Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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XLV. Kapitel.

Geburt und Taufe des heiligen Bureaukratius.

Ohne Borgen und ohne Sorgen fuhren sieben Semper in den blauen Sommertag hinaus, der blauen Ostsee entgegen, dem blauen Land der Sonnenträume zu. Immer wieder, wenn er den Blick über seine Schar gleiten ließ, mußte er denken: Wie gut, daß ich's ihnen gewähren kann ohne Borgen und Sorgen! Und dann mußte er aufspringen und an den Stangen des Gepäcknetzes irgendeine Turnleistung verüben, so daß sie lachten und über ihn herfielen und ihn erdrücken wollten, und sie lachten, daß er fürchtete, man werde im Nachbarabteil die Notleine ziehen, und wenn sie dann mit roten Backen und mit dem warmen, süßen Hauch ihrer reinen Seelen neben ihm, auf ihm, über ihm schnauften und jauchzten, dann mußte er wieder denken: Wie gut, daß ich ihnen solch eine Fahrt gewähren kann.

In einem hellen, heiteren, blitzsauberen Hotelzimmer, mit einem Blick durch breite Fenster auf das weite, stahlblaue Meer schrieb er seinen »Heiligen Bureaukratius«, schrieb ihn wie einen einzigen dürstenden Schrei nach der Freiheit der schulmeisterlichen Kunst. Als ein raffinierter Genüßling hielt er es mit allen Tagen so, daß er des Morgens arbeitete wie ein Pferd, ein geflügeltes natürlich, und des Nachmittags im Spiel mit Weib und Wellen und Kindern faulenzte. Wer nicht faulenzen kann, kann auch nicht arbeiten. Er hielt es in allen Sommerfrischen so: über der Arbeit des Morgens schwebte schon der selige Friede des Nachmittags, und hinter den Dämmerungsrosen des Abends lockte schon heiß die schaffende Sonne des nächsten Morgens. Die Nächte waren dann freilich nicht allzu ruhevoll; in seinem Bette verlebte er wieder lange Stunden glückseligen Wachens; gegen den Morgen hatte er farbige Träume, in denen er vor Bergen und Tälern, Ländern und Seen stand, so schön, wie sie nie ein Mensch auf Erden sieht, und wenn er sich erhob, war er dennoch stark und froh. Im Schaffen war er ein langsamer Arbeiter, weil er nichts aus der Feder los wurde, was ihm nicht fertig schien; wenn der Tag ihm hundert Zeilen gewährte, fühlte er sich überreich beschenkt. Aber er arbeitete nach dem Grundsatz des Apelles: Kein Tag ohne einen Strich; mit zwei fertigen Akten kehrte er heim, und ein dritter Monat brachte den dritten und letzten zur Reife.

Als er bald darauf wieder einmal mit den Seinen bei dem Prinzen zu Gaste war, mußte er den »Bureaukratius« vorlesen. Und als er nun seine Vorlesung beendigt hatte, sagte die Prinzessin: »Wenn man die Augen schließt, hat man vollkommen die Täuschung, im Theater zu sitzen.«

Vielleicht war es die körperhafte Klarheit, mit der er seine Gebilde vor sich sah, was ihnen ihre Wirksamkeit auf der Bühne verlieh.

Während er schrieb, sah er unaufhörlich das Äußere wie das Innere seiner Gestalten; er sah in jedem Augenblick, wo sie standen, wie sie sich bewegten, hörte jedes Wort, wie sie es sprachen, und erlebte in sich jede Bewegung ihrer Geister und Herzen.

Noch ehe der heilige Bureaukratius irgendwo gespielt war, hatten ihn schon 60  deutsche Bühnen angenommen, ohne Berlin zu fragen, und auch Berlin war darunter.

Aber zuerst sollte auch dieses Werk in Dresden erscheinen. Nach einer Probe fiel ein merkwürdiges Wort. Asmus stand am Künstlereingang des Theaters mit einigen Schauspielern in fröhlichem Geplauder, als der Darsteller seines Helden, ein feiner, liebenswürdiger Mensch, nachdem er ihn eine Weile nachdenklich angeschaut hatte, mit ebenso nachdenklichem Tone sagte:

»Sie wird der Neid noch mit Wolfszähnen anfallen.«

Asmus ging mit einem leichten Lachen darüber hinweg. Er war nicht der Meinung, daß solche Wolfszähne etwas zu Fürchtendes seien.

Die Proben nahmen diesmal einen glatten Verlauf, und sogar der Bühnenaberglaube wurde mehr als voll befriedigt. Nach der Generalprobe erschien nämlich zu Asmussens größter Überraschung ein Photograph im Theater, um ein Szenenbild aufzunehmen. So weit war die Lichtbilderwut schon entwickelt. Als aber nun der eifrige Lichtbildner seine Magnesiumpatrone entzündete, siehe, da krepierte sie mit solcher Gewalt, daß Asmus dachte, das Gewölbe »springe mit jähem Knall«, genau wie beim Glücke von Edenhall. Die Schauspieler standen einen Augenblick leichenblaß; dann begann der nervöseste von ihnen furchtbar zu schimpfen; eine der Damen aber war einer Ohnmacht nahe.

»Großartig,« flüsterte Asmussen ein unbeschäftigter Schauspieler ins Ohr, »ein solcher Krach auf der Generalprobe – das ist ein glänzendes Vorzeichen. Ich gratuliere.«

Voreilige Gratulanten werden häufig Lügen gestraft; diesmal geschah es nicht. Es war bei der Aufführung eine merkwürdige Wärme im Theater; sie konnte nicht von der Witterung kommen; denn es schneite und regnete draußen, und sie kam nicht von einer künstlichen Heizung, denn mit dieser Wärme ging ein menschlicher Atem. Sie schien daher zu kommen, daß den Menschen im Theater wohl ums Herz war. Sie jubelten wie Kinder, wenn sie Beifall klatschten; sie unterbrachen immer wieder das Spiel durch ihren Beifall, so daß die Darsteller fast minutenlang schweigen mußten; über manche Worte des Dialogs lachten sie zweimal zuerst, wenn sie sie obenhin verstanden hatten, und dann noch einmal stärker, wenn sie sie wirklich verstanden hatten. Woher kam diese Sommerwärme im Schneewetter? Vielleicht hatte sie gar nichts mit Vorzügen und Schwächen des Stückes zu tun. Ein Kritiker glaubte die Ursache gefunden zu haben; er schrieb: »Diese Stücke strömen eine Urgesundheit aus, eine ansteckende Fröhlichkeit. Sie lassen uns wieder an unsere Landsleute glauben; sie geben uns Hoffnung.«

So kam es denn wohl, daß ein Asmussen unbekannter Bürger der Stadt Dresden nach diesem Abend sagte: »Das war keine Premiere, das war ein Volksfest.«


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