Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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X. Kapitel.

Unter dem elektrischen Weihnachtsbaum.

Aber das Diner bei dem steinreichen Verleger Benjamin Hübscher schien doch wirklich eine angenehme Beigabe der »Rostra« zu sein! Fünfzehn Gänge! Das war keine Knochenbeilage!

Auch Herr Hübscher war Mitglied der »Rostra«, die natürlich überhaupt wie alles Kunst- und Theaterpublikum zu zwei Dritteln aus Juden bestand, was den Juden zu hoher Ehre gereicht. Man streiche die Juden aus dem deutschen Kunstpublikum, und die deutsche Kunst ist verloren.

Benjamin Hübscher hatte Sempern eines Tages, als man nach einem Vortragsabend der »Rostra« beim Biere saß, die angenehmsten Dinge über seine Werke gesagt und ihm eine glänzende Zukunst prophezeit. Natürlich hatte Asmus das nicht ungern, wenn auch mit starken Zweifeln angehört, und als Hübscher gesagt hatte: »Woll'n Se einfach bei mir zu Mittag speisen?« da hatte Asmus mit Vergnügen ja gesagt. Bei Hübscher aß man sicher nicht schlecht.

Schon als Asmus und Hilde die Treppe zum Empfangsraum des Hübscherschen Palais hinaufstiegen, fühlten sie sich benommen: jeder Quadratzoll dieses Hauses war mit dicksten Teppichen belegt. Das gab ohne Zweifel ein warmes, wohliges Gefühl, das angenehm den Rücken hinaufrieselte; aber es hatte auch etwas Unheimliches: Man hörte nicht, wenn jemand herankam. Asmus hatte in solchen Salons auch später immer das Gefühl, daß alle Menschen zu Schleichern und Leisetretern würden. Als sie den Empfangssalon betraten, sahen sie zu ihrem Schrecken, daß sie sich bei diesem »einfachen Essen« unter lauter Fräcken und dekolletierten Kostümen befanden; aber Hübscher und Frau begrüßten sie mit so viel Auszeichnung und stellten sie den anderen Gästen mit so ersichtlicher Genugtuung vor, daß wenigstens Asmus sein Gleichgewicht einigermaßen wiedergewann; Frauen werden durch Toilettenfragen immer tiefer erschüttert.

Als die Türen zum Speisesaal sich öffneten, strahlte den Gästen ein riesiger Weihnachtsbaum entgegen. (Hübscher sagte »Christbaum«.) Asmussens und Hildens Herzen wollten bei diesem Anblick schon aufjubeln, als sie plötzlich bemerkten, daß die Lichter des Baumes lauter elektrische Glühlämpchen waren. O je, dachten die beiden Semper einstimmig, obwohl sie durch die Tischordnung weit getrennt waren und Asmus die Dame des Hauses am Arme führte. Die riesige Tafel zu etwa 50 Gedecken war über und über mit den herrlichsten Orchideen bestreut.

»Gott, was'n Luxus!« rief die brillantenbesäte Frau Konsul Wientapper der Wirtin zu, »das haben Sie nich unter tausend Mark!«

»Das weiß ich nicht,« lachte Frau Hübscher, »das überlaß ich meinem Mann. Mit Wientappers können wir noch lange nicht konkurrieren.«

Frau Wientapper lächelte schamhaft.

Bevor Asmus die erste Auster aß, beobachtete er vorsichtig, wie es die andern anstellten; dann machte er es mit gelassener Routine nach. Er hatte noch nie Austern gegessen. Mit seiner Weinzunge war es ebenfalls noch schwach bestellt; aber da ihm der servierende Lakai ins Ohr raunte: »1878er Steinberger Kabinett«, so war er überzeugt, einen herrlichen Geschmack zu empfinden. Auch manche der Speisen kamen ihm eher als wunderliche Einfälle denn als menschliche Nahrungsmittel vor, und bei einigen Gerichten wußte er nicht, was man davon nehmen und was man liegen lassen müsse; aber das Ganze war doch ein blendendes, ungemein anregendes Erlebnis. Zwischendurch kam es ihm wie eine persönliche Ruchlosigkeit vor, daß er hier praßte, während sein Vater oft nicht gewußt hatte, woher er das trockne Brot nehmen solle, und nun im Grabe ruhte und ihm keine Freude des Lebens mehr seine Sorgen und Ängste vergelten konnte.

»Sie trinken ja gar nicht, Herr Semper,« sagte Frau Hübscher. »Kommen Sie, wir wollen mal auf Ihr nächstes Werk anstoßen.«

»Danke, danke,« stotterte Asmus.

»Was ist es denn?« fragte Frau Hübscher.

