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IV. Kapitel.
Eine Herrengesellschaft am Stammtisch.

Motto:

Nur das mag wie mit festem Erz,
In Freundschaft zwei Genossen binden,
Wenn Geist und Geist sich, Herz und Herz
In einem höhern Dritten finden.

Geibel.

Etwa acht Wochen nach diesem vielbesprochenen Ereignis saß eine Herrengesellschaft im ersten Gasthof der Stadt an ihrem Stammtisch im besonderen Zimmer zusammen. Es waren die sorgenfreien späteren Abendstunden, welche je einmal in der Woche, immer am Donnerstag, hier eine auserlesene Gesellschaft vereinigten. ›Harmonie‹ nannten sie sich, obgleich die Herren natürlich auch nicht immer alle harmonierten; das war ja aber auch gar nicht nötig. Der Gesprächsstoff war vielleicht sogar ein reicherer bei Mangel an Harmonie als bei Harmonie. Im großen Ganzen kamen sie übrigens alle immer gerne zusammen und gut mit einander aus. Da kam z. B., – um mit Persönlichkeiten anzufangen, welche wir schon kennen, – Herr Pilsen und sein Prokurist, Herr Otto Simon; es kam der katholische Curé und der evangelische Pastor, es kam ferner ein Apotheker und ein Doktor. Dann war es besonders noch ein älterer Sekretär namens Ducrot, ein sehr wohlhabender, feiner Herr mit guten Talenten; noch kam der Jurist, Herr Karl Francois, und um seinetwillen waren auch seine beiden Freunde Eugen und Franz aufgenommen worden. Diese letzteren drei Herren sind uns ja auch alle schon vorgestellt. In der Mehrzahl waren es zwar ältere Herren, aber Herr Karl Francois, der Jurist, war überall sehr wohl gelitten und so kamen Eugen und Franz hier auch noch an, – was natürlich Franz, den kleinen dicken schwarzen Samtrock, ganz kolossal freute. Übrigens spielte er hier nicht die erste Violine, sondern saß, meist ganz still und wirklich gutmütig, in aller Bescheidenheit da. Er ließ sich daran genügen, denn es freute ihn wirklich ganz kolossal, wenn er, wie morgens in der Weinstube und mittags etwa noch im Café, so nun hier auch abends, oft bis Mitternacht, gute Gesellschaft traf.

Man war zur gewohnten Stunde zusammen gekommen und sprach über dies und das, über das Geschäft und über das Wetter, über Museum und letzte Reunion, über alles und jedes, – aber richtig! auch in dieser Gesellschaft war das hauptsächliche Gesprächsthema wieder nichts anderes als auch die Proklamation und das Dekret des Weltregenten und deren ›durchschlagender Erfolg!‹ –

Was das schön sei, sagte einer der Herren, diese prächtige wichtige Staatsschrift unter allen Völkern, in allen Ländern, überall fast in einer Stunde bekannt gegeben! in den verschiedensten Sprachen gedruckt auf einen Tag verteilt! Es sei doch herrlich, diese Einheit, dieser Zusammenhalt der Völker unter einander, diese wirklich großartig gleichmäßige Arbeit der Regierungsmaschine in der ganzen Welt, – diese ›Systematisierung der Kultur,‹ drückte sich der Apotheker aus, wenn er das Zusammenklappen des ganzen großen Apparats bezeichnen wollte, – ›dieses heilige Gesetz der Plötzlichkeit,‹ sagte er etwas überspannt von dem Telegraphen, weil derselbe der höchsten Staatsgewalt ermögliche, ihren Willen in einem Augenblick in aller Welt bekannt zu geben.

Ein anderer pries die Menge der Ideen, welche in der Proklamation verarbeitet seien, die ›wie ein Funkenregen‹ sich ergieße und die Welt gleich glänzenden Meteoren mit leuchtenden Hoffnungen erfülle, an deren Verwirklichung das gegenwärtige Geschlecht noch lange, lange Jahre werde zu arbeiten haben, welch letztere aber nicht ausbleiben könne, weil das Wichtigste und Schwerste alles ja schon erreicht sei mit der gegenwärtigen Weltvollendung überhaupt. – Wir mögen nicht verraten, wer gerade diesen philosophischen Panegyrikus auf seine Zeit loszulassen wagte; ein Meteor war er nicht, auch für seine Zeit nicht.

Ein dritter aber spitzte die Sache ganz persönlich zu, rühmte die Schlagfertigkeit des Weltregenten, dessen eigenstes Werk ganz gewiß diese großartige Proklamation sei, – seine Weisheit und seine Kraftfülle, die Energie seines Willens und das hohe, begeisterte Streben, mit dem er sein ganzes Leben dem Wohl der Menschheit zu weihen scheine.

