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VI. Kapitel.
In Höhlen und Klüften.

Motto:

Mit Freuden sie sich gaben drein,
Mit Gottes Lob und Singen.

Luther.

Das ist eine träumerische Stille in der Waldestiefe. Im dichten Schatten unter hohen Bäumen, zwischen gewaltigen Felsblöcken und unter moosbewachsenen Steinlagern ist es etwas schaurig Süßes um den stillen Waldesfrieden. Wem es nicht eben graust in der weltverlassenen Einsamkeit, wer sich einmal gewöhnt hat an diese einzigartige Gottesfreiheit, der weiß sich keinen besseren Platz zu erwählen, um wirklich auszuruhen, um alle Last der müden Menschenbrust einmal ganz auszuatmen und dafür stillen Frieden und neue Kräfte einzuatmen. Hier sprudelt der nahe Quell sein munteres Leben und läufst immer geschwätzig, aber doch still für sich, seinen steilen Weg bergab. Kaum hört man des fernen, fernen Windes Rauschen, selig spürt man der hochragenden Bäume stilles Rauschen; kaum vernimmt man hier ein Picken und dort einen leisen Vogelschrei; hoch im Blau ziehen die lichten Wolken vorbei, – alles ist hier Leben und Ruhe zugleich, alles, alles ›stille vor dem Herrn‹.

Hier ist wahrhaftig der Gottesfrieden der Natur, den mir niemand wehren, niemand stören soll! Hier will ich eine Stunde oder zwei ruhen und mich stärken für die unruhige Lebensarbeit und die rauschenden Bewegungen des Tageslaufs. Ganz allein, ganz allein in der geheimnisvoll webenden Waldesstille, – o! das ist eine Seligkeit für einen vernünftigen Menschen, der die unruhige Welt und die geschwätzigen Menschen nicht braucht zu seiner Unterhaltung, weil der Mensch doch in sich selber schon eine reiche Welt und ein immer bewegliches Leben hegt und trägt. Wie süß ist dieser erquickende Friede hier, ein frisches Bad der Nerven, ein Springquell neuer Gedanken, eine ungeahnte und unerschöpfliche Fundgrube für eisenfesten Willen und für gediegenes, edles Streben. Hier will ich still liegen, ruhen und träumen, lauschen und horchen, innerlich aufatmen und neue Kräfte holen. Meine Brust will ich füllen mit Lebensluft, meine Seele mit immer neuen Gottesgedanken! –

Und welche Umgebung hier ringsum! Die schroffen Felswände fallen ganz steil ab; die Schlucht läuft da von drei Seiten zusammen. Hier buchtet der Fels hoch über mir sich aus und bietet Schutz schon durch seine stolze, steile Wand, noch mehr aber durch das Schirmdach, das er hoch oben noch besonders vorhält, so daß man fast ganz im Dunkeln und wie in einer Höhle sitzen kann.

Was ist denn aber in diese Stille für ein Rauschen gekommen? Was bricht dort durch's Gebüsch? ist es gar ein reißendes Tier oder ist es ein gehetztes Wild? was haucht dort leise und was lispelt da droben über mir? oder war es nur die sprudelnde Quelle hier unten? Und wer steht dort hoch oben auf der gegenüberliegenden Felswand und schaut vorsichtig um nach allen Seiten? Ist es ein Jäger oder steht der Mann dort Wache? will er jetzt weggehen oder sucht er einen Weg hier herab an diesen verborgenen, geheimnisvollen Ort? – Höre ich einen Pfiff von Spitzbuben oder ist es ein Rufen der Angst? kommt es nur aus der Ferne oder kommt es denn nicht immer näher? Was ist doch das?

Ja, jetzt läuft einer daher und wieder einer! Hier kommen zwei, dort bringen sie zu dreien eine zarte Frau mit, alles nur Erwachsene und reife Leute, – doch nein, Jünglinge sind dabei, so gut wie starke Männer. Aber was wollen sie denn hier? und was soll es, diese Heimlichkeit? was bedeutet diese Ängstlichkeit bei den einen und dieses Aufleuchten der Freude in den Augen der andern? was will der Flüsterton, in dem sie miteinander reden? Und wie sie sich grüßen! oft thränenvollen Auges und immer mit leiser Stimme, wenn sie sich untereinander bekannt machen oder meist als Altbekannte sich begegnen.

Wer sind denn diese alle? und woher sind sie gekommen? Sie alle kommen aus der großen Trübsal, – es sind die Christen. So kommen sie zusammen in Klüften und Höhlen; so heimlich müssen sie sich aufsuchen, wenn sie wirklich beisammen sein wollen, wenn sie miteinander Rat halten oder beieinander Trost suchen, – weil sie nämlich viele Flüchtige und Verfolgte unter sich haben und selber nicht wissen, wann und wie bald ein gleiches Los sie treffen werde. Jetzt kommen sie zusammen wie einst die alten Hugenotten in den Ardennen und in den Sevennen, und wie ihre Brüder, die Waldenser, in ihren Bergen und zwischen ihren Felsen.

