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V. Kapitel.
Das Reich des Lichts.

Motto:

Der Kampf der Finsternisse mit dem Lichte,
Das war der Menschheit, das der Welt Geschichte!
Das Reich der Finsternis versinkt ins Nichts, –
Glorreich erstehet da ein Reich des Lichts!

In der alten Heimat ging es merkwürdig zu. War das ein Wiedersehen gewesen zwischen Kuno Brünné und Otto Simon, als Kuno wieder heimgekommen war von jener großen Heerschau des Antichrists, welche so ganz anders, als erwartet, so grauenvoll für Unzählige geendet hatte, – und mit einer so hochherrlichen Erscheinung für Millionen! Was hatten die beiden jetzt alles einander zu erzählen!

In alten Zeiten hätte es geheißen: Kuno Brünné ›trauert‹ um seinen Bruder Leon, oder: Otto Simon hat seinen Vetter ›verloren‹, – waren sie ja doch alle beide ›nicht mehr unter den Lebendigen‹. Und doch war keine Rede davon, daß Kuno und Otto sie betrauert hätten, so sehr auch jene beiden von ihnen geliebt und verehrt waren und blieben. Was wäre auch zu trauern gewesen im Gedanken an ihre so wunderbare Erlösung, welche sie allen Drangsalen der Welt mit einemmal entrückt hatte. Nein! da hatten ganz andere Leute zu trauern, da mußte man an ganz andere Menschen mit Schmerz und sogar mit Grausen denken!

Unzählige waren ja eines bösen, schnellen Todes gestorben und viele auch nachher noch hingesiecht seit der Zeit, da es geheißen hatte: ›Gehet hin, ihr Verfluchten!‹ Das waren alle jene Gezeichneten, jene Menschen, welche das Malzeichen des Antichrists, zugleich des Gerichts Gottes, an der Stirne trugen, das Brandmal eines bösen Gewissens im Herzen hatten. Wie Verfehmte gingen solche nun umher, soweit sie noch am Leben waren; jetzt waren sie in Drangsal und Anfechtung, obwohl nicht von Menschen bedrängt, wie einst die Christen! Waren sie auch noch am Leben, so waren sie doch alle dem Tod verfallen; das sah man ihnen schon im Ausdruck des Gesichts an. Sie wußten es selber: sie gehörten hier nicht mehr herein, sie sollten keinen Anteil mehr haben an dem Reich, der Kraft und der Herrlichkeit, welches jetzt gekommen war. Denn einer hatte nun thatsächlich das Reich eingenommen und die Macht an sich genommen, einer von dem sie nie etwas gewollt hatten und in dessen Reich sie nicht herein gehörten!

Kuno und Otto hatten viel zu arbeiten in jenen Tagen der neu angebrochenen Weltzeit, – wir werden davon noch zu reden haben. Um so mehr freuten sie sich, abends je und je auch wieder ganz allein miteinander zusammenzukommen. Zwar bedurfte es ja nun keiner Heimlichkeit mehr; es war jetzt keine Rede mehr von einer nur schüchternen Freundschaft solcher Edelgesinnten untereinander. Sie gerade waren ja nun diejenigen, welche frei offenbar und in Gemeinschaft mit vielen zusammen an der Neuordnung der Dinge zu arbeiten hatten. Ein reiches, weites Arbeitsfeld lag vor ihnen, eine herrliche Aufgabe für Männer, welche ihr Volk lieb hatten und dem Wohl der Menschheit mit ganzer Kraft zu dienen als höchste Lust empfanden. Aber nur um so mehr sehnten sie sich doch auch nach der Fortsetzung ihrer alten stillen Freundschaft, welche sie herübergenommen hatten aus den vergangenen Tagen der Bedrängnis und des geheimen Drucks. Gerade in dem besonderen Bunde mit einem innig geliebten Freunde, im treuen Gedenken an die vergangenen Tage und an jene stillen, ernsten Werdestunden ihres eigenen inneren Lebens, die Geburtsstunden eines ausgeprägteren, zielbewußten Charakterlebens, – da suchten sie beide die Kraft für die Aufgaben der neuen großen Zeit mit allen ihren schönen Zielen und hohen Anforderungen. So drangen sie auch in jene tiefere und weiter schauende Erkenntnis der menschlichen Dinge ein, welche fast einzig nur aus eigenen inneren Erlebnissen und aus dem wirklichen Miterleben großer, weltbewegender Thatsachen herauszuwachsen pflegt.

