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IV. Kapitel.
Was Rahel unter ihrem Volk erlebt.

Motto:

Aber über das Haus Davids und über dir Bürger zu Jerusalem will ich ausgießen den Geist der Gnade und des Gebets; denn sie werden mich ansehen, welchen jene zerstochen haben und werden um ihn klagen, wie man klagt um ein einziges Kind, und werden sich um ihn betrüben, wie man sich betrübt um ein erstes Kind.

Zacharia 12. 10.

Schon drei Monate nach jenen großen Ereignissen war Rahel mit Mirjam in Begleitung des Mohren nach Jerusalem gereist, während Ruth mit dem Christenmädchen noch zu Hause blieb. Zu Tausenden strömten ja nun die Israeliten von allen Seiten zusammen, alles wollte im heiligen Lande sein! Ihre Volksgemeinschaft hatte sich nie zuvor so lebendig dargestellt; auch bei allen ihren Zerstreuten unter den Völkern auf der weiten Welt wurde es jetzt lebendig. Und es war keine Überhebung dabei zu spüren, es ging eigentlich merkwürdig still zu. Das Gefühl der tiefsten Demütigung war viel größer als das der Erhebung. Die Freude an dem nun gekommenen und vor aller Welt erschienenen Messias war wie ein elektrischer Schlag gewesen, der ihrer aller Herzen getroffen hatte und alle Gemüter bewegte; sie war einem mächtigen Aufruf gleich, dem ganzen Volk und jedem einzelnen Glied geltend. Aber viel tiefer war doch zunächst das Gefühl der Schmach über die lange, Jahrtausende lange Verkennung, über die Blindheit Israels seinem eigenen Messias gegenüber, über die zweitausendjährige, an Haß grenzende Verachtung des Gekreuzigten. Fern war es da von ihnen, sich etwa jetzt stolz zu gebahren darüber, daß sie nun ihren Messias haben. Sie demütigten sich vielmehr auf's tiefste; sie schämten sich, indem sie sich freuten; bis in den Staub beugten sie sich in bitterster Reue. Es wurde wahr, jenes merkwürdige Wort ihres Propheten Sacharja: ›Sie werden ihn sehen, den jene (ihre Väter) zerstochen haben und werden ihn klagen, wie man klagt ein einziges Kind, und werden sich über ihn betrüben, wie man sich betrübt um ein erstes Kind. Zu der Zeit wird große Klage sein in Jerusalem, wie die war bei Hadad Rimmon im Felde Megiddo‹, – als nämlich einst auch ein ›Jesus‹, auch ein Reformator und König zugleich, nämlich der fromme, reformatorische, noch junge König Josia, die Hoffnung seines Volks, vom Todespfeil getroffen, in jener großen Entscheidungsschlacht gefallen war. –

Rahel und Mirjam saßen nun heute nach einem heißen Tage mit Lea zusammen auf dem platten Dach jenes Hauses nahe bei dem Damaskusthor. Bei ihnen saß auch Ben Esra, der Freund des Hauses. Es war Abend geworden und ihre Blicke schweiften weit hinaus in die Wüste Juda, deren braune und rotgelbe Fläche mit den kahlen Felsen und den starren Formen jetzt in vergoldendem Abendsonnenschein vor ihnen lag, weithin sichtbar bis zu den fernen Bergen von Mizpa hinüber. Noch schienen anfangs die Glutwellen der Tageshitze über der weiten Fläche zu zittern, bis der sanfte Hauch des Windes auch sie wegnahm, und alles ganz stille lag, wie zum Frieden der Nachtruhe langsam sich bereitend. Ihrer aller Augen hingen an diesem so merkwürdig anziehenden Bild der einsamen Wüstenlandschaft.

Lea wandte sich zu ihrem Vater Isaak: »Du bist wieder betrübt, Vater!«

»Ja, mein Kind!«

»Bitte, Vater! traure nicht immer so sehr!«

»Die verlorenen Jahre schreien hinter mir her!« sagte er leise und wehmütig. Und langsam sich erhebend ging er jetzt noch etwas weiter abseits, dort setzte er sich dann wieder, mit dem Blick gegen die Tempelstätte.

Sie saßen alle stille. Jedes hatte so seine Gedanken. Aber wiederholt blickten sie den alten Vater an.

»So ist er diese drei Monate her fast immer,« sagte Lea leise zu Rahel und Mirjam. »›Die Schmach unseres Volkes hat mich schon oft gedrückt,‹ pflegt er dann zu sagen, ›aber nie hat mich früher das gedrückt, daß unsere Väter den Messias gekreuzigt haben; jetzt ist diese Schmach mein größtes Herzeleid und alles andere sehe ich nicht mehr an.‹«

Er hörte, daß davon gesprochen ward, und kam wieder herüber. Er setzte sich wieder zu den Mädchen und zu Ben Esra und schaute sie alle nacheinander an.

