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XXVIII.

Trotz seines Alters war Mr. Lawrence noch ein tüchtiger Arbeiter; er blieb von Montag bis Freitag gewöhnlich bis sechs Uhr abends im Büro. Nur zum Wochenende erholte er sich auf seiner Jacht.

An jedem Freitagabend war es üblich, daß Henry Waters und Reed Garvan in Lawrences eleganter Limousine zur Jachtanlagestelle am Ende der Sechsundzwanzigsten Straße vorausfuhren. Dort bestiegen alle Millionäre ihre Boote. Garvan und Waters wurden von einem Motorboot der Jacht Iroquois in Empfang genommen, das sie zu dem Schiff hinausfuhr.

Inzwischen verließen Lawrence und Dan das Bankgebäude durch die Hintertür, stiegen in das kleine schwarze Auto und fuhren zu einem weniger besuchten Landungsplatz in der oberen Stadt, wo der Motorkreuzer Charmian auf sie wartete und sie zur Iroquois hinausbringen sollte.

Der Besatzung des Motorkreuzers Charmian war Mr. Lawrence als Mr. Waters bekannt.

»Ich freue mich schon die ganze Woche auf diesen Augenblick«, sagte Lawrence zu Dan, als sie zum Landungsplatz fuhren. »Es ist herrlich, das Abendbrot an Bord essen und die große Bucht hinaufzufahren.«

»Warum bleiben Sie die nächsten zehn Tage nicht dort, wenn es Ihnen so gut auf der Jacht gefällt? Reed und ich könnten es so einrichten, daß Sie vollkommen sicher sind, solange Sie an Bord bleiben. Sie könnten jeden Abend die Bucht hinaufsegeln und am Morgen zurückkommen. Jeder, der Sie sprechen wollte, könnte an Bord kommen. Außerdem haben Sie noch eine drahtlose Station an Bord, so daß Sie von dort aus Ihr ganzes Geschäft leiten könnten.«

»Der Gedanke ist nicht schlecht. Ich werde es mir überlegen.«

Als sie ankamen, lag die »Charmian« angetäut am Steg, und der Motor surrte leise. Der Kreuzer hatte ein erhöhtes Steuerhaus, hinter dem sich der Maschinenraum befand. In der Mitte lag eine große Kabine mit vielen Glasfenstern, und auf dem Hinterdeck waren Korbsessel aufgestellt. Der junge Hudgins stand vor dem Steuerhaus, je ein Matrose am oberen und unteren Ende des Landungsstegs. In ihren gutsitzenden, weißen Uniformen sahen sie schmuck und hübsch aus.

Lawrence holte tief Atem, als ihm die frische Seeluft entgegenwehte. Der Landungssteg lag im Schatten, aber am jenseitigen Ufer leuchtete Long Island City in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne.

Die große Segeljacht »Iroquois« ankerte mitten im breiten, riesigen Fluß, etwa eine Meile weiter stromab.

Hudgins salutierte und ging in das Steuerhaus.

»Das ist ein anständiger, ehrlicher Kerl. Auf den kann man sich verlassen«, meinte Lawrence.

Er trat in die große Glaskabine, und Dan folgte ihm. Die beiden Matrosen lösten die Taue und gingen an Bord, nachdem sie den Landungssteg eingezogen hatten. Der schnittige Motorkreuzer setzte sich sofort in Bewegung.

Im hinteren Teil stand ein bequemer Armsessel, und Mr. Lawrence ließ sich mit einem Seufzer der Befriedigung darin nieder. Der eine Matrose mit dem Bootshaken stand nicht weit hinter ihm.

Dan nahm in einem der Korbsessel Platz. »Setzen Sie sich bitte hierher, Mr. Lawrence, es wird Ihnen bequemer sein.«

Der Millionär warf ihm einen raschen Blick zu und folgte der Aufforderung. Sie sahen beide nach hinten, während sich der Matrose auf den Bootshaken stützte. Die Treppe, die zum Steuerhaus hinaufführte, lag hinter ihnen.

»Das ist wirklich die schönste Stunde des Tages«, sagte Lawrence. Dann fuhr er leise fort, so daß es der Matrose unmöglich hören konnte: »Was ist denn los? Ist etwas mit dem jungen Burschen nicht in Ordnung?«

»Nicht, daß ich wüßte. Aber in diesen Tagen möchte ich niemand hinter meinem Rücken haben.«

Während sie leise miteinander sprachen, beobachteten sie den Mann unauffällig. Es war ein blonder, stämmiger Bursche mit einem muskulösen Hals. Allem Anschein nach schien er nicht zu merken, daß die Blicke der beiden auf ihn gerichtet waren.

»Er sieht ganz gut aus«, meinte Lawrence.

»Das will heutzutage nicht viel heißen. Leute mit den gemeinsten Charakteren sehen manchmal nach außen hin glänzend aus.«

Das Panorama der Manhattan-Küste zog links an ihnen vorüber. Niedrige Klippen ragten aus dem Wasser. Über ihnen erhoben sich die verschiedensten Gebäude, darunter kleine Häuser aus längst vergangenen Zeiten. Leute standen in den Türen und schauten aufs Wasser hinaus. Ein großer Passagierdampfer kam langsam an ihnen vorüber. Die Kapelle an Bord spielte, und der Motorkreuzer wiegte sich in den Kielwellen des Schiffes.

Allmählich brach die Dunkelheit herein.

Plötzlich sah Dan, daß sich die Züge des Matrosen änderten. Hätte er nicht so scharf aufgepaßt, so wäre es ihm wohl kaum aufgefallen. Dan wandte sich um und bemerkte, daß der zweite Matrose mitten auf dem Kabinendach saß und ein Tauende band. Der Mann war hinaufgeklettert, ohne das geringste Geräusch zu machen.