»Bitte: weiht! nicht nur ›zu weihen scheint‹!« rief von unten etwas vorlaut Herr Eugen herauf, in der Überzeugung, daß seine Korrektur nur dankbar angenommen werde.

Im übrigen blieb jetzt nur um so mehr die Unterhaltung in den festen Händen der Väter des Stammtisches.

»Ja, und es wirkt, es wirkt ganz bedeutend!« sagte jetzt Herr Bonnet, der Apotheker, rundum in der Gesellschaft mit dem Kopf nickend.

»Die öffentliche Meinung hat sich bereits erklärt und klar und deutlich Stellung zur Sache genommen,« sagte der Pastor. »Das Wort des Weltregenten hat sein Echo gefunden auf dem weiten Erdenrund, das ist wirklich schön und groß.«

»Aber alles werden Sie doch nicht billigen, Herr Pastor?« warf Herr Otto Simon bescheiden, aber bestimmt ein.

Der Pastor sah ihn fragend an und räusperte, dann sagte er: »Gehässigkeit oder Ausbrüche grober Schadenfreude natürlich nicht, – sonst aber wird man sich doch wirklich freuen, daß alles zusammensteht, sich einmütig für die guten, weisen und friedlichen Absichten des Weltregenten zu erklären. Es wäre doch etwas Schönes und Großes um eine allgemeine Einmütigkeit aller Menschen unter einander in einer gemeinsamen religiösen Grundgesinnung, Herr Simon! – und schon das ist doch viel, daß der gute Wille dazu allerwärts da ist, wo man auch hinsieht, – nicht wahr, Herr Kollege?«

Der katholische Curé antwortete: »O ja, das ist im allgemeinen ganz auch meine Meinung.«

Man war befriedigt über den Segen, welchen die beiden Vertreter der zwei bedeutendsten Kirchengemeinschaften auf Erden über die Sache gesprochen hatten. Herr Otto Simon aber sagte:

»So ganz im allgemeinen könnte ich das letzt Gesagte auch unterschreiben; aber, die einzelnen Fälle betrachtet, will es mir doch nicht immer recht passen, wie es unter uns hergeht, meine Herren!«

»Unter uns hergeht!?« wiederholten in höflicher Verwunderung gleichzeitig mehrere der Herren, indem sie fragend einander ansahen.

»Da gefällt mir doch das, was der Herr Pastor vorhin gesagt hat, besser,« rief der Herr Doktor.

»Das meine ich auch,« setzte der Apotheker hinzu.

Herr Simon sagte ruhig: »Meine Herren, ich habe nicht davon gesprochen, was wir thun, sondern davon, wie es in Stadt und Land überall mitten unter uns gegenwärtig hergeht. Und noch einmal: Das kann ich durchaus nicht billigen.«

»Ach so, – nun ja!« sagte jetzt der Doktor, »aber auf alles einzelne und auf jeden einzelnen kann es da doch auch nicht ankommen, Herr Simon! Wenn die ganze Welt kuriert werden soll, dann giebt es unter Umständen auch einmal einen Schnitt ins Fleisch!«

»Wenn es nur eben nicht so weh thäte dem, den es trifft, Herr Doktor!« lächelte der alte Herr Sekretär mit seiner etwas schmetternden, aber doch noch wohllautenden, würdigen Stimme.

Herr Otto Simon warf ihm einen dankbaren, freundlichen Blick zu, – Zustimmung nickend.

»Aber meine Herren,« sagte Herr Pilsen, »was sein muß, muß sein! Ich denke, das ist wie in einem Geschäft. Klappen muß es und fertig gemacht muß die Sache sein! Der Weltregent kann nicht nach allen Mücken schlagen!«

»Allgemeine Redensarten!« sagte Herr Ducrot halblaut ärgerlich vor sich hin, doch hörten es nur seine Nachbarn.

Er konnte schweigen, der jüngere Herr Simon aber nicht. Es ist merkwürdig, wie schnell unter dem Eindruck großer, einschneidender Ereignisse die Geister offenbar werden und aufeinander platzen. Sobald nur eine einzige kräftige Opposition in einen solchen Kreis hineingeworfen wird, ist die verschiedenartige Stellungnahme meist nach wenigen Augenblicken in der ganzen Gesellschaft sofort geklärt. Das Für und das Wider war kaum ausgesprochen und die Abstimmung mit ja und nein schien eigentlich schon fertig.

