Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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XXVIII. Kapitel.

Ein Mann des großen Herzens.

Ein freundlicher Zufall führte Asmussen bald darauf von Pestalozzi über Nietzsche wieder zu einem Manne des großen Herzens zurück. Eines Mittags, als er von der Schule heimkehrte, fand er eine Karte des Prinzen v. Schonndorf-Karlsreuth vor, der ihn bat, am Nachmittag im Union-Klub sein Tischgast zu sein. Als Asmus im Eingang des Speisesaals erschien, eilte ihm ein hochgewachsener, stattlicher Mann entgegen und reichte ihm beide Hände.

»Seien Sie mir herzlich willkommen,. Herr Semper, und entschuldigen Sie gütigst mein etwas kavalleristisches Vorgehen. Es ist eigentlich etwas anmaßend von mir, so sans façon auf Ihre Zeit Beschlag zu legen; aber ich kann nur wenige Stunden in Hamburg sein und wollte Sie doch endlich gern auch persönlich kennen lernen.«

»Ich habe nichts zu entschuldigen, Durchlaucht,« versetzte Asmus, »vielmehr zu danken für so viel alte und neue Güte.«

Mit seinen merkwürdig großen, kinderfrommen Augen und mit seinem schlicht-bescheidenen Wesen schien der Prinz gleichsam jeden, mit dem er verkehrte, zu bitten: Entschuldige, daß ich solch einen Zierat wie Prinzen- und Durchlauchttitel immer mit mir herumtrage; aber ihn ablegen, geht auch nicht. Er wußte, daß sein Geburtsadel eine Fügung des Zufalls sei, aus der er kein Verdienst ableiten könne, wußte, daß Rang und Titel leere Formen sind, die man mit Inhalt zu füllen hat, wenn sie wirklich gelten sollen, und erzählte Asmussen bei späterer Gelegenheit lachend, wie er und einige andere Offiziere einem Regimentskameraden, der auf sein Dutzendfürstentümchen sehr hochnäsig gewesen war, geschrieben hätten:

»Was das Saucischen unter den Würsten,
Das bist du unter den Fürsten.«

Die Verpflichtung, adlig zu sein, nahm er dagegen im höchsten Grade ernst, besaß dafür aber auch die natürliche Hoheit des Gesinnungsaristokraten, die zudringliche Vertraulichkeiten gemeiner Naturen schon an der Grenze zurückzuhalten weiß. Er unterzeichnete seine Briefe gewöhnlich nur mit »E. Schonndorf«; aber nicht, um zu kokettieren: Schau, wie demokratisch ich sein kann! sondern weil er tief davon durchdrungen war, daß vor Gott und Menschen nur der Mensch und Dichter Ewald Schonndorf in Betracht komme, nicht seine zufällige Stellung in der Gesellschaft. Es gibt »Aristokraten«, die uns, wenn sie uns leicht mit dem Ellbogen angestoßen haben, »tausendmal um Verzeihung bitten« und dabei fühlen lassen: »Ich behandle dich so schonend, weil du armes Geschöpf nur bürgerlich bist«; bei dem Prinzen kam alle Zartheit und Rücksicht aus der Demokratie eines großen Herzens, und wenn ihm der Regimentsmedikus Schiller oder der Generalsschreiber Lessing gegenüber gesessen hätte, so hätte er sich in tiefster Ehrfurcht geneigt und gewußt, daß er mehr als Durchlaucht und Kaiser vor sich habe.

Asmus hinwiederum pflegte im Verkehr mit betitelten Herrschaften korrekt zu sein wie ein Oberhofzeremonienmeister, es sei denn, daß er es mit einem Freunde zu tun hatte, der sich Titulaturen verbat. Er gab jedem seinen Titel bis aufs Titelchen, und vollends dann, wenn der Betitelte sich zwanglos gab. Man sollte nicht glauben, daß er jene niedrigste Art der Annäherung suche, die den andern verkürzt; man sollte nicht glauben, daß er einen Titel höher achte als sich selbst; das war sein Geburtsstolz. Auch in den seligsten und geräuschvollsten Mitternachtsstunden nannte er seinen Freund Löwenclau »Herr Baron«, bis dieser einmal krähte: »Ach was, ›Herr Baron‹, Sie alter Dschingiskhan! Von jetzt ab sagen wir ›Semper‹ und ›Löwenclau‹ und ›Du‹! Komm her, gib mir'n Kuß!« Asmus war innig erfreut gewesen und hatte sich gesagt: »Es ist hübsch von ihm, daß er mir das ›Du‹ anbietet; ich durft' es ja nicht, weil ich der bei weitem Jüngere bin.«

Die Dichtungen des Prinzen waren durchweg von einem tiefen, männlichen, fast schwerblütigen Ernste durchtränkt; in seine Unterhaltung mengte er gern eine scherzhafte Wendung, die er mit drolliger Trockenheit und gelassener Grazie vorbrachte. Man sprach über Weib und Kind, und Asmus mußte die Seinen im Geiste vorstellen.

»Ich habe drei Mädels und drei Jungens,« sagte der Prinz. »Diese Symmetrie wird allerdings bald gestört werden, da meine Frau mir ein Siebentes schenken will.«

»Durchlaucht vergessen den immerhin möglichen Glücksfall, daß Zwillinge kommen.«

»Barmherziger Himmel!« rief der Prinz mit heiterem Erschrecken. »Das war nicht meine Absicht. Ich finde, man spielt immer eine komische Rolle, wenn man mit Zwillingen aufwartet. Die Leute stellen sich immer das dumme Gesicht vor, das man gemacht haben muß.«

Bald war man bei der Literatur und bei dem neuesten Stück, einem »symbolistischen« Drama.

»Es hat mich sehr enttäuscht,« sagte der Prinz. »Wissen Sie, was er eigentlich damit will?«

»Nein,« versetzte Asmus ehrlich.

»Der Held dieses Stückes«, meinte der Prinz, »prahlt immerfort vom großen Christoffer und hat nicht einmal den kleinen gesehen. Er kontrahiert eine schwere Schuld auf seine vorgebliche große Künstlerschaft hin, und am Verfalltage zahlt er mit leeren, sinnlosen Worten.«

»Das Stück«, meinte Asmus, »enthält ein paar wunderschöne lyrische Stellen. Wo es allein auf das Herz ankommt, ist dieser Dichter überhaupt stark. Aber in der Hirnlade fehlt's, und zu einem großen Dichter gehört nun einmal auch ein großer Geist. Um den Eindruck des Tiefsinns zu erwecken, führt er verworrene Reden.«

»Von dieser Literatur haben wir schon mehr,« rief der Prinz.

»Und werden allem Anschein nach noch viel mehr davon bekommen. Uns droht eine Blüte der Tiefstaplerlyrik, von deren Früchten dasselbe gilt wie von den Nüssen: Je dicker die Schale, desto dürftiger der Kern. Der gute deutsche Michel wird wieder einmal Mund und Nase aufsperren vor diesem ausländischen Gewächs und wird schließlich doch dahinter kommen, daß immer die Kunst auf Stelzen geht, die platte Füße zu verbergen hat.«

»Da ist unser Löwenclau in seiner soldatischen Ehrlichkeit das leuchtende Gegenbild,« fuhr Asmus fort. »Eines Tages kam er prustend und schreiend in mein Zimmer gestürzt. ›Denken Sie sich, mein Semper,‹ rief er, ›man hat in meinem Gedicht »Der Kringel« eine tiefsinnige Al–le–go–riiiiie entdeckt!!‹ (Das Wort ›Allegorie‹ klang aus wie ein langgezogenes ›Kikerikiii‹). Und dann fuhr er mit ersterbender Stimme fort: ›O Gott, o Gott, ich armes Schaf; daran hab' ich ja gar nicht gedacht‹!!!«

Der Prinz lachte, und unter hellem Lachen und in einem warmen Klange trafen sich die Gläser zu einer Gesundheit auf Dietrich v. Löwenclau.

»So ist es,« meinte er, »das wirklich Große gibt sich schlicht, oder, wie es unser Wilhelm Raabe so treffend gesagt hat: ›Wahre Kunst ist tief, ohne es zu scheinen‹.« – –

