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IV. Kapitel.
Was über ihn beschlossen wird.

Motto:

Glaub's nur, die Weit verzeiht dir nie.
Willst besser werden du als sie!

Inzwischen rief Herr Pilsen den Prokuristen zu sich herein, oder nein, wie er eben die elektrische Glocke greifen wollte, erhob er sich lieber vollends ganz und ging zu Herrn Simon hinaus. Zuerst lehnte er, mit langsamem Schritt durch's Zimmer gehend, dessen äußere Thüre ein wenig an, dann stemmte er beide offenen Hände nach hinten zu in die Seite, die Rockflügel damit einigermaßen zurückschiebend und stellte sich zu seinem Prokuristen. In solchen Augenblicken, allein mit seinem geliebten Prokuristen, war er ganz gemütlich. Und diesmal wurde es eine längere Unterredung, als sie beide gemeint hatten.

»Nun, Herr Simon, Brünné will ja mit dem Matthi gehen. Das ist eigentlich eine recht dumme, unangenehme Geschichte.«

»Allerdings, Herr Pilsen.«

»Es ist recht ärgerlich! Dieser Leon Brünné, schon lange bei uns, der beste Arbeiter, wie man mir sagt, durch und durch zuverlässig, hält etwas auf Ehre, giebt ein gutes Beispiel, – alles wäre recht, und jetzt läuft er davon, mir nichts, dir nichts, für nichts und wieder nichts,« – er lachte, – »das ist eigentlich so unnötig wie ein Kropf.«

»Er aber hat, scheint es, den Kropf voll; man hat ihm seinen Freund beleidigt, darum will er mitgehen.«

»Ach ja! Aber er sagte, er sei einer Gesinnung mit ihm. Sagen Sie doch, Herr Simon, was sind doch das für Leute? Was wollen sie denn eigentlich? Was machen sie für Geschichten!«

»Es sind religiöse Skrupel. Sie wollen den Weltregenten nicht gelten lassen und sind im stillen gegen die bestehende Gewalt überhaupt.«

»Also eigentlich politische Skrupel? Dummheiten! – ›den Weltregenten nicht gelten lassen!‹ Der wird viel nach ihnen fragen! Sie brauchen sich weder um religiöse noch um politische Skrupel zu kümmern.«

»Herr Pilsen! ›um politische‹ ... ja! Aber religiöse Skrupel, – das ist eine eigene Sache! Ich sage Ihnen, wenn das einmal in einem Menschen festsitzt, das ist nicht mehr herauszubringen. Damit ist vorsichtig umzugehen, sonst macht man aus übel nur ärger.«

Herr Pilsen lächelte und drohte mit dem Finger: »Na, Sie sind ein Deutscher, Sie sind aus dem Lande der Reformation. Ihr Deutsche seid von jeher Grübler gewesen, Grübler und Nörgler. Wir Franzosen sind da andere Leute. Was lauft, lauft; solche Dinge, welche ihren Weg gehen, die lassen wir gehen.«

Herr Simon hatte so seine Zweifel über dieses sehr allgemeine Urteil seines Chefs. Er sagte aber: »Jedenfalls sollen diese Leute die politischen Sachen anderen überlassen, wenn sie doch nun einmal ausdrücklich sonst ruhige, stille Leute sein wollen und sind.«

»Nun, das trifft aber auf den andern nicht gerade zu,« sagte Herr Pilsen, – »das ist ein Hitzkopf, scheint es.«

»Es scheint so, es ist aber auch mit ihm nicht so schlimm, Herr Pilsen! Sie hänseln und verspotten ihn viel, in der Werkstätte und draußen. Und daheim soll er es auch nicht gerade gut haben; – da ist er eben gekränkt und gereizt. Das sollte ja nicht sein, aber im übrigen ist auch er in der That ein ruhiger, stiller Mensch.«

»Wie heißt er sonst eigentlich?« frug Herr Pilsen.

