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VII.

In der Beaver Street, östlich vom Broadway, befanden sich im obersten Stockwerk eines kleinen, alten Hauses die Geschäftsräume einer Bürobedarfsfirma. Seit vielen Jahren wurde sie dort in verhältnismäßig kleinem Maßstab geführt; es waren nur ein paar Reisende, einige Büroangestellte und mehrere Stadtboten beschäftigt. In der Nachbarschaft hatte niemand bemerkt, daß die Firma in der letzten Zeit in andere Hände übergegangen war. Die Büroangestellten blieben dieselben; nur der Chef und der eine Reisende waren neu.

Auf diese Weise gelang es Joe Penman und seinen beiden Assistenten Bull Fellows und Whitey Morgan, eine Firma zu führen, hinter der sie ihre wirklichen Geschäfte verbargen.

Whitey war ein junger Mann mit strohblonden Haaren, der seinen Spitznamen seinen fast farblosen Augenbrauen und Wimpern verdankte. Er hatte sich von einem guten Friseur beide Augenbrauen färben lassen und sein Aussehen dadurch vollkommen verändert.

Bull, erst kürzlich aus dem Zuchthaus entlassen, nahm zuerst einen Aufenthalt an der Küste und ließ sich dort von der Sonne braun brennen, um die bleiche Hautfarbe von Sing Sing loszuwerden.

Joe Penman selbst hatte in den letzten Jahren die Aufmerksamkeit der Polizei nicht erregt, brauchte daher keine besonderen Vorsichtsmaßregeln treffen.

Alle drei kleideten sich wie einfache Geschäftsleute.

Wenn die Angestellten am Abend nach Hause gingen, kamen die drei ins Hauptbüro, wo sie es sich bequem machten. Joe schloß die Tür nach der Treppe zu, um gegen unliebsame Störungen gesichert zu sein, und sie sprachen dann nicht mehr von Bürobedarf und dergleichen Dingen.

Der alte Joe war eine stattliche Erscheinung, groß, breitschultrig und schlank. Nur sein durchfurchtes Gesicht verriet, welches Leben er geführt hatte, und da er dies in seiner augenblicklichen Rolle für wenig vorteilhaft erachtete, hielt er sich möglichst im Hintergrund. »Unser Auftraggeber wird ungemütlich«, sagte er. »Er hat gedroht, kein Geld mehr zu geben. Wir müssen sehen, daß wir diese Woche etwas unternehmen, sonst springt er tatsächlich ab.«

Bull streckte und reckte sich. Die dauernd unterwürfige Haltung, die er als Geschäftsreisender an den Tag legen mußte, ärgerte ihn. »Ein wenig Aufregung könnte uns nicht schaden. Die Sache fängt an, furchtbar langweilig zu werden«, brummte er. »Bleistifte und Kohlepapier zu verkaufen, ist keine Beschäftigung für einen Kerl wie mich. Am liebsten möchte ich den Stutzern in den Bauch treten, wenn ich immerzu Bücklinge vor ihnen machen muß, um ein paar lumpige Aufträge hereinzubringen.«

»Ich habe mich schon famos eingelebt«, meinte Whitey, lehnte sich zurück und legte die Füße auf den Schreibtisch. »Ich könnte auch ganz gut als Reisender mein Brot verdienen. Ich habe es los, mich mit den kleinen Tippmädels gut zu stellen, und dann bekomme ich meine Aufträge unterschrieben.«

»Ach, du bist wohl stolz auf deine gefärbten Augenbrauen?« entgegnete Bull.

Joe lehnte sich gegen einen Aktenschrank und sah düster auf die Straße hinaus. »Ach, haltet den Mund. Hört lieber zu, was ich euch zu sagen habe. Lawrence muß am Donnerstag abend bei einem Essen im Madagaskar-Hotel eine Rede halten. Hinterher hat er keine weitere Verabredung, und das ist eine günstige Gelegenheit für uns.«

»Woher weißt du denn, daß er nachher nichts mehr vorhat?« fragte Whitey.

»Colfax hat es mir gesagt. Der sieht immer genau im Terminkalender auf dem Schreibtisch nach, welche Konferenzen und Verabredungen vorgemerkt sind. Der kleine Kerl ist das Doppelte von dem wert, was ich ihm zahle«, sagte Joe mit Genugtuung. »Ich habe mich schon oft gefragt, warum er uns alles verrät. Er haßt seinen Chef.«

»Warum denn?«

»Nun, er hat allen Grund, Sie waren als Jungen befreundet und gingen dann in die Welt hinaus. Der eine hat es ungeheuer weit gebracht, der andere zu gar nichts!«

»Wie hast du denn eigentlich diesen Colfax ausfindig gemacht?«

»Ich bin hingegangen und habe versucht, im Büro Material zu verkaufen«, erwiderte Joe grinsend. »Ich erkenne gleich einen Mann, den ich gebrauchen kann. Colfax ist ebensogut wie das Telephon.«

»Na, die Sache mit dem Telephon hat uns doch dieser junge Polyp verdorben«, brummte Bull, der ruhelos im Raum auf und ab ging.

