Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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LVIII. Kapitel.

Der hundertausendläufige Revolver.

Und so ging ihm oft das ganze Leben wie eine Musik ein, und wenn er einer verborgenen Neigung seines Herzens gefolgt wäre, so hätte er sich wohl nach und nach Menschen und Welt in lauter solche Musik umgewandelt Es war eine Neigung zum Wohlleben in ihm, nicht nur insofern, als er sich jetzt zuweilen ein Dutzend Austern und eine Flasche Rheinwein erlaubte, nein, ganz besonders insofern, als er, genau wie andere Menschen, die frohen und friedlichen Stimmungen vor den trüben und ruhelosen bevorzugte. Ja, so widerspruchsvoll es klingen mag: es war in ihm sogar ein starker Hang zur Faulheit; dieser Mensch. der in den vierzig Jahren seines Lebens sicherlich mehr gearbeitet hatte als mancher Arbeiter in sechzig Jahren und dem die Arbeit wirklich eine erlösende Göttin war, zog ihr doch bisweilen die Faulheit bei weitem vor und genoß das Leben liebend gern, auf dem Rücken liegend, als ein Adagio auf der Hirtenschalmei.

Allzu reichlicher Musikgenuß nun führt zur Erschlaffung; dem aber hatte der Meister, der das Uhrwerk dieser Semperseele gebaut hatte, vorgebeugt, indem er, wie in jedes richtige Uhrwerk, eine »Unruhe« hineingesetzt hatte, die den Gang des Lebens – beschleunigend – regulierte. Diese Unruhe war das schon mehrfach erwähnte Rechtsgefühl des Asmus Semper, das immer wieder auf nachdrückliche Weise aufgerufen werden sollte.

Um diese Zeit hatte ein Musikreferent über einen hervorragenden und gefeierten Kapellmeister geschrieben, er habe die Komposition eines Kollegen aus Mißgunst recht nachlässig und schlecht dirigiert. Die Komposition war aber infolge einer Programmänderung gar nicht aufgeführt worden, und der »schneidige« Rezensent war also gar nicht zugegen gewesen. Der Kapellmeister ließ sich's auch nicht gefallen und nagelte den Ehrabschneider öffentlich fest; der wurde denn auch von seinem Blatte abgesägt und dafür von einem andern liebevoll aufgenommen.

Mancherlei Hübsches von gleicher Art erlebte Asmus um diese Zeit und hatte er hundertfach erlebt. Ein großer Erfolg, der von der ganzen Presse einer Großstadt einstimmig festgestellt war, wurde vier Wochen darauf von einem wagemutigen Ritter vom Geiste vollkommen kaltblütig in eine »Ablehnung« umgewandelt, und ein Gentleman, der sich vorsichtigerweise »Prokrustes« nannte, erzählte, daß ein Sempersches Stück schlechte Einnahmen bringe (das war plötzlich eine Schande geworden). und daß in einer gewissen Szene dieses Stückes die Schauspieler sich über diese schlechten Einnahmen lustig machten. Zum Unglück für den Gentleman war diese Szene von Asmussen lange vor der Ausführung gestrichen und niemals und nirgends gespielt worden. Er las auch Zitate aus seinen Stücken, die niemals darin gestanden hatten; er las, daß Sardous »Cyprienne« am Wiener Burgtheater einen glänzenden Erfolg gehabt habe, und las zwei Minuten darauf in einem andern Blatt, daß eben dieses Stück an eben diesem Theater infolge der elenden Darstellung jämmerlich durchgefallen sei. Er ging eines Tages mit dem Direktor des Wiener Burgtheaters in eine »Trafik«, um Zigarren zu kaufen; der Direktor kaufte sich eine Zeitung. Sie verließen nach drei Minuten den Laden und hatten nichts gesprochen, als was für den Handel nötig war. Draußen entfaltete der Direktor die Zeitung und zeigte auf ein zwei Spalten langes »Interview«, das der Verfasser bei ihm gehabt haben wollte. »Ich habe«, sagte der Direktor, »mit dem Manne nicht mehr gesprochen, als jetzt eben in dem Laden da.«

»Ja, wollen Sie denn das so hingehen lassen?« fragte Asmus empört.

»Natürlich,« versetzte der Direktor. »Man soll nie erwidern.«

»Da denk' ich anders!« rief Asmus. In ihm war der Gedanke gereift, daß es für einen Satiriker und Lustspieldichter, der die schlimmsten Gebrechen der menschlichen Gesellschaft verspotten und brandmarken soll, gar keinen köstlicheren, dankbareren Stoff gebe als diesen Lügenjournalismus. Und er setzte dem Direktor auseinander, daß er solch ein Stück schreiben wolle und im Kopfe schon fertig habe.

