Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VIII. Kapitel.

Schon wieder wird ein Talent gekränkt.

Auf den ersten Klang der Werbetrommel meldeten sich zwölfhundert Hamburger zum Beitritt. Freilich, in der konstituierenden Versammlung zeigte der neue Verein ein so ernstes Gesicht, daß vierhundert »Begeisterte«, die gleich ihre Gedichte mitgebracht hatten, wieder abfielen; aber achthundert blieben doch.

»Na, was sagst du jetzt, du Unke?« fragte Asmus seinen Freund Freudenthal.

»Wart's man ab!« meinte der.

Da zur ersten Vortragsversammlung jedermann freien Zutritt hatte, erschienen gar zweitausend. Wenn die deutsche Kunst nichts kostet, kommen sogar die Reichen. Der Abend verlief wie ein großes Fest und unter stürmischem Beifall, und die Presse verhielt sich wohlwollend.

Für Asmussen bedeutete der junge Verein eine Fülle von Freuden und noch mehr Arbeit. Alle vierzehn Tage sollte ein neues, eigenartiges und wohlbedachtes Programm da sein. Und es durfte nicht viel kosten; denn noch waren die Mittel schwach. Die Schauspieler zweier Theater versprachen ihm in liebenswürdigster Weise ihre Unterstützung und stellten prächtige Rezitationen in Aussicht; aber drei Stunden vor Beginn der Vorträge sagten sie gewöhnlich ab, weil die Theater ihren Spielplan oder sie ihren Sinn geändert hatten. Dann mußte Asmus einspringen und aushelfen. Bis man ihm hinterbrachte, es gebe Leute, die behaupteten, er habe den Verein gegründet, um vor allen Dingen sich zu Gehör zu bringen – da mußte er's aufgeben. Es gelang ihm denn auch mit unendlichen Mühen, für fünfzig oder noch mehr Mark andere Kräfte heranzuziehen; es gab hier und da einen mißglückten Abend – Dichter kamen zum »Vorlesen«, die sich dann auf dem Podium vor 700 Leuten im Dialekt ihrer Heimat mit sich selbst unterhielten – aber die meisten Veranstaltungen schlugen ein, und am Schlusse des ersten Jahres war man sich darin einig: die »Rostra« hat ihre Berechtigung erwiesen, und sie steht fest.

»Na?!« sagte Asmus.

»Jo, du hest recht hatt, du Schopskopp,« sagte Freudenthal. »Wullt 'n goode Zigarr hemm?«

Da es eine riesengroße »Upmann« war, so sagte Asmus ja.

Aber nicht alles, was die »Rostra« im Gefolge hatte, roch so gut wie die Upmann.

Ein ehemaliger Referendar z. B., der mit einem Manuskript zu ihm kam, roch zunächst einmal nach starken Getränken, später nach weit schlimmeren Dingen. Es war ein hagerer Mann von 25 Jahren, der aber aussah wie ein verwüsteter 35jähriger und dessen Gesicht von Anfang an offenbar nicht gewußt hatte, ob es ein Dichter- oder ein Verbrechergesicht werden solle. Die Augen waren gut; aber Mund und Kinn waren sehr böse. Er gehörte zu den Vielen, deren oberes Gesicht mit dem unteren und deren oberer Mensch mit dem unteren in ewigem Hader liegt. Dieser Herr Sauerbrand war zunächst einmal der Ansicht, daß alles, was gegenwärtig den Parnaß beherrschte, wertlos und verrucht sei. Asmus stand damals in der Theorie mit Begeisterung zu den Naturalisten und Jüngsten und hielt sich darum ebenfalls verpflichtet, die Kunst der älteren, erbgesessenen Herren »überlebt« zu finden; aber Sauerbrand beschimpfte sie mit schäumendem Munde wie Schurken und Verräter, die aus Bosheit und Gemeinheit, besonders aber aus Geldgier, das Heiligtum der Kunst besudelten. Das vermochte Asmus nicht mitzumachen, weil er nicht vergessen konnte, daß er bei den Freytag, Heyse, Geibel, Storm, Spielhagen usw. schöne, ja auch köstliche, reiche Stunden verlebt hatte. Dann brachte Sauerbrand sein Manuskript hervor und las es, um zu zeigen, wie heilige Kunst eigentlich sein müsse.

