Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

LXVIII. Kapitel.

Wilhelm der Zweite, Deutschland als Kleinstadt und Mariannens Einladung.

Das Hoftheater war so reich und so natürlich-schön mit den herrlichsten Blumen geschmückt, daß es wie ein riesiges Garten-Lusthaus dreinschaute, und im Parkett und in den Logen und Rängen strahlte und funkelte an goldenen und diamantenen Ketten und Diademen, an Tressen und Ordenssternen, was der Kaiserhof eines großen und blühenden Reiches aufzubieten vermag. Das Zeichen des Hofmarschalls ertönte; alles erhob sich; der Kaiser betrat seine Loge und grüßte freundlich nach allen Seiten; das Haus verdunkelte sich langsam, und durch den feierstillen Raum klang Hüons Zauberhorn.

Der Kaiser, der des Morgens einem großen, mehrere Tage währenden Sängerstreite zuzuhören pflegte und den außer dem gewohnten, sicherlich ausreichenden Arbeitspensum in diesen Tagen ernste Fragen der Balkanpolitik beschäftigten, folgte allen Ausführungen vom ersten bis zum letzten Wort und Ton mit nie erlahmender Lebendigkeit und unterhielt sich in den Pausen, frischer und stattlicher denn je, mit dem Feuer eines Jünglings.

Nach dem zweiten Akte des »Bureaukratius« stellte ein Kammerherr sich Asmussen vor und lud ihn ein, zum Kaiser zu kommen, der ihm wie einem alten Bekannten die Hand entgegenstreckte und ihn zu seinem Werk auf das wärmste beglückwünschte. Natürlich sprang das Gespräch alsbald auf Schule, Erziehung und Lehrer, und der Herrscher sprach als ein schlichter, fühlender Mensch, den die Zeit seines Lernens und Werdens in der Schule beglückt und bedrückt hat. Er sprach von seinem Bedürfnis und vom Bedürfnis der kindlichen Seele nach Anschauung und erzählte, wie er sich selbst die griechische Helden- und Götterwelt durch Spiel und Zeichnung verkörpert habe; man sprach von Dispositionen zu Horazischen Oden, die den becherfrohen Venusiner, wenn er sie zu Gesichte bekommen hätte, sicherlich baß erstaunt hätten, von realistischer und humanistischer Bildung, von des Kaisers Wirken und Streben für die Schulreform, vom Geschichtsunterricht und anderen Dingen. Und das köstliche Ergebnis dieser Unterredung für Asmus waren zwei Beobachtungen, die sich ihm mit unmittelbarer Offenbarung aufdrängten: Dieses große Herz lag vollkommen offen da vor seinem Gott und vor aller Welt und schaute seinem Gott und aller Welt hell ins Gesicht. Dies Herz war nie eine »Mördergrube« gewesen und konnte nie eine werden, und wenn es hundert Jahre schlagen sollte. Wie begreiflich, daß es von allen denen verkannt wurde, die aus guten Gründen auf Socken gehen und die ganze Welt im eigentlichsten Sinne des Wortes zur Mördergrube machen, zur Mördergrube, in der alles gerade Denken, alles gerade Wollen erwürgt wird! Wie begreiflich, daß jedes unbekümmerte Bekenntnis dieses Herzens von Lauernden, Böswilligen auf den Markt gezerrt, entstellt, mißdeutet, vergröbert, verfratzt und ausgebeutet wurde! Die zweite Beobachtung Asmussens war die: Was dieser Mann auch denken und fühlen mochte, es bezog sich immer zuerst und vor allem auf sein Vaterland, sein Amt, seine Pflicht, sein Werk. Der erste und der letzte Pulsschlag dieses Mannes hieß Deutschland. Nie war das friedericianische Wort, daß der Fürst des Staates erster Diener sei, ehrlicher gemeint gewesen als in diesem Kaiser. Das Herz des Vaterlandes und das Herz dieses Fürsten verband derselbe Blutstrom; das Schicksal des Vaterlandes war sein Schicksal, wie das Schicksal der Mutter auch das Schicksal des Kindes unter ihrem Herzen ist. Hatte einst ein Dichter einem Feldherrn zugerufen: »In deinem Lager ist Österreich!« so hatte Asmus nach dieser Unterredung das Gefühl: In diesem Herzen ist Deutschland.