»Matthi, – seinen Familiennamen weiß ich im Augenblick auch nicht; man sagt allgemein nur, ›Matthi‹ zu ihm. Weil er viel verspottet wird, so läuft es den Leuten besser, immer nur »Matthi« zu rufen. Darum sagen wir auch so zu ihm. Er ist übrigens ein ganz gescheidter Mensch und wirklich ein braver Mann, Herr Pilsen!«

»Aber wir können solche Leute nicht brauchen, sie sind die Zielscheibe des allgemeinen Gesprächs und Ärgers. Mit einem besonderen Gesetz wurde schon einmal gedroht, und gewiß kommt noch eines, – da ist es sicherlich besser, wir haben solche Leute überhaupt nicht, als daß wir später, wenn es noch schlimmer mit ihnen wird, nur Widerwärtigkeiten mit ihnen bekommen.«

»Das ist richtig, Herr Pilsen, – und es wird so kommen.«

»Aber sagen Sie doch, Herr Simon, sagen Sie doch: Was wollen diese Leute denn eigentlich?«

»Was sie wollen? Ja, wie schon gesagt, der Weltregent ist ihnen ein Dorn im Auge, sie haben so ihre besonderen Gedanken über ihn.«

»Wie so?«

»Sie sagen, er sei der Antichrist,« lächelte Herr Simon.

»Was heißt das, Sie halber Curé?« (d. h. Pfarrer.)

»Nun, das bin ich nicht, – aber das Wort bedeutet, er sei insgeheim ein Feind der Religion, ein Gegner des Christentums; eigentlich heißt es ›Feind Christi›, glaube ich.«

»Ich bitte Sie! In die Kirche kann doch jedermann, wer noch will; das schadet ja nichts und daran hindert auch kein Mensch, gewiß auch der Antichrist – will sagen: der Weltregent – nicht. Verzeihung! Mir ist dieser Name ganz fremd.«

»In unserer deutschen Heimat, Herr Pilsen, hat es von jeher Leute gegeben, welche sich mit diesem Begriff zu thun gemacht haben. Unser Doktor Luther hat vom Papsttum gemeint, es sei der Antichrist u. s. w. u. s. w.«

»Nun, Herr Simon, aber ich bitte Sie! da sehen Sie, da seid ihr Evangelischen, ihr Lutheraner, oder wie Ihr Euch nennt, uns Katholiken gegenüber doch sehr zurück. Wir sind nicht so intolerant, daß wir so etwas gegen andere Religionen, wollte sagen Konfessionen, aussprechen möchten.«

»Bitte, Herr Pilsen! das sagt heutzutage auch niemand mehr. Nur also die Idee gilt noch etwas bei vielen religiösen Leuten; man versteht eben, glaube ich, alles darunter, was gegen die Religion feindselig ist, oder was das Christentum bekämpft.«

»Mein Gott, Herr Simon! Das thut aber doch kein ordentlicher Mensch! Man läßt doch heutigen tages gern jedermann in Frieden, der andere in Frieden läßt!«

»Ja, ja!« antwortete Herr Simon, – »schon recht, aber solchen Leuten gegenüber ist man doch eigentlich recht streng. Alles schimpft über sie, alles! Ich bin auch nicht dafür, daß man so viel Wesens macht von der Religion, aber manchmal ist es mir doch auch unangenehm, wenn es so gar arg über sie hergeht. Diese Christenleute sind doch nun einmal oft auch ganz brave Leute.«

»Aber sie sollen den Weltregenten in Ruhe lassen! Und das thun sie nicht! Überall hört man davon, ich versichere Sie. Überall sind sie die stillen Unzufriedenen! Auf allen meinen Reisen höre ich es. Ich kann Ihnen sagen, überall, in allen Ländern wird davon gesprochen! Das wird einem doch zu viel! Was thut ihnen denn der Weltregent? Jetzt wäre man so weit, daß endlich alles unter einem Hut wäre und die Völker Frieden und Ruhe hätten. Jetzt kann kein Ehrgeiziger mehr Krieg anfangen, und alle Völker mit ihren Präsidenten, oder was so heißt, sind fest verbunden und vereinigt unter dem einen Weltregenten, – das ist doch etwas Großes! Da sollen sie ihn in Ruhe lassen! Er thut ihnen ja auch nichts!« ereiferte sich Herr Pilsen in großpatriotischen Wutgefühlen.

