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III. Kapitel.
Die große Völkermission.

Motto:

Des Negers Sklavenkette bricht,
Der Inseln Menge jauchzt dem Licht,
Das alle Völker einet.

Lahnmayer.

Noch einige Zeit tauschte man Worte der Freundschaft unter einander aus, doch bald nach dem Abendessen begab man sich mit Rücksicht auf die Reiseermüdung der Gäste zur Ruhe.

Andern Tags begrüßte man einander beim Morgenbrot. Die drei Neger waren ganz glücklich, wieder aufwarten zu können. Mit naiver Freudenbezeugung und voll dankbarer Ehrerbietung walteten sie dieses Amts. Man sprach sie auch fröhlich an. Rahel scherzte mit Elisa über die gestrige Fahrt, lobte die Pferde und frug nach der Neger eigenem Ergehen. Sie gaben allezeit schlagfertig ihre Antworten, und es ergötzte die Hauseltern offenbar, mit welcher Freundlichkeit und Herzlichkeit die beiden Gäste mit den Negern redeten.

Nachher sagte Ruben: »Sie sind seit unserem letzten Besuch nett herangewachsen, diese drei Bursche; wie lange ist es jetzt, daß Ihr sie bei Euch habt?«

»Drei Jahre,« sprach Otto, »wir sind ja kinderlose Leute, da macht es uns doppelte Freude, uns ihrer und anderer anzunehmen.«

»Man spürt es ihnen wohl an,« erwiderte Rahel, »wie glücklich sie hier sind. Wenn sie aber gehen?«

»Dann kommen andere. Wir lassen das schon jetzt nicht aus dem Auge. Du darfst es mir glauben, die Arbeit an diesen Leuten, wenn es überhaupt eine Arbeit zu nennen ist, giebt uns tagtäglich den schönsten Ausblick auf ein weites großes Erntefeld, welches ebenso lieblich ist, als der Blick in unsere herrliche Landschaft hinein, wo nicht noch viel schöner. O diese Völker, diese Völker! sie kommen zuletzt dran, und mit doppelter Treue muß man sich ihrer annehmen!«

»Ja, es ist wahr,« sagte Rüben, »was haben doch vergangene Jahrhunderte da gesündigt! Man trieb Handel unter diesen Völkern und stellte sie unter Schutzherrschaft, man schuf Antisklavereivereine und redete von Kulturarbeit in Afrika; aber mit ewiger Schmach haben die europäischen Völker sich beladen, als sie mit Afrika sich zu thun machten! Den Handel trieb man mit Branntwein und Mordwaffen, mit schlechten Sitten und bösem Beispiel, mit verderblichem Einfluß und beispielloser Menschenverachtung.«

»Aber die Mission, Ihr Männer?« fügte die Hausfrau jetzt hinzu.

»Jawohl,« erwiderte Otto, »der Mission alle Ehre! und alle Ehre auch jeder Kulturarbeit, welche wirklich geschehen ist! Schon das neunzehnte Jahrhundert war ja ein Jahrhundert der Mission gewesen, und doch war es alles nur ein kleiner Anfang in der »Zeit der geringen Dinge.« Es war alles in allem gerechnet doch immer nur die Pionierarbeit einer Avantgarde, und alle ihre Anstrengungen waren immer nur die einsam verhallenden Axthiebe in dem dunklen, undurchdringlichen Urwald. Erst seit mit dem Schluß des zwanzigsten Jahrhunderts die gewaltigen Völkerstürme ihr grausiges Ende fanden, und dann der große Völkerfrühling anbrach und der Lebensodem des allmächtigen Gottes auch die fernsten Völker durchbrauste, seitdem erst wird es alles ganz anders. Das umnachtete Afrika schaut selbst mit Staunen der über ihm aufgegangenen Sonne entgegen und freut sich des hellen Tages, der auch ihm nun angebrochen ist. Seine Völker wetteifern, die schon abgenommenen Sklavenketten vollends zu zerbrechen und frei und kühn vorwärts zu schreiten auf den Wegen eines ganz neuen Kulturlebens.«

Ruben und Rahel hörten aufmerksam zu. Den beiden Jerusalemiten schien es – nicht etwas Neues, aber etwas Fernliegendes zu sein, was ihr Gastwirt über Afrika sagte.