»Das kann gewiß ein gutes Stück werden,« sagte der Direktor, »aber man wird es nicht aufkommen lassen.«

»Das glaube ich doch!« rief Asmus zuversichtlich. »Ich denke mir so: Die Presse wird sich sagen: wir üben täglich und überall Kritik; da müssen wir auch denen das Wort gestatten, die an uns Kritik üben.«

Da schüttelte der Direktor, der ehedem selbst Journalist gewesen war, langsam das Haupt und sagte mit einem wehmütig-träumerischen Lächeln:

»Nein. So werden sie nicht denken.« – –

Vier Monate daraus sagte sein Freund Dr. Oßmann, der Chefredakteur einer großen Zeitung, zu ihm:

»Was uns merkwürdigerweise noch immer fehlt, das ist eine satirische Komödie über die Presse. Und das ist doch ein unerschöpflicher Stoff! Freytags ›Journalisten‹ sind noch immer ein vorzügliches Lustspiel; aber mit dem heutigen Journalismus haben sie soviel gemein wie die ›Braut von Messina‹ mit den Kartoffelpreisen. Das wär' eine Aufgabe für Sie!«

»Ihr Wunsch«, sagte Asmus mit vergnügtem und verbindlichem Lächeln, »ist mir Befehl. Wenn ich Sie einladen darf, mir am nächsten Montag zuzuhören, so werde ich Ihnen in einem Kreise vertrauter Freunde meine neue Komödie vorlesen.«

Er hatte seine Komödie des Revolverjournalismus vollendet.

Bis dahin hatte man unter einem Revolverjournalisten einen Mann verstanden, der mutig an sein Opfer herantrat und offen und ehrlich sagte: »Gib mir Geld, oder ich falle in meinem Blatt über dich her.« Es war die roheste Form des Preßbanditentums und daher die unschädlichste. Der eigentliche, moderne Revolverjournalist aber arbeitete knall- und rauchlos. Er sagte sich: Mein Revolver ist die Rotationsschnellpresse. Wenn ich 100 000 Leser habe, so hat meine Maschine täglich 100 000 Schüsse. Ich brauche nur anzukündigen, daß ich 100 000 Leser habe, dann weiß man: das sind täglich 100 000 Schüsse. Ich brauche mich nicht zu découvrieren; man weiß ganz genau: wenn man mir nicht zu willen ist, dann schieß ich. Wer bei mir nicht hinreichend inseriert, wer mich oder meine Freunde oder meine Verwandten oder meine Partei oder Clique nicht fördert und lobt, wer mit mir konkurriert, wer einer gegnerischen Interessengemeinschaft angehört, kurz, wer mir in irgendeinem Sinne wider den Strich geht, sei es auch nur, daß seine Nase mir nicht gefällt, daß er nicht genügend Angst vor mir hat: auf den schieß ich. Vorausgesetzt natürlich, daß er wehrlos oder so gut wie wehrlos ist. Hat er auch eine Maschine mit 100 000 oder gar mit 200 000 Schüssen, dann ist Vorsicht geboten. Aber selbst wenn ihm jemand solch eine Maschine zur Verfügung stellen sollte – an meine Maschine kommt er nicht heran; da pass' ich schon auf. Zu meinen Lesern spricht er nicht, dafür will ich schon sorgen. Ich schneid ihm Berufs- und Menschenehre ab und mach ihn mundtot. Dann kriegen die andern schon das Zittern und zahlen pränumerando, sei es in bar, sei es in Liebesdiensten. Die Gerichte dienen nur dazu, meine Macht zu befestigen; denn wenn ich für 100 000 anonym abgefeuerte Meuchelmörderschüsse mit 50 Mark Strafe belegt werde, mach ich eine Bombenreklame daraus.

So erweiterte sich Asmussen der Begriff des Revolvertums zu dem des böswilligen und feigen Mißbrauchs der journalistischen Macht.

In den Mittelpunkt seines Stückes stellte er nicht einen jener »klugen« Männer, die »mit den gegebenen Tatsachen rechnen«, die »die Welt nehmen, wie sie ist« und »nicht gegen Windmühlen kämpfen« (während kluge Menschen sonst selten sind, sind diese Klugen so zahlreich!), sondern einen jungen Künstler von zartem, empfindlichem Ehrgefühl, der von einer verkappten Revolverpresse aus Rachsucht, Gewinnsucht und Neid angefallen wird und sich das unerhörterweise nicht gefallen läßt. Je entschiedener er sich wehrt, desto dichter hageln natürlich die Gift- und Stinkgeschosse, bis die Gemeinheit seiner Feinde sich so »herrlich offenbart«, daß sogar das Publikum Lunte riecht. Bei der Erstaufführung eines neuen Werkes bereitet es ihm mit deutlicher Absicht einen ohren- und augenfälligen Triumph. Auch dies hatte Asmus erlebt. Als in einer großen Stadt am letzten Abend vor der Erstaufführung seines »Bureaukratius« eine wüste Schmähung desselben Stückes erschien, rief am folgenden Abend das Publikum so andauernd und stürmisch nach dem Verfasser, daß der Regisseur vortreten und mitteilen mußte, der Dichter sei nicht anwesend. Und das war der Sinn der Semperischen Komödie:

Das Publikum ist schuld. Das Publikum hat die Presse, die es verdient. Sobald es die Schmach des Revolvertums erkennt, wird sie verschwinden.

Das war gewiß eine simple Wahrheit; aber sie war zu jener Zeit weit davon entfernt, erkannt zu werden.

Giftpflanzen haben gewöhnlich einen üblen Geruch; darum parfümieren sich die übelsten Blätter (in einer Art halbbewußter Selbsterkenntnis) gern mit den schönsten Namen, Wahlsprüchen und Artikelüberschriften. Asmus gab dem Skandalblatte, das er abmalte, den Titel »Licht und Recht«.


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