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VII. Kapitel.
Auf der Höhe.

Motto:

Und der Vater mit frohem Blick
Von des Hauses weitschauendem Giebel.
Überzählet sein blühend Glück,
Siehet der Pfosten ragende Bäume
Und der Scheunen gefüllte Räume
Und die Speicher, vom Segen gebogen,
Und des Kornes bewegte Wogen.

Schiller, Glocke.

Es war der erste November herangekommen. Ein dichter Nebel lag im Thal, den die Sonne erst im Lauf der Vormittagsstunden verdrängte. Als sie ihn aber niedergekämpft hatte und er in dichten Ballen auf der Thalsohle lag, bis er sich wie vernichtet zur Erde verkroch, da stieg die Siegerin, das Tagesgestirn, um so herrlicher empor, breitete Licht und Wärme über Berg und Thal aus und goß ihre Strahlen unter die immer bunteren Herbstfarben der Gesträuche und Bäume hinein, welche ihr allmählich immer spärlicheres Laub gestern dem Wind zum Raub und heute der Sonne zur Vergoldung übergaben, willig in die Zeit sich schickend, bald wehmütig kahl ausschauend, bald wie noch froh daran, im Sonnenglanz eines so lichten Novembertages wenigstens noch etwas von dem herrlichen Leben festhalten zu können, ehe der Winter komme und die Erde mit Baum und Strauch zum Todesschlaf zwinge.

Ruben und Rahel hatten längst den Wunsch ausgesprochen, endlich auch einmal noch das landwirtschaftliche Getriebe der Dorfbewohner mit anzusehen.

Man war seitdem öfters mit diesen zusammengekommen, drunten im Dorf, oder wenn sie heraufkamen, um Otto's Meinung zu hören in irgend einer Sache. Aber jetzt wollte man auch die großen Flächen des Berglandes und der Hochebene besuchen und das Leben und Treiben der jungen Mannschaft dort sich ansehen. Man hatte es ihnen ja versprochen und war es ihnen und ihrer Freude schuldig, sich zu freuen mit den Fröhlichen. Die Gemeinschaft mit allen Volkskreisen ward geradezu als eine Pflicht angesehen, durchaus nicht zu unterschätzen für das fröhliche Gedeihen des Ganzen, – zugleich als eine der schönsten Freuden, aus der immer neue, stärkende Ideale hervorwachsen.

Man hätte vom Parkhause aus über die Höhe hinweg jene Hochfläche erreichen können, aber Martin, der Dorfälteste, und Frau Margaretha wollten auch mitgehen, und den Abend sollte man bei ihnen zubringen. So stieg man denn zu Thal, traf Kuno und Beatrice bereits bei Martin, benützte von da aus noch eine volle Stunde weit gemeinsam die Thalbahn und stieg erst viel weiter unten im Flußthal aus, um einen prächtigen Spazierweg durch eine Thalschlucht zu gehen und so von der entgegengesetzten Seite her auf die Hochebene zu kommen.

Martin machte den Führer. Man ging breite Feldwege entlang, welche sich meist ganz gerade durch die weitausgedehnten Gefilde hinzogen. Diese Feldwege waren, wenn, auch nicht ebenso breit, so doch ebenso gut gebaut, wie jede gewöhnliche Straße, alle mit Gräben rechts und links versehen und überall so angelegt, daß durch sie die großen Feldflächen ihre Abgrenzung von einander und ihre gleichmäßige Einteilung erhielten, indem jede, im ganzen ein bestimmtes Flächenmaß enthaltend, meist auch in der Breite gleichmäßig dahinlief. Hiedurch war auch die Bestellung der Felder ganz wesentlich erleichtert; wo die Flächen nach einer Seite hin sich abwärts neigten, da konnte die Anfuhr und Einfuhr (von Dungmitteln u. s. w.) immer auf der höher gelegenen Parallelstraße von oben her leicht geschehen, während umgekehrt die Abfuhr der Ernte auf dem tiefer liegenden Weg bequem zu machen war. Alle schwieriger einzuteilenden oder schwerer zu bebauenden Flächen blieben als Wiesengründe liegen.

»Wer diese Felder,« sagte Otto zur Erklärung für Ruben und Rahel, »vor Jahren schon gesehen hat, als hier fast alles noch Privatbesitz war, der müßte jetzt hierhersehen! Damals war diese Feldgegend vielfach ärmlich zerstückelt, im Anbau so bunt als möglich unter einander gewürfelt, bei jedem Besitzwechsel mit immer großen Kosten aufs neue diesem Schicksal preisgegeben; man kann sich denken, wie viel leichter jetzt der einheitliche Feldbau hier ist, wie viel Zeit, Kraft und Kosten dadurch gespart werden, wie viel gleichmäßiger sowohl die Einteilung und der Anbau, als die Arbeitsverteilung nun geschehen kann, was sich hier alles fast von selbst giebt.«

