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II.

Ein paar Minuten später stand Dan im Privatbüro des Inspektors Scofield. Für einen einfachen Polizisten in Uniform hatte allerhand List und Schläue dazu gehört, eine Unterredung mit dem großen Mann zu erhalten. Aber es war ihm gelungen, und nun stand er vor dem Gewaltigen.

Langjährige Erfahrung hatte Scofield dazu gebracht, seinem Gesicht das Aussehen einer Maske zu geben, wenn er im Dienst war.

»Wie heißen Sie?« fragte er kurz.

»Daniel Woburn.«

»Welche Tätigkeit haben Sie?«

»Maschinenschreiber und Sekretär in der Abteilung des Inspektors Madison.«

»Hm! Sie sitzen also den ganzen Tag an einem solchen Klapperkasten?« Scofield betrachtete Dans breite Schultern und stattliche Gestalt. »Nun, was haben Sie mir zu sagen?«

»Ich möchte gern eine Stellung bei Ihnen haben.«

Scofield nahm eine paar Schriftstücke vom Tisch auf.

»Machen Sie ein Gesuch auf dem üblichen Dienstweg«, erwiderte er kurz und wies mit dem Kopf nach der Tür.

Aber Dan ließ sich nicht so leicht abschütteln.

»Das geht in diesem Falle leider nicht. Dazu ist nicht genug Zeit vorhanden.«

»Wann soll ich denn meine Arbeit erledigen«, sagte Scofield nervös, »wenn ich den ganzen Tag hier sitzen und alle jungen Leute anhören soll, die Detektiv werden wollen?«

»Ich möchte kein Detektiv werden, sondern nur einen bestimmten Auftrag erhalten.«

»Ach, Sie sind obendrein noch wählerisch? Was ist denn das für ein Fall, den Sie bearbeiten möchten?«

»Ich möchte J. M. Lawrence persönlich bewachen.«

Scofields Gesichtsausdruck änderte sich plötzlich; nun wurde er wirklich ärgerlich. »Wer hat Ihnen denn gesagt, daß wir einen Mann zur Bewachung des Millionärs brauchen?« fragte er barsch.

»Ich habe eine Unterredung überhört.«

»Wer konnte denn da wieder den Mund nicht halten?«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Dan ehrlich. »Ich möchte auch niemand in Ungelegenheiten bringen. Die Beamten sprechen untereinander über ihre Aufträge, aber sie verraten doch einem Außenseiter nichts.«

»Das ist ganz gleich. Auf diese Weise kommen dann die Geheimnisse der Polizei an die Öffentlichkeit!«

»Ich habe nichts darüber gesagt.«

Der Inspektor betrachtete Dan aufmerksamer, obwohl sein Gesicht wieder einer Maske glich.

»Also, was haben Sie gehört?«

»Nur, daß Sie einen Beamten zu dem Millionär geschickt haben, um ihn persönlich zu bewachen, daß Mr. Lawrence ihn aber nicht haben wollte, weil er ihm nicht gefiel.«

»Und warum halten Sie sich besonders für diesen Posten geeignet?«

»Wenn ich recht verstehe, wird jemand für diesen Posten gebraucht, der sich kleiden und benehmen kann wie ein junger Geschäftsmann von Wall Street.«

Der Inspektor lachte ironisch. »Und Sie glauben, daß man ausgerechnet auf Sie gewartet hat, um den Posten zu übernehmen?«

»Ich weiß, daß ich es könnte«, entgegnete Dan kühn. »Wenn man vorwärtskommen will, darf man sich nicht bescheiden in die Ecke stellen.«

»Haben Sie sonst noch irgendwelche Fähigkeiten?«

»Ja, ich habe einen Kursus für Stenographie und Schreibmaschine mit bestem Erfolg absolviert und bin Sekretär bei Inspektor Madison.«

»Arbeiten Sie gern in Ihrer jetzigen Stellung?«

Dan warf dem Inspektor einen Blick zu, bevor er antwortete.

»Nein«, entgegnete er dann mutig.

»Warum haben Sie den Posten denn angenommen?«

»Ein junger Mann kommt nicht weiter, wenn er nur auf der Straße herumspaziert. Ich nahm die Stellung an, weil ich zu beweisen hoffte, daß ich einen klaren Kopf und ein Witterungsvermögen habe wie die besten Spürhunde.«

Scofield gefiel diese Antwort, und er rieb sich seine Oberlippe, um dies zu verbergen. »Dazu gehört aber mehr; das Wichtigste ist, daß der Betreffende, wenn es notwendig ist, schnell wie der Blitz handeln kann.«

»Sie haben mich schon einmal gelobt, weil ich so schnell war, aber ich glaube, Sie haben das inzwischen vergessen.«

»Bei welcher Gelegenheit?«

»Bei dem Streik in der Hemdenfabrik Diana.«

»Ja, ich besinne mich jetzt. Sie haben die Führer auf beiden Seiten entwaffnet und dabei eine böse Schießerei verhindert. Das war gute Arbeit.«

Dan sagte nichts.

