Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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LV. Kapitel.

Baumblatts Aufschwung und des »Patriotischen Anzeigers« Todeskampf.

Wenn das Werk eines Mannes in der Fremde Anerkennung gefunden hat, so ist keineswegs gesagt, daß auch seine Heimat ihm hold wäre; im Gegenteil: nicht einmal der Prophet gilt etwas im Vaterlande, und für den Spießer bleibt er immer der Mann, der mit ihm denselben Schuster hat und also nicht weit her sein kann; wenn aber einem Manne und seinem Werk in der Fremde Feinde erstehen, dann erwachen seine heimatlichen Mißgönner alle miteinander an einem Tag und rufen: »Auf ihn! Nieder mit ihm! Er ist ein Stümper! Wir haben's ja immer gesagt! Nun hört ihr's auch aus der Fremde!!« Schneller als griechisches Feuer entzündete sich ein Feindesherz am andern zu loderndem Mut, und wie einst der Abbé Voisenon mit Bezug auf die Feinde Voltaires geschrieben hatte: »Zoilos zeugete Mävius; Mävius aber zeugete Desfontaines; Desfontaines aber zeugete Fréron; Fréron aber zeugete Clément usw.«, so konnte Asmus das Geschlechtsregister aufstellen: »Zoilos zeugete Mävius; Mävius aber zeugete Schwollenthin; Schwollenthin aber zeugete Kuntze; Kuntze aber zeugete Sauerbrand; Sauerbrand aber zeugete Baumblatt; Baumblatt aber zeugete Meckehorn usf.«, und wie Goethes Zoilo-Thersites, so schrie Zoilo-Sauerbrand oder sonst ein grüngelber Mischling:

»Hu! Hu! Da komm' ich eben recht,
Ich schelt' euch allzusammen schlecht!
Doch was ich mir zum Ziel ersah,
Ist oben Frau Viktoria.
Das Tiefe hoch, das Hohe tief,
Das Schiefe grad, das Grade schief,
Das ganz allein macht mich gesund,
So will ich's auf dem Erdenrund.«

Louis Meckehorn hatte jetzt ein Drama geschrieben: »Die Flagellanten« und wünschte, daß die »Rostra« es im Theater aufführen lasse, da die Theater selbst es abgelehnt hatten. Während über seinen Antrag beraten wurde, gedachte er, im Zimmer zu bleiben. »Es ist bei uns Brauch,« sagte Asmus, »daß die Herren, über deren eigenste Erzeugnisse und Angelegenheiten verhandelt wird, für die Dauer der Beratung das Zimmer verlassen.«

»Ach so – ja – natürlich!« rief Dr. Meckehorn lächelnd und verschwand.

Draußen stieß er auf ein zu spät kommendes Vorstandsmitglied.

»Na?« sagte dieses, »gehen Sie schon heim?«

»Nein, ich bin nur hinausgesetzt worden auf Wunsch des Herrn Semper, dem ich offenbar unbequem bin.«

»So??«

»Ja. Na.– was soll man davon sagen« – hier bohrte sich Herr Meckehorn in der Nase – »der Mann hat ja keine Kinderstube.«

Der Wunsch des Herrn Meckehorn wurde einstimmig abgelehnt, und dies Vorkommnis verbesserte keineswegs seine Stimmung gegen Herrn Semper.

Asmussens Abneigung gegen Vetternschaften und Stümpertum in der »Rostra« schuf ihm immer neue Feinde. Man nannte ihn den »Literaturpabst von Hamburg«, und was man diesem Literaturpabst an Greueln zutraute, dafür erlebte er just in dieser Zeit ein erschütterndes Beispiel. Er stand auf dem Hinterplatz einer Straßenbahn, als eine alte, schwächliche Dame auf ihn zutrat und sagte: »Ach, Herr Semper, entschuldigen Sie, daß ich Sie hier anrede; aber ich wollte Sie bitten: Seien Sie mir nicht mehr böse; ich mag keine Feinde haben!«

Es war die Mutter einer Schriftstellerin, die ihn in einem äußerst ungezogenen Briefe beleidigt und ihm eine sehr abfällige Kritik über ihr Buch zugeschrieben hatte, eine Kritik, an der Asmus so unschuldig war wie an der Völkerwanderung. Sie hatte ihm also auch noch unterstellt, daß er einen falschen Namen vorgeschoben habe. Asmus hatte ihr in nicht zu höflicher Form den Kopf zurechtgesetzt.

