Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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XXXIII. Kapitel.

Das Glück mit einem Haken.

In dieser Zeit der müden Verzweiflung hörte er, daß die Oberschulbehörde einem seiner Kollegen zum Zweck einer wissenschaftlichen Arbeit einen längeren Urlaub bewilligt habe. Da schoß es wie ein Lichtstrahl auf ihn herab: Herr im Himmel – sollten sie das auch dir gewähren? Aber ihm kamen schwere Bedenken. Daß man ein wissenschaftliches Bestreben fördern müsse, das leuchtete einer Hamburger Behörde wohl ein, aber ein dichterisches? Die regierenden Hamburger Herren waren nicht kleinlich, das wußte er wohl, aber – – – Poesie?? Würden sie über solche Naivetät nicht doch in ihre grauen Bärte lächeln? Er ging zu seinem Herzensgönner, dem Schulrat Murow. Der hatte ihm ja gesagt, daß einem Studien-Urlaub von drei Monaten nichts im Wege stehen werde. Und er trug ihm sein Verlangen vor.

»Dre–i Monate ist nichts,« erklärte Murow energisch, »wann Se was Ordentliches in Ruhe schaffen wollen, da müssen Se 'n volles Jahr vor sich haben. Wir erwarten von Ihnen 'n jrößeres, abjärundetes Wark, und dazu müssen Se Ze–it haben.«

Asmus widersprach nicht im geringsten.

»Ick wärde Ihr Jäsuch warmstens empfählen,« schloß der goldene Murow die Audienz.

Wochen voll andauernden Herzklopfens. Dann kam der Bescheid: Herrn Asmus Semper wird ein einjähriger Urlaub zu Studienzwecken bewilligt.

Er schwankte, ob er das annehmen dürfe. Aber dann jauchzte alles in ihm auf: »Ein Jahr lang nicht zur Schule und keine Hefte korrigieren – mein Gott, so viel Zeit ist ja nicht auszudenken! Da hat ja der Tag 240 Stunden! Da kann ich ja nicht nur schaffen, was ich will, da kann ich ja auch Studien treiben, bis in die Nachte hinein, und zwar pädagogische Studien, die der Schule zugute kommen. Ja, ich kann's mit ruhigem Gewissen annehmen!

Das tat er denn auch. Und das Nächste, was er tat, das war, daß er seine Hilde und seine Isolde und seinen Wolfram und seine Leonarda und seine Gesina nacheinander und dann noch einmal zusammen, zu einem jubelnden Klumpen geballt, ans Herz drückte und die kleine Sigrun aus der Wiege riß und abküßte, bis sie schrie, und das dann Folgende war, daß er in seine Felder hinausging, auf einem meilenweiten Spaziergang; denn so viel Glück hinauszuatmen, so viel Glück hinauszustrahlen, dazu brauchten Herz und Augen ein weites, weites Gefild.

Dann, als er wieder daheim war, fühlte er, daß sein Glück doch noch einen Haken habe. Auch er hatte einen Pfropfen im Blut, wie vormals seine Hilde. Freilich war er anderer Art, aber auch sehr schmerzhaft; manchmal, wenn er recht tief und befreit aufatmen wollte, gab es ihm einen jähen Stich, und dieser Pfropfen im Blut waren seine Schulden.

Wie in so vielem, war Asmus auch in Geldsachen der Sohn seines Vaters; er konnte das Geld nicht so ernst nehmen wie ein Hamburger Kaffeemakler oder ein preußischer Rechnungsrat. Unsinnige Verschwendung lag ihm fern; aber Knauserei lag ihm noch bedeutend ferner. Selbst die Sozialdemokraten gestanden dem Künstler ein Anrecht auf einen gewissen Luxus zu; er verlangte nur ein wenig Schönheit im Dornenkranz seiner Tage, und die Schönheit achtete er nicht für Luxus. Er und seine Hilde brauchten hin und wieder ein Konzert und ein Schauspiel, ein gutes Buch und an der Wand ein gutes Bild, ein paar Blumen auf dem Tische, und er konnte sein edles Weib und seine lieblichen Kinder wohl in prunklosen, aber nicht in unwürdigen, plumpen Gewändern sehen. Ihr Tisch war äußerst einfach; aber was er brachte, mußte aus einwandfreiem Stoffe sein. Da aber Lehrergehälter langsamer wachsen als Eichen und seine Dichterhonorare überhaupt im Wachstum standhaft stillstanden, so hatte er von Zeit zu Zeit borgen müssen, und endlich drückten seine Schulden wie eine Schuld. Es war manches Geld darunter aus Freundeshänden, um das er nie gemahnt wurde und das um so schwerer drückte.

