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X. Kapitel.
Das Gericht über die Völkerscharen.

Motto:

Dann wird Er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit, und es werden vor ihm alle Völker versammelt werden, und er wird sie von einander scheiden, gleichwie ein Hirte die Schafe von den Böcken scheidet.

Matth. 25, 31. 32.

Die gewaltigen Völkerscharen lagern noch immer rings umher. Sie sind jetzt ohne Zusammenhalt wie ohne jedes Kampfesziel, ohne einheitliche Führung und ohne zu wissen, was nun? Sie haben ja alle längst auch die himmlische Erscheinung gesehen und sind nun aufs neue erschüttert und voll Grauen über die Schrecken der letzten Ereignisse, deren Kunde sich in allen Lagern ausbreitet, soweit sie nicht sogar mit Augen zu schauen waren. Sie alle ohne Ausnahme wissen, mit wem auch sie selber es jetzt zu thun haben, und warten aufs neue der Dinge, die da kommen sollen.

Und siehe da! was ist mit einem Male dort zu schauen? Dort steht hoch aufgerichtet ein erhabener Herrscherthron – mitten inne auf dem weiten Plan, und auf dem Thron er, der Herr der Herrlichkeit! Er ist nun zur Erde herniedergekommen aus des Himmels Wolken. Ja, das ist der, dessen Zeichen am Himmel voraus schon alle Welt gesehen hat, derselbe, den auch sie alle gesehen haben in der himmlischen Erscheinung. Jetzt aber schauen sie ihn näher, trotz seiner himmlischen Erhabenheit ganz wie ihrer einer, ganz wie ein anderer Mensch anzusehen, nur in einer herrlich verklärten Gestalt, – fürwahr der schönste unter den Menschenkindern und in einer Herrlichkeit, wie sie nie einen Menschen gesehen haben, voll wunderbarer Majestät, ein wirklicher König ohnegleichen! – Seht, welch ein Mensch!!

Und um ihn her wieder die Menge der himmlischen Heerscharen, wie starke Helden, voll stolzer Majestät, – bei ihm aber auch noch eine große, unzählbare Schar, – wer sind wohl diese? ...

Das alles sehen die Völkerheere, – und immer wieder müssen sie den einen anschauen, den König! O welch ein Anblick! Sie möchten fliehen vor ihm, so gewaltig sind seine heiligen Augen. Auch die Stärksten werden furchtsam diesem mächtigen Überwinder gegenüber. Aber wo sollen sie hinfliehen vor seinem Angesicht? sie sind jetzt alle wie Schafe, die keinen Hirten haben!

Er aber läßt sie herankommen und sie werden jetzt alle zusammengebracht aus dem ganzen weiten Umkreis um seinen Thron her. Da stehen sie vor ihm und sehen wahrhaftig Christum, den Herrn, ihren Richter, jetzt noch näher als vorher. Alle diese ungeheuren Völkerheere, unwillkürlich die Repräsentanten aller Völker selber, sie harren jetzt seines Worts mit Bangen; er aber sieht sie nur immer an, als warte er ihrer aller. Und immer näher rücken die ungeheuren Massen heran; völkerweise, heerweise kommen die Scharen, auch aus der weiteren Entfernung noch.

Ja, nun sehen sie ihn alle miteinander ganz genau, ihn, den in aller Welt bekannten Jesus Christus. Was hat er doch für eine Herrlichkeit! man hatte so gar nichts aus ihm gemacht! Sein Name war ein bloßer Schatten in der Welt und seine Bekenner waren die Verachteten! – und jetzt, welche Majestät und welche Herrlichkeit! wer ist ihm gleich?

Aber sie selber nun? – Das sind ja nicht mehr jene mächtigen Völkerheere eines irdischen Gewaltigen, jetzt sind sie in seiner Hand, in seiner Gewalt! Jetzt sind sie keine Heeresmacht mehr, sondern nur noch eine Menschenmasse. Menschliche Macht ist überhaupt nun aus, der Heereszusammenhalt wäre aufgelöst; nur sein Wort und sein Befehl hält sie hier noch fest, militärischer Gehorsam wäre nicht mehr zu erzwingen.

Ganz unwillkürlich drängen sich jetzt die einen je auf eine Seite zusammen, scheu und finster, ratlos und alles verloren gebend; gruppenweise drängen sie sich zusammen, als suchten sie ihresgleichen. Und doch – ›kann auch ein Bruder den andern erlösen?‹ Mit Schrecken wenden sie ihr Angesicht ab.

Und die andern, – sie sondern sich ab von ihnen, gleichviel was Rang und Pflicht sonst geboten hatte, und treten, wie froh aneinander, je auf die andere Seite zusammen. Wie demütig Hilfe flehend schauen sie zu dem Richter empor.