»Oder seht vollends dort hinüber,« sagte der Dorfälteste und wies auf die andere Seite des Flußthals hin, wo auf der etwas tiefer gelegenen, aber sehr großen Hochebene ungeheuere, gleichmäßige Feldflächen zu erschauen waren, – »was war das früher für ein buntgewürfeltes Bild von allen möglichen Pflanzungen; jetzt ist alles einheitlich geordnet, regelrecht eingeteilt und wird ganz systematisch bewirtschaftet. Es ist nicht zu viel, wenn ich sage: das doppelte des Ertrags gegen frühere Zeit ist uns gewiß, so viel pünktlicher und leichter, so viel billiger und dazu müheloser ist jetzt die Arbeit.«

»Dazu kommt aber auch,« bemerkte Otto, »daß sowohl Fruchtauswahl als Samenverfeinerung immer mehr auf das höchste Maß von Vollendung gebracht wird.«

»Ja,« sagte der Dorfälteste, »aber die Hauptsache ist und bleibt doch das, daß der Gemeindebesitz den Betrieb so sehr erleichtert und vereinfacht hat, wodurch die Felderbestellung auch immer rechtzeitig und schnell möglich ist.«

»Wer denkt heutzutage noch daran,« sagte Kuno, »wie in alten Zeiten auch die Berghänge, welche jetzt fast alle entweder Wald oder Anlagen geworden sind, mühsam bebaut wurden? Man denke sich, welche Menge Zeit und Kraft da verbraucht wurde für eine niemalen sich eigentlich lohnende Arbeit!«

»Ja,« fügte Otto bei, »und welche Umwälzungen hat das überall gegeben, bis es dahin gekommen ist, daß die Waldgegend dem Wald wieder gegeben und die Feldflächen dem Feldbau gleichmäßig erschlossen wurden, so daß ganze Länderstrecken ihr Gesicht verändert haben! Was diesen Punkt gerade betrifft, so wird man nicht nur von doppeltem, sondern vielfach von fast dreifachem Ertrag früheren Zeiten gegenüber reden dürfen, lieber Martin.«

»Immerhin da und dort,« erwiderte dieser, »und dabei ist und bleibt ja Eure Sache, Ihr Herren, immer weitere Forschungen zu machen und immer bessere Einteilungen zu treffen.«

»Die richtige Bewässerung der Gegend macht auch sehr viel aus,« antwortete Otto. »Quellen und Flüsse werden immer besser benützt. ›Der Fluß kann alles,‹ heißt es jetzt, gerade wie: ›der Fluß ist heilig!‹ Die Industrie soll es machen wie sie will, aber nirgends mehr darf sie einen Fluß verunreinigen, der überhaupt absolut nirgends mehr dazu da ist, den Unrat aufzunehmen, – ›der Fluß ist heilig.‹ Dagegen weiß man es auch nirgends mehr anders, als daß die Berghänge mit ihren warmen Lagen überall nicht allein durch Quellen von oben, sondern auch durch die emporgetriebenen Wasser des Flusses vom Thal her reichlich gespeist und getränkt werden, so daß die Gärten im Sommer nirgends versengt sind, sondern überall schön und prächtig frisch dastehen.«

»Die ganze Gegend ein Garten Gottes, wie es sein soll!« sagte Beatrice.

Jetzt begegnete man einer Truppe junger Leute, welche mit Pferden, Wagen und Geschirr gerade von den oberen Geländen her einrückte, nachdem sie die letzte Arbeit dort gethan hatten. Man begrüßte sie freundlich und ging ihnen gerne nach in die Pferdeställe und Scheunenräume, welche hier oben auf den Hochflächen in stattlichem Aufbau zu finden waren. Nicht nur wenn ein Gewitter überraschte, sondern auch für die Mittagspausen und die regelmäßigen Fütterungen barg sich hier Roß und Mann. Ein Teil mußte immer ganz hier oben bleiben, gerade wie auch ein großer Teil des Viehstandes. Die Pferde waren alle schön gehalten, die Burschen zogen stattlich einher.

»Wie geht es da oben?« frug man ihren Hauptmann.

»Nun, es giebt jeden Tag ein schönes Stück Arbeit,« antwortete er, »unsere Arbeit ist eine Lust, wenn wir alle bei einander sind. Massenarbeit ist nicht halb so mühsam und einer feuert den andern an.«

Man ging durch alle Räume, welche groß und luftig gebaut, reinlich gehalten und reichlich mit Wasser versehen waren. Geschirr und Geräte, Pflüge und Sämaschinen, Eggen und Walzen standen in großen Schuppen in Reih und Glied, daß es eine Freude war, das alles anzusehen. Nahe bei den Scheunen standen in besonderem Raum mächtige Dreschmaschinen, gerade wie bei den Ställen die Futterschneidmaschinen, alles bequem gelagert, sorgsam verwahrt und gut gehalten. Alles das besichtigte man mit frohem Behagen, wie es einem Menschen immer bei dem geht, was einem Arbeitstriumph gleich sieht und dem Worte entspricht: »machet euch die Erde unterthan!« Der Mensch fühlt sich überall da befriedigt, wo Ideale erfüllt sind, wenn es auch nur materielle Ideale sind und wenn er auch selbst keinen unmittelbaren Anteil an solcher Arbeit hat. Gerade auch die Frauen hatten ihre helle Freude daran, und die Burschen fühlten sich sehr geehrt durch das rege Interesse an ihrer Arbeit und an ihrem schönen Tagewerk.