Übrigens war ja noch gar nichts näher besprochen und die Parteinahme für oder gegen eine Sache macht noch nicht alle Herzen ganz offenbar; erst die Besprechung einzelner Fälle bringt dann auch dies zustande. Mancher spricht, so lange die Sache nur im allgemeinen besprochen wird, auch nur ein oberflächliches Urteil aus, das er nachher gerne einschränkt, wenn die einzelnen Fälle klar liegen. Freilich kommt dann auch Parteisucht und Fanatismus erst recht zu Tage.

Herr Pilsen war etwas unangenehm berührt, als Herr Simon jetzt höflich, aber etwas bestimmt sagte: »Meine Herren, ich muß es noch einmal sagen: ich bin durchaus nicht mit allem einig!«

»Nun mit allem, – das geht mir auch so,« sagten einige nach einander beschwichtigend.

»Ja, aber ich muß es durchaus verurteilen, wie in einzelnen Fällen verfahren wird.«

»Aber das gerichtliche Verfahren werden sie damit nicht angreifen wollen,« warf Herr Karl Francois, der Jurist, ein.

»Das habe ich auch nicht gesagt,« erwiderte Herr Simon.

»Ich dachte es mir,« sagte Herr Francois freundlich und höflich.

»Aber noch einmal! ich muß manches, was geschieht, ganz entschieden verurteilen!«

»Nun, mein lieber Herr Simon! was ist denn los?« frug Herr Pilsen.

»Ihnen habe ich es ja schon erzählt,« antwortete Herr Simon.

»Ach so, das?« erwiderte Herr Pilsen, seine Zigarette in den Mund nehmend, und zuckte die Achseln.

Eigentlich nur ermutigt durch diese üble Art von Einführung durch Herrn Pilsen, und fast gezwungen durch den bisherigen, von ihm gar nicht eigentlich beabsichtigten Gang der Unterhaltung, wie auch jetzt durch den fragenden Blick aller Anwesenden, begann Herr Otto Simon:

»Meine Herren! sagen Sie selbst, wie das zu beurteilen ist. Ich will Ihnen einen Fall erzählen. Ich habe einen Vetter, – den Namen will ich jetzt nicht nennen, – er hat Frau und Kinder, er hat eine starke Familie und einen festen Posten in einem Geschäft, er sitzt also fest, wie wir so ziemlich alle auch, – und gerne, wie wir alle auch,« fügte er mit einer Verbeugung gegen Herrn Pilsen hinzu, welche dieser dankend annahm; – »aber was geschieht? Er hatte einen Kauf gemacht, gerade einen Tag ehe das Dekret bekannt gegeben wurde. Der Kauf soll amtlich perfekt werden, er will unterschreiben, da – er ist nämlich ein Christ, – da heißt es: ›Ja, Ihre Unterschrift ist nicht rechtsgiltig es geht nicht!‹ Was nun? Das Haus ist gekauft, der Besitzer will es nicht mehr zurücknehmen, mein Vetter aber kann den Besitz nicht antreten, – was nun, meine Herren? was nun?!«

»Nun, das wird sich aber schon machen,« sagten einige, »das ist nicht so schlimm.«

»Wenn es sich aber nicht macht, meine Herren?« rief Herr Simon fast ärgerlich, – »Sie werden gestehen, dann ist es sehr schlimm! Und ich erzähle Ihnen nun weiter: es macht sich nicht, sondern mein Vetter kann das Besitztum nicht antreten, der Verkäufer aber will es nicht mehr nehmen ...«

... »wird es schon wieder nehmen!« beschwichtigte einer der Herren.

»Nein, das ist es eben, – er nimmt es nicht mehr! Und selbst wenn er es genommen hätte, – so wurde an ihm gehetzt mit allen Mitteln, auf alle erdenkliche Weise. Wissen Sie, meine Herren, da giebt es schlechte Menschen, heillose Menschen! Nun behauptet der Verkäufer: es sei ihm ein großer Schaden; den Mietsleuten war gekündigt, die ziehen aus, da hilft nichts mehr, – jetzt sollen zwei Logis leerstehen! Wer soll es zahlen? Mein Vetter doch nicht gar auch noch zu allem hin? Aber der Verkäufer verlangt einen Schadenersatz, und daß er an so etwas denkt, kann man ihm nicht einmal ganz verübeln, denn Schaden hat er ja, abgesehen davon, daß er sein Haus, das er nun gerne gut verkauft hätte, jetzt wieder behalten muß.«

»Da müssen eben die Gerichte entscheiden,« sagte Herr Pilsen, – »ich habe Ihnen das schon gesagt, Herr Simon.«