»Ich weiß es wohl, Rahel,« fügte Otto hinzu, – »Ihr schaut mehr nach Asien hinein, als nach Afrika.«

»Jawohl,« entgegnete Ruben, für Rahel eintretend, »das ist so; aber mit höchstem Interesse, das versichere ich Dich, hörte ich, was Ihr hier sagtet. Und wenn es ja nur um dieser drei Neger willen wäre, – diese lieben Gesichter, – so müßte man des Gesagten sich schon von Herzen freuen. Weißt Du noch, Rahel, wie es damals war, als Dein Bruder einmal einen Neger heimbrachte? Du erzähltest mir ja später noch oft davon. Es war vor jetzt etwa zweiunddreißig Jahren.«

»Jawohl,« antwortete Rahel. »Er war noch ein junges Blut; wenn er ausging, liefen ihm die Kinder nach, begafften und verspotteten ihn. Oft kam er fast weinend heim und wollte nicht mehr von Hause weg. Wie ein Wundertier gaffte man ihn an; um ihn selbst aber kümmerte sich eigentlich kein Mensch. Und ich will es nur sagen, auch wir selbst, wir mochten ihn ja wohl leiden, aber wir achteten ihn doch anfangs fast gering. Und vollends andere! »Ein guter Kerl!« hieß es eben, und weiter fragte niemand viel nach ihm. In der That, das ist nun durch alles hindurch anders geworden. Die »Menschenrechte« nicht nur, – nein, die »Menschenwürde« wird jetzt hochgehalten in jedem Menschen, und alles arbeitet nun einem hohen, heiligen Ziele zu: die ganze Menschheit in allen ihren Gliedern an einem edleren vollkommeneren Leben teilnehmen zu lassen. Wir alle haben das Gefühl, daß wir selbst nicht mehr glücklich sein dürften und könnten, wenn dieses große Ziel nicht erstrebt und mit der Zeit erreicht würde.«

»Und so ist es auch!« sagte Otto. »Darum ist auch längst ein Eifer erwacht, den man ja freilich in vergangenen Zeiten nur in kleinen Kreisen kannte. Gerade in unserer Gegend könnt Ihr eine ganze Menge junger Neger finden, man möchte meinen, es sei eine ganze Völkerwanderung; gerade die besten und bildungsfähigsten kommen zu uns heraus; von den eigenen Volksgenossen werden sie dafür ausgewählt. Mit großem Eifer lernen sie bei uns. Was heißt lernen? – sie leben unter uns und mit uns, sie nehmen unsere Sitten an und haben an unserem Geistesleben teil, sie atmen europäische Luft und christlichen Geist, das ist die Hauptsache. Nur schon dort unten im Dorf sind gegenwärtig nicht weniger als ihrer sechzehn, und in der Stadt weit über die Hundert. Da lernen sie, immer in den bewährtesten Familien untergebracht, alles mögliche, je nach Begabung und innerem Trieb, – der eine die Landwirtschaft, der andere ein Handwerk, der dritte will studieren u. s. w. Geht es so fort, so zweifle ich nicht, daß in der zweiten und dritten Generation schon eine großartige Erhebung dieser afrikanischen Völkerschaften zu Tage treten wird; denn es sind gelehrige Leute, helle Köpfe, dabei treue Menschen und immer kindliche Herzen. Dankbarkeit und Ehrerbietung ist Grundzug ihres Wesens, sozusagen die gute Kehrseite all der Tyrannei und der mannigfaltigen Sklavenketten, die sie getragen haben. Dabei ist es eine so feurige Liebe zu ihrer heißen Heimat, eine solch freudige Begeisterung, ihrem Volk daheim einmal etwas zu werden, daß an einer Verjüngung des afrikanischen Völkerlebens gar nicht mehr gezweifelt werden kann.«

Rubens Augen glühten. Er sah hinaus in die glänzendhellen Wolkengebilde, als schaute er in weite, weite Fernen: »Dann ist es auch der Mühe wert, daß wir unser Gold und unser Silber hingegeben haben dieser Sache, diesen Völkern zum Dienst. Die Sahara soll Wasser haben und die Wüste soll grünen! Die ganze Erde ein Garten Gottes, die ganze Welt ein Eden! so ist es des allmächtigen Vaters Wille. Wir haben noch viel zu schaffen in weiten Gebieten, das Leben ist es wert, gelebt zu werden. Jugendträume und Mannesideale, sie werden beide sich erfüllen!«

»Ja,« sagte Otto, »und man sollte nie beisammen sein, ohne sich in heiligen Gelöbnissen neu zu verbinden, die ganze Kraft einzusetzen für die höchsten Ziele. Wir Menschen der neuen Weltzeit sind doch die glücklichsten, ein reiches Erntefeld und einen immer vollen Erntesegen sehen wir vor uns! In der That, wen das nicht antriebe, – er wäre nicht wert, zu leben in dieser großen herrlichen Segenszeit!«

*

Die Frauen hatten aufmerksam den Männern zugehört. Ein Frauengemüt empfindet tief, wenn der Mann Hohes denkt, und wenn er davon redet, so mag es dem Weibe ziemen, in heiligem Sinnen zu schweigen und zu hören. Aber lange lassen sich solche Dinge nicht besprechen, sie sind heiliger als Worte, höher als Menschengedanken darüber, denn es sind alles lauter Gottesgedanken. – Die Frauen kamen auf etwas anderes.