Ja! es ist ein Gerichtstag geworden mit einemmal, dieser Festtag des Weltregenten! Ja, es ist ein Ernst um dieses Gericht! ›Rette sich, wer kann!‹ heißt es nach einer verlorenen Schlacht, diesmal aber hält Wort und Wille dieses Herrn aller Herren sie alle unerbittlich an dieser Stelle fest, wohin sie der Heerbann des Weltverführers versammelt hatte. ›Der Herr ist Richter! der Herr ist Richter!‹ und doch – das Gericht vollzieht sich ganz wie von selbst, ganz wie von innen heraus!

Und wer sind diese dort zur Linken, – wer sind die zur Rechten hier?

Jenes sind die Menschen, welche von jeher der Stimme der Wahrheit nicht gehorcht haben, und nun in dieser Zeit der allgemeinen Verführung des ganzen Erdkreises haben sie sich immer mehr verstockt. Eine Beute des großen Verführers, sind sie selbst den Regungen des Mitleids und der Barmherzigkeit gegenüber störrisch und verstockt geblieben. Ach, was wird jetzt aus ihnen werden?!

Und die zur Rechten hier, – das sind die Leute, welche sich doch noch ein Gewissen bewahrt haben und haben sich den mannigfachen Stimmen und Mahnungen, die an ihr Herz kamen, nicht ganz verschlossen. Sie haben vielmehr schwer und immer schwerer getragen an dem Bann, der auf der ganzen Erde und auch auf ihnen lag. Da steht nun auch Kuno und mit ihm noch viele andere, und so hier eine Gruppe und da eine. ›Her zu mir, wer dem Herrn angehört!‹ möchte man unter die Massen hineinrufen; aber es ist Gerichtstag, es ist Gerichtstag! und so getrost kann auch Kuno nicht sein und alle diese miteinander nicht, welche hier noch bei ihm stehen. Sie stehen vielmehr alle auch in bangem Schrecken. Was hätten sie denn für Anspruch auf dieses großen Königs Gnade? was hat Kuno und diese alle hier sich bisher viel um ihn bekümmert?!

Ach! Kuno wüßte einen, bei dem wäre das jetzt ganz anders; das wäre sein Leon. Der hatte ja längst eine Verbindung mit diesem Herrn, Jesus Christus. Stand er doch wahrhaftig tagtäglich im Gebet vor ihm und in einer wirklichen Verbindung mit ihm, ganz ohne Frage! Aber der war jetzt nicht mehr da! Er dagegen, Kuno? – ach! warum hatte er doch nicht Ernst gemacht mit dem, was ihn in der letzten Zeit so oft in seinem Innern drängte! er hatte doch auch ein Gewissen, und das Mitleid mit seinem Bruder und anderen bedrängten Christen hatte ihn ohne Frage umgestimmt und stark beeinflußt. Aber warum hatte er nicht Ernst gemacht aus jenen innersten Gefühlen, die sich ihm aufdrängten? Was konnte er jetzt nennen, um zu beweisen, daß er auch zu den Seinen gehöre? Und wenn er es jetzt auch versuchen wollte, das wäre in Wirklichkeit gar nicht wahr gewesen. Denn er hatte zwar Mitleid mit den Christen, aber ihrer einer wollte er ja doch gar nicht sein und war es auch nicht. Ja, was hätte er nun für einen Anspruch auf dieses großen Königs Gnade, vor dessen Angesicht ja doch überhaupt jedem, auch dem Besten, aller ›Anspruch‹ ganz und gar vergehen wird!

Der König blickte rings umher und sein Auge traf sie alle, ernst und mild zugleich. Und er that seinen Mund auf – und sprach jene wunderbaren Heilandsworte, welche in dem heiligen Evangelium geschrieben stehen: ›Kommet her! kommet her, ihr Gesegneten meines Vaters!‹ und sprach noch gar Worte voll unaussprechlicher Freundlichkeit, fast als dankte er ihnen für viele erwiesene Liebe und Wohlthat!

Was soll das heißen? Wiefern hatten sie je ihm irgend etwas erwiesen, was irgend einer Wohlthat gleich sähe? wann je einmal im Leben? Wissen sie doch wohl, daß es bei ihnen ganz und gar an der rechten Stellung zu ihm selber noch gefehlt hatte!

Er aber weist mit der Hand hin auf die unzählbare Schar, welche hoch erhaben hier um seinen Thron bei ihm zu sehen ist. Ja, wer sind denn diese? Ach, ach! das sind ja die Christen, die Christen der letzten betrübten Zeit! Mancher einzelne sollte noch zu erkennen sein. Ist dort nicht auch Leon? und der arme Matthi! und wie viele, viele andere aus der Nähe und aus der Ferne! Ja wahrhaftig! diese sind es! Da sind sie nun in der Herrlichkeit ihres Herrn, an den sie geglaubt und für den sie gelitten haben, – alle die armen, unglücklichen Christen, die so oft hungrig und durstig, in wie viel Bedrängnis und Not, wie oft obdachlos und in großen Verlegenheiten, auch krank und gefangen gewesen sind! alle nun der argen Welt entrückt, ins himmlische Wesen verwandelt und wunderherrlich verklärt! Ach, welche Seligkeit, welche Ehre, hier nun dem Gericht entnommen und ganz bei dem Herrn zu sein allezeit!