»Ach ja,« sagte Herr Simon, »das haben Sie mir wohl gesagt, Herr Pilsen, aber das ist leichter gesagt als gemacht. Sagen Sie nur, wie sollen sie entscheiden? Sagen Sie selbst, Herr Francois, ist das eine so einfache Sache?«

Herr Karl Francois drehte seinen schwarzen Schnurrbart, zwirbelte sein juristisches Wissen mit hinein und sagte würdig: »So einfach ist die Sache allerdings nicht.«

Herr Pilsen blickte ratlos ärgerlich zu ihm hinüber, Herr Simon aber lachte bitter und sagte: »Ja, und jedenfalls kommt das Gericht auch nicht so schnell dran. Vorher kommen die Advokaten, das wissen Sie doch, Herr Pilsen! Hier einer und da einer, – und wie geht es da, meine Herren? wie geht es da? Das ist ja doch einfach zum Verzweifeln, Sie wissen das ja auch!« rief er etwas erregter.

Man sagte nichts; einer lächelte, der andere sah nach der Seite, mehrere sahen sich auch nach dem juristischen Tribunal um, welches aber schwieg und nur den Schnurrbart strich.

»Und jetzt hängt diese Sache meinem armen Vetter am Bein seit vier, fünf, sechs Wochen. Arm ist er ja nicht, aber das ist doch sehr schwer. Und diese Hetzerei, sage ich Ihnen, diese Hetzerei! Ich bin nicht seiner Meinung gewesen; Sie wissen, meine Herren, ich hatte von jeher eine andere Gesinnung in religiösen Dingen als er, und das ist heute noch so, aber –« und er klopfte heftig mit den Fingern der rechten Hand auf die Brust, – »das ist zu viel! das wird wirklich zu viel!«

Er setzte sich jetzt zurück, er hatte sich ausgesprochen. Manneszorn mit grimmer Falte auf seiner schönen hohen Stirn, festgepreßte Lippen und der Zug empörter Überzeugungstreue in seinen lodernden Augen zeigten jedermann, daß von dieser Erfahrung der ganze Mann, aber auch der ganze Mann, mitgenommen sei, und er, wenn es möglich wäre oder wenn es nötig würde, für seinen bemitleideten Vetter auch etwas dranzugeben bereit wäre! Man war einige Augenblicke still. Nur fand man nicht sogleich ein anderes Gespräch.

»Ich weiß auch einen solchen Fall,« sagte jetzt Herr Sekretär Ducrot, alle überraschend, – »der hat mir doch auch zugesetzt, das muß ich sagen! Es betrifft zwar nur einen armen Arbeiter, aber das ist auch ein Mensch, so gut wie wir Leute! Was meinen Sie, wenn unsereinem das passieren würde? – Geht der Mensch eben dran, zu heiraten ...«

»War auch nicht nötig!« lachte Herr Pilsen, – »wird doch keine Familie ernähren können!«

Einige andere lachten auch zu dem dazwischen geworfenen Spaß.

Herr Ducrot erhob die Stimme und rief: »Aber ich bitte, meine Herren, das ist kein Spaß! Da handelt es sich um Menschenrechte! Die werden wir nicht im Ernst andern verkümmern lassen wollen, welche genau soviel wert sind, als wir Leute, – verzeihen Sie, meine Herren! Und die Sache ist noch pikanter, wenn Sie noch mehr hören. Ich möchte Ihnen jetzt erst recht vollends alles sagen, was dabei in Betracht kommt. Also der Mann hatte treulich gespart, sich ein ordentliches Vermögen erworben; seine Zukünftige auch, sie waren beide eines Sinnes. Sie hatten jahrelang gewartet, jetzt wären sie soweit gewesen, – und ich muß noch weiter hinzusetzen, sie thaten es eigentlich nur um der alten Eltern der Braut willen, um nämlich diese beiden Alten zu sich nehmen zu können, – wohlgemerkt, gerade nicht um ihrer selbst willen, sondern um eines edlen Grundes willen, – also da ist nichts daran zu tadeln, Herr Pilsen, rein nichts!«

»Nun, und jetzt?« förderte Herr Pilsen die Unterhaltung.