Nicht lange darauf mußte Asmus mit Weib und Kind nach Havelingen, dem Gute des Prinzen, pilgern: denn Havelingen war ein Musenhof, dessen Beherrscher mit fürstlicher Gastfreiheit alles zu sich lud, was ihm der näheren Bekanntschaft wert erschien. Das große, reiche Marschengut lag weitab von der Bahn, und so mußten die Gäste mit Wagen eingeholt werden. Die wundervollen Rosse liefen aber nur mit mäßigster Geschwindigkeit; denn der Prinz duldete nicht, daß ein Tier überanstrengt werde. Man nannte ihn einen holsteinischen Tolstoi wegen seines tiefen Mitleids mit aller lebendigen Kreatur; wo er auf seinen Spaziergängen ein geplagtes Pferd traf, da steckte er ihm heimlich ein Stück Brot zu, und auf Asmussens Frage, ob er auch die Jagd liebe, antwortete er: »Nein, meine Mordlust ist längst erloschen.« Doch galt ihm selbstverständlich der Mensch noch mehr als das Tier, und besonders der arbeitende Mensch war ihm ehrwürdig an sich. Auf seinen Spaziergängen mit dem Prinzen bemerkte Asmus, daß kaum ein Tagelöhner so bald die Kappe lüpfen, noch weniger eine Bauernmagd so bald den Kopf zum Gruße neigen konnte, wie der Prinz seine Mütze zog. Hinwiederum war ihm jede falsche Sentimentalität und Zimperlichkeit fremd; er war imstande, eine verlogene und anmaßende Edeldame mit eleganter Schonungslosigkeit in ihre armselige kleine Menschlichkeit zurückzuweisen.

Der Herrensitz dieses wahrhaft erlauchten Dichters stimmte gut zu seiner Dichtung: es war starkes, treues, mildes, sinnendes und träumendes Holstein, vom Hauch der Elbe und des Meeres mit sanftem Ernste überweht. Das Herrenhaus so schlicht wie nur denkbar; davor ein großer, herrlicher Rasen, dahinter – eine Seltenheit in der Marsch! – ein ausgedehnter, schattenreicher Park. Von seinem Zimmer im Kavalierhause blickte Asmus in ein heimatschönes Dorfidyll von Kirche, Weiher und Gebüsch. Gärten, Felder und Weiden ringsumher prangten in reicher Fülle, und mit schweigendem Stolze führte der Prinz seine Gäste durch den gesegneten Frieden seiner Fluren und Ställe.

Inmitten dieses Segens und an der Seite einer rührend anmutigen, bezaubernden Frau führte der Weltmann, dem seine innere Welt die große Außenwelt bis auf wenige Menschen entbehrlich machte, das Leben eines schlichten Landmannes und Hausvaters, der frühmorgens sein Jüngstes auf dem Schoße hielt und ihm mit heiliger Geduld ein Ei hineinfütterte. In dieser Umgebung überraschte es Sempern, als vor der Hauptmahlzeit der Haushofmeister in der Tür des Salons erschien und flüsterte:

»Son Altesse est servie.«

Aber auch dieses bißchen Französisch erklärte sich einfach aus der deutschen Treue, mit der der ehemalige Dragoneroffizier seinen ehemaligen Burschen, einen Elsässer, dem das Deutsche Schwierigkeiten machte, festgehalten und mit der der Diener bei seinem edlen Herrn geblieben war.

Nach dem Essen versammelte man sich gewöhnlich im Musikzimmer; man las eigene und fremde Dichtungen vor; man holte aus dem an Kostbarkeiten reichen Familienmuseum wohlerhaltene Rokokokostüme und trieb lustige Mummerei und ließ Sempern Lieder von Haydn und Mozart dazu singen, oder die Herren zogen sich ins Rauchzimmer zurück, und der Prinz plauderte von seinen Reisen in Asien und Afrika und von dem Araberscheich, der dem gesottenen Hammel mit dem Finger das Auge ausbohrte und es als erlesensten Leckerbissen mit den Fingern dem Gaste bot, der es höflichst hinunterwürgen mußte. Im Rauchzimmer blieb Asmus betrachtend vor einem Lukas Cranach d. Ä. stehen.

»Ja,« sagte der Prinz, »das ist ein Cranach. Er soll 25 000 Mark wert sein; ich würde keine 500 dafür geben.«

Es ist sehr hohe Aristokratie, nicht einmal in Kunstdingen zu lügen und den Mut des eigenen Urteils zu haben.

Mit Gastgeschenken reichlich bedacht, unter hellen Wiedersehensrufen und langem Tücherschwenken schied Asmus mit den Seinen von diesen halkyonischen Tagen, um aufs neue in den Kampf zu gehen. Ja, in den Kampf; noch nicht in die große Schlacht, doch in ein ernstes Gefecht.


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