Als Theodor Storm einmal in einer Berliner Gesellschaft die Verse eines schwachen Dichters über sich ergehen lassen mußte und die Dame des Hauses ihn dann erwartungsvoll fragte: »Nun, Herr Amtsgerichtsrat, wie hat Ihnen das gefallen?« da sagte der Herr Amtsgerichtsrat scharf und laut: »Das hat mir gar nicht gefallen.«

Dergleichen brachte Asmus nicht über sich; aber in der Sache konnte auch er nicht lügen.

»Sie sind Pessimist,« sagte Asmus, als Sauerbrand geendet hatte.

»Kann ein denkender Mensch etwas anderes sein!?« fragte Sauerbrand.

»Ich halte Plato, Aristoteles, Giordano Bruno, Leibniz, Goethe, Lessing, Herder, Kant, Hegel u. a. m. für denkende Menschen,« meinte Asmus.

»Sie sind in Ihren Gedichten doch selbst Pessimist!« rief Sauerbrand. »Noch gestern las ich eine Kritik, in der man Ihren Versen ›tiefgründige Schmerzempfindung‹ nachsagte.

»Und damit wäre ich Pessimist? Es ist nicht zu verwundern, daß ihr die Optimisten verachtet, da ihr sie vorher zu Trotteln macht. Können Sie sich nicht Optimisten vorstellen, die das Leid der Welt tiefer erkannt und erfühlt haben als Schopenhauer und alle seine Genossen? Der Frankfurter Denker hat seinen Pessimismus mangelhaft begründet, aber immerhin erheblich besser als Ihr Held und die meisten modernen ›Helden‹. Genau genommen sind sie Weltverächter, weil's ihnen selbst und einigen andern schlecht geht. Nur das sehen sie von der Welt und sonst nichts. Warum sehen sie nicht auch das andere? Sie sind doch Fanatiker der Wahrheit! Sehen Sie, Herr Kollege, in Ihrer Novelle ist immer schlechtes Wetter, immer Novemberhimmel mit schwarzen Wolken und Regen. Alle Türangeln kreischen bei Ihnen, und alle Rinnsteine riechen. Die Kneipe ist immer verqualmt, und das Treppenhaus immer voll Küchengeruch. Sie haben das natürlich mit ehrlichem Glauben an die Häßlichkeit der Welt geschrieben; was ich jetzt sage, geht nicht auf Sie: Bei den meisten ist diese Manier eine einfache Verlogenheit. Sie lügen pessimistisch, weil es bei den Deutschen ein Ansehen gibt, weil man für ›ernst‹ gilt, wenn man sich eine schwarze Locke in die Stirn kämmt.« Asmus erschrak, als er im selben Augenblicke bemerkte, daß auch Sauerbrand eine lange Stirnlocke trug. »Und doch unterscheiden sie sich von den Süßholzschreibern nur dadurch, daß sie nicht rot schminken, sondern grau.«

»Sie haben gut reden,« machte Sauerbrand mit einem nicht guten Lächeln seines unteren Gesichtes, »Ihnen geht's gut.«

»Es geht mir in vielen Hinsichten unendlich gut,« rief Asmus warm und mit einem selig aufleuchtenden Lächeln, »weit, weit über Verdienst, und ich kann niemals vergelten, was mir geworden ist. Und doch geht es mir im tiefsten Grunde der Seele gar nicht gut, Herr Sauerbrand. Ich darf nicht sein, was ich bin – das ist vielleicht das Schwerste, was einen Menschen treffen kann. Mein inneres Leben ist ein ewiges Absterben von Dingen, die sich niemals wieder zum Leben erwecken lassen. Ich glaube, das ist etwas gewichtiger als das Schicksal Ihres Helden. Der kleidet sich elegant, trinkt sehr viel Spirituosen, verkehrt fleißig mit gefälligen Damen und findet die Welt unerträglich. Das ist etwas wenig an Leistung. Er handelt gegen seine Angehörigen herzlos, undankbar und dumm und findet die anderen Menschen gemein. Das ist seine ›Weltanschauung‹. Ich glaube, ich hätte ungefähr 80 000 mal so viel Berechtigung zum Pessimismus wie er. Wenn ich aber um meiner Leiden willen die Welt für ein Jammertal halten wollte, so würde ich mir so lächerlich vorkommen wie ein Mann, der etwa behauptete: ›Europa geht einer düsteren Zukunft entgegen,‹ weil er zum Zahnarzt muß. Noch viel lächerlicher.«

»Warum hängen Sie dann nicht den Schulmeister an den Nagel wie ich und werden ein freier Künstler?«