Sie sprachen viel von den ungewöhnlichen Ereignissen der kaum vergangenen Zeit und von jenem wunderbaren Dreingreifen des allmächtigen Gottes; damit war ihnen aber auch der Blick geöffnet für die weltbewegenden Kräfte und Mächte überhaupt, welche sozusagen den unsichtbaren Hintergrund der Menschheits- und Völkergeschichte bilden.

Eines Tags kamen sie eingehender darauf zu sprechen, und das geschah durch folgende Veranlassung.

Kuno hatte immer seine besondere Freude an der Bildungsfähigkeit des Volkes. Er kam oft und viel auf dieses Thema, wenn er von seiner Tagesarbeit unter dem Volk heimgekommen war und dann bei Otto ausruhte. War er ja doch selber von einfacher Familie und hatte sich mühsam heraufgearbeitet aus dürftigen Verhältnissen, was ihm überdem nur durch seines Bruders Leon edelsinniges Zurücktreten und aufopferungsvolles Beihelfen möglich wurde. Er sprach denn auch heute Abend bei Otto davon. Otto gedachte dabei seiner deutschen Heimat und ihrer Verhältnisse und so führte sie das Gespräch auf eine Vergleichung der Volkszustände bei den verschiedenen Völkern.

»Ich wundere mich übrigens,« sagte Otto im Verlaufe des Gesprächs, »oft weit mehr über die auffallende Gleichartigkeit, welche sich bei dem einfachen Volk aller Nationen findet, als umgekehrt über die Verschiedenartigkeit der Völker.«

»Diese ist aber doch groß?« entgegnete Kuno.

»Man kehrt die Verschiedenheit oft viel zu sehr heraus,« erwiderte Otto. »Der Unterschied liegt vielfach weit weniger im inneren Wesen, als in äußeren Dingen und in angewohnten Sitten, und diese Unterschiede kommen durchaus nicht nur aus der geistigen Eigenart eines Volkes selber, sondern vielmehr ganz wesentlich schon aus der Eigenart des Landes, in dem das Volk wohnt, seines Klimas und seiner Produkte, seiner Reichtümer und seiner Mängel. Mit Recht sagt man ›Mutter Erde‹. Der Boden ist die Mutter, nicht die Volksindividualität in erster Linie ist es. Diese, die Volksindividualitäten, sind vielmehr erst so mannigfaltig geworden durch die Mannigfaltigkeit der Mutter Erde, das heißt der Landesbeschaffenheit.«

»Aber die Völker sind doch auch in ihrer ursprünglichen Eigenart selber schon sehr verschieden?« entgegnete Kuno wieder.

»Jawohl!« antwortete Otto; »aber gerade das ist so merkwürdig, daß das einfache Volk bei allen Nationen sehr viel Ähnlichkeit hat, in der That viel mehr Ähnlichkeit als Verschiedenheit.«

»Das hätte ich doch wirklich nicht gemeint,« antwortete Kuno wieder.

»Ich habe mich auch vielleicht noch zu allgemein ausgedrückt, Kuno!« erwiderte Otto. »Wenigstens füge ich gerne noch etwas Bestimmteres hinzu. Unter dem einfachen Volk ist es besonders der Bauer, von dem das Gesagte gilt. In der That, der Bauer ist eigentlich in der Hauptsache überall derselbe, bei den Franzosen und bei den Deutschen, bei Russen und Schotten, und so ziemlich überall, wo Du hinkommst; immer findest Du unter den Bauern dieselbe Art, denselben Grundton des Wesens, als waren sie eigentlich eines Volkes Kinder, gleichviel, ob Franzosen oder Deutsche, Nordländer oder Südländer, Europäer oder Asiaten.«

»Und woher sollte das kommen?« frug Kuno!

Otto antwortete: »Ich denke, es kommt daher, daß die bäuerliche Bevölkerung von alters her, durch alle Jahrhunderte und Jahrtausende hindurch, trotz Verbesserung ihrer Gerätschaften und Werkzeuge doch eigentlich in ihrer Beschäftigung sowohl als auch in ihrer Umgebung am allerwenigsten Wechsel erfährt.