Von der Bitte der alten Frau war er so zwiespältig betroffen, daß er zwischen Lachen und Weinen schwankte. Er half ihr aus dem Wagen, führte sie zu einer Promenadenbank am Wege und setzte sich zu ihr. »O sancta simplicitas!« dachte er, sagte aber:

»Aber liebe gnädige Frau, wie können Sie nur denken, daß ich Ihr ›Feind‹ wäre. Was befürchten Sie von mir? Ihre Tochter hat demnächst, wenn ich nicht irre, eine Erstaufführung an einem hiesigen Theater, nicht wahr?«

»Ja! Ja!« nickte die Alte eifrig.

»Und da fürchten Sie, daß ich ihr schaden könnte, nicht wahr?«

Die alte Dame senkte verlegen den Blick.

»Gnädige Frau, haben Sie dergleichen schon von mir gehört?«

»Nein, o nein!« rief sie ängstlich.

»Unter den Kritikern, die mich unentwegt mit Unrat bewerfen,« fuhr Asmus fort, »ist einer, der sich vom Kunsthändler andauernd mit Bildern beschenken läßt. D. h. er kauft sie; aber er vergißt ausnahmslos das Bezahlen. Ein anderer hat einen groben literarischen Diebstahl unter erschwerenden Umständen begangen. Ein dritter gibt den Schauspielern heimlich Stunden gegen hohes Honorar und lobt sie dafür in der Zeitung. Ein vierter drängt den Theaterdirektoren, deren Theater er bespricht, seine Stücke auf, und da sie unaufführbar sind, müssen die Direktoren ihm Konventionalstrafen bezahlen. Ein fünfter dagegen zahlt den Theatern heimlich tausend Mark, damit sie seine Stücke annehmen und vor der Öffentlichkeit den Anschein erwecken, daß sie annehmbar seien. Ein sechster wurde von einer österreichischen Zeitung entlassen, weil er sie um einen Geldbetrag einfach betrogen hatte usw. usw. Ich weiß das alles; ich weiß sehr viel. An allen diesen Herren und vielen anderen hätte ich mich längst ›rächen‹ können; aber ich glaube kaum, daß ich's tun werde. Sie machen ein erstauntes Gesicht und fragen vielleicht, warum ich dergleichen Leute nicht ans Messer liefere. Ich mag nicht Veranlassung sein zu anderer Leute Unglück. Ein Mann hat mich um ein kleines Vermögen betrogen, und ich hätte ihn ins Zuchthaus bringen können. Aber der Gedanke, jemand ins Zuchthaus gebracht zu haben, war mir unerträglich. Sie sehen, daß Sie nichts zu befürchten haben,« schloß Asmus mit leisem Spott.

»Herr Semper –« machte die Frau mit demütiger Gebärde und schien sich entschuldigen zu wollen.

»Ich habe das Glück,« fuhr Asmus fort, »daß meine Feinde größtenteils seit ihrer Geburt ausgeruhte Köpfe sind. Aber das Dümmste, worauf sie verfallen können, ist die Bezichtigung der Rachsucht oder Intrige. Glauben Sie mir, gnädige Frau, daß ich Ihrer Tochter jeden Erfolg gönne, den ihr Stück etwa verdient.« –

