Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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LXIII. Kapitel.

Gewinn- und Verlustrechnung.

Das Auf und Ab des Lebens hatte er zu oft erfahren, als daß es ihn noch überraschen konnte. Am Ende war dieses Auf und Ab des Lebens bester, fruchtbarster Reiz, besonders dann, wenn das letzte Ergebnis doch ein Hinauf war. Wie zur Entschädigung sollte er um diese Zeit zwei köstliche »Hinauf« erleben. Das erste »Hinauf« war die erste große, erfolgreiche Fahrt des Grafen Zeppelin. O, wie ward Asmussen ums Herz, als er auf einem Gange durch Hamburg angeschlagen fand: Das Luftschiff des Grafen Zeppelin ist über Straßburg! Da hing ihm der ganze Himmel voller Luftschiffe, da sah er überall, wohin er blickte, die Luftschiffe seiner eigenen Hoffnung selig durch den Äther schweben. Hatte er doch von je an Luftschiffe jeglicher Art geglaubt! Und als er bald darauf am Rheine vom Fenster eines Eisenbahnzuges aus mit eigenen Augen ein Schiff durchs Blaue ziehen sah, da wirbelte alles in ihm auf wie Triumph des Glaubens und Rausch der Hoffnung. Ach Gott, er wußte nur zu genau, daß ein Luftschiff die Menschen nicht besser und glücklicher macht; aber dieser Aufstieg war doch ein Vorwärts, ein Hinauf, ein Sieg des menschlichen Geistes und Willens; es war also Wachstum in den Menschen, und das war doch wundersam tröstlich! »Es gibt kein tröstlicheres Glück als Wachsen«, hatte er einmal geschrieben. Und wenn der Mensch wachsen konnte, warum sollte nicht langsam, langsam auch sein Herz wachsen? O, des alten Francis Bacon »Herrschaft über die Natur« war wohl mehr als Maschinenerfindung!

Und das zweite »Hinauf« war ja schon gleich so etwas wie ein Triumph des Herzens! Er hatte in der »Rostra« aus den Werken eines Mannes vorgelesen, der zu seinen »Gegnern« zählte und ihn wiederholt »bekämpft« hatte, weil Asmus dieses Mannes Gedichte zwar gelobt, aber nicht ohne Einschränkung gelobt hatte. Jene Vorlesung nun war ein großer Erfolg für den »Gegner« gewesen, und Asmus erhielt von ihm zu seiner nicht geringen, aber frohen Überraschung einen Brief. Darin stand, daß er seinen Sinn eigentlich längst geändert habe, daß sie doch das Kriegsbeil begraben möchten und daß er Asmussen (der sich übrigens keines Beiles bewußt war) eine dankbare Freundeshand hinüberstrecken möchte. Asmus griff wie immer in solchen Fällen – es war der vierte oder fünfte dieser Art – mit tausend Freuden zu, und man kann es ihm nicht verübeln, daß er solche Augenblicke zu den glücklichsten seines Lebens zählte.

Freilich: wenn dieser Freundschaftszuwachs eine vorausgezahlte Entschädigung für die nun kommenden Verluste sein sollte, dann hatte sich das Schicksal mehr als karg benommen.

Der Prinz von Schonndorf ging dahin! Immer war seine Gesundheit schwankend gewesen; jetzt, als Asmus von ernster Erkrankung hörte, lag der Prinz in einer Altenberger Klinik und durfte keinen Besuch mehr empfangen. Bis zur letzten Möglichkeit hatte er lächelnd einen verschwiegenen Heldenkampf gegen die furchtbarsten Schmerzen gekämpft; einem Freunde hatte er seine letzten Bestimmungen, auch die über sein Begräbnis, bis ins genaueste anvertraut und den Seinen jedes bange Wort, jede bange Miene erspart, wie jener Spartanerjüngling, der den Fuchs unter seinem Mantel verbarg, auch als er ihm tödlich den Leib zerbiß. Als Asmus von seinem furchtbaren Leiden hörte, konnte er nichts mehr tun, als ihm Blumen, möglichst viele und schöne, an sein Bett stellen lassen. Es war der letzte Liebesdienst, den er diesem Sänger und Helden, diesem stillen Apostel der Schönheit und Menschenliebe, diesem wahrhaft erhabenen Freunde erweisen konnte. Mit ihm schwand eine einzige Erscheinung aus Sempers Leben; ihre Wiederkehr durfte er nicht mehr erhoffen. –

Und Harald Danebrog ging dahin!

