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VI. Kapitel.
Die neuen Auktoritäten.

Motto:

Gar gern gehorcht man einem edlen Herrn,
Der überzeugt, indem er uns gebietet.

Göthe.

Heute hatte Otto bei Kuno nach wohl vollbrachter Tagesarbeit den Abend wieder zuzubringen versprochen.

Solche Stunden gleichen immer einem Rasten nach einem weiten Weg, in einer noch unbekannten Gegend, auf einem hohen Berge mit weiter Fernsicht, wo die Befreiung von den engen Schranken des täglichen Arbeitslaufs, der Blick auf das zurückgelegte schöne Stück Wegs und der Ausblick in die herrliche neue Gegend erhebend auf das Gemüt, erfrischend auf die Gedankenwelt einwirkt.

Kuno saß wie gewöhnlich in herzlicher Freundschaft mit Otto zusammen; sie unterhielten sich über die Arbeit des Tages, welche jetzt freilich eine ganz andere war als diejenige im Kontor eines Herrn Pilsen, in mehr oder weniger privatem Geschäftsinteresse eines ganz anders Denkenden, im Frohndienste des alten Mammonismus, und sie hatten soeben auch die alte Zeit mit ihrem mühseligen Weg und die neue Zeit mit ihrer freien weiten Bahn für menschliches Wirken und männliches Schaffen miteinander verglichen.«

»O!« sagte Kuno in diesen Gesprächen zu seinem Freund, »es ist doch wundervoll: überall neues Leben und frische Kräfte, keiner sucht mehr das Seine, jeder hat die anderen im Auge. Die Besten schließen sich zusammen zu gemeinsamem Schaffen und die Begabtesten werden herangezogen, für's Wohl des Ganzen zu arbeiten. Alles ist im Fluß und in steter Bewegung, alles aber hilft mit, einen großen Organismus neu zu ordnen; da ist kein Stehenbleiben und kein Steckenbleiben mehr, und doch auch kein Umstürzen oder Überstürzen. Warum hat man das nicht früher auch so gemacht?«

Otto antwortete: »Man hat dergleichen in den vergangenen Jahrhunderten immer von Zeit zu Zeit auch versucht; in allen großen Zeiten, nach gewaltigen Umwälzungen in einem einzelnen Völkerleben etwa, oder wenn überhaupt eine neue Zeit angebrochen war, hat man auch so zu arbeiten gesucht; aber es war selten von langer Dauer. Es war meist nur die erste Begeisterung, welche Großes anfaßte und dann vielleicht auch wirklich Großes schuf. Aber bald fiel dann wieder ein Reif in die Frühlingsnacht und es kam zum Steckenbleiben oder zum Erstarren in Formen. Es war dann wohl auch irgend etwas gewonnen für weiteren Fortschritt, aber doch immer nur etwas, und dann galt es eine mühselige Arbeit im Schweiß des Angesichts, und vielmal wurde gar nichts oder nur sehr wenig aus allen großen Hoffnungen, die man gehabt hatte.«

»Ach, das ist traurig, das ist eigentlich doch sehr traurig!« antwortete Kuno.

»Das war traurig, lieber Freund! Nur um so froher dürfen wir jetzt sein, daß es nun so ganz anders ist,« sagte Otto. »Jetzt ist das Leben wirklich lebenswert und Mannesarbeit nicht nur mühselige Arbeit; alles Hoffen wird jetzt zum Schaffen und alles Schaffen hat nun eine wirkliche Hoffnung, welche nicht zu Schanden werden läßt. Ja, es ist eine große, herrliche Schaffenszeit; es ist eine frohe, reiche Hoffnung, welche die Menschheit nun hat. – Und weißt Du, was dabei der eigentliche Unterschied ist gegen frühere Zeiten?«

»Nun?«

»Ich habe dabei die Art im Auge, wie man die Arbeit anfaßt und organisiert, wie man Leute gewinnt und einstellt in die Arbeit.«

»Und was wäre da der Unterschied von jetzt und einst?« frug Kuno.