»Nun, Herr Pilsen, unter uns gesagt: – er kann sie auch nicht leiden! Am Anfang und noch vor drei Jahren etwa war es schon recht, da hieß es ›Friede, Friede‹ und ›allen Religionen Duldung, Glaubensfreiheit, Gewissensfreiheit‹ u. s. w. Aber er ist doch offenbar sehr empfindlich, daß da Leute sind, welche ihn innerlich nicht anerkennen. Sie sagen, Herr Pilsen, sie sollen ihn in Ruhe lassen; ja, sie lassen ihn in Ruhe, sie mucksen sich ja nicht, sie thun ihm nichts, nur trauen sie ihm nicht; sie munkeln über ihn, aber ich versichere Sie, sie mucksen sich nicht!«

»Sie sollten es auch probieren! Potz tausend noch einmal!! Friede muß jetzt sein, – die Völker haben genug erlitten von den schrecklichen Kriegen und von den ewigen Kriegsrüstungen selbst in Friedenszeit! Herr Simon, ich bin doch ein guter Mann, das sagen Sie selbst, aber wenn es an das geht, dann kann ich ganz wild werden. Friede muß sein, Friede, sage ich! Es ist schon übergenug Blutvergießen und Krieg in der Welt gewesen! Es ist hohe Zeit, daß es jetzt endlich mit dem ewigen Frieden ernst wird und ernst bleibt. Wo soll es mit Handel und Verkehr hinkommen, so wie die Verhältnisse in der Welt nun einmal sind, wenn nicht Ruhe bleibt, Ruhe, sage ich!«

»Die fangen keinen Krieg an, Herr Pilsen, da stehe ich dafür!«

»Sie wissen auch nicht alles! Und jedenfalls: der Obrigkeit unterthan, das kann man verlangen, besonders von guten Christen! Wenn ich Weltregent wäre, ich sagen Ihnen, – wer mich nicht anerkennen würde, der sollte mir mucksen!«

Er sah aus wie ein Schlachtschwert; er nahm die Feder vom Ohr wie einen Spieß.

Herr Simon lächelte: »Herr Pilsen, diese Christen mucksen ja auch nicht, sie munkeln bloß.«

»Also, also! Und das sollen sie bleiben lassen! Bleiben sollen sie das lassen! Religion ist recht, aber das ist Politik, und das beides gehört nicht zusammen!«

»Herr Pilsen, verzeihen Sie, ganz läßt sich das nicht trennen; wenn ich einmal das und das glaube, also z. B. daß der Weltregent der Antichrist ist ...«

» Sie doch nicht! Um's Himmelswillen!«

»Ich sage ja nur so! Wenn man einmal glaubt, oder besser gesagt, der Meinung ist, daß der Weltregent der Antichrist sei, – man lehnt sich ja nicht gegen ihn auf, aber ...« er zuckte die Achseln und wußte sich nicht recht auszudrücken.

»Nun! ›Aber‹ ...?«

Jetzt hatte er das Wort –: »Herr Pilsen, – dann sind jedenfalls Gedanken zollfrei. Das muß sein, das muß sein! Das gehört zur Gewissensfreiheit und zur Toleranz. Bedenken Sie, wir hätten keine Freiheit in der Welt, wenn das nicht wäre.«

Herr Simon war ein Sohn seines Vaterlandes, er hatte seinerzeit Geschichte studiert und die Ideen der letzten Jahrhunderte alle eingesogen. Ob alle? – aber jedenfalls hatte er einen Hauch ihres Geistes verspürt.

»Und das mag ja doch wohl auch sein, Herr Pilsen,« fuhr er fort, »daß der Weltregent allzu empfindlich ist; man sagt, er zeige neuerdings einen wahren Haß gegen alles, was Christentum heißt; und wissen Sie, wenn es an's Christentum geht, so geht es eigentlich an alle Religion überhaupt. Ich kann das nicht so erklären, aber ich habe so ein Gefühl davon, und Herr Pilsen, das wäre doch wirklich nicht gut.«

Herr Pilsen sagte: »Ja freilich, das wäre nicht gut. Aber so schlimm wird es auch nicht sein.«

Übrigens wurde er jetzt ruhig, nicht sowohl durch Herrn Simon's Beweisführungen, als vielmehr, weil einigermaßen geschlagen durch die Schlagwörter. Für Leute vom rechten Schlag sind ja Schlagwörter eigentlich nur Wörter, aber für flache Leute sind es wirkliche Schläge, wenn auch nur mit der flachen Klinge ausgeteilt, – immerhin wirksam genug, um dem oberflächlichen Gedankengang wieder neue Nahrung oder doch eine andere Richtung zu geben. So brach er denn ab und sagte: »Aber nun, was ist es mit unsern Leuten?«

Herr Simon besann sich ernstlich. Jetzt hatte eine andere Anschauung, eine billigere, gerechtere, in ihm auf einmal wirklich die Oberhand gewonnen; er sagte: »Man könnte es ja noch einmal versuchen!«

»Meinetwegen; aber wie anfangen? › Nunquam retrorsum, nie rückwärts!‹ ist der Grundsatz des wahren Fortschritts,« sagte er, einen Schritt zurücktretend, wie um sich in seiner ganzen Größe sehen zu lassen; – er war übrigens etwas kleiner, als Herr Simon.