»Ein freier Künstler? Verzeihen Sie: ich verstehe immer ›ein freier Künstler‹. Natürlich habe ich auch diese Möglichkeit erwogen. Und wenn ich mir dann vorstelle, wie jeden Morgen an meinem Bett das graue Weib mit der neunschwänzigen Katze stünde und grinste: ›Auf, du mußt »dichten«, damit Frau und Kinder zu essen haben!‹ dann erstarrte ich vor Grauen zu einem einzigen Eiszapfen. Nein, lieber Herr Sauerbrand, lieber will ich die Muse im ganzen Jahre einmal empfangen – und dann festlich! – als täglich jene graue Teufelin, die ich von Ansehen so genau kenne, daß ich sie malen könnte.«

»Ja, die Tragödie des Lebens muß man eben auf sich nehmen, wenn man Künstler sein will,« sagte Sauerbrand mit dem Bewußtsein der Größe.

»Gewiß, man muß leiden können,« sagte Asmus; »aber muß man auch sehen können, wie andere leiden, und gar, wie Kinder leiden? Und auch leiden soll man nur wollen, wenn es einen Sinn hat. Diese Tragödie wäre sinnlos. Denn ich würde vor weißen Blättern sitzen bleiben und Federn zerbrechen. Ich kann keine zehn Worte schreiben ohne Lust dazu. Sie sind ja Holsteiner und kennen also das Wort unseres Landsmanns Th. Storm:

»Kein Wort, auch nicht das kleinste, kann ich sagen,
Wozu das Herz den vollen Schlag verwehrt.«

Und wenn Sie noch einen Grund hören wollen: ich bin Schulmeister mit dem Herzen. Wenn ich vor den Kindern stehe, dann habe ich das Gefühl: ›Das ist eigentlich das Schönste: ewig vor Kinderaugen stehen, dann bleibt man rein. Und diese Augen trinken sehen, ist reinstes, reichstes Glück.‹ Freilich: wenn ich dann ein Lied mit den Kindern singe, oder mir mitten in der Stunde der Höhepunkt eines Dramas einfällt, dann muß ich mich irgendwo festkrampfen, um nicht zum Fenster hinauszuspringen.«

»Na, Sie springen sicher eines Tages. Sie werden schon Erfolg haben. Jetzt, wo Sie die ›Rostra‹ in der Hand haben, kann's Ihnen doch nicht fehlen.«

»In der Hand haben – wie verstehen Sie das? Ich habe eine von den 21 Stimmen des Vorstandes. Eine Stimme, die man vielleicht mehr beachtet als eine beliebige – das mag sein. Aber was habe ich davon? Solange ich an der Spitze stehe, soll in der ›Rostra‹ von meinen Werken gewiß nicht die Rede sein.«

»Glauben Sie, daß der Vorstand meine Arbeit zum Vortrag annehmen wird?«

»Welche? Diese?«

»Ja.«

Asmus wurde sehr verlegen. »Das glaube ich kaum,« sprach er mit ehrlichem Bedauern; denn er wäre gern gefällig gewesen. »Ich will die Arbeit natürlich gern vorlegen, wenn Sie es wünschen, aber –«

»Na, wenn Sie sie empfehlen –«

»Ja, Herr Sauerbrand – (Asmus druckste) – nach dem, was ich Ihnen gesagt habe, müssen Sie ja selbst einsehen, daß ich das eben nicht kann. (Ihm kam ein rettender Gedanke:) Reichen Sie's durch jemand anders ein; vielleicht kann der dafür eintreten; ich kann's nicht

(Asmus hätte gar nicht zu sagen brauchen, daß er' s nicht könne; aber solch ein Töffel war er.)

»Nein, dann verzichte ich lieber,« sagte Sauerbrand mit einem Lächeln, das in keiner Gattung unterzubringen war, »ich will mich ja nicht aufdrängen. Adieu.«

Es war Asmussen eigentlich recht angenehm, daß der Gast ohne Händedruck ging. Er fürchtete sich manchmal vor Händedrücken. Zuneigung und Abneigung ergriffen ihn im Verkehr mit Menschen instinktiv; wenn er aber des andern Hand fühlte, so wurde der Instinkt schier zum Wissen. Eigentlich begegnete er allen neuen Menschen mit vollem Vertrauen und unbefangenstem Wohlwollen. Daher fühlte er sich, wenn ein Instinkt ihn warnte, jedesmal erschüttert. Und dann fürchtete er den Händedruck.


 << zurück weiter >>