Daher bleibt sie sich selber am meisten gleich, und verändert ihre Sitte und Lebensweise am wenigsten.«

»Das ist aber nicht immer gut,« antwortete Kuno, »das giebt auch viel Stehen- und Steckenbleiben.«

»Meinetwegen,« gab Otto zurück. »Aber es hat doch bei weitem mehr gute als schlimme Folgen. Bedenke nur, was auch Stetigkeit und Zähigkeit, Ausdauer und Körperentwicklung für ein Menschengeschlecht wert ist, und – wohlgemerkt! – das kommt nicht dem Bauerngeschlecht für sich allein zu gut, sondern dem ganzen Volk. Thatsächlich war so von jeher der Stamm des Bauerngeschlechts derjenige Teil in jedem Volk, aus welchem die Volkskraft sich immer neu verjüngen konnte. Während die höheren Stände eines Volkes vielleicht abnahmen, schwächer wurden, vielfach entarteten, so blieb dagegen im Bauernstand immer noch am meisten die Urkraft des betreffenden Volks erhalten, aus welchem das ganze Volksleben sich wieder erneuern konnte. Das giebt doch schon lange Zeit jedermann zu.«

»Das ist wahr,« antwortete Kuno, »und mancher hohe Staatsbeamte konnte schon sagen: ›mein Großvater und mein Urgroßvater sind Bauern gewesen!‹ Und damit wird eigentlich auch deutlich, wie noch in künftigen Zeiten die Kraft eines Volkes sich wieder vollständig herstellen und verjüngen kann.«

»Ganz gewiß,« sagte Otto. »Wir sind übrigens von unserem Thema ein wenig abgekommen. Es handelt sich jetzt nicht um eine Vergleichung der verschiedenen Volksschichten unter einem und demselben Volk, sondern um eine Vergleichung der verschiedenen Völker untereinander, und da sage ich also: breite Schichten des Volks, besonders die bäuerliche Bevölkerung, haben sich unter allen Völkern verhältnismäßig – wie einerlei einfache Lebensweise, so einerlei Art und Sitte, wie einerlei Arbeitsweise, so einerlei Denkungsart bewahrt.«

»Und was soll daraus folgen?«

»Nun, diese sind alle von Natur friedliebend und wollen andere Völker nicht bekämpfen, sie passen auch alle unter einerlei Regiment, alle sind zum voraus bereitet, ›eine Herde unter einem Hirten‹ zu werden. Wie noch immer jede Regierung an ihnen die treueste Unterthanenschaft und die zuverlässigste Stütze hatte, so hat jetzt auch das Regiment der neuen Zeit, hat auch der große Völkerhirte an diesen großen Massen, diesen weiten Schichten der Bevölkerung aller Länder und aller Völker, ganz zum voraus seine zuverlässige Schar, seine treuen Unterthanen.«

»Lieber Freund! Bei dem großen Völkerhirten und seinem Regiment handelt es sich aber doch nicht nur um Unterthanentreue im weltlichen Sinn, sondern noch um etwas ganz anderes!«

»Natürlich doch! Ich bin gewiß der letzte, der das leugnet oder übersieht. Aber ich meine doch, es ist sehr wichtig zu sehen, welch großer Bruchteil der Menschheit, welch ungeheuer großer Teil in einem jeden Volk, schon wie zum voraus zubereitet ist, eine Herde unter Hirten abzugeben, in Friedliebe und stillem Arbeitsgeist einem großen, ungeheuren Völkerverband anzugehören, sobald er ihnen nur das bietet, was sie brauchen, das wenige, was sie von ihm zu erwarten pflegen, – und meine Gedanken, das weißt Du, sind dabei gewiß am allerwenigsten auf Rückschritt oder Stillstand, auf ärmliches Zufriedensein mit dürftig-einfachen Verhältnissen gerichtet.«

»Gewiß! wir kennen einander ja. Haben wir uns doch miteinander gerade auf das Gegenteil eingeschworen. Wir könnten nicht mehr leben ohne die höchsten Ideale für das Völkerleben! – Es kommt mir da aber ein anderer Gedanke. Wenn man sich das überdenkt, welche Massen von Menschen mitten unter jedem Volk für den allgemeinen Völkerfrieden, für nur ruhiges und stilles Leben, zum voraus eingenommen sind, da muß man sich nur wundern, für was für Kriegsleidenschaften sich die Völker in alten Zeiten oft haben gewinnen lassen, auch wenn sie schon lange irgendwo ansässig waren.«

»Ja, das ist freilich eigentlich eine wehmütige Sache. Und diese Frage kommt auf eines hinaus mit der anderen: Wie konnten überhaupt die Völker in so manchen anderen verhängnisvollen Wahn hineingerissen werden, welcher nicht nur ihr eigenes Unglück war, sondern auch der innersten Grundrichtung ihres Wesens nicht einmal eigentlich entsprach?«

»Sie wurden eben beherrscht von schlechten Elementen, denen sie gehorchen mußten,« sagte Kuno.