Otto antwortete: »Nun, einst waren es die bureaukratischen Gewalten im Staat, die großen und die kleinen von oben bis unten, welche nicht nur je in ihrem Teil sozusagen die Macht in den Händen, sondern auch die Aufgaben vor sich liegen hatten. Thaten sie nun wirklich nicht nur ihre zugemessene Arbeit, sondern erfaßten sie auch innerlich die Aufgabe, welche in jedem Beruf liegt, schauten sie sich ihre höheren Ziele mit Eifer an, so war es ja gut. Thaten sie das aber nicht, so versperrten sie sozusagen andern den Weg und den Platz, es zu thun. Um die bureaukratischen Gewalten, – die Ämter und Beamtungen von oben bis unten meine ich damit, – war es ja an und für sich etwas Gutes und Notwendiges, sie waren doch eigentlich alle herausgewachsen aus den Bedürfnissen der Sache selber und sie sollten ursprünglich gar nichts anderes sein, als sozusagen der Platz, wo man den Besten und Tüchtigsten für diese oder jene Arbeit hinstellen wollte, damit er die Arbeit thue. Aber eben dann war auch der Platz gesperrt für einen anderen, der es vielleicht besser gemacht hätte, und es war nicht möglich, daß der Staat oder die Regierung immer nur den Tüchtigsten wählte, es war in der Ämtermenge und im Ämtergedränge, bei den notwendigen Examenssatzungen und wegen der theoretischen Durchschulung durch allerlei ›Fachschulen‹, und dann in den verschiedenen ›Fächern‹, wie man ganz bezeichnenderweise sagte, mehr und mehr gar nicht mehr möglich, den wahrhaft Tüchtigen und den praktisch Tüchtigen wirklich nennenswert zu bevorzugen vor andern, wenn diese nun einmal auch ihre Schule durchgemacht und ihre Prüfung bestanden, ihr Zeugnis und ihre Anstellungsberechtigung erworben hatten. Darüber kann man auch keinen einzelnen Menschen, keinen Monarchen und keine Staatsform anklagen, sondern es war so die ganz natürliche Entwicklung der menschlichen Dinge. Der Anfang der Sache war die wirkliche Bemühung, den besten Weg zu finden; das erreichte Ziel war immer zugleich ein Erstarken in möglichst guten Formen für die Sache, – aber das andere, das traurige Andere war vielfach auch ein Erstarren in Formen, und dies in einem Maße, daß auch das Regen und Bewegen der besten Kräfte, ja selbst schon das eigentliche Schulen und Durchschulen derselben für irgend selbständiges und selbstthätiges Schaffen mehr und mehr zur Unmöglichkeit wurde.

Man kann wohl sagen: der Staat war durch die Bureaukratie seiner Ämter und seiner gesetzlichen Ordnungen, – und ich betone es, durch die Bureaukratie im besten Sinn des Worts, – groß, mächtig und durchgebildet geworden, und doch wurde er durch denselben Bureaukratismus mit der Zeit starr statt stark, ohnmächtig statt mächtig, schwer beweglich und breitspurig, voll überlebter Formen und Gestaltungen, und viele seiner Beamten hätten bei aller Berufstreue aus lauter Schulung im Gewöhnlichen und aus lauter Gewöhnung an's Hergebrachte das rechte Verständnis gar nicht mehr gehabt oder gefunden, um wirklich organisatorisch, vollends gar in's Große zu wirken.

Lange Jahrhunderte suchte man den Fehler einseitig nur in der Allgewalt der Fürsten, und die freien Verfassungen der Völker haben ja allerdings vieles gebessert und in neuen, frischen Fluß gebracht, – vielfach aber auch statt in's Regen und Bewegen der Kräfte vielmehr nur in's Wogen und Schwanken der Verhältnisse; es kam mehr Wirbelwind als stetiger Fortschritt, und manchmal mehr Sturmwind als überhaupt Fortschritt. Aus allen diesen Gründen gab es dann auch so viele bei Seite Stehende und so sehr viele Verbitterte, auch in den Ämtern selbst, sogar unter den fleißigen und tüchtigen Beamten, arbeitsmüde Leute und hoffnungslose Männer übergenug.«

»Und jetzt dagegen!« erhob sich Kuno froh bewegt.

»Halt noch einmal!« fuhr Otto fort, »wir wollen noch etwas anderes dazunehmen! Bedenke auch noch die vielfache Zertrennung, welche in früheren Zeiten zu Tag trat, und zwar nicht nur durch Rang und Stand überhaupt hervorgerufen, sondern auch noch durch die Besonderheiten der verschiedenen Beamtungen anderen Kreisen gegenüber. Man darf wohl sagen: alle diese Eigenarten und Sonderinteressen der verschiedenen Beamtungen und Berufskreise, sie schufen nicht bloß Standesbewußtsein und Standesehre, sondern auch Standesfehler und Engherzigkeiten ganz eigener Art, (welche gar noch mit jenen verwechselt wurden), und hievon waren vielfach auch die besten Vertreter eines Standes nicht frei. Denke einmal an die Offiziere oder die Juristen, an die Ärzte, an die Professoren, auch Pfarrer und Lehrer, – Du kannst mir nennen, wen Du willst und was Du willst, überall waren gewisse Sonderinteressen, eigentümliche Standesanschauungen, immer mehr übertriebene Autoritätsbegriffe, ganz eigenartige Anschauungen, oft ein bedauerlicher Mangel an Verständnis für andere Lebenskreise, und eben damit, – das war ja doch immer das Schlimmste an der Sache, – oft noch recht mangelhafte Auffassungen über die Pflicht des eigenen Berufs, über das, was man sonst allerseits von ihnen erwartete und was unleugbar auch zu den Idealen ihres Berufs gehörte! Aber es half alles nichts, jeder Lebenskreis hatte sozusagen die Macht für sich in den Händen, er hatte gewissermaßen die Idee seines Berufs gepachtet, und wenn er da einmal in bestimmte Formen sich gefestigt hatte oder vollends gar, wenn es einmal mit den Vertretern des betreffenden Standes abwärts ging, dann konnte nicht mehr viel anders werden; der Stand hatte ja, wie gesagt, die Idee gepachtet, stolz gepachtet, und andere Leute, welche von außen her in den Schaden hineinsahen, sollten nicht drein reden. Die Macht in der Sache war durch ihre beruflichen Vertreter vorweggenommen und man sah oft in sehr mißliche Zustände hinein, ohne aber irgend etwas ändern zu können.«