Während also Dr. Meckehorn noch immer bei den Flagellanten stand, hatte Aaron Baumblatt sozusagen Karriere gemacht. Mit der bekannten Vielseitigkeit seines Ahnherrn Schmock übernahm er auch die Kunstkritik des »Patriotischen Anzeigers«, verriß auf das begeistertste alle Maler, die zeichnen und sehen konnten, und ermutigte durch feuriges Lob alle diejenigen, die die Mutter Gottes als ein Trapezoid auffaßten. Da 24 Stunden aber eine etwas kurze Zeit sind, um sich zum sattelfesten Kunstkenner zu entwickeln, so ging er dazu über, die Rezensionen anderer Kritiker wörtlich abzuschreiben, mit der klugen Abänderung jedoch, daß er, was jene von einem Liebermann geschrieben hatten, von einem Stuck sagte, was bei jenen von einem Uhde behauptet wurde, bei ihm als Urteil über einen Hodler erschien. Als er dabei ertappt wurde, erklärte er, er habe ein so fabelhaftes Gedächtnis, daß er alles behalte, was er je gelesen oder gehört habe, was insofern nicht wahrscheinlich war, als er seine Schulkenntnisse offenbar zum größten Teil vergessen hatte. Als er nun vor dem ganzen Deutschland darauf hingewiesen worden war, daß man eben nicht alles »behalten« dürfe, was einem unter die Finger komme, und als der »Patriotische Anzeiger« ihn wegen Erwischtwordenseins entlassen mußte, da verzagte Baumblatt keineswegs; denn er sagte sich mit heiterer Gewissensruhe, daß es für Leute von seiner ethischen Muskulatur immer eine letzte und vortreffliche Zuflucht gebe: die Frechheit. Was tut man, wenn man wegen Langfingerns aus der deutschen Literatur hinausgeworfen worden ist? fragte er sich. Man gründet ganz einfach eine Zeitschrift. Mit ethischen Tendenzen natürlich. Man verkündet den Deutschen mit Autorität, wie sie sich in künstlerischen und moralischen Dingen eigentlich betragen sollten. Man gibt ihr den Titel »Das Forum« oder »Der Areopag«, um einzuschärfen, daß hier strenger Gerichtstag gehalten wird über alles Minderwertige. Daß Baumblatt sogar bei den Vertretern seines Berufs nur die »Blattlaus« hieß, schadete gar nichts; warum sollte eine Laus nicht in den Talar des Richters schlüpfen? Wessen Kraft und Verdienst sich nicht innerhalb der von Baumblatt gesteckten Grenzen hielt, wurde denn auch auf seinem Forum unbarmherzig geschlachtet, und Asmus konnte mit Genugtuung feststellen, daß er zu den am meisten und heftigsten Geschlachteten gehörte. Eine besondere Abteilung des »Forums« hieß »Das Schafott«; hier köpfte Baumblatt eigenhändig die Unglücklichen, die seiner catonischen Strenge nicht genügten. Und man muß es schon zur Kennzeichnung der Zeit sagen: Der tapfere Baumblatt stand keineswegs allein; solange sein Geldgeber zahlte, hatte er manchen Beisitzer, und ein besonders Blutdürstiger unter den Richtern Deutschlands nannte sich Drakon, so daß einem das Mark gefrieren konnte. Er hieß aber eigentlich Dr. A. Kohn.

Man darf sein Herz nicht mit der Angst beschweren, daß der »Patriotische Anzeiger« für Herrn Baumblatt keinen Ersatz gefunden hätte. Das Angebot in diesem Artikel ist noch stärker als die Nachfrage und der Preis daher niedrig. Und auf Wohlfeilheit mußte der »Patriotische Anzeiger« Gewicht legen; denn er war ein sterbendes Blatt. Der Gründer des Blattes hatte ihm seinen Namen in der genialen Überzeugung gegeben, daß das Inserat die Quelle alles Reichtums und aller Kultur sei und darum die Seele seines Blattes werden müsse. Und die Jahre des Annoncensegens waren nicht ausgeblieben. Dann aber war der »Anzeiger« durch den siegreichen Wettbewerb eines großen und anständigen Blattes schrecklich ins Hintertreffen geraten; Abonnenten- und Inseratenschwund hatten hartnäckig an seinem Körper gezehrt, und da hieß es, sich aufraffen. Man schwindelte hohe, »noch nie dagewesene« Auflagen vor, und man brachte täglich einige aufregende Nachrichten; man wurde »interessant und pikant« in der ganz richtigen Berechnung, daß der schlechtere Teil des Publikums nicht Wahrheit will, sondern Sensation. Ganz besonders wild und stürmisch aber »gedachte man, daß man ein Deutscher sei«. Es war damals die Blütezeit des Maulpatriotismus; man stand wie die betenden Pharisäer an den Straßenecken und schrie: »Ich bin ein Deutscher, ich bin ein Deutscher«, was so sinn- und geschmackvoll ist, wie wenn man durch die Gassen riefe. »Ich bin kein Muttermörder, ich bin kein Muttermörder!« Es war jenes Wesen, das zart charakterisiert wird durch den viel früher geschriebenen Brief des Patrioten Th. Fontane:

