo in der Nähe ist, wird er durch die Scheinwerfer gewarnt. Ich gehe besser zu Fuß.«

»Nun, dann bringe ich Sie wenigstens bis zum Kreuzweg. Von dort ist es nur eine halbe Meile bis zum Wasser.«

Dan wurde am Kreuzweg abgesetzt, und das Polizeiauto fuhr weiter. Er wanderte eine Straße entlang, die selten benutzt wurde und viele Löcher hatte. Sie führte durch weite, flache Felder, und nirgends war ein Gebäude zu sehen. Nicht einmal Telegraphenstangen zeigten an, daß dies eine bewohnte Gegend war.

Das Flachland ging unmerklich in Marschland über, und ein scharfer, salziger Geruch machte sich bemerkbar. Nirgends gab es Deckung. Wenn Joe in der Nähe war, mußte Dan ihn sehen. Dan ging geräuschlos in dem kurzen, starken Gras an der Seite der Straße. Der frische Nordwind blies ihm ins Gesicht, und wenn er durch das trockene Rohr fuhr, klang es wie leises Lachen. Zu Dans rechter Seite stieg der Mond am Himmel auf und spiegelte sich im Wasser.

Dan erreichte das andere Ende der Straße, ohne einen Menschen zu treffen. Das Mondlicht enthüllte nun den Charakter der Landschaft mehr und mehr. Dan stand an einem offenen Punkt und hatte das Wasser auf drei Seiten vor sich.

Links entdeckte er in etwa dreißig Meter Entfernung von der Straße eine baufällige Blockhütte, die auf Pfählen im Wasser errichtet war. Mehrere Boote waren darunter festgemacht.

Nach der Straßenseite zu zeigte sich kein Lichtschimmer, aber als Dan näherkam, sah er Rauch aus dem Kamin aufsteigen, was zu dieser Nachtstunde mindestens ungewöhnlich war. Nachdem er sich noch näher herangeschlichen hatte, hörte er Stimmen. Er zog den Browning aus der Hüfttasche und steckte ihn in den Rock.

Auf festem Grund war ein Schuppen erbaut, in dem ein alter Ford untergebracht war. Die Blockhütte selbst konnte man auf einer verfallenen Holzbrücke erreichen. Vorsichtig ging Dan darüber. Trotz aller Behutsamkeit knirschte aber doch dann und wann ein Brett unter seinem Gewicht. Er hoffte jedoch, daß Wind und Wellen diese Geräusche übertönten.

Er sah ein Fenster, das von innen dicht verhängt war. Die Tür befand sich an der dem Wasser zugekehrten Seite. In dem Fenster nebenan zeigte sich durch eine Spalte zwischen den Vorhängen ein Lichtschimmer. Dan schlich sich dorthin und schaute ins Innere.

In dem einzigen Raum, den die Hütte enthielt, saß Joe Penman mit zwei anderen Leuten an einem Tisch. Er hatte eine Bettdecke um sich geschlungen; seine nassen Kleider dampften vor dem Ofen. Seine Pistole lag auf dem Boden unter dem Ofen. Die beiden anderen, rauhe, bärtige Männer, waren nur halb angekleidet, als ob sie aus dem Schlaf aufgestört worden wären.

Joe hatte einen Teller vor sich stehen und aß gierig, was man ihm vorgesetzt hatte. Eine Flasche Likör stand auch auf dem Tisch. Es war klar, daß er ein paar gutmütige Leute gefunden hatte. Die beiden sahen ihn sogar mit offener Bewunderung an. Die ersten Worte, die Dan hörte, verrieten ihm den Grund dafür.

»Sie haben mein Schiff und meine Ladung erwischt«, sagte Joe, »aber zum Glück nicht mich!«

Die beiden anderen stießen wilde Verwünschungen gegen alle Beamten aus, die den Alkoholschmuggel unterbanden.

»Ihr habt hier einen großartigen Platz für erstklassige Auslandsware«, fuhr Joe fort. »Wir müssen miteinander ins Geschäft kommen – es gibt viel Geld dabei zu verdienen.«

Die beiden grinsten zustimmend.

Keiner der drei war bewaffnet, und Dan zweifelte daran, daß die Fischer überhaupt Pistolen besaßen. Ihre Gewehre sah er an der Wand hinter dem Ofen hängen. Er öffnete die Tür der Hütte und trat mit dem Browning in der Hand ein.

Joe erschrak furchtbar. Nackt und mit leeren Händen sprang er auf.

»Der Prohibitionsagent!« schrie er. »Tötet ihn, tötet ihn! Wir sind drei gegen einen!«

Die Küstenleute fürchteten sich jedoch vor Dans Pistole, blieben still sitzen und starrten ihn nur an.

Dan ging zum Ofen, bückte sich, ohne den Blick von Joe zu wenden, hob zur Vorsicht die durchnäßte Waffe auf und steckte sie in die Tasche. Dann ging er zur Tür zurück, von wo aus er alle drei in Schach halten konnte. »Ich bin kein Prohibitionsagent«, erklärte er. »Und der Mann hier ist auch kein Alkoholschmuggler. Lesen Sie die Zeitungen?«

»Nicht jeden Tag«, sagte einer der beiden Leute.

»Er wird gesucht, weil er einen reichen Mann entführt und gefangengehalten hat, um Lösegeld zu erpressen. Wenn Sie mir helfen, ihn nach Huntington zu bringen, bekommt jeder von Ihnen hundert Dollar.«

»Er lügt, er lügt!« schrie Joe.

»Schweigen Sie!« fuhr Dan ihn an. »Wenn Sie hier noch Schwierigkeiten machen, schieße ich Sie einfach nieder, und die ganze Welt wird mir dafür dankbar sein!«

Die Augen der Leute leuchteten gierig auf, als diese für sie großen Beträge erwähnt wurden.

Dan sah es und fuhr fort: »Außerdem können Sie Ihre Geschichte den Zeitungsreportern erzählen und noch mehr Geld verdienen. Die werden Sie als große Helden hinstellen.«

Die beiden sahen sich unschlüssig an.

»Was kann er für Sie tun?« fragte Dan. »Das ganze Land ist in Aufregung über seine Tat, und jeder hält nach ihm Ausschau. Jede Chaussee wird kontrolliert, Motorboote suchen das Wasser ab. Innerhalb einer Stunde ist er gefangen. Und dann werden Sie angeklagt, einen gefährlichen Verbrecher beherbergt zu haben.«

Das gab den Ausschlag.

»Gut, wir sind auf Ihrer Seite«, erklärte der eine.

»Ist Ihr Wagen in Ordnung?«

»Ja.«

»Dann kleiden Sie sich rasch an.« Dan wandte sich an Joe. »Ziehen Sie sich auch an.«

Joe erhob keinen Einwand. Eine sonderbare Veränderung war mit ihm vorgegangen, und der düstere Ausdruck seiner Augen verriet, daß er etwas plante.

»Sie werden mich niemals lebendig bekommen«, murmelte er.

»Dann eben tot«, entgegnete Dan. »Aber ich habe Sie.«

Als der erste der beiden Leute angekleidet war, schickte Dan ihn über die Brücke, um den Ford in Gang zu bringen, und sobald Joe fertig angezogen war, befahl ihm Dan, sich umzudrehen und die Hände auf den Rücken zu nehmen. Dann legte er ihm die Handschellen an.

»Meine Kleider sind immer noch feucht«, sagte Joe, als sie zum Aufbruch bereit waren. »Ich werde mir den Tod holen in der kalten Nachtluft. Kann ich nicht wenigstens eine Bettdecke zum Schutz haben?«

»Gewiß. Geben Sie ihm eine. Sie können sie ja später wieder mitnehmen.«

Die Decke wurde gebracht.

»Ich kann sie nicht festhalten, wenn meine Hände auf dem Rücken gefesselt sind. Binden Sie sie um meinen Hals – aber fest, damit sie hält.«

Joes Wunsch wurde erfüllt. Nun stand der Mann aufrecht in der baufälligen Hütte; obwohl er gefesselt war, zeigte er weder Schwäche noch Furcht, nur Verachtung für das Schicksal, das ihn ereilt hatte.

Dan konnte ihm eine gewisse Bewunderung nicht versagen.

»Wenn Sie ein ehrlicher Mann gewesen wären, hätten Sie Ihren Weg in der Welt gemacht«, meinte er.

»So? Nun, ich bedauere nichts, was geschehen ist.«

Ohne ein weiteres Wort ging Joe zur Tür hinaus und über die Brücke zur Straße. Die Decke flatterte hinter ihm her.

Die beiden Fischer ließen sich auf den vorderen Sitzen des alten Ford nieder, Dan und Joe stiegen hinten ein. Als Joe den Fuß aufs Trittbrett setzte, hielt er einen Augenblick an und schaute um sich.

»Eine herrliche Nacht!« sagte er.

Das waren seine letzten Worte. Als der Wagen anfuhr, lehnte sich Joe an seiner Seite weit hinaus.

»Was machen Sie denn?« fragte Dan scharf.

Er sah, daß Joe versucht hatte, die Decke hinter sich hinaufzuschieben und über die Seite des Wagens gleiten zu lassen. Dan packte ihn an den Schultern, um ihn zurückzureißen, aber es war zu spät. Joe wurde aus seinem Griff gerissen, und als der Wagen schneller fuhr, verfing sich das Ende der Decke in dem Hinterrad und wand sich darum. Dan hörte, daß Joes Genick brach.

»Halt, halt!« schrie er.

Aber noch bevor der Wagen zum Stehen kam, wurde Joe auf die Straße geschleudert. Sie sprangen heraus. Die Decke mußten sie von seinem Hals schneiden. Die drei starrten auf den Mann nieder, der im Mondlicht vor ihnen lag, und sekundenlang sprach keiner ein Wort.

Alles hatte sich so schnell abgespielt, daß Dan es kaum fassen konnte. Er schaute um sich, um sich zu vergewissern, daß er diese grauenhafte Szene wirklich erlebt hatte.

»Ist er tot?« fragte schließlich einer seiner beiden Begleiter.

»Sehen Sie seinen Kopf an«, erwiderte Dan kurz. »Er hat das Genick gebrochen.«

»Das hat er absichtlich getan!« meinte der Mann. »Er muß ein ganz schlechter Mensch gewesen sein!«

»Schlecht? Sicher. Aber er hat Mut gehabt, das müssen Sie ihm lassen!«

Sie trugen ihn in den Wagen zurück und fuhren weiter.


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