In seinem schön geformten Stuhl von Cedernholz mit der starken, hohen Rückenlehne und mit den prächtig geschnitzten Knäufen an beiden Seitenlehnen, über denen seine Hände zu ruhen oder zu spielen pflegten, saß er nun wieder den Mädchen gegenüber, nach seiner Gewohnheit mit dem Blick auf den Tempelplatz.

»Ja, Kinder, es ist eine Schmach und bleibt eine Schmach vor allen Völkern! und Ihr dürft Euch nicht wundern, daß ich viel zu denken habe und nicht so schnell zurecht komme. Gottesfürchtig habe ich immer gelebt und die Weissagungen unsres Volkes habe ich allezeit hochgehalten wie nur einer. Mein Geist lebte in der alten Geschichte unsres Volkes, meine Seele lebte und webte in seinen schönen Verheißungen und großen Hoffnungen und in den letzten Jahren habe ich mich auf Großes vorbereitet in meinen Gedanken. Aber jetzt sind meinem Geiste doch ganz andere Bahnen gewiesen, als ich es je gemeint hätte. Hatte ich bisher die Geschichte unsres Volkes in vielfach eitlen Bildern mir vorgeträumt – oder nachgeträumt, wie man sagen will, – so ist jetzt alles, alles anders! Ich sehe mit bitterem Leid, auf wie falschen Wegen wir gewesen sind. Ja, unsere Schmach vor den Völkern bekümmerte uns immer viel, aber den Grund begriffen wir doch nie recht. Wir trauerten darüber, aber wir thaten nicht Buße. Wir schrieen zu Gott: ›warum?‹ aber seine Gerichte waren uns wenig Segen, weil wir den wahren Grund nicht erkannten, weshalb sie uns getroffen hatten. Wie ist das jetzt mit einemmal so ganz anders geworden! Jetzt verstehen wir die Wege Gottes mit unserm Volk besser, jetzt beugen wir uns endlich unter Gottes gewaltige Hand mit rechtem Ernst. Unsere Väter haben den Messias gekreuzigt, – wir haben den Gekreuzigten gehaßt und verachtet. Jene schrieen: ›Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!‹ und Gott hat den Schrei gehört und gerächt. Giebt es auch ein so wahnsinniges Volk wie unser Volk, – das auserwählte Volk zu sein und selber den Fluch von Gott zu fordern? Fürwahr, alle seine Gerichte von alters her sind gerecht und nur seine Barmherzigkeit ist es, daß wir nicht gar aus sind! Alle Plagen Gottes und alle Rache der Christen, alle getragene Schmach und alle erlittene Unbill, – alles, alles ist nur unser Recht, Gottes Gericht ist nichts als unser gefordertes Recht. Stumm müssen wir sitzen und haben kein Recht zur Klage. Ach Herr, Herr! wir haben gesündigt und unrecht vor dir gethan! ›Gott sei mir gnädig nach deiner großen Güte und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit!‹ so schreit es in mir Tag für Tag für mich und mein Volk!«

Der Alte hielt die Hände vor das Gesicht und verbarg seine thränenden Augen.

Wer meinen würde, das seien die traurigen Reden eines müden Alten gewesen, welchen nur des Alters Schwäche und des Todes Nähe trüb gestimmt und zu solchen Klagen geneigt gemacht hätten, der würde sich gewaltig täuschen. Isaak hatte die Zähigkeit seines Stammes und das Feuer vergangener Jahre noch immer lodernd in seinem Herzen. Es war überhaupt durchaus nicht nur trübe Stimmung oder weiche Rührung, sondern der innerste Erguß eines tiefbewegten Seelenlebens war es, der feurige Ausbruch eines für sein Volk und seine Kinder brennenden Eifers.

Und auch den Angeredeten waren es durchaus keine fremden, abstoßenden oder doch bei ihnen etwa kühler aufgenommenen Gedanken, was da der ehrwürdige Alte in seiner Weise so beredt geäußert hatte. Sie saßen alle still und hörten aufmerksam zu.

Mirjam schmiegte sich an Lea, als wollte sie sagen: Dein Vater mein Vater! sein Wort unser Bekenntnis! Rahel schaute zum Tempelberg hinüber, unverwandt und ganz stille; der Abendstern stand jetzt am Himmel und einer um den andern von jenen goldenen Gottesboten kündete die nahe, stille, heilige Nacht. Ein milder Friede lag über der ringsum feiernden Natur und ein leiser Hauch des frischen Windes brachte von der Seite her die Wohlgerüche des Ölbergs über die Stadt herüber. Ben Esra saß nahe bei ihr und schaute auf den Zionsberg und dann zum Ölberg hinüber. Sie sahen einander an. Jetzt begann Ben Esra:

»Vater Isaak! Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt! Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat! – Vater Isaak! es ist alles Wahrheit, was du gesagt hast, alles lautere Wahrheit. Aber der Gott unserer Väter ist unser Trost, der Gott unserer Väter ist unsere Hilfe! er wird Israel erlösen aus allen seinen Sünden!«

»Aus allen seinen Sünden!« rief Rahel und weinte stille. In Mirjam's Augen standen auch die Thränen und Lea schlang jetzt die Arme um sie.

Dem alten Isaak war es sichtlich ein Trost, daß er so wohl verstanden sei mit seinen Gedanken. Mit Wohlgefallen schaute er auf den jungen Israeliten und auf Rahel neben ihm, mit Liebe blickte er seine Tochter Lea und Mirjam neben ihr an. Jetzt kam auch seine Gattin, die betagte Rebekka, vom Haus herauf und setzte sich zu ihnen. Er gab ihr die Hand und sagte: »Wohl uns Alten, daß die lebenskräftige Jugend um uns ist! Ihr seid doch die Hoffnung des Volkes, Ihr Jungen! wir sind aus der alten bösen Zeit, – Ihr habt die Verheißung!«

»Vater Isaak,« sagte Ben Esra: »Ihr mit! Ihr mit! Wir sind nur die Kinder der Gesegneten des Herrn!«

Der alte Isaak sah ihn freundlich an, blieb aber jetzt ganz stille.

Ben Esra, der junge, bräunliche Mann mit seiner schönen, nicht großen, doch immerhin stattlichen Gestalt und den feinen, einnehmenden Zügen, richtete den Blick auf Rahel und sprach noch einmal: »Sind wir nicht die Kinder der Gesegneten des Herrn?« – und dann, zu Vater Isaak und zu Rebekka gewendet: »Der Herr hat seinem Volk alle seine Schuld getilgt und alle seine Sünde verziehen. Er nimmt uns wieder freundlich an, das schmecken und sehen wir doch alle Tage in dieser gegenwärtigen Zeit. Ich will nichts, gar nichts will ich wegthun von dem, was Du gesagt hast, Vater Isaak, aber Gott ist barmherzig, geduldig und von großer Güte und Treue, und es ist eine große allgemeine Gnadenzeit allen Völkern angebrochen. Das Alte ist vergangen, siehe! es ist alles neu geworden. Es ist wahr, unsere Väter haben geschrieen: ›Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!‹ und wie viele Blätter unserer Volksgeschichte seitdem sind blutbespritzt und tragen das Zeichen dieses Fluchs! Aber jetzt gilt auch uns, was im Neuen Testament steht: ›Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde.‹ Von dem Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unseren Augen! – Vater Isaak! Siehe ganz Jerusalem an! Sind seine Bewohner nicht alle im Sack und in der Asche? Ist nicht eine Trauer um die große Sünde unserer Väter, daß sie nicht glaubten an den Messias, jetzt in allen Herzen und in allen Häusern? und ist nicht eine große allgemeine Trauer um alle eigene Sünde unseres Volkes jetzt überall in der weiten Welt unter allen Zerstreuten Israels wahrzunehmen? Oder was bringen alle diejenigen, welche herzuströmen aus allen Ländern, für eine andere Kunde? Sage doch, Vater? Spürt man es nicht überall und liest man es den Leuten nicht aus den Augen, daß es gekommen ist ganz so wie der Prophet Sacharja gesagt hat: ›Und über das Haus Davids und über die Bürger zu Jerusalem will ich ausgießen den Geist der Gnade und des Gebets?!‹«

Bewegt hielt er inne; – des alten Isaaks Augen leuchteten freundlich. Rahel hatte die Hände gefaltet und blickte zu dem sternenklaren Himmel empor. Ben Esra fuhr fort: »Sieh, Vater! als Er kam in des Himmels Wolken, in seiner großen Herrlichkeit und königlichen Pracht, in unserer allergrößten Not und Bedrängnis, da schrieen wir alle miteinander: ›Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn!‹ Sollten wir je aufhören, ihn zu loben, weil wir jetzt auch unsere Sünde bekennen?! Ach Vater! ich meine, die zwei Worte, – das Prophetenwort: ›Sie werden sehen, welchen jene zerstochen haben‹, und das Psalmwort: ›Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn,‹ – diese zwei Worte sind, meine ich, die Angelpunkte, in welchen jetzt die Geschichte unseres Volkes einhergeht und in neue, frische Bewegung kommen wird. Das eine ist die Buße, das andere ist der Glaube. Das eine ist der Blick auf den gekreuzigten Messias, und der beugt uns nieder, – das andere aber ist der Lobgesang auf den Auferstandenen und nun in der Herrlichkeit Gekommenen, und der macht uns wieder froh.«