»Es stimmt, daß J. M. Lawrence um Polizeischutz gebeten hat«, fuhr Scofield fort und warf Dan einen scharfen Blick zu. »Sie dürfen über das, was Sie hier hören, niemand etwas sagen, wer der andere auch sein sollte. Er ist bedroht worden, Verbrecher wollen ihm ans Leben. Ist Ihnen auch klar, was ein solcher Auftrag bedeutet?«

»Gewiß. Jeder weiß, daß J. M. Lawrence einer der größten Finanzleute ist. Man nennt ihn den Löwen von Wall Street, ja einige bezeichnen ihn sogar als den eigentlichen Herrscher unseres Landes. Das ist natürlich übertrieben.«

»Auf jeden Fall ist er ein bedeutender, einflußreicher Mann. Aber daran dachte ich im Augenblick nicht. Ihn vor Ermordung zu schützen, ist eine der schwierigsten Aufgaben, die einem Polizeibeamten gestellt werden können. Wenn tatsächlich ein Mann existiert, der die Absicht hat, J. M. Lawrence umzubringen, dann ist es nahezu sicher, daß er schließlich Erfolg haben wird. Kein Polizeibeamter hat überall im Kopf Augen, so daß er nach allen Seiten zugleich sehen kann. Der Mörder dagegen hat immer den Vorteil, zuerst überraschend angreifen zu können.«

»Das stimmt.«

»Die Verbrecher arbeiten mit Maschinengewehren, und diesen berufsmäßigen Mördern kommt es auf ein paar Tote mehr oder weniger nicht an. Sollte Lawrence ermordet werden, so bleiben Sie wahrscheinlich auch auf der Strecke.«

»Das weiß ich.«

»Können Sie sich denn nicht auf andere Weise das Leben nehmen, wenn Sie unbedingt Selbstmord verüben wollen?«

»Hier bietet sich eine seltene Gelegenheit, sich auszuzeichnen, auch wenn man große Gefahr auf sich nehmen muß.«

»Gut, gehen Sie jetzt wieder an Ihre Arbeit«, entgegnete der Inspektor kühl. »Wenn ich Sie brauchen kann, werden Sie von mir hören.«

*

Dan verbrachte die nächsten anderthalb Stunden in großer Unruhe. Noch nie in seinem Leben war er so gespannt gewesen. Er war nur halb bei seiner Arbeit und schaute dauernd durch das Fenster zu dem Flügel hinüber, in dem Inspektor Scofields Büro lag. Alle möglichen Leute kamen und gingen, aber er hatte keine Ahnung, ob einer mit seinem Fall zu tun hatte. Er wurde ein wenig blaß um die Lippen, als es länger und länger dauerte.

»Donnerwetter, ich muß den Posten bekommen!« sagte er sich immer und immer wieder, während er eifrig auf die Tasten der Maschine klopfte.

Und schließlich kam der Ruf von einer ganz unerwarteten Seite. Inspektor Madison, Dans Vorgesetzter, trat ins Büro und sah ihn düster an. »Sie sollen sich bei Inspektor Scofield melden«, sagte er ärgerlich.

Eine große Ruhe kam plötzlich über Dan, und als er sich erhob, war ihm nicht im mindesten anzusehen, wie erregt er noch kurz vorher gewesen war.

»Weshalb soll ich mich bei ihm melden?« fragte er harmlos.

»Das hat er mir nicht gesagt«, erklärte Madison übelgelaunt. »Zum Donnerwetter, es ist immer dasselbe! Sobald ich einen Mann hier eingearbeitet habe, kommt irgendein Vorgesetzter daher und holt ihn mir weg.« Damit ging er böse davon.

Scofield lehnte sich in seinem Drehstuhl zurück, als Dan hereinkam. Er sah gerade nicht freundlich drein und hatte eine Zigarre im Munde, die noch nicht angezündet war. Bevor er etwas sagte, musterte er Dan von Kopf bis Fuß.

»Setzen Sie sich.«

Das war ungewöhnlich.