Als Asmus an einem strahlenden Frühlingstage in seinem lichterfüllten Arbeitszimmer saß und gerade recht versunken über einem Buche hing, empfand er plötzlich zu seiner Linken einen riesenhaften Schatten. Er blickte auf und sah vor der Glastür zum Garten einen kolossalen Mann stehen, in blauem Kleide mit goldenen Knöpfen und blauer Mütze mit goldener Kokarde – einen Seemann, wie es schien.

»Holla, sasa, Semper!« rief er und schnalzte mit Zunge und Fingern –

Harald Danebrog!

Jahrelang hatte er sich auf dem Meere umgetrieben, um sein jahrelanges Kopfweh zu verscheuchen; nun war er sein Kopfweh los, und nun war er wieder lustig! Es gab ein vergnügtes und gerührtes Wiedersehen, und nach einer Viertelstunde saß man beim Frühstück. Oger le Danois hob neugierig-lüstern den Deckel von einer Schüssel und pfiff begeistert durch die Zähne. Es waren herrlich große, von Hildens Künstlerhand ungemein appetitlich angerichtete – Hühnereier. Denn Harald gehörte zu den echten Feinschmeckern, die es mit den einfachen Gaben Gottes, nicht mit den zusammengesetzten der Menschen halten. Er machte auch dem Schinken eine schwungvolle Liebeserklärung, hieb gewaltig ein, trank dazu den schwersten, ältesten »Hattenheimer Schützenhäuschen« und verlangte die schwerste und dickste Importzigarre.

»Übrigens«, rief Asmus, »kommen Sie wie gerufen. Sie kriegen Geld von mir!«

»Ich kriege Geld?« rief Danebrog mit komischem Unglauben.

»Jawohl. Meine Übertragung Ihrer Geschichten hat was eingebracht, und davon gehört Ihnen die Hälfte.«

Asmus ging an einen Schrank und holte ein Büchlein hervor:

»Sie bekommen 163 Mark 40 Pfennig.«

»Er führt Buch!« schrie Danebrog außer sich, »er führt Buch!«

»Ein Hamburger Kaufmann würde für meine Buchführung wohl nur eine tief sittliche Entrüstung aufbringen; aber in dem, was nicht mein ist, muß ich doch wohl Ordnung halten,« meinte Asmus. Und er zählte dem immer noch lachenden Freunde, der sich über soviel Ordnungssinn gar nicht beruhigen konnte, einen blauen Lappen, drei Goldstücke, drei Silberstücke und vier Nickel auf den Tisch.

Sie verabredeten sich auf 7 Uhr zu einem Abendessen in Schumanns Austernstuben; bis dahin war Harald verhindert durch ein größeres Diner, zu dem er geladen war. Sie waren dann von sieben bis zwölf Uhr mit dem liebenswürdigen dänischen Konsul fröhlich und guter Dinge, und dann ging Harald zu einer anderen Verabredung, über die er sich nicht näher aussprach.

An diesem Abend hatten sie Brüderschaft getrunken; es war eine Brüderschaft für die Ewigkeit. Als der Herbst ins Land kam, da brachte er die Kunde, daß dieser prachtvolle Baumriese im Lustgarten der Menschheit, diese ragende, silbern lachende Nordlandsbirke geknickt und gefallen sei. »Ich habe zweimal gelebt,« hatte er oft gesagt, und er hatte wirklich zweimal gelebt in Schaffen und Genuß. So war er also 124 Jahre alt geworden und starb doch viel zu jung. Was einst Lady Montague über Henry Fielding schrieb, das galt auch von ihm: »Er war so glücklich für die Freuden des Lebens organisiert, daß man bedauern muß, daß er nicht unsterblich war.«

An äußerster Meeresküste endete Ritter Haralds Pilgerfahrt. Auf einsamer Düne liegt sein Grab, dort, wo jahraus, jahrein, landaus, landein die Winde wandern und mit ihren streichelnden Händen allen Kopfschmerz heilen.


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