»O Vater Isaak!« fuhr Ben Esra jetzt in weichem warmem Tone fort: »Der Herr hat sein Volk heimgesucht mit großen, reichen Gnaden!« Und dann rief er ganz feurig, in fast zitternder Bewegung: »Und ihm wollen wir leben! ihm gehört unsere Kraft und unser Eifer, ihm unser Leib und Leben, unser Hab und Gut, ihm aller erworbene Reichtum, alle Macht und aller Einfluß, den wir haben! Sein ist jetzt beides, Silber und Gold! Ihm wollen wir sein Reich bauen, nach seinem heiligen Wohlgefallen unter allen Heiden und zusammen mit allen Völkern. Siehe, Vater Isaak, so denkt die Jugend unseres Volkes, nicht ich allein! Davon reden wir, darauf richten wir unsere Blicke, das ist jetzt unser einziger Gedanke, unsre einzige Lust und unsre einzige Arbeit! Ist es Dir nicht recht so, Vater Isaak?«

Der alte Isaak lächelte unter Thränen und sagte: »Ja, mein Sohn, es ist mir recht so! ja, Ruben Ben Esra, Du hast wohl geredet, es ist recht so!«

Ben Esra unterbrach fast die Rede des Alten, als er nun mit feuriger Begeisterung fortfuhr: »Und noch eines, Vater Isaak! Ist nicht unser Volk eine Einheit wie kein anderes, zerstreut unter alle Völker und doch ein Volk wie kein anderes, unter jedem Volk mit Land und Leuten bekannt, bekannt mit allen ihren Sitten und eingewöhnt in ihre Sprache, ihre Lebensweise und Denkweise, – überall sind wir Juden heimatberechtigt, und doch bleiben wir überall Pilger und Fremdlinge! – Sage doch, Vater Isaak, soll unsere Jugend das nicht nützen? soll unser Volk nicht wieder der Knecht Gottes werden wie vor alters, wie zu seinen besten Zeiten? Sollen wir nicht dem Messias den Weg bereiten unter allen Völkern und bei allen Heiden? ist nicht das unsere Bußpflicht und unsere Dankespflicht? Aber noch einmal! wir wollen nichts anderes mehr unter den Völkern suchen als nur das, – sonst keine Macht und keinen Einfluß als nur den einen Einfluß, daß des Messias Ehre groß werde unter allen Völkern, – die Ehre dessen, den wir und unsere Väter gekreuzigt und verachtet haben! Ja, ihn wollen wir lieben von ganzem Herzen und von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen Kräften! Und wenn jetzt die Jugend unseres Volkes dafür eifert, dafür glüht und alle Kraft einsetzt, – ist es Dir nicht recht so, Vater Isaak?«

»Ja, mein Sohn, es ist mir recht so,« sprach wieder der alte Isaak, »es ist mir ganz recht so. Laß nur dem Alter seine Art, und wir lassen der Jugend ihre Weise. Bei uns Alten mag die Trauer um die Sünde unseres Volkes oft fast größer sein als die Freude an der großen Erlösung, größer als der Glaube und die Hoffnung. Aber wir Alten sind selber froh, wenn Euer Glaube groß ist und Euer Eifer mächtig wird, den Herrn und seine Gnade zu ehren in dieser letzten Zeit.«

»Und wir, Vater, sind froh,« antwortete Ben Esra, »wenn der Alten Ernst uns den rechten Weg weist und die rechte Richtung sichert.«

»Daß sich das Herz der Väter bekehre zu den Kindern,« sagte Rebekka, »und das Herz der Kinder zu den Vätern, wie unsere alten Propheten sagen.«

»Ja und Amen,« rief Rahel, »ja und Amen!« und schaute mit leuchtenden Augen hinüber zu Ruben Ben Esra.

Ruben Ben Esra sah sie an und neigte sich ...

Sie schwiegen beide stille.