Auf diese alle weist die Hand des Heilandes jetzt hin!

Aber welche Barmherzigkeit des Herrn, daß er gnädig gelten läßt als ihm erwiesen alles, was man ihnen etwa in Barmherzigkeit Liebes und Gutes gethan hat, und wenn es auch nur einem der Geringsten unter ihnen erwiesen worden ist, und wenn es auch nur der allergeringste Dienst wirklicher Liebe gewesen ist, – und wenn auch nur ein Becher kalten Wassers! O Heiland, Heiland aller Welt! bis in Ewigkeit sei dir Lob und Dank gesagt für deine unaussprechliche Barmherzigkeit! – –

Doch sein Gericht geht jetzt erst recht an! Da stehen ja noch diese Massen anderer Menschen, welche längst den Fluch Gottes in sich tragen. Der inneren Wahrheit haben sie nie recht gehorcht, gegen des Gewissens geheimsten Schrei haben sie sich taub gestellt und in der allgemeinen Weltbethörung haben sie sich selber immer mehr verhärtet. Jetzt jammern sie wohl und beteuern, daß, wenn sie gewußt hätten, was sie jetzt wissen, so würden sie es nicht so gemacht haben. Wenn sie gewußt hätten, um was und um wen es sich handle, so hätten sie es ganz anders gemacht!

Aber sie bleiben ohne Trost, – sie tragen ihr Gericht längst in sich selber! Sie sind auch nicht zu entschuldigen durch die allgemeine Verführung des ganzen Erdkreises, sie sind vielmehr schuldiger als jedes andere Geschlecht, jede frühere Generation. Denn nie je waren die Christen überall ohne Ausnahme in bemitleidenswerterer Lage, nie je mehr auf die einfachste Barmherzigkeit angewiesen, nie je in äußerlich ruhigerer Zeit so mitten unter ihnen, lange Zeit fort immer und nur immer mehr mitten unter ihnen, – und gleichwohl keine Barmherzigkeit, nur immer mehr Gleichgiltigkeit! kein Mitleid, nur immer mehr Kälte! kein Erbarmen, nur immer mehr Hohn! Der Herr hatte von dem Geschlecht jener Tage fürwahr nicht zuviel verlangt. Wer bei solch grenzenloser Tyrannei gegen die Christen, selbst in unmittelbarer Begegnung mit ihnen herzlos und kalt, mitleidlos selbst gegen Bittende sich erwies, wer nicht einmal mehr einen Becher kalten Wassers, nicht einmal mehr so viel Barmherzigkeit für sie in des Herzens Grund übrig hatte, der war fürwahr nicht schuldlos, auch trotz der allgemeinen Verführung nicht, sondern er erwies sich als ein in des Herzens Grund von Gott abgewendeter Mensch, der sein Gericht längst in sich selber trägt. Wer noch irgend einen Funken von Religion, Gerechtigkeit und Wahrheitssinn überhaupt im Herzen hatte, der konnte, auch wenn er selbst durchaus kein Christ war, – er konnte nicht mitthun mit dieser Hölle von Ungerechtigkeit und Unbarmherzigkeit, welche gegen die Christen los geworden war; er mußte sich dem wenigstens für sein Teil entgegenstellen. –

Also alle diese Menge Menschen hier, wer sie auch waren und was sie auch sonst gewesen waren, – was ist in diesen Menschen allen vom Menschen noch übrig? was ist in ihnen noch übrig von der gottgeborenen Seele? was noch übrig von Gewissen, von Wahrheit und Gerechtigkeit?

Weggewiesen sind sie denn von dem Angesicht des höchsten Richters, der kein Wort der Gnade mehr für sie haben kann, – und sie verfallen von Stund an dem göttlichen Gericht!

Für jene anderen aber hat der Herr, der gute Völkerhirte, Großes bereit; denn bei ihm ist die Vergebung und ›viel Erlösung bei ihm, und er wird sein Volk erlösen aus allen seinen Sünden!‹ Er ist jetzt ihr König und nun kommt sein Reich in Kraft und Herrlichkeit, worauf längst alles in der Welt abzielte, woran fast niemand in der Welt mehr zu glauben schien, worauf aber doch noch viele Tausende in aller Stille mit Sehnsucht und Verlangen gewartet hatten. Nun endlich, endlich ist es mit ihm gekommen, dieses sein ›Reich voll Lieblichkeit und Herrlichkeit!‹


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