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IV. Kapitel.
Hungrig und durstig, ohne Kleider und obdachlos.

Motto:

Wir wollen trauen auf den höchsten Gott
Und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen ...
Was noch bis dahin muß erduldet werden,
Erduldet's! Laßt die Rechnung des Tyrannen
Anwachsen, bis ein Tag die allgemeine
Und die besond're Schuld auf einmal zahlt!

Schiller.

Die Bedrängnis der Christen wurde immer größer. Ja, wer hätte das für möglich gehalten in der Zeit des allgemeinen Völkerfriedens, in dem seinerzeit so feierlich angekündigten ›Zeitalter der Freiheit,‹ der ›vollkommenen Freiheit, wie sie noch nie gewesen‹ sei! Ach ja, die gesetzlichen Formen für alle möglichen Freiheiten bestanden ja, aber wer hinderte es, daß auch das Dekret des Weltregenten seinen ›freien‹ Lauf nahm und sein Ziel verfolgte frei durch die ganze Welt hindurch, ›frank und frei‹ in alle Lebensverhältnisse hinein.

›Kein Mensch thue ihnen etwas zu leid‹ hieß es immer und immer wieder bei den Verteidigern der neuen Aera. Aber der Haß, die Bedrängnis, die Verfolgung hatte doch ihren ungehemmten Lauf. Und es war so leicht, so sehr leicht, ihnen ein Leids zu thun, ohne ihnen ›etwas gethan‹ zu haben! Man durfte ja an manchem Ort nur sagen: ›Du bist auch einer von denen, ich sah Dich da und da,‹ so war es geschehen. Wurde der Betreffende dann nicht zum Verleugner, sagte er nicht mit Fluchen und sich Verschwören: ›ich kenne diese Menschen nicht,‹ blieb er bei der Wahrheit, war er treu im Bekenntnis vor den Menschen, – so konnte es um ihn geschehen sein! Ein und das andre Mal etwa ließ man ihn ja laufen, aber ein drittes Mal traf es sich eben doch, daß es sich ausdrücklich um einen gesetzlichen Akt, um eine rechtsgiltige Unterschrift oder um irgend einen anderen Rechtsvorgang handelte, vielleicht auch nur um die Vorbereitung hiezu, – und dann war er wieder der Rechtlose! Wie oft war das schon ganz genug, um einen tüchtigen Mann in jeder Beziehung zu hemmen, eine ganze Familie zu beunruhigen, die besten Leute in Bedrängnis und Not zu bringen! Bei einfachen Leuten handelte es sich bald um Verdienst und Erwerb, bei Leuten der gebildeten Gesellschaft mindestens um gute Ruhe und gesellschaftliche Stellung, manchmal aber war auch bei ihnen mit einem Schlag das ganze Lebensglück vernichtet, eine ganze Familie brotlos gemacht.

Anfangs waren es nur wenigere gewesen, welche dieses Schicksal traf, und andere hatten doch noch helfen können; jetzt aber wurden es der Bedrängten immer mehr, und sie wußten einander oft kaum mehr zu helfen. Vielfach wurden auch die Barmherzigen und Mitleidigen, welche sich ja gottlob doch auch noch fanden, vorsichtiger, weil ängstlicher, um nicht auch in denselben Verdacht zu fallen und gleiches Schicksal erdulden zu müssen. Und so ward die Bedrängnis der Christen immer peinlicher, immer allgemeiner. Aber alles, alles das unter der gleißnerischen Maske der vollkommensten allgemeinen Freiheit, der vollkommensten Gesetzlichkeit staatlicherseits. Man ging ihnen ja nicht an den Leib, bei Leibe nicht! man ließ ja jeden gewähren, – nur das Gesetz sollte walten! –

Matthi, der arme Matthi! – Konnte es denn auch einen solch einfachen, schlichten Menschen treffen? er hatte ja nichts zu kaufen oder zu verkaufen, was irgend welchen öffentlichen Rechtsakt erheischte, er hatte keinerlei Rechtshandel zu schlichten, er nahm die Obrigkeit nirgends und niemalen in Anspruch. Was sollte er also Gefahr laufen? Und doch! – der arme Matthi!