*

O sie waren alle einig, alle miteinander! Es war ganz richtig: ihr ganzes Volk war ergriffen von dem Gerichte der Buße und der ernstesten Bekehrung. Es kam ganz so, wie einer ihrer größten Geister, jener Paulus von Tarsus, einst gesagt hat: ›Gott hat sein Volk nicht verstoßen, das sei ferne! Blindheit ist Israel, einem Teil, widerfahren, so lange, bis die Fülle der Heiden eingegangen sei und so dann das ganze Israel selig werde! Gottes Berufung und Gaben mögen ihn nicht gereuen! Gott kann sie wohl wieder einpfropfen!‹

Und mit einem Eifer und einer Selbstdemütigung verfolgten sie den neuen Weg, wie nur je einmal in irgend einer Sache ein Eifer von ihnen bewiesen worden war. Die eigenartige Zähigkeit und Geschmeidigkeit dieses Volkes, seine Energie und Beweglichkeit, seine Drangabe und Überredungskunst machten es geschickt, auch unter andern denselben Geist zu entzünden, daß unter allen Völkern dieselbe mächtige Bewegung zustand käme. Aber merkwürdig! es war eigentlich gar nichts Besonderes mehr nötig, den Anstoß dafür zu geben. Die neuen großartigen Ereignisse hatten das ihrige schon gethan, um alle Welt umzustimmen, alles aufzurütteln, aller Herzen von Grund aus zu erneuern. Und dabei spürte jedermann an sich selber und an anderen wohl: das ist nicht menschliches Thun und menschliches Bemühen, jetzt ›liegt es nicht an jemands Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen‹ einzig und allein, daß überall bei allen Menschen und unter allen Völkern eine junge grüne Saat aufsproßt! Wie ein mächtiger Sturmwind brauste es durch alle Lande; der Odem Gottes ging aus und es kam ein Geistesfrühling über die Welt, wie man ihn auf Erden noch nie, nie erlebt, noch zu keiner Zeit so allgemein unter allen Menschen wahrgenommen hatte! Denn endlich, endlich kam jetzt die alte Verheißung zur vollen Erfüllung, davon schon der ersten Propheten einer gesagt hat: ›Und nach diesem will ich meinen Geist ausgießen über alles Fleisch.‹ Über allen bisher in die Weltgeschichte hereingeführten Völkern wurde das wahr, – bei allen Menschen wirkte es jetzt mächtig.

Und das blieb nun auch von dem an immer so in der neuen Weltzeit. Es war nicht nur ein begeistertes Losungswort von Menschen oder ein guter Anfang für die erste Zeit. Nein! es war mehr: der Welt war eine neue Lebenspotenz gegeben, – so machtvoll, wie sie bisher nie gekommen, und so dauernd, wie sie nie geblieben war für die ganze Menschheit. Das eben war auch der tiefere Grund für jene auffallende Wandlung, welche das ganze öffentliche Leben durchmachte; das und nichts anderes war der eigentliche Untergrund für jene merkwürdige Wiedergeburt der Völker in ihrer innersten Volksseele. Den ersten Anstoß für den allgemeinen Aufschwung hätten ja wohl auch jene großen geschichtlichen Ereignisse für sich selber schon hervorbringen können, eine nachhaltige Kraft aber hätten sie allein doch nimmermehr geboten; eine für alle Zeiten sichernde Grundlage für neue Weltzustände konnte doch nur durch eine besondere Kraft, nur durch jene verheißene Geistesmacht von oben gegeben werden, welche nun bleibend und unverlierbar mehr und mehr das Gemeingut der ganzen erlösten Menschheit werden sollte. Die allgemeine Ausgießung des heiligen Geistes über die ganze Menschheit, das war für die nun angebrochene neue Weltzeit das eigentlich große, reiche Geschenk Gottes an die erlöste Menschheit, welches die neuen Zustände sichern und gewährleisten sollte.

Und doch – daß diese merkwürdige Geistesmacht eine so nachhaltige Wirkung unter der Menschheit, einen so dauerhaften Einfluß für alle Zeiten nun haben konnte, dafür muß es wohl noch einen anderen, viel tieferen Grund geben. Was wird wohl hier der letzte Grund, was der verborgene Hintergrund sein? ... Es wird ja noch offenbar werden. Wenn aber nach trüben Tagen das goldene Licht der Sonne alles übergießt und ringsum alles zum frohen Wachstum und Gedeihen bringt, wer freut sich da nicht der Fülle von Licht und Leben, – auch wenn er für jetzt noch nicht weiß, wie lang das dauern wird und was wohl die Vorgänge höherer, vielleicht überweltlicher, oder doch außerirdischer, jedenfalls weit entfernter Regionen sind, welche da geheimnisvoll mitwirken, um uns jetzt eine längere Periode lieblichen Sonnenscheins und herrlichen Gedeihens zu bringen?!


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