Er dachte dabei mehr an das Deutschland der Zukunft als an das der Gegenwart. Bei allen wunderbaren Zeugungskräften, die in diesem gesunden Lande wohnten und für die Zukunft das Größte voraussagten, hingen ihm noch immer die Kennzeichen einer vielhundertjährigen Zersplitterung und Kleinheit an. Es war in mancherlei Hinsicht noch immer eine Kleinstadt mit 65 Millionen Einwohnern. In einer Kleinstadt kann man es bekanntlich auf den Tod nicht vertragen, wenn ein »Mitbürger« sich »entfernt von andrer Menschen Weise«. Und so zerfleischten die Parteien in diesem Lande einander noch immer wie hungrige Bestien, gaben den Feinden Deutschlands ein hochwillkommenes Schauspiel und lieferten ihnen Wasser auf ihre Mühlen. Nicht daß die Deutschen so viele verschiedene Meinungen hatten, sondern daß sie sich ihre Meinungen gegenseitig als Verbrechen anrechneten, das war das Fürchterliche. Was aber im großen und ganzen sich zeigte, das zeigte sich natürlich erst recht im kleinen und einzelnen, und was in Politik und Religion Brauch und Sitte war, das hatte längst auf Kunst und Wissenschaft übergegriffen. So geschah es denn, daß Asmus Semper, als er mit seiner Kritik des Modephilosophen hervortrat, aus allen Winkeln der deutschen Kleinstadt mit orkanartiger Wut angeblasen wurde. Ein großer deutscher Gelehrter und Philosoph, dem er seine Arbeit zu lesen gegeben hatte, hatte ihm geschrieben: »Sie werden bei den Gelehrten einen besseren Stand haben als bei den Literaten,« und dies Wort war prophetisch. Kundige und Wissende, Gelehrte und Denker, die ein Recht zum Urteil hatten, zollten ihm wärmsten Beifall oder widersprachen ihm, wo sie andrer Meinung waren, mit Achtung und Würde; die große Herde der Schmöcke und Schmieranten, die den armen Nietzsche zu ihrem Schutzheiligen gemacht hatten, obwohl er sie bei seinen Lebzeiten als Ungeziefer behandelt hatte, sie rasten. Baumblatt überschlug sich im Wirbel der Wut und behauptete, er lache; alle Baumblätter im deutschen Papierwald raschelten rasend, und alle treudeutschen Schwollenthine platzten vor Empörung über einen Mann, der das Dunkel lichten wollte, in dem es sich so herrlich munkelte und meuchelte. Und da sie weder den Nietzsche noch seine Kritiker begriffen und wie immer nichts wußten und nichts dachten, so griffen sie zur prima ratio et ultima ihrer Kunst: sie logen, logen mit dem verzweifelten Mute der Ignoranz, logen, daß in ganz Mitteleuropa das Barometer sank. Es ist eine alte Beobachtung, daß derselbe Mob, der alles Neue und Unerwartete auf das erbittertste bekämpft, die abgestempelte Größe, sonderlich die Modegröße, mit zähnefletschendem Fanatismus verteidigt. Die Ursache beider Bemühungen ist dieselbe: es ist die Faulheit, die nicht umlernen, die überhaupt nicht lernen will. Die Steine, die auf Asmussen herabregneten, waren die hundertfache Vermehrung jenes Steines, den einst jene Schar von unreifen Buben in sinnlosem Haß nach ihm geschleudert hatte. Der rechte Kleinstädter und Spießer will »seine Ruhe haben«. Überhaupt – diese Anmerkung des Verfassers sei hier gestattet – gibt es nichts Häßlicheres und Entmutigenderes als Pöbularität. Wen der Mob einmal zu seinem Liebling erkoren hat, dem rechnet er auch ein Schielauge zur Schönheit an, und wenn Phöbos Apollon daneben stünde, er hätte für ihn nicht Auge noch Ohr.