Er hatte alles Erdenkliche versucht, um dieses Loch zu stopfen; er hatte sogar an mehreren Abenden der Woche bei einem reichen Wollhändler und Musikliebhaber gegeigt und gesungen; aber der Mann war im Grunde seiner Seele ein Wollliebhaber und Musikhändler; er war einer jener Geschäftsmäzene, die von einem Horaz für drei Mark so etwas erwarten wie:

»Uraltfürstlichen Stamms edeler Sproß, Mäzen,
Du, vielmögender Hort, köstliche Zierde mir!«

und das hätte Asmus, wenn er selbst ein Horaz gewesen wäre, nicht für ein Landgut zu leisten vermocht.

Er hatte auch einmal der etwas zu jungen Frau eines etwas zu alten Schiffsreeders Literaturgeschichtsstunden gegeben; aber als sie ihn nach der fünften Stunde bat, doch auf dem (etwas kleinen) Sofa Platz zu nehmen, und sich freimütig zu ihm auf dasselbe Sofa setzte und ihm mit Augen zuhörte, die schlechterdings nicht mehr literarisch zu deuten waren, da stellte er sich dumm und kam nicht wieder.

Ja, er hatte einmal sogar in komischer Verzweiflung seine Frau koramiert und gerufen: Hilde, Hilde, warum bist du nicht Frau Lütjohann! Siehst du, das ist eine Stadtreisende für Gattenruhm, wie sie sein muß! Die Frau geht zu jedem Journalisten, jedem Vereinsvorstand, jedem Kunsthändler, jedem Galeriedirektor, jedem Photographen, jedem Stadtverordneten, jedem Senator, jedem Pastor, jedem Stadtkommandanten, jedem Hotelwirt, jedem Restaurator und jedem Stationsvorsteher und sagt ihm: »Mein Mann ist der größte Maler aller Zeiten, handle danach!« Und bei den Bankiers sammelt sie Ehrengaben, diese einzige Frau! Siehst du, das ist ein Talent! Und du? Was bist du? Höchstens ein Engel! Dös Weib hat koan G'schäftsgeist!«

Und Hilde hatte laut herausgelacht, und da hatte er sie mit Nachdruck geküßt; denn wenn sie laut lachte, hatte er sie besonders gern.

Nein, dies Weib war als Apostel und »Generalagent« ganz unbrauchbar; wenn die Leute ihn in ihrer Gegenwart lobten, wurde sie rot und verstummte, oder höchstens rief sie Hurra mit den Augen. Sie war vielleicht stolzer auf ihren Mann, als sein Wert rechtfertigte; aber sie prunkte so wenig mit ihm wie mit ihren Kindern; sie hatte überhaupt nicht die Gewohnheit, ihr Besitztum zur Schau zu tragen. Aber ein anderes Weib kam ihm zu Hilfe. An einem recht beklommenen Tage kam eine ihm völlig fremde Dame zu ihm und sprach sehr warm und fein von seinen Gedichten. Und dann fragte sie ihn, ob er ihr Unterricht in der Vortragskunst geben wolle.

»Gern,« sagte Asmus.

Sie ward ihm eine sonderlich gescheite Schülerin und treue Freundin und ging eines Tages zu einem steinreichen Kaufmann und Kunstfreunde und sagte: »Da ist ein Dichter, den seine Schulden quälen, und da sind seine Bücher, lies sie.« Der Kaufmann las sie und beschied den Verfasser auf nächsten Sonntag ein Uhr zu sich.


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