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X. Kapitel.
Mirjam und der Mohr.

Motto:

Schwarze Haut, nicht schwarzes Herz!
Dankesliebe, Treueschmerz!

Arthur hatte diesmal wieder seinen Mohren mitgebracht. Der Mohr war sein Diener. Die halbe Stadt fand das merkwürdig, die Alten kurios und die Kinder wundersam. Arthur behagte es nur um so mehr. Übrigens zeigte sich der Mohr nicht viel außerhalb Hauses. Er durfte das schon gar nicht, sein Herr spannte ihn an, und im Haus hier fühlte er sich wohl. Er bediente nicht nur seinen Herrn, er erbot sich auch zu allerlei Dienstleistungen sonst; obwohl das nicht nötig gewesen wäre in einem so wohlgeordneten, gut regierten Haus, wurde es doch je und je angenommen, schon aus Gefälligkeit, um den gutmütigen, dienstfertigen Menschen nicht zu verletzen; man wies ihm hier etwas und dort etwas an, man sprach auch immer freundlich und herzlich mit ihm.

Kathi erschrak wohl ein wenig, wenn er ihr im Dunkel der Hausflur begegnete und aus seinem tiefschwarzen Gesicht auf einmal die zwei großen, lebhaften Augen hell herausleuchteten und dann der ganze große Mund lachte; aber es war ihr doch zugleich ein fast heiliger Gedanke, daß ein Mohr, ein Mohr im Haus sei! Welchem Christenmädchen kommt damit nicht doch irgend ein Missionsgedanke?

Die Amme Ruth sorgte treu für den heimatlosen Burschen, sie frug sogar, was ihm wohlschmecke und steckte ihm manches zu. Übrigens war er anspruchslos und hatte eigentlich eine feine Art, mehr als man von ihm erwartete.

Man ließ ihn deshalb auch bei Mirjam mancherlei Dienste thun. Wenn sie sich in ihrem Zimmer allein oft mühsam ihre Sachen zusammensuchte, so wurde je und je der Mohr herbeigeklingelt, und der vielbeschäftigten Ruth war ein Gang und eine Arbeit erspart. Dann war er so anstellig, so bescheiden, so ehrerbietig und fast weltgewandt, daß man seine Freude daran haben mußte. Was Wunder, daß Mirjam sich je und je auch in ein Gespräch mit ihm einließ, besonders wenn sie länger allein gewesen war. Gerade an dem Nachmittag z. B., wo Arthur und Rahel sich wieder so besonders lang allein unterhielten und sie sich etwas verlassen dünkte, – nicht daß Rahel sie je einmal vernachlässigt hätte, aber diesmal gab es sich nicht anders und Mirjam hatte beim Vorübergehen einmal so das Gefühl, daß die beiden jetzt besser allein blieben, – da war der Mohr ganz geschickt gekommen und hatte etwas Wasser auf den Tisch gestellt.

»Zamba!« – begann Mirjam, – »Du bist jetzt 30 Jahre alt, – so hast Du gesagt, nicht wahr?«

»Ja, Fräulein Mirjam.«

»Sage mir: wie bist Du denn eigentlich zu meinem Bruder gekommen?«

»Ich war in der großen Stadt, wo viele sind, viele Neger, auch Chinesen, Inder, Araber und alles untereinander; man kommt da aus aller Welt zusammen. Ich hatte meine Eltern verloren. Mutter ist gestorben, da war ich 12 Jahre, Vater ist gestorben, da war ich 14 Jahre. Pocken sind unter uns gekommen, Pocken! viele, viele starben! Wir waren ein ganzer Haufe gewesen, herausgekommen aus Afrika mit einem großen, reichen Herrn. Da war ich verlassen, ganz allein. Ich nahm allerlei Arbeit an und diente manchen Herren, – gute Herren, schlechte Herren, – mancherlei! Bald war ich Spielball, bald Schaustück, bald geliebt, bald geplagt. O, es ist viel im Leben, was nicht gefällt! aber immer durch, immer durch!«

Mirjam hörte ihm gerne zu. Sein Mienenspiel und seine Augen, – Glanz und Freude, Klage und Wehmut seiner Augen gehörten dazu, den Menschen zu hören. Man mußte ihn nicht nur reden hören, sondern auch reden sehen, wenn es ein ganzes, volles Bild sein sollte.

»Und dann kamst Du also zu meinem Bruder?«

»Ja.«

»Nun, wie war denn das?«

»Ich war hungrig, ohne Herrn, ohne Arbeit, sehr hungrig, – durstig nicht, es giebt ja bei Euch überall Wasser, – aber sehr hungrig und sehr müde. Da bat ich um etwas« – (er streckte demütig die Hand aus) – »und er gab mir etwas und er nahm mich ganz.«

»So, er gab Dir etwas und nahm Dich ganz?« frug Mirjam. Der Ausdruck berührte sie komisch, aber zugleich wehmütig. »Und er hat Dich hoffentlich gut gehalten, Zamba?«

»O, er gab mir viel, zu essen und zu trinken genug. Baden durfte ich und er gab mir lauter neue Kleider, Altes wurde verbrannt. Alles neu, von Kopf bis Fuß! Schöne Kleider, aber nicht so schön wie diese hier, ich wurde immer schöner, immer schöner.«

Mirjam lachte.