Es sind auch drei Geistliche unter ihnen, bewährte Männer, besonders ehrerbietig gegrüßt von den andern, ihrerseits brüderlich verkehrend mit ihnen allen. Dort stehen drei Männer zusammen und beten über einem Kranken; sie legen ihm die Hände aufs Haupt und schauen zu den Wolken empor ... Hier wird eine Frau getröstet, welche bitterlich weint. Hat der Tod ihr den Gatten geraubt oder das Gefängnis vielleicht? Auch Neulinge kommen herzu, offenbar das erste Mal an diesen Ort. Sie schauen und staunen, sie freuen sich in Angst, sie fragen und werden getröstet. Endlich aber treten alle miteinander näher zusammen. Einer der Geistlichen liest einen Psalmen, – und merkwürdig! es ist derselbe Psalm, mit dem sich jüngst die Jüdin Rahel getröstet hat. Die Anfechtung lehrt aufs Wort merken. Er spricht darüber beredte Worte voll Leid und Klage, aber auch voll Trost und froher Hoffnung. Es ist keine Predigt, die er hält, es ist die schlichte Rede eines Vaters zu seinen Kindern, das Gebet eines Hohenpriesters für sein Volk, Ermahnung für die Schwachen und Verheißung für die Kämpfenden. Aber unter dem ganzen Häuflein der Hörer ist kein Mutloser, wenn es auch lauter Gebeugte sind; die Augen flammen und die Lippen bewegen sich betend; die Gestalten stehen gelassen, aber nicht gebrochen. Auch jene bekümmerte Frau richtet sich auf und der Kranke hat klare, gesunde Augen. Es ist keine Stimmung, wie etwa das Wort: ›Ihr Berge, fallet über uns und ihr Hügel, decket uns!‹ sondern sie schauen aus, als beteten sie: ›Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt. Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.‹ Als sie aber zu Ende waren, da fielen sie alle auf die Kniee und beteten inständig miteinander. Und das war ein Gebet, welches durch die Wolken drang! Wenn Gott den Schrei der hungernden Raben hört, wie könnte er diese nicht hören! Ja, er hat sie erhört, der gerechte Richter, und er wird sie erretten in einer Kürze. – –

Und wer ist der, der das alles mit angesehen und mit angehört hat, – diese merkwürdige Versammlung an diesem geheimnisvollen Ort? – Wer ist der Mann dort, der am Felsen gelehnt steht, selber nicht mehr wie ein felsenstarker Mann, sondern ganz wie ein demütiges Kind? Wer hat ihm erlaubt mitzukommen, oder wer hat ihm den Weg gewiesen in diese Einsamkeit herein? – Da steht er nun wie traumverloren und doch so tief ergriffen! Seine Hände sind gefaltet und in seinen Augen steht eine Thräne. ›Ja, das sind doch merkwürdige Menschen,‹ denkt er, ›diese Christen! Was ist das für eine Schar! diese Verachteten und Gequälten, diese Verfolgten und Gehetzten! ist es denn der Mühe wert, diese Leute da zu plagen, als wären sie zu fürchten, – zu verfolgen, als wären sie Verbrecher? Da ist ja doch keine Macht und keine Gegenwehr, nur dulden und sich in die Stille flüchten! Und doch, welche Macht in diesen Leuten! welche Wehr und Waffe in ihrem Glauben und in ihrem Gebet! welche Ausdauer in ihrer Geduld und welche Heldengröße in ihrer Gelassenheit! Fürwahr Leute, deren die Welt nicht wert ist, – aber selber wert, gekrönt zu werden und obenan zu stehen in der Welt!‹ Und er hatte Recht; – bald sollten sie alle, getreu bis in den Tod, gekrönt werden mit der Krone des ewigen Lebens! – und wie wunderbar!

Der das aber alles gesehen und so vor sich hin gesprochen hat, der ging jetzt wieder in der Stille heim und bewahrte es wie ein heiliges Geheimnis, wie ein kostbares Kleinod, was er hier gesehen und gehört hatte. Er war nicht ihrer einer, aber ein mitleidiger Freund war er, jetzt jedenfalls. Und es ergriff ihn tief und nahm ihm die ganze Seele hin! Als er heimkam aus Klüften und Höhlen, da dünkte ihm, er sei in einem Heiligtum und im Paradies gewesen, daheim aber und unter den Menschen wäre er in einem Abgrund und an einem schaurigen Ort. O verkehrte Welt! diese bethörte Welt! –

Wer war er wohl? – wer war es wohl?


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