»Es ist noch gar nichts, gnädige Frau,« versetzte Asmus, »es will erst was werden und kann nicht.«

»Warum kann es nicht?«

»Es soll ein Drama werden, und das erfordert viel Zeit und tiefinnerliche Sammlung. Und dazu komm' ich nicht.«

»Warum nicht? Sie müssen zu viel Stunden geben, gelt?«

»So ist es.«

»Na, da müßte sich doch Rat finden lassen.« Sie neigte sich vertraulich zu seinem Ohr. »Ich werd' mal mit meinem Mann sprechen.«

Beim dritten oder vierten Gange erhob sich ein Gast und toastete auf die Wirte. Er sprach sehr hübsch und witzig.

»Die Rede sollt' ich doch kennen?« sagte der Regierungsbaurat Möller mit boshafter Naivetät. »Ist es Ihnen nicht auch so, gnädige Frau?«

Frau Hübscher nickte kaltlächelnd.

»Wieviele Male mag er die wohl so in einem Winter halten?« meinte der Architekt, während der Redner immer weiter sprach.

»Ich schätze 150,« sagte Frau Hübscher, »die Saison zu fünf Monaten gerechnet.«

Diese Art setzte Asmus in Verwunderung. Der Mann, der da redete, erwies seinen Wirten doch eine Freundlichkeit, und hinter seinem Rücken, während er redete, sprach man so über ihn! Ein Eindruck, den er auch sonst schon empfangen hatte, verstärkte sich hier durch Wiederholung. Bezaubert von den glatten, freundlichen Sitten der »feinen« Leute, hatte er sonst mit Wehmut in die bessere Welt der »Vornehmen« geblickt und sich tief unter ihr empfunden. Und mehr und mehr gewahrte er die entsetzliche Kälte, die grausame Gleichgültigkeit gegen den Nächsten, die sich in diese schönen Formen hüllte, weil ihr unverhüllter Anblick tödlich sein müßte wie das Gorgonenhaupt.

Bei einem späteren Gange erhob sich auf einen freundlichen Blick der Hausfrau der berühmte Tenorist Battini und schritt zum Klavier. Asmus verwunderte sich abermals, daß ein solcher Künstler während eines Essens aufstand und sang und daß man ihm dergleichen zumutete; erst später erfuhr er, daß das für tausend Mark zu haben sei. Aber er freute sich auch; denn er hatte diesen Sänger als Florestan, Tamino, Joseph, Tristan mit Bewunderung gehört und gesehen. Wie groß war seine Verblüffung, als er denselben Mann singen hörte: »Es liegt eine Krone im tiefen Rhein« und danach etwas, was noch tief unter dieser Krone lag. Aber als der Sänger mit einem Fortissimo schloß, von dem die Leuchter auf dem Tische klirrten und Asmus eine dauernde Taubheit befürchtete, da schien alles begeistert zu sein. Die neuere deutsche Gesangskunst ist eine Art Athletik. Er konnte nicht mitklatschen.

»Hat er Ihnen nicht gefallen?« fragte Frau Hübscher.

»Auf der Bühne hat er mir immer gefallen; aber dies –«

Frau Hübscher wurde glücklicherweise von einer andern Seite angeredet.

Nach dem Essen wurde Kaffee mit acht verschiedenen Likören angeboten und – Zigarren, herrliche Zigarren. »Das beste an einem Diner ist die Zigarre hinterher,« pflegte sein Freund Freudenthal zu sagen; Asmus mußte ihm auch heute recht geben.

Da standen breite Klubsessel, bei deren Anschauen einem schon behaglich wurde; Asmus ließ sich nieder und sank so tief hinein, daß seine Füße den Boden verloren; erschrocken rappelte er sich und mit Mühe wieder herauf und setzte sich nun lieber auf die Kante. Er hatte keine Ahnung von der Symbolik dieses Vorgangs.

Vor ihm stand Herr Benjamin Hübscher und blinzelte ihn durch seine bläuliche Brille mit entzündeten Äuglein an.

»Was bringen Ihnen denn Ihre Bücher so jährlich?« fragte er und klimperte in der Hosentasche.

Asmus erhob sich vor dem älteren Manne; aber dieser stieß ihn zurück. »Bleiben Se gemütlich! Bleiben Se gemütlich!«

»Bis jetzt,« sagte Asmus, »habe ich im ganzen 54 Mark bekommen.«

»Na, das ist doch lächerlich!« machte Hübscher. »Das ist doch Schtuß! – Na, passen Se auf, ich werd' Se machen.«

Was wollte Herr Hübscher? Ihn »machen?« Das verstand er nicht. Er hatte das Gefühl, daß das nicht mehr nötig sei.

»Wie meinen Sie das, Herr Hübscher?« fragte er schüchtern.

»Na, wir sprechen uns noch,« brach Hübscher ab, indem er Sempern auf die Schulter klopfte, »sei'n Se ganz ruhig; ich mach' Sie


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