Der Spott, der Spott! Ja, Spott will oft harmlos sein, nichts weiter als Lustigkeit und Lebensfreude, nur Frohsinn und Witz, – aber auf Kosten eines andern, auf Kosten eines andern! Und selbst wenn nicht zum Schaden eines andern, – gieb acht, wie schnell damit ein Ehrabbruch geschieht! Und nun vollends in solchen Zeiten, unter solchen Bewegungen und bei solcher Erregung! Da war jeder Spott ein Pfeil, ein vergifteter Pfeil, eine tödliche Waffe, ein Mord des Nächsten!

Und wie ging es zu unter groben Leuten! wie ging es her unter rohen Menschen! Ging es einmal los, – wenn auch nur vor dem Arbeitsanfang oder in einer Vesperstunde, – so war eben die Hölle los! Matthi konnte ausweichen, scheinbar nicht hören, er konnte stille sein und an sich halten, er konnte sich zusammen nehmen und beten, er konnte vergeben und im Stillen segnen, nach jenem unvergleichlichen Rezept des großen Arztes der kranken Menschheit, – es half alles nichts, alles nichts! Kaum schien es einmal besser, so ging es bald schon wieder über ihn her, alles drang auf ihn ein. Schließlich wird das bedrängte Gemüt auch weicher, empfindlicher, verwundbarer. Er kämpfte innerlich, aber er hielt es nicht mehr aus. Kam er heim, so war es ja auch nicht anders. Vater und Mutter waren immer ernst und freundlich mit ihm, der alte Matthi ehrte den Sohn geradezu und die Mutter liebte ihr Schmerzenskind, das sie einst unter dem Herzen getragen hatte. Sie schützten ihn auch, wenn er unter ihrem Dach war mittags und abends. Aber wer konnte den Blick wehren, das Achselzucken, die Herbheit und die Kälte der beiden Brüder? Und wie konnte er die Spötterei der eigenen älteren Schwester anhören! Oder was war es oft, wenn Vater und Mutter weg waren und der Brüder rauhe Art den armen Matthi böse mitnahm! Nirgends Ruhe und Frieden, nirgends auch nur soviel! selbst im Vaterhaus nicht! – es war zu viel.

Es war vielleicht eine Versuchungsstunde, wo er nicht mehr glauben konnte, daß Gott nicht über Vermögen versuchen lasse, oder war es auch ein richtiger innerer Trieb. Kurz – er ging einmal auf und davon! Es hatte lange in ihm gerungen, er trug es jetzt nicht länger so. Er nahm Abschied von Vater und Mutter, welche ihn segneten und mit Thränen, – die Mutter mit vielen, vielen Thränen, – begleiteten; rührenden Abschied nahm er von der jüngeren Schwester, der einzigen mitleidigen im Geschwisterkreis. Sie sahen ihm noch lange, lange nach, er drehte sich oft um, grüßte und schwenkte den Hut noch aus weiter Ferne, die Schwester winkte ihm mit dem Tuch und die Mutter brachte das Tuch fast nicht mehr von den Augen, – jetzt war es das letzte, das allerletzte Mal, – die Straße bog ab und – er ward nicht mehr gesehen!

Weg war er nun, und es war ihnen, der Segen sei weggenommen aus ihrem Hause. Gottlob! das war nicht so, vielmehr der beiden Brüder und der älteren Schwester Spötterei hatten doch wenigstens ein Ende. Auf diesen dreien aber lag allerdings ein Bann, das spürte man wohl.

Matthi aber reiste ins Weite; – kaum nach einem bestimmten Plan, vorerst nur fort, nur immer weiter! »Nur weit fort!« war seine Meinung. Dann begann er da und dort nach Arbeit zu fragen und Verdienst zu suchen. Je und je fand er auch das Gewünschte, aber nirgends auf die Dauer. Und dann kam die Zeit der überall noch wachsenden Bedrängnis der Christen. So irrten jetzt ja viele umher, – ähnlich wie zu allen Zeiten etwa die Handwerksgesellen; und das sind ja gewiß auch oft bemitleidenswerte Menschen, durchaus nicht bloß lustige Leute, durchaus nicht immer luftige Gesellen. – Wie hätten aber gar jene wandernden Christen fröhlich sein können? Nein! hungrig und durstig, oft von allen Mitteln entblößt, oft ohne ordentliche Kleider und obdachlos, mußten sie schon froh daran sein, hier eine warme Speise oder ›etwas Übriges‹, dort ›etwas Abgelegtes‹ oder ein Obdach für eine Nacht zu bekommen. An vielen Thüren standen sie beschämt und bescheiden, an tausend Thüren wurden sie abgewiesen, bald mit kühlem Bedauern, bald mit barscher Ungeduld, einmal nach kurzem, aber gedankenlosem Anhören, ein ander Mal mit zankender Ermahnung, zu arbeiten und nicht scheinheilig umherzulaufen. Die Menschen haben oft schwere Vorwürfe für andere, wenn sie sich die eigene Pflicht selber recht leicht machen; sie machen oft große Sprüche, wenn sie recht kleine Leistungen verweigern; sie werden Heuchler, wenn sie Schelme sind.