»Sage doch, Otto, was ist es denn mit dem Zamba? Wie alt ist er?« fragte Rahel.

»Nun, vierundzwanzigjährig; er ist ziemlich älter, als die beiden anderen. Warum aber?«

»Ich gedenke des Zamba, der vor dreißig Jahren meinem unglücklichen Bruder diente, und der sich damals so herrlich benahm; wie ist es denn mit diesem Zamba bei Euch hier?«

»Ich bitte Dich, Rahel! Das weißt Du noch nicht einmal? Ach ja, ich entsinne mich, als Ihr letztmals da waret vor drei Jahren, da war Zamba kaum erst in unserem Haus, und es mag sein, daß sein Name Dir damals noch nicht genannt ward. Ja also, dieser Zamba hier ist der Sohn jenes Zamba, des Dieners Deines unglücklichen Bruders!«

Rahel erhob sich vom Sitz vor Erstaunen: »Ist es möglich?! Das der Sohn jenes edlen, mir unvergeßlichen Menschen? – Ach, mein Bruder, mein armer, unglücklicher Bruder!«

Es war ein tiefer, düsterer Schatten, der mit dieser Erkenntnis für Rahel in die so lichten Bilder des vorigen Gesprächs hereinfiel. Teilnehmend schauten die beiden Hauswirte auf Rahels schmerzbewegtes Gesicht, und Ruben faßte freundlich streichelnd die Hand seiner Rahel. »Es ist mir leid um Dich, mein Bruder! –« kam es leise von ihren Lippen. Man stand jetzt auf und trat auf den Altan heraus. Rahel stand eine Weile abseits, die drei anderen dort beisammen; die drei Neger kamen herein und deckten den Tisch ab. Rahel wandte sich und schaute Zamba an. Zwei helle Thränen rollten aus ihren schönen Augen, sie wandte sich schnell wieder ab und schaute nach rechts zu dem Dorfe hinunter.

Zur Linken auf dem Altan sprach Ruben zu den Hauswirten: »Das ist der wunde Punkt im Herzen meiner Rahel; oft, oft sagt sie vor sich hin: ›Es ist mir leid um Dich, mein Bruder Jonathan!‹ Denn Arthur, ihr einziger Bruder, hat, wie Ihr wißt, gar bitteres Todesweh in ihr Herz gebracht.«

»Wir wissen es,« sagten Otto und Gertrud leise. In teilnehmender Stille schwiegen sie jetzt. Der Schauer der Erinnerung an eine miterlebte schreckliche Zeit um die Wende des vergangenen Jahrhunderts zog durch ihrer aller Seelen.

Es war während dieser ganzen Gesprächsstunde ein leichter Regen gefallen. Jetzt brach die Sonne wieder voll durch die Wolken, und über dem Dorfe drunten stand ein lichter, herrlicher Regenbogen. Die Neger sahen ihn auch, ihre Augen funkelten helle, sie zeigten ihn einander, und auf den Wink des Hausherrn traten sie mit kindlicher Freude an eines der offenen Fenster, durch welche die erquickte und erquickende Luft einströmte. Rahel schaute herüber, sah Zamba und die beiden andern lachen und frohlocken, – da lächelte auch sie wieder. Ruben rief ihr, die Hand hoch erhebend, zu: »Rahel! der Bogen in den Wolken, der Friedensbogen!«

»Der Bogen in den Wolken, der Friedensbogen mit aller seiner Verheißung!« antwortete sie; sie wischte sich die Thränen ab und kam zu den andern herüber. Man sprach jetzt nicht mehr davon.

»Wollen wir durch den Garten gehen?« frug Gertrud.

»Wie gerne!« antwortete Rahel und schob ihren Arm durch den der Hausfrau. Die beiden Frauen gingen voran, wie zwei Schwestern verbunden, die Männer folgten mit herzlichem Wohlgefallen und selber in inniger Freundschaft.

*


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