»Ich habe mir Ihre Personalakten kommen lassen und sie durchgesehen«, fuhr er fort. »Sie sind soweit gut, und ich habe mich entschlossen, es einmal mit Ihnen zu versuchen. Sie sind also in meine Abteilung versetzt.«

»Ich danke Ihnen.«

»Dem Aussehen nach passen Sie ja für die Rolle, die Sie spielen sollen. Aber ich weiß nicht, ob Sie auch genug Zähigkeit und Energie besitzen, um durchzuhalten. Aber schließlich sind Sie der beste, den ich im Augenblick finden kann. Hoffentlich lassen Sie mich nicht im Stich.«

»Ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht.«

»Gewiß«, sagte Scofield ungeduldig. »Aber wird das genügen? Ich könnte Ihnen eine ganze Stunde lang Ratschläge geben, wie Sie sich in dieser Lage verhalten sollen, aber das wäre am Ende nur Zeitverschwendung. Sie sind ganz auf sich gestellt, wenn Sie mein Büro verlassen. Ich muß Ihnen trauen. Entweder sind Sie der Mann, der sich für den Posten eignet, oder Sie sind es nicht. Niemand kann Ihnen helfen.«

Dan schwieg.

»Aber ich kann Ihnen ein wenig über den Mann erzählen, den Sie beschützen wollen«, fuhr der Inspektor fort. »Vom Standpunkt der Polizei aus gibt es keine gefährlichere Aufgabe. Er trägt einen Zylinder und einen Cut, und er fällt durch seine Kleidung überall auf, wohin er auch geht. Man sagt, daß er nachts alte Kleider anzieht und in der Stadt umherwandert, um das wirkliche Leben kennenzulernen. Das Wochenende bringt er gewöhnlich in der Bucht auf einer seiner Jachten oder einem seiner Motorboote zu. So alt er auch ist, er läßt sich gern mit Frauen ein und wechselt häufig. Seine augenblickliche Freundin ist Christie Lauderdale, der Star vom Holland-Theater.«

Dan grinste, als er daran dachte, was ihm alles bevorstand.

»Sie glauben wohl, Sie lernen jetzt das große Leben kennen? Aber Sie wissen nicht, mein Freund, was das bedeutet. Der alte Mann ist eigensinnig wie ein verzogenes Kind, und beim geringsten Widerspruch gerät er außer sich. Sie müssen ihn sehr vorsichtig behandeln und mit seidenen Handschuhen anfassen.«

»Vielleicht ist es nur so schwer mit ihm, weil alle Leute um ihn herum nur schmeicheln und kriechen. Ein Zupacken ohne seidene Handschuhe ist vielleicht viel richtiger.«

»Wenn Sie so anfangen, werden Sie in einer Stunde wieder hier sein.«

Dan lächelte. »Wann soll ich meinen Posten antreten?«

»Sofort … Wo wohnen Sie?«

»In der achtunddreißigsten Straße, Osten.«

»Gut, Sie haben noch Zeit, nach Hause zu gehen, sich umzukleiden und sich in seinem Büro vorzustellen, bevor er nach Hause geht. Wenn er mit Ihren Kleidern nicht zufrieden ist, kann er Ihnen ja bessere kaufen. Sie müssen Ihre Erkennungsmarke und ihren Dienstrevolver stets bei sich tragen. Kommen Sie nicht hierher ins Präsidium. Ihre Berichte können Sie mir telephonisch durchgeben.«

Als Dan gehen wollte, ließ der Inspektor die Maske fallen und klopfte ihm auf die Schulter. »Woburn, wenn ein Angriff auf J. M. gemacht wird und es Ihnen gelingt, ihn zu retten, können Sie eine große Belohnung erwarten. Ich verspreche Ihnen die Stelle eines Polizeileutnants.«

»Bei der Kriminalabteilung?«

»Jawohl.«

»Geht in Ordnung, Inspektor.«

Eine Viertelstunde später trat Dan in das möblierte Zimmer, das er mit dem langen Reed Garvan teilte. Die beiden waren Freunde, seitdem sie bei der Polizei ausgebildet worden waren. Reed hatte zur Zeit Nachtdienst und schlief daher am Tag. Dan weckte ihn auf, denn zu irgendeinem Menschen mußte er sich aussprechen.

»Ich hab's geschafft!« schrie er. »Endlich hat das Glück auch einmal an mich gedacht! Eine ganz große Sache!«

»Zum Donnerwetter, was ist denn los?« brummte Reed schläfrig.

»Ich bin als Leibgarde für J. M. Lawrence abkommandiert worden – was sagst du dazu?«

»Um Himmels willen!« sagte Reed feierlich, als er endlich begriffen hatte.

Dan zog bereits die Kleider aus. »Hallo, leihe mir deine neue graue Krawatte und ein Paar Socken, die in der Farbe dazu passen, ich muß von jetzt an einen Mann aus Wall Street spielen.«

»Gut, nimm dir, was du brauchst.«

»Wenn der Alte mir in seinem Testament etwas vermacht, bekommst du natürlich auch einen Happen davon ab.«


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