»Ja wohl, Fräulein Mirjam, denn ich mußte ihn bald begleiten, fast überallhin, und da mußte ich schön sein.«

»Und wohin ginget Ihr denn miteinander? spazieren?«

»Spazieren, ja! und ins Geschäft oder in Gesellschaft, besonders abends.«

Mehr sagte er nicht und Mirjam wollte auch entfernt nicht ausfragen.

»So, da hast Du es also jetzt gut? das freut mich.«

Zamba machte ein wehmütiges Gesicht. »Er ist mein Herr,« sagte er, »er hat mich vom Hunger erlöst, vom Hunger, – das ist groß! Ich bin sein, er kann mit mir machen, was er will.«

»Du mußt aber nicht sein sein, Ihr seid doch keine Sklaven mehr!«

»Aber ich will! – er hat mich erlöst vom Hunger!«

Mirjam war ganz erstaunt, so gerührt war sie von diesem Wort: ›Aber ich will, er hat mich erlöst‹! Obwohl sie den nicht kannte oder liebte, der uns erlöst hat, und dem wir mit Kraft und Begeisterung unser ›ich will‹ geben dürfen, so machte es doch einen ganz eigentümlichen, einen tiefen Eindruck auf sie, als der Mohr sagte: ›Aber ich will! er hat mich erlöst vom Hunger!‹ Zugleich war aber eine Trauer in seinem Blick und sie spürte: da steckt etwas, da ist nicht alles richtig. Und soviel war ihr öfters schon ausgefallen, daß Arthur sehr kurz und hart, sehr stolz und herrisch mit Zamba sprechen konnte, so etwa, wie man eben doch nur mit einem Sklaven spricht, oder wie man mit keinem Menschen reden sollte. Sie hätte aber nichts sagen mögen, entfernt nichts fragen mögen. – Und der Mohr ging hinaus.

»Nach einer Weile aber kam er wieder herein, ganz von selbst; er entschuldigte sich sehr verlegen, sah sich ein wenig um und sagte dann: »Fräulein Mirjam, ich möchte noch etwas sagen.«

»Nun, was?«

»Ich hätte noch etwas sagen mögen, Fräulein Mirjam. Beten Sie zu Gott, daß Ihrem Bruder kein Unglück widerfährt.«

Mirjam erschrak.

»Er lebt nicht, wie er soll; er spielt und lebt nicht, wie er soll; es ist ein tolles Leben. Beten Sie! es könnte ihn eine Strafe treffen.«

Mirjam war sehr betroffen und mochte nicht gern antworten, – weder antworten noch weiter fragen, – und doch! – der Mohr war doch kein Diener wie andere Diener! Man konnte vielleicht doch fragen. Er war ja nur der Mohr, der einsame. Und sie hatte ihm vorhin ins Herz gesehen; er hatte kein schwarzes Herz, sondern ein helles Licht drin. (Daß er ein Christ war, wußte sie nicht eigentlich.) Und so fragte sie dennoch:

»Was ist es denn?«

»Er lebt nicht, wie er soll,« sagte er ganz zart. »Er fürchtet Gott nicht und lebt nicht, wie er soll! Beten Sie für ihn!«

»Und Du fürchtest Gott?«

»Ich bin ein Christ!«

Merkwürdig! Mirjam war eine Jüdin durch und durch, sie meinte es. Als aber der schwarze Mohr, der schlichte Mensch, das treue Herz, der gehorsame Diener, der Freund der Seele ihres Bruders sagte: »Ich bin ein Christ,« da stieß es sie gar nicht ab, sondern nach diesen Gesprächen war es ihr gerade soviel, wie wenn jemand gesagt hätte: ›Er ist sein Schutzengel, sein Behüter, die einzige Gotteswehr um ihn her, er tritt in den Riß für ihn täglich, er wäre imstand, sein Leben für ihn zu lassen!‹

In der That, – sie hatte in diesem Augenblick wohl ein Grauen im Herzen, aber vor dem Mohren – oder vor des Mohren Christentum nicht, ganz und gar nicht, viel eher vor ihrem Bruder, vor ihrem eigenen Bruder und seinem Leben. »Beten Sie für ihn!« diese Bitte klang immer wieder in ihren Ohren und sprach aus seinen milden, wehmütigen frommen Augen, als er ganz nahe zu ihr getreten war und es leise sagte.

»Ich will es thun,« sagte sie kurz und freundlich und gab ihm einen Auftrag, mit dem er sich entfernte.

Das Wort aber ließ sie gar nimmer los! »Was ist doch das, was ist das?« sprach sie, entfernt nicht in Neugier, mehr zu wissen, sondern nur im Schrecken, in großem Schrecken. »Ich will es thun,« klang es in ihrer eigenen Seele nach, wie auch der Mohr offenbar dankbar dieses Wort mit hinaus genommen hatte.

Sie mag es zu gegebener Zeit ihrer Schwester Rahel erzählt haben. – Oder war es ein anderer Grund, war es das eigene Gespräch mit Arthur, warum auch Rahel selber von eben diesem Tage an oft so still und ernst einherging, in sich gekehrt und nicht mehr in der gleichen ungetrübten Fröhlichkeit, mit der sie ins Vaterhaus heimgekehrt war? In der That, ihre strahlende Schönheit trug einen Schleier von dem Tage an! – Ihr Vater aber erfuhr nichts von dem, was da geredet worden war.


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