So ging auch unser armer Matthi umher. Je und je kam er auch an eine offene Thür. Das war dann nicht gerade ein Palast und nicht gerade ein großes Haus, sondern es war etwa eine Taglöhnersfamilie mit vielen Kindern, die ihn aufnahm, scheinbar unbesehen, in Wirklichkeit aber auf den ersten Blick in klarer Überzeugung und sofortigem gegenseitigem Sichverstehen. Da durfte er sich dann an den eigenen kinderreichen, aber sonst nicht reich besetzten Tisch setzen, so daß er mitaß und mittrank, und sie hatten Freude daran und fanden eine Ehre darin, daß sie einen solchen ›Gast‹ am Tische hatten, den sie beherbergen konnten, – war es auch nur eine dünne Abendsuppe und ein Becher kalten Wassers, was sie ihm zu bieten hatten. Und wenn er dann sein ›Vergelt's Gott!‹ sagte, so war es den Leuten ein wohlverstandener Klang und vollauf genug. In Matthis Gedanken aber lag die Macht jenes Wortes, der Segen jenes Mannes, der selber oft nicht hatte, da er sein Haupt hinlegte, der aber gesagt hat: ›Wer einen Gerechten aufnimmt in eines Gerechten Namen, der wird eines Gerechten Lohn empfangen. Und wer dieser Geringsten einen nur mit einem Becher kalten Wassers tränkt in eines Jüngers Namen, – wahrlich, ich sage euch, es wird ihm nicht unbelohnt bleiben!«

Wer zählte die hundert Fälle, wo unser armer Matthi vor verschlossenen Thüren stand, ans Vaterhaus schmerzlich zurückdachte und der Mutter letzten lieben Gruß im Sinne hatte, selber jetzt aber weder ein freundliches Vaterwort noch eine liebende Mutterstimme hörte, für beides vielmehr das gerade Gegenteil! Oder wer zählte das Maß von Verschuldung durch Unterlassungssünden, wenn er, wie so viele der umherirrenden, mangelhaft gekleideten, obdachlosen, hungrigen und durstigen Christen, – kaum ein Wort zum Trost zu hören bekam, fast nichts als Abweisung erfuhr? Aber von dem ewigen Vaterauge Gottes war es alles wohl gesehen, und dem blieb es nicht verborgen, welcher jetzt bald, bald, als der König kommend, den Mitleidigen und Barmherzigen selbst es sagen wollte: ›Was ihr gethan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir gethan!‹

So zog er umher, unser armer Matthi. Wie lange so? das können wir jetzt nicht sagen. Wie viele Gotteswohlthaten er dennoch empfing, wie oft er auch getröstet wurde und sich still zu trösten wußte, wie er sich durchschlug und wie ihm durchgeholfen wurde, wie er litt und sich plagte, – das lassen wir jetzt alles ruhen. Ist er doch nicht der Einzige gewesen, sondern nur einer von den vielen, vielen Tausenden; und kam ihm doch ein Tag, – herrlicher, glänzender, strahlender, als alle die trüben, dunklen, thränenreichen Tage dieses Pilgerlebens, – ein Tag, so groß und hehr, so majestätisch und wunderbar, der ›Tag des Herrn‹, der ihn aller Not entrückte und ihm liebliches, wunderliebliches Wesen gab ›zu seiner Rechten‹, so daß er dann so selig war und so herrlich wie dort auf der goldenen Brücke, als er dem sterbenden Vater, dem alten Matthi, hinüberrief und hinüberhalf in die ewigen Hütten, ans andere Ufer, hoch über den tosenden Fluten und den stürmischen Tiefen, durch die zuckenden Blitze der Gottesgerichte hindurch, hinein in den großen Frieden Gottes!


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