»Ich wäre beinahe dabei gefaßt worden«, sagte Whitey. »Als ich mich aus dem Staube machte, waren sie schon auf der Suche. Ich begegnete ihnen gerade noch im Gang.«

Bull blieb plötzlich stehen. »Wie kam dieser Lawrence nur auf den Gedanken, sich einen Mann von der Polizei als Leibwache zu verschreiben – ausgerechnet jetzt? Die Sache sieht mir doch zu merkwürdig aus. Am Ende hat ihm jemand die Sache gesteckt!«

Joe sah ihn kühl an. »Also, hier sind wir drei«, erklärte er mit unheimlicher Ruhe, »und dort sind unsere Auftraggeber. Außerdem haben wir noch den Kerl, der uns den Zaster bringt. Einer von denen muß es doch gewesen sein. Wer hat nun Lawrence die Sache gepfiffen?«

Keiner antwortete.

»Wenn ich einen Verräter finde«, sagte Joe ruhig und gelassen, »wird er den Tag verwünschen, an dem er geboren wurde!«

»Alle reichen Leute haben doch ihre Leibwache. Möglich, daß Lawrence sich gerade jetzt schützen wollte.«

»Das ist der größte Kohl, den ich je gehört habe«, entgegnete Joe abweisend. »Wir müssen annehmen, daß Lawrence unsere Pläne durchschaut hat. Wir wollen uns doch nicht selbst etwas vormachen. Jede Möglichkeit müssen wir in Erwägung ziehen und auf alles gefaßt sein. Colfax hat mir auch gesagt, daß man ihn beobachtet.«

»Donnerwetter!« fluchte Whitey. »Paßt auf, die von der Polente werden noch sein Telephon heimlich überhören!«

»Du mußt früher aufstehen, wenn du Sherlock Holmes spielen willst. Ich habe längst daran gedacht. Er ruft mich in der letzten Zeit nur noch von einem Telephonautomaten an.«

»Wenn sie nun Colfax verhaften, was dann?«

»Darauf bin ich vorbereitet.«

Bull war etwas langsam von Begriff; er war mit dem ersten Gedanken noch nicht fertig. »Dieser Polyp ärgert mich«, sagte er wütend. »Der ist zu gerissen, der steht uns im Wege. Am besten lege ich den um, Boß.«

»Das möchte dir so passen«, erwiderte Joe sarkastisch. »Einen Polypen umlegen und dadurch die ganze Gesellschaft aufstöbern, bevor wir zuschlagen können! Du bist allerdings ein intelligenter Bursche, wenn du solchen Unsinn redest!«

Bull senkte den Blick und unterdrückte einen Fluch.

»Man kann einen Menschen auch auf andere Weise los werden, man braucht ihn nicht gleich voll Blei zu pumpen«, sagte Joe mit einem häßlichen Grinsen.

»Wie denn?«

»Man muß ihn einfach so in den Dreck ziehen, daß kein Hund mehr ein Stück Brot von ihm nimmt. Vor allem müssen wir ihn vor Lawrence und seinem Vorgesetzten blamieren, dann fliegt er erst mal bei der Polizei heraus.«

»Ich bin nur gespannt, wie du das anfangen willst.«

»Ich habe einen Mann an der Hand, der Woburn beobachtet. Es ist Charley. Der hat ein Zimmer in derselben Pension, in der Woburn und sein Freund wohnen, und er hat sich mit den beiden angebiedert. Es sollen ganz nette Kerle sein, wenn sie nicht gerade Dienst haben. Mit denen kann man leicht auf guten Fuß kommen. Und der Woburn hat ein Mädel.«

»Wozu erzählst du uns denn das alles?« fragte Bull.

»So einen kann man immer fassen, wenn man sich an das Mädel hält. Durch die kann man ihn schon kleinkriegen. Sie ist übrigens eine Detektivin, die auch für Scofield arbeitet, und sie hat versprochen, ihn zu heiraten, wenn er vorwärtskommt. Alles das haben wir von Mutter Winters, der die Pension gehört.«

»Was hast du denn noch herausgeschnüffelt?«

»Wenn Lawrence tatsächlich angegriffen wird und Woburn ihm das Leben rettet, hat Scofield ihm versprochen, ihn zum Leutnant zu machen.«

»Na, und was geht uns das an?«

»Du kannst natürlich wieder nicht weitersehen, als deine Nase lang ist«, entgegnete Joe verächtlich. »Überlasse das Plänemachen nur mir. Ich habe die nötige Grütze im Kopf, deshalb bin ich auch hier der Boß.«

»Du wolltest uns doch etwas vom Donnerstagabend erzählen?« erinnerte ihn Whitey.

»Lawrence soll um neun Uhr seine Rede halten. Es macht ihm keinen Spaß, den Reden der anderen noch zuzuhören, er wird daher sofort nach Hause fahren, wenn er gesprochen hat. Nehmen wir einmal an, daß er um zehn Uhr nach Hause kommt. In der Zeit ist es in der Gegend dort so still, wie anderswo um zwei Uhr nachts. Ich habe mich gut dort umgesehen. Bull erledigt den Wachtmann und Whitey knallt Lawrence eins auf den Pelz.«

»Verdammt!« sagte Bull ärgerlich. »Whitey spielt die Hauptrolle!«

»Nun, der kann sich eben schneller aus dem Staub machen als du«, grinste Joe. »Aber du verstehst es, einen Mann mit dem Sandsack umzulegen. Das ist deine Spezialität. Morgen gehen wir zusammen hin und schauen uns den Platz an.«


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