Frau Margaretha aber drängte heute, bald heimzugehen. Sie begehrte die Gäste noch bei sich zu bewirten, und so zog man bald zu Thal auf dem kürzesten Wege, unmittelbar über dem Dorfe den Abstieg dahin suchend.

Unterwegs sprachen die Männer von der letzten Ernte und dem mutmaßlichen Jahresresultat der ganzen Gegend. Martin erzählte, was das Dorf dieses Jahr verausgabt habe für öffentliche Neubauten und Familienwohnungen und was es vom Ernteergebnis pflichtmäßig an den Kreis abliefere, beziehungsweise mit ihm verrechne, ferner was man in Reserve zurückgelegt habe u. s. w.

»Es ist ja das alles eine gleichmäßige Verrechnung an den Kreis, gerade wie der Kreis mit der Landschaft und die Landschaft mit dem ganzen Land verrechnet u. s. w. Denn jeder Teil hat seine besonderen Bedürfnisse und Ausgaben, auch der Staat und der ganze Staatenbund, wie der große Völkerbund für große internationale, gemeinsame Unternehmungen,« sagte Kuno.

»Mit den Rationen für die Mannschaft in den Pflichtjahren,« fuhr Martin fort, »soweit sie nicht in den Familien, sondern beisammen gespeist werden, ist es bei uns gerade so, wie in der Stadt auch, ebenso mit den Rationen für die Familien. Jede Familie bekommt nach Kopfzahl und Alter ihre Geldscheine in bestimmter Vierteljahrssumme voraus und verschafft sich dafür alles, was sie will und braucht, sei es in den öffentlichen Speisehäusern selbst oder aus denselben, sowie aus den Bazaren und Magazinräumen in Stadt oder Dorf.«

»Außer den Geldscheinen der Gemeinde,« ergänzte Otto, »kommen auch bei uns noch die Wertscheine des Kreises und der Landschaft vierteljährlich zur Verteilung und zwar diese wieder ganz nach dem Maß, wie die Einnahmen und die Reservemittel des Kreises und. der Landschaft gerade stehen. So baut sich das Vermögen des Volks und des Staats von unten nach oben sicher und gleichmäßig auf, und jeder Kreis, jede Gemeinde, jede Familie und jeder Einzelne hat das größte Interesse am Fleiß aller und am Wohlergehen aller. Kein Einzelner kann anders zum Wohlstand kommen, als wenn die Gesamtheit dazu kommt. Und keiner kann viel größeres Vermögen haben als der andere. An einem großen Privatvermögen hätte auch niemand ein besonderes Interesse; denn versorgt weiß man sich jederzeit zusammen mit der Gemeinschaft und nur so; was man dagegen von Geldscheinen und Wertscheinen aufhebt, verliert ja mit dem Tod des Besitzers allen Wert.«

»Darum wächst aber doch das Volks- und Nationalvermögen durch seinen gesamten Volks- und Nationalbesitz in Bauten und Verkehrsmitteln immer mehr,« fügte Kuno bei, »und es wird für die späteren Geschlechter allezeit möglich werden, selbst jetzt gebaute Häuser völlig zu erneuern und alles noch viel vollkommener einzurichten.«

Inzwischen war man an Martins Haus angekommen. Die Gäste traten ein, Frau Margaretha trug auf und war glücklich, die ganze Gesellschaft bewirten zu können.

In traulichem Gespräch ging der Abend hin; zum Abschied sagte Beatrice:

»Übermorgen müßt Ihr aber bei uns sein, wenn die Spanier durchkommen!«

»Ja, da dürft Ihr nicht fehlen,« rief Kuno; »es ist schon ausgemacht, die Freunde kommen alle auch.«

»Ach ja, Martin, das wollen wir thun!« rief Frau Margaretha, – »darf Henri mitkommen?«

»Ganz gewiß soll er mitkommen!« antwortete Kuno und Beatrice, »es wird ein schönes Fest für die Jugend geben.«

»Ich erinnere mich, ich las es vor einigen Tagen in der Zeitung, daß Spanier angesagt seien,« sagte Martin. »Wie viele sind es wohl?«

»Nun, bei zweitausend, alles Leute in den Pflichtjahren; es ist ein ganzes Regiment, – sie marschieren nach Deutschland. Sie wollen die Welt sehen und zugleich die neuen, großen Gebirgsstraßen in Baiern und Tyrol passieren,« sagte Kuno.

»Wir erwarten Euch also bestimmt auf Mittag schon.«

»Ich lasse die junge Mannschaft auf diesen Tag auch zur Stadt gehen, soweit sie abkommen kann,« sagte Martin.

»Gut, es kommen die Mannschaften der ganzen Gegend. Aber Henri also kommt zu uns, nicht wahr?« frug Kuno noch einmal.

»Ans Wiedersehen denn!« drängte jetzt Gertrud.

»Auf Wiedersehen übermorgen!«


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