»Du wirst aber damit nicht gerade die Regierungen oder die Fürsten meinen, welche über sie herrschten, Kuno?«

»Natürlich nicht!«

Otto fuhr fort: »Was heißt dann das, was Du gesagt hast, lieber Freund? – ich bin nämlich darin ganz einig mit Dir, aber ich glaube, man drückt sich oft so aus, ohne den Gedanken, welcher mit diesen Worten ausgesprochen ist, auch nur ganz zu durchschauen oder gründlich durchzudenken. Es ist ganz wahr: sie wurden oft beherrscht von schlechten Elementen, denen sie gehorchten; auch die Regierungen und Fürsten selber gaben solchen nach und wichen ihrem Druck. So hat mancher unglückselige blutige Krieg begonnen gegen den eigentlichen Willen eines Fürsten; er und seine Regierung wurden gedrängt von Elementen, welche es nicht wert waren, beachtet zu werden und welche geradezu überwältigenden Einfluß ausübten. Sie regierten eigentlich neben den Regierenden, trotz dieser und über dieselben hinweg, ja gewissermaßen durch dieselben, und durch sie fast noch bequemer, als wenn sie selber das Regiment in Händen gehabt hätten. Sie schmeichelten den Volkseitelkeiten und stachelten die Volksleidenschaften auf, und letztere fürchteten dann auch Fürsten und Regierungen. – Aber wie ist doch eigentlich das so sonderbar, wenn es dann nicht nur gegen den Willen der Besten, sondern eigentlich auch gegen den Willen des allergrößten Teils eines Volks ging! Man könnte vielleicht sagen: die Besten hatten eben keine Gewalt mehr, und jener größere Teil des Volkes natürlich erst recht nicht. Allein ich frage noch einmal: Wie ist doch das so sonderbar, daß oft ein großes Volk sich anstecken ließ, in einen solchen Wahn verfiel und mit fortgerissen wurde?! Man mag sagen: ›Der Zeitgeist‹ half da mit, alles so zu stimmen; aber was heißt das? Ist das wieder der Wahn oder ist es eine geistige Macht oder was ist es? – Ich will Dir meine ganze Meinung sagen: Es giebt Begebenheiten, wo sich diese Erscheinungen im Völkerleben vielleicht einfacher erklären lassen und auf ganz natürliche Ursachen zurückzuführen sein mögen; aber es giebt auch Begebenheiten, wo das dem denkenden Menschengeist zur Erklärung nicht mehr genügt. Und nie ist dies deutlicher zutage getreten als bei dem, was wir miterlebt haben, wir, die wir als Zeitgenossen, zum Teil als Augenzeugen, mitten drin standen in diesen gewaltigen Völkerbewegungen! Wir haben es erfahren, wir haben es sozusagen mit Händen greifen können: es walten höhere Mächte in solchen Völkerbewegungen, es ist nicht von ungefähr, aber auch nicht nur von unten her, daß die Völker oft wie von einem bösen Wahn ergriffen sind, sondern sie folgen, wenn schon nicht ohne eigene sittliche Verschuldung, treibenden Mächten, höheren Gewalten, – es ist ein Kampf des Reichs der Finsternis mit dem Reich des Lichts! Wir haben das in einem Schauspiel gesehen, in einem Trauerspiel persönlich miterlebt, wie die Welt noch keines je zuvor gesehen und durchgemacht hat. Es war ein gewaltiges Ringen zwischen zwei Riesenmächten. Gottlob! die Entscheidungsschlacht ist geschlagen und der Sieg ist jetzt endgiltig gewonnen. Das Reich des Lichts hat gesiegt über das Reich der Finsternis. Aber das war ein Kampf!! Man spürte es zuletzt wohl: der Antichrist kämpfte ihn nicht allein, sondern der Fürst der Finsternis, dessen auserwähltes Werkzeug er war, der war es, welcher ihn stützte mit einer allgemeinen Verführung des Erdkreises und mit dem ganzen Aufgebot seiner finsteren Macht. Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unsern Herrn Jesus Christus. Ja, das Reich des Lichts hat endgiltig auf Erden gesiegt über das Reich der Finsternis!«

Kuno antwortete: »Und das ist die große Hoffnung unserer Tage! Das ist die eigentliche Garantie für die Dauer unserer Zustände, auch für die bleibende Kraft und tiefer wirkende Macht des Geistes Gottes unter den Menschen. O, wir sind glückliche Leute, wir sind fürwahr die Gesegneten des Herrn!«


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