»Jetzt? – ja jetzt!« sagte Herr Ducrot schmerzlich. »Wie sie sich anmelden, da nimmt man sie an, – natürlich auch! Wie sie aber nach einigen Tagen feierlich kommen, den Eheakt vornehmen zu lassen und zu unterzeichnen, – was meinen Sie, meine Herren, was geschieht? Es wird ihnen erklärt: man bedaure, – sie seien ja, wie man gehört habe, auch von der Sekte, sie können keinen rechtsgiltigen Akt unterzeichnen, – und aus ist es damit! – Ist das nicht stark?!«

»Das ist freilich stark,« sagte teilnehmend der Doktor, »das ist stark! Warum hat man ihnen das nicht wenigstens sogleich gesagt? das ist auch rücksichtslos! So bringt man die Leute auf und macht sie aufrührerisch!«

»Aufrührerisch?« rief Herr Simon dazwischen. »Das sind stille, geduldige Leute, die sind nicht aufrührerisch und werden nicht aufrührerisch; wären nur alle so, wie diese Christen!«

»Ich muß Ihnen da auch noch antworten, Herr Doktor!« nahm Herr Ducrot eifrig das Wort. »Sie sagten, warum man es ihnen nicht wenigstens vorher gesagt habe? Ja, ich will da nicht einmal den Beamten anklagen, offenbar wußte derselbe es vorher gar nicht, sonst hätte er es ihnen gewiß schon bei der ersten Anmeldung gesagt. Nein! sondern ein Nachbar, ein rechter Teufel, der machte sich den Spaß und ging hin und verriet sie, daß sie Christen seien. Absichtlich ließ er sie das erste Mal so laufen und erst nachher brachte er es zur Anzeige. Ist das nicht gemein, niederträchtig, diabolisch?!«

»Gewiß! Das ist nicht recht, das ist ordinär, das kommt unter anständigen Leuten nicht vor,« riefen mehrere durcheinander.

»So, meinen Sie?« entgegnete Herr Simon mit offenem Visier, – »das komme bei anständigen Leuten nicht vor? Wenn man da alles erzählen wollte, was geschwatzt, gelacht, gekränkt, gestächelt, gehetzt, verleumdet wird, – es ist eine Schande! eine Schande ist es für die Menschheit, wie es da hergeht! Und das kann nicht gut hinausgehen!«

»Wenn das Gesetz nun einmal spricht, so sollte man jedenfalls nichts dazu thun!« meinte Herr Francois, der Jurist. »Am Gesetz ist es genug, das wird schon seine Schuldigkeit thun.«

»Das Gesetz selber ist hart, sage ich!« rief Herr Simon, – »das sage ich ganz offen!«

»Nun, nun!« riefen einige.

»Ja, meine Herren, da finde ich nichts drin von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit!«

Allgemeiner Schrecken.

»Es mag noch so gut gemeint sein ...«

»Das meine ich doch auch,« rief Herr Francois. »Das sagen Sie also selber auch?«

»Ja,« setzte Herr Simon seine Rede fort, »aber es mag noch so gut gemeint sein, angewendet wird es schlimm!«

»Nun, nun! aber nicht von den Gerichten!« rief Herr Francois wieder.

»Von dem Publikum vor allem, durch solche gemeine Gehässigkeiten, die mit unterlaufen und alles unter einander hetzen, alle Leidenschaften aufstacheln!«

»Und das Gesetz hat doch gerade die Leidenschaften dämpfen, beschwichtigen, heilen wollen!« rief der Apotheker elegisch.

»Und hat das Gegenteil bewirkt!« schmetterte Herr Ducrot.

»Was man sich alles hätte denken können, wenn man die Menschen kennt,« murmelte jetzt leise und ärgerlich Herr Simon.

Seine Nebensitzer waren erleichtert, indem sie das letzte als einen maskierten Rückzug ansehen zu dürfen glaubten. Und für heute hatte er ja auch genug gesagt. Im übrigen kam das Gespräch heute nicht mehr recht in Zug. Man warf vereinzelte Fragen dazwischen, man frug gegenseitig nach der Familie, man machte einige Späßlein, aber die ›Harmonie‹ fand sich heute nicht mehr recht, wenn schon versöhnendere Töne angestimmt wurden, je und je ein beruhigender Aderlaß oder ein Besänftigungspflästerlein von dem oder jenem probiert wurde. Im übrigen machte man einander noch des Längeren und von verschiedenen Seiten her einen blauen Dunst vor, wozu die feinen Zigarren des Herrn Ducrot, der sie jetzt bald sehr verbindlich im ganzen Kreise ohne Ausnahme herumbot, und die Zigaretten seines Widerparts, des Herrn Pilsen, welche dieser dagegen ins Feld führte, das ihrige reichlich beitrugen.

Der kleine dicke Samtrock pustete allmählich ganz gehörig und Eugen hatte mehrfach zu blinzeln, um seine lebhaften Augen von dem Rauch seines Gegners frei zu bringen. Aber es ging, es ging.


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