»Was machen Sie da oben?« fragte Dan.

»Ich binde das Tau hier fest«, entgegnete der Matrose mit einem herausfordernden Blick.

»Nehmen Sie es da weg und bringen Sie es nach vorn.«

Der Matrose rührte sich nicht. »Ich bekomme meine Befehle vom Kapitän«, erwiderte er gelassen.

»Was soll das heißen«, rief Lawrence.

Dan legte beruhigend die Hand auf den Arm seines Chefs. Als der Millionär Dans ernstes Gesicht sah, überließ er ihm die weitere Verhandlung.

Dan schaute an dem Matrosen vorbei ins Innere des Steuerhauses. Der dritte Matrose stand nahe bei Hudgins, als ob der vertraulich mit dem Kapitän spräche. Dan konnte nur ihre Köpfe sehen. Plötzlich wandte sich Hudgins halb um, und sein Gesichtsausdruck war so wild und verstört, daß Dan sofort vermutete, der Matrose müßte ihm einen Revolver gegen die Brust drücken.

»Gehen Sie nach unten in die Kabine, Mr. Lawrence, aber eilen Sie nicht so sehr, es wird hart hergehen.«

Mr. Lawrence war kaltblütig. »Kommen Sie auch mit«, entgegnete er ruhig.

»In einer Minute bin ich bei Ihnen. Ich möchte erst sehen, was hier gespielt wird.«

Lawrence stieg die drei Stufen in die Kabine hinunter, setzte sich mit dem Rücken gegen das vordere Fenster, zog den geladenen Revolver aus der Hüfttasche und legte ihn neben sich.

Der Motorkreuzer hatte plötzlich Kurs nach dem Ufer genommen, konnte also unmöglich auf diesem Wege zu der Jacht »Iroquois« hinauskommen.

Dan stieß die Korbsessel mit dem Fuß zurück und lehnte sich an die Reling, so daß er die beiden Matrosen im Auge behalten konnte. Er zog seinen Revolver noch nicht, denn er wußte, daß einer der beiden Leute ihn sofort niederschießen würde, wenn er auf den anderen anlegte. Statt dessen steckte er sich eine Zigarette an.

»Nun, was hat das alles zu bedeuten?« fragte er kühl und überlegen.

Die vorherige Maßnahme und die Frage brachten die beiden Matrosen aus der Fassung. Sie sahen sich unruhig an, und keiner antwortete. Einige Augenblicke vergingen, ohne daß sich einer regte. Ein schnelles Motorboot fuhr in kurzer Entfernung vorüber. Der Eigentümer und seine Gäste saßen auf dem Hinterdeck und plauderten miteinander. Ohne sich zu bewegen, fragte Dan: »Hübsche Jacht an Steuerbord – wem gehört sie wohl?«

Lawrence erfaßte sofort den Sinn der Worte, denn er saß so, daß der Matrose auf dem Hinterdeck ihn direkt sehen konnte. Er rückte also zur Seite, so daß er aus der Ziellinie kam. »Ich kenne das Boot nicht«, entgegnete er ebenso ruhig, wie Dan gefragt hatte.

Die »Charmian« drehte seltsamerweise bei, so daß sie wieder auf die »Iroquois« zufuhr, aber kurze Zeit später nahm sie den vorigen Kurs wieder auf, und die Maschinen arbeiteten jetzt mit größter Geschwindigkeit. Plötzlich fiel ein Schuß in dem Steuerhaus, und Hudgins Kopf war nicht mehr zu sehen.

Das war das Signal. Die Matrosen zogen ihre Revolver. Dan sprang in die Kabine, warf sich zu Boden und rollte sich auf eine Seite, als ein Schuß vom Heck des Schiffes fiel. Das Geschoß bohrte sich in den Fußboden der Kajüte.

Dan zog hastig an seiner Seite die Vorhänge vor die Kabinenfenster, während Mr. Lawrence dasselbe an seiner Seite tat. Dann drückte sich jeder in eine Ecke, während er den Revolver schußbereit hielt. Ein großer Spiegel befand sich an der Wand nach dem Steuerhaus zu, und Dan sah darin, daß einer der Matrosen sich näherschlich, um auf ihn schießen zu können. Plötzlich reichte er mit der Hand zur Tür hinauf und feuerte. Im selben Augenblick entschwand der Matrose auf die andere Seite des Decks, und von dort kletterte er auf das Dach der Kabine. Dan stand wieder in seiner Ecke und beobachtete die Türöffnung scharf. Jeden Augenblick erwartete er, daß sich ein Kopf von oben zeigen würde. Aber statt dessen hörte er weitere Geräusche über sich, und dann wurde plötzlich von unsichtbarer Hand die Kajütentür von außen zugeriegelt.

Dan senkte den Revolver. »Wir sind gefangen.«

»Sie hatten also doch recht«, erwiderte Mr. Lawrence grimmig. »Es war töricht von mir, daß ich nicht auf Sie hörte.«

»Darauf kommt es jetzt nicht an. Ich hatte Hudgins allerdings getraut.«

»Der war auch ein ehrlicher und treuer Mensch. Wahrscheinlich hat es ihn das Leben gekostet. Diese verdammten Schufte!«

»Es sind nur drei, vielleicht können wir sie doch noch überwältigen. Ich habe noch sechs Patronen in meinem Revolver, Sie haben sieben.«

Mr. Lawrence nahm seine Zigarettentasche heraus und warf einen Blick hinein.

»Und noch fünf Zigarren«, sagte er trocken.


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