Aus der Stufenleiter, die die Feinde erfolgreicher deutscher Dichter nach und nach hinauf- (oder hinab-)steigen, indem sie

zunächst das Werk der Dichter unter Schmähungen begraben,

dann ihre Erfolge wegschminken,

hierauf die Lauterkeit ihrer künstlerischen Absichten verdächtigen

und endlich ihre menschliche Ehre antasten,

hatten Asmussens Feinde inzwischen die höchste (oder tiefste) Sprosse erreicht. Keine Kloake ist so tief, daß der Neid nicht hinabstiege. Sozusagen in regelmäßigen Zwischenräumen bespritzte ihn irgend ein Abschaum der Literatur mit dem Makel der Rachsucht oder der Gewinnsucht oder mit irgend einer über alles Erdenken niederträchtigen Unterstellung. Und folgenden Tages stand es in hundert Blättern. Dafür hatten sie immer »Raum«, damit hatten sie immer Eile. Ja, wohin kämen diese Blätter, wenn sie sich nach der Wahrheit erkundigen sollten? Wie viele Ehren sollten sie da im Monat abschneiden? Sie müßten ja im halben Umfang erscheinen. Er ging einmal einer Verleumdung nach und traf schließlich auf einen Mann in hoch angesehener Stellung, der sie verbreitet hatte. In seiner Bestürzung rief der Mann händeringend: »Liegt denn nicht vielleicht irgend ein Anlaß zu diesem Gerücht vor?«

Die Komik dieser Situation war für Asmus unwiderstehlich; er lachte. Und als der würdige Herr mit gefalteten Händen »herzlich um Verzeihung« bat, verzieh ihm Asmus.

Er konnte oft vor Ekel nicht weiterkämpfen. Er war die denkbar innigste Mischung aus Vater und Mutter. Wenn das Blut seiner Mutter ihn getrieben hatte, hineinzustürmen in den Kampf für sein Recht, so stieg oft mitten im Kampfe das weißumflatterte Angesicht seines Vaters in ihm auf und lächelte wehmütig: »Es lohnt sich nicht.«

Und er mußte an ein tödlich bitteres Wort Dietrich von Löwenclaus denken:

»Ja, ja, die Menschen ver–ach–ten den Verleumder; aber sie glauben ihm.«

Emile Zola ist es, der gesagt hat, ein schaffender Mensch müsse sich darauf gefaßt machen, jeden Morgen eine Kröte zu verschlucken. Mit der Zeit gewöhne man sich an dieses Frühstück, und endlich fehle einem etwas, wenn sie nicht da sei.

Ein besonderes Merkmal seines jüngsten Kampfes war eine starke Häufung der anonymen Schmähungen, die ihm in Briefen und Postkarten zuzugehen pflegten und die ihm mit besonderer Vorliebe seine Herkunft aus dem einfachen Schulmeisterstande vorrückten. Er pflegte solche Sendungen in einem besonderen Fache aufzuheben, das er mit drei Kreuzen ††† bezeichnet hatte, wie es die Apotheker mit den Behältern für Gifte zu tun pflegen. Er hielt die Leute, die Leid und Unheil zu verbreiten suchen und sich dabei hinter dem Schutzwall der Namenlosigkeit verbergen, wohl nicht mit Unrecht für den Bodensatz der Menschheit. Darum, wenn er in seinem Glauben an den Fortschritt der Welt allzu hoffnungsselig werden wollte, holte er dieses Fach hervor und führte es sich zu Gemüte, etwa wie ein ernster Mann, der allzu tief in Welt- und Daseinsliebe zu versinken fürchtet, von Zeit zu Zeit sein Totenhemd hervorholt und anzieht. Wenn er so die Dokumente menschlicher Niedrigkeit durch die Finger gehen ließ, dann mußte er wohl lächeln über Hildens und seiner Freunde Meinung, daß sein Weltvertrauen sich auf Überschätzung der Menschen gründe. Wäre seine Hoffnung aus diesem Grunde gebaut gewesen, so wäre sie schon tausendmal in Trümmer zerfallen. Übrigens hatte seine Gewohnheit auch den großen Vorteil, daß er sich nach und nach an das Gift gewöhnte wie die Arsenikesser, die das Arsenik in immer steigenden Mengen zu sich nehmen, dabei auffallend wachsen, blühen und gedeihen und ein hohes Alter erreichen.