»Aber nun!« rief Kuno noch einmal, gerade wie vorhin.

»Ja, nun! gottlob! nun ist das doch alles ganz anders!« antwortete Otto, selber ganz fröhlich. »Weißt Du noch, mein Freund, wie es war, als Du zurückkamst von den Tagen der großen Heerschau? Alles war aufgelöst, – alles aus Rand und Band, hätte man meinen können, denn alle und jede menschliche Auktorität war gebrochen, beschämt, gelähmt ...«

»Alle Menschen wie Schafe, die keinen Hirten haben!« sagte Kuno.

»Jawohl!« fuhr Otto fort, – »und doch keine Revolution, entfernt keine Empörung, kein Umsturz, eigentlich auch keine Unordnung. Wer ein Amt hatte, blieb meist in seinem Amte, wofern nicht eben Gottes Gericht ihn niederwarf und hinriß, aber gedemütigt und Gott die Ehre gebend, in des Herzens Grund jetzt Gott suchend und selber nichts mehr gelten wollend, – so verhielten sie sich jetzt alle. Denn nun hieß es erst recht: ›Wo bleibt nun der Ruhm – mitsamt aller Ehrsucht und allem Ehrgeiz? Aus ist es damit!‹ Da hieß es auch ganz neu: ›Ehre sei Gott in der Höhe – und Frieden auf Erden!‹ Der Geist der Buße und Beugung vor Gott dem Allerhöchsten ging durch alle Kreise und machte die Leute in allen Stellungen dienstbereit für's allgemeine Wohl, opferwillig für's arme Volk, brüderlich gegen jedermann.

Weißt Du noch die ersten großen freien Versammlungen, Kuno? wie man da miteinander beriet, was nun zu thun sei? mit welcher Bereitwilligkeit auch die Höchststehenden den Rat und die patriotische That der Besten und Bewährtesten anerkannten und annahmen, wie aus freier Wahl die Zuordnungen zu bisher bestehenden Ämtern erfolgten und die Neuschaffung von Wohlfahrtsämtern verschiedener Art vor sich ging? wie wahrhaft brüderlich die Männer miteinander verkehrten, wie die geistige Autorität allerwärts auf den Schild gehoben wurde, sodaß sie seitdem die einzige Autorität ist? Denn jetzt hat eigentlich doch die persönliche Autorität alle Amtsautorität ersetzt, die Volksgemeinschaft hat sich in den einfachsten Formen neu auferbaut und der edle Eifer des Schaffens und Wirkens für das Gemeinwohl regiert jeden einzelnen und führt das Regiment im großen Ganzen. Bewährte Männer des praktischen Lebens haben den größten Einfluß, Hingabe an das Ganze, Liebe zum armen Volk, einfaches Leben, – das sind jetzt die Grundzüge unseres öffentlichen Lebens überhaupt geworden.«

»Es ist so,« sagte Kuno, »und das ist unser Glück!«

»Und die Macht des Geistes Gottes läßt uns nicht mehr daran zweifeln, daß das von Dauer sein wird,« antwortete Otto.

»Gewiß! denn wir leben in einer ganz anderen geistigen Atmosphäre als in früheren Zeiten,« setzte Kuno hinzu, »und wir spüren es wohl, daß jetzt geheimnisvolle Widerstände gebrochen sind, welche in früheren Jahrhunderten oft auch die besten Kräfte unter den Menschen lähmten und die edelsten Bestrebungen nicht recht aufkommen ließen, oder immer wieder zunichte machten. Es ist wirklich so, wie Du jüngst sagtest: die Schlacht ist geschlagen und der Sieg ist gewonnen; das Reich des Lichts hat endgiltig auf Erden gesiegt über das Reich der Finsternis, – und was auch noch kommen mag, es wird niemalen mehr etwas ändern an dieser gewaltigsten aller Thatsachen in der ganzen Weltgeschichte!«


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