Herr Simon meinte: »Wohl, – aber man kann doch zu dem Leon Brünné ganz gut sagen, man wolle im Vertrauen auf ihn den Matthi behalten und ...

»und erwarte bestimmt, daß er für ihn gut stehe und von jetzt an auf ihn Einfluß übe u. s. w. u. s. w.!«

»So meine ich! Man kann es ja auch seinem Bruder sagen; dem wird die Sache ja ohnedem höchst peinlich sein, denn das ist ein durch und durch braver Mann, wir könnten keinen besseren haben.«

»Der tausend! Daran habe ich ja gar nicht gedacht. Das ist ja prächtig! Dann steht der Bruder für den Bruder und dieser für den Freund ein!«

»So ist es!«

»Also! bitte! Rufen Sie Herrn Kuno Brünné herein.«

Herr Kuno Brünné, der Bruder Leon's, trat ein, ein schöner, schlanker Mann, eigentlich gerade wie sein Bruder, vielleicht etwas feiner, aber die Augen ganz gleich.

Er war in einiger Verlegenheit. Er mochte ja wohl gemerkt haben, um was es sich handle; die Thür war schon lange angelehnt, und da der Bruder vor einer halben Stunde das Zimmer des Prinzipals verlassen hatte, war er in Sorge, was es denn sei? Und doch hatte er nicht wohl fragen können; jetzt sollte er es aus erster Quelle hören.

»Hören Sie, Herr Brünné,« sagte Herr Pilsen, »Sie nehmen mir nicht übel, Sie wissen, wir haben Sie gern. Ihr Bruder kommt da in dumme Sachen hinein; wir können das nicht brauchen, daß wir bei uns Leute haben, die ihre Hirngespinste mit politischen Gedanken verquicken, – also mit einem Wort, diese Christen, wie man sie neuerdings kurzweg nennt, – mein Gott! wir sind ja alle Christen, gute Christen, – aber ich meine eben, diese besondere Art, diese strengen Leute mit ihrem herben, eigensinnigen Wesen, – Sie wissen, diese Munkler gegen den Weltregenten und die regierende Gewalt, – also es geht nicht, es geht nicht! Denken Sie an das Geschäft, man hat seine Rücksichten, wie geht es oft mit der Kundschaft! u. s. w. u. s. w. Nun also, dem Matthi wird gekündigt, jetzt geht Ihr guter Bruder, etwas einfältig oder vorschnell diesmal, her und kündigt auch!«

Herr Kuno machte eine Bewegung des Bedauerns nicht bloß, sondern man sah ihm zugleich den inneren Schmerz an.

»Nun, nun! Wir sagen da eben zueinander: Sie sind der Bruder. Reden Sie ihm ordentlich ein, dann wird es schon recht werden. Sie stehen uns gut für den Bruder und er für den Freund, dann können beide miteinander bleiben. Ich bin ja der toleranteste Mensch von der Welt, Sie wissen ja.«

Herr Brünné atmete auf und wollte anfangen: »Mir ist es herzlich leid, Herr Pilsen! die Sache ist nämlich die ...,« – da legte Herr Pilsen die Hand auf seine Schulter und sagte:

»Schon gut, lieber Herr Brünné! ich weiß schon, was Sie sagen wollen oder wie Sie's meinen. Ich hoffe, es wird schon recht werden. Also ich verlasse mich darauf! Gehen Sie selbst hinaus und sagen Sie es den beiden.«

Die letztere Wendung war wirklich glücklich. Herr Simon war sehr damit einverstanden, und Herr Pilsen mit der abgehauenen Rede des Herrn Kuno Brünné ganz besonders auch; er hatte nämlich jetzt doch schon ziemlich viel über Religion gehört, es war ihm übergenug, auch war viel Zeit verloren mit der Sache, soviel war es ja nicht wert.

So ging denn Herr Brünné hinaus, das nötige zu sagen und zu ordnen. Herr Pilsen sagte zu Herrn Simon: »Also!« Herr Simon verbeugte sich, und Herr Pilsen ging in sein Zimmer.


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