»Ich bekam eine Zuschrift aus Dresden, deren Adresse ganz kurz lautete: ›Dem deutschen Dichter Th. Fontane, Berlin.‹ Ich erwartete den Anpump eines ›Kollegen‹ . . . ., es war aber das Anschreiben eines ›Deutschen Lehrers‹ (natürlich alles deutsch und immer unterstrichen,) der mich um eine Gabe ›aus meiner Dichtermappe‹ ersuchte; die lieben Kleinen, die Herzen ›deutscher Jugend‹ verlangten nach echtem Brot. Kurzum, er will auf andrer Leute Kosten eine Gedichtsammlung herausgeben. Unerträgliche Phraseurs.«

Später steigerte sich diese Gesinnung zu »treudeutschem Gruß« mit gelegentlicher Zugabe eines »kerndeutschen Handschlages« usw. Das »Deutsche« war die Konjunktur, und die schlechten Kerle sind gewöhnlich gute Barometer. Sie riechen die Richtung des Windes und sangen ihn in ihre Segel, und der Abschaum des Journalismus warf sich mit Mordsgewalt auf das Patriotische. Was seinem Vorteil abträglich war, was seinen Haß, seinen Neid erweckte, das denunzierte er – wenn irgend möglich, natürlich anonym – als »vaterlandslos«.

Es versteht sich, daß der »Patriotische Anzeiger« die Geschäftslage nicht verkannte und ausschweifend »treudeutsch« wurde, daß er in »nationaler Gesinnung« badete und sich mit ihr den Mund spülte, wie es die römischen Hetären bei Juvenal mit edlem Weine tun. Der »Anzeiger« verband aber mit dieser heiligen Überzeugung noch eine andere, die ebenso klug war. Er sagte sich: Nichts macht ein Blatt für den Lesepöbel interessanter als möglichst unverschämte Ausfälle gegen angesehene Personen. Frechheit fördert den Absatz. Personen, die große Warenhäuser haben und seitenlang inserieren, greift man natürlich nicht an. Personen, die mächtigen Behörden angehören, laßt man ungeschoren. Aber Leute, die einzeln im Leben stehen und nicht inserieren, Künstler, Gelehrte, Galeriedirektoren, Musikdirigenten u. dgl. – warum sollte man die nicht angreifen? Die einzige Waffe, die sie haben, ist die Entgegnung an gleicher Stelle, und die schneidet man ihnen ab, oder ihre Leistung, und die schmäht man. Wenn wir sie zu Worte lassen, so haken wir in jedes ihrer Worte einen neuen Angriff. Wozu hat man lügen gelernt?

Da nun Asmus Semper früher einmal radikale Dinge geschrieben hatte, da er sich kräftig gegen die Roheiten eines Mordspatriotismus im Frieden ausgesprochen, ja sogar zu einer großen Goethefeier, die er zu leiten hatte, furchtbarer Weise Sozialdemokraten eingeladen hatte, da er nicht »treudeutsch«, sondern nur ganz einfach deutsch war, da ferner seine Stücke tausendmal mehr gegeben wurden als die Stücke der »Anzeiger«-Redakteure, und sein Name fortgesetzt, wie der wackere Dr. Kuntze sich ausgedrückt hatte, »in aller Munde war«, welches Ziel lag da dem »Patriotischen Anzeiger« näher als dieser Herr Semper? Auf ihn! Und so verging denn kaum eine Woche, ohne daß ein Gentleman des »P. A.« oder seiner Gesinnungsvettern hinter der sicheren Brustwehr der Anonymität hervor, gestützt auf den Alleinbesitz der betreffenden Druckmaschine, einige Niederträchtigkeiten und Lügen gegen ihn abgeschossen hätte. Asmus war anfangs so naiv, zu erwidern, weil er auch bei dem unanständigsten Gegner immer noch einen letzten Rest von Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe voraussetzte. Natürlich kam er vom Regen der Unsauberkeiten in die Traufe des Unflats. Und da diese Gentlemen sich die Menschenwelt nach ihrem eigenen Bilde dachten – je niedriger ein Mensch, desto weniger vermag er sich aus sich selbst herauszuversetzen – und alle diese Häßlichkeiten aus ihrem Innersten kamen, so meinten sie, daß sie dem Gehaßten auch ins Innerste dringen müßten, und ahnten nicht, daß sein Herz gegen ihre Geschosse mit einer siebenfachen Glückskapsel umschlossen war.


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