Das Schicksal machte ein witziges Epigramm, als es ihn, unmittelbar nachdem man in seinem Vaterlande mit Tintenfässern und Dachziegeln nach ihm geworfen hatte, nach Frankreich rief. Eine große Gesellschaft zur Verbreitung fremder Sprachen und Literaturen in Frankreich hatte ihn gebeten, nach Paris zu kommen und dort über sein Lebenswerk zu sprechen und aus ihm vorzutragen. Wir dürfen ruhig sagen, daß Asmussen von allen Einladungen solcher Art noch keine so glühwarm durchs Herz gefahren war wie diese. Warum? Nicht darum, teurer Leser, der du freilich, so nahe dem Ende dieser Geschichte, einen solchen Verdacht schwerlich noch hegen wirst, nicht darum, weil es ihn gekitzelt hätte, von Ausländern gerufen zu werden und vermutlich der erste deutsche Dichter zu sein, der von Parisern nach Paris gebeten wurde. Seine Feinde nannten seinen Stolz gelegentlich wohl Hochmut und taten Unrecht daran; aber wenn es die Wahrung deutscher Kulturehre gegen Geringschätzung galt, dann konnte er wirklich stolz bis zum Hochmut sein. Es galt ihm für verdammte Pflicht und Schuldigkeit der Engländer und Franzosen, die deutsche Kultur mit völlig demselben Respekt zu salutieren, wie ihre Kulturen in Deutschland salutiert wurden; nicht der kleinste Salutschuß weniger gebührte dem deutschen Geiste als dem Geiste Englands und Frankreichs. Eifersüchtig wie ein Geizhals über seinen Schatz, wie ein Türke über sein Liebchen hatte er über die Ehre deutscher Kunst gewacht, soviel an seinem Teile war, hatte erregt für sie gewirkt und gestritten, wenn man ihr in Schrift oder Rede zu nahe trat, und als eigenste brennende Schande hatte er's von je gefühlt, daß der deutsche Geist noch immer fremdem Werk und Wesen nachlief, ohne nach ihrem Werte zu fragen. Und darum sagte er sich mit glücklichem Stolz, daß die Franzosen wohl einen besseren Vertreter deutscher Literatur hätten finden können als ihn, sicherlich aber keine bessere Literatur.

Nein, das war bei dieser Einladung der Jubel in seinem Herzen, daß in ihm der erste leise Schimmer einer Hoffnung erwachte, es könne doch einmal Ernst werden mit der Annäherung der beiden Nationen, die einander mehr zu geben hatten als irgend zwei andere Völker der Erde, die, wenn sie ihre Reichtümer zusammenwarfen, fast allein ein Inventarium der Menschheit aufstellen konnten. Daß die Franzosen seit 1870 fleißig Deutsch getrieben hatten, das wußte er längst. Aber daß sie nun, wie es schien, auch die Kunst dieser Sprache kennen lernen, daß sie ins Herz dieser Sprache hineinhorchen wollten, daß sie, wie doch zu hoffen war, nun immer mehr deutsche Dichter und Künstler hinüberholen würden, das schien ihm ein verheißungsvoller Anfang, schien seinem leicht bewegten Blute ein deutscher Triumph. Je mehr er sich von einer Vereinigung Michels und Mariannens versprach, je sicherer er sie erwartete, desto wilder hatte er sich immer geärgert, wenn Michel zärtlich um die Spröde warb. Diese hübsche Frau war maßlos eitel, und eitle Frauen gewinnt man nie durch Werbung.


 << zurück weiter >>