Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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XXII. Kapitel.

Schön ist die Jugend und ein Triumph.

Und ein Tag mit roten Backen war noch der Sylvester, der Jonathan Rosenberg, Harald Danebrog und Dietrich von Löwenclau an seinem Tische vereinigte. Seit dem Weihnachtsfeste schmückte ein kleiner, aber hübscher Teppich das Wohnzimmer; Frau Hilde hatte so viele Blumen herbeigeschleppt, wie ihre Mittel es erlaubten – so viele Blumen, so viele frohe Augen hat ein Fest – und Asmus wandelte hin und her durch seine Zimmer und konnte nicht mehr arbeiten; denn er genoß, ein raffiniertester Schlemmer, das stille, einsame, leuchtende Fest der Erwartung.

Er pflegte die Tage des Vergnügens von den Tagen der Arbeit so sauber zu trennen, wie Jehova die Wasser über der Veste von den Wassern unter der Veste, und genoß einen seltenen Tag der Lust vom Rande des Kelches bis zum Grund. Als seine Gäste einmal um drei Uhr morgens aufbrachen und er erschrocken ausrief: »Was! Jetzt wollt ihr schon gehen? Diese Gemeinheit!« da brachen alle in schallendes Gelächter aus, weil seine Entrüstung so ehrlich war.

Als erster erschien Löwenclau mit einer allerkostbarsten Rose für Frau Hilden, und als er bald darauf, um ein Bild zu betrachten, einen Kneifer hervorzog, schrie er: »Ja, ja, mein Semper, ich brauche jetzt ein Augenglas, ich werde weitsichtig!« Und dann tanzte er durch die ganze Länge des Zimmers und sang nach der Weise »Wir halten fest und treu zusammen« mit einem Brigade-Exerzier-Tenor: »Jetzt kommt das Alter, das Alter, das Alter, hip hip hurra, hip hip hurra!!!«

Und als das Mahl genossen war – Ogier le Danois hatte einen Riesenaal dazu mitgebracht – las Dietrich von Löwenclau sein jüngstes Gedicht vor.

»Es schildert mein letz–tes Abenteuer mit einem ent–zük–ken–den kleinen Mädel –« schickte er voraus, und alles lachte ungläubig – »ich nehme in diesem Gedicht Abschied von meiner Jugend –« und alles lachte noch lauter – »jetzt kommt meine »zweite Peri–ode, von nun an werde ich ab–strakt lieben wie A–bä–lard!!! O Gott, o Gott, meine Freunde!!!« – und alles lachte noch viel lauter, und dann las er sein Gedicht mit schmetternder Leutnantsstimme wie einen militärischen Tagesbefehl; aber die letzte Zeile lautete: »Schön ist die Ju–hu–gend; sie kommt nicht mehr«, und die sang er mit so viel lyrischem Schmalz, daß des Lachens kein Ende war. Und dann las Asmus eine von Danebrogs Seemannsgeschichten in plattdeutscher Sprache, und Harald der Riese lag in der Sofaecke und glänzte und strahlte bis in das letzte Ringellöckchen seines Bartes hinein und schnippte ab und zu mit den Fingern, schnalzte mit der Zunge und rief voll Vergnügen über sein eigenes Werk: »Holla – sasa – sehr fein!« Auch er war wie Löwenclau von jener wahren Bescheidenheit, die fremdes Können hochachtet und sich darum auch des eigenen freuen darf. Furchtbare Stunden der Verzweiflung an sich selbst hat ein Künstler dann noch immer genug.

Auch Asmus litt daran keinen Mangel.

»Ein andres Antlitz, eh' sie geschehen,
Ein andres zeigt die vollbrachte Tat.«

Wenn er ein vollendetes Werk durchlas, dann ward es ihm mit jedem Lesen blasser, lebloser, überflüssiger. Seine Zweifel an seinem Erstlingsdrama wuchsen mit jedem Tage, an dem das Hamburger Theater von einer Aufführung – nichts merken ließ. Eines Tages mußte ja die Nachricht kommen: Wir beginnen mit den Proben. Aber sie kam nicht. Da faßte er sich ein Herz und ging hin, um anzufragen. Aber seltsam: der Direktor war verreist, der eine der Regisseure auf der Probe und der andere »augenblicklich nicht abkömmlich«. Er schrieb jetzt einen Brief und erhielt keine Antwort. Dann ging er noch einmal hin und erfuhr, daß der Mann, der zu ihm gesagt hatte: »Wir haben die Absicht usw.« nicht mehr bei diesem Theater sei. »Das ist ja gleichgültig,« meinte Asmus; »der Herr hat mir doch als Ihr Stellvertreter die Aufführung versprochen!«

»Versprochen?« fragte der Herr Direktor. »Was hat er denn gesagt?«

»Er hat gesagt: Wir haben die Absicht, Ihr Stück zu geben.«

»Ja, die Absicht –! – Nun, wir werden Ihr Werk prüfen.«

Das war alles, was er erreichte.

Er wußte noch nicht, daß »Wir haben die Absicht« nicht so viel bedeutet wie »Wir sichern Ihnen die Aufführung zu«, daß eine mündliche Zusicherung noch lange keine schriftliche Zusicherung ist, daß eine schriftliche Zusicherung gar nichts bedeutet, wenn sie keinen Aufführungstermin enthält, daß eine solche schriftliche Zusicherung mit einem Aufführungstermin keinen Pfifferling wert ist, wenn keine Konventionalstrafe darin festgesetzt ist, daß das alles wiederum hinfällig ist, wenn die Direktion wechselt, kurz: er kannte das Theater nicht und konnte nicht juristisch denken.

Der Trost kam von anderer Seite. In Berlin war eine »Freie Volksbühne« errichtet worden, und die wollte an vier Sonntagen sein Stück geben und ihm jedesmal 15 Mark zahlen. Er ließ sich 50 Mark von den 60 vorstrecken und konnte nun zur Ausführung fahren. Er erschien auf der Generalprobe und konnte nicht begreifen, daß daraus so etwas wie eine Theatervorstellung werden sollte. Er wohnte wieder in jenem Studentenhotel in der Sackgasse, warf sich nach der Probe mit grimmigen Zahnschmerzen auf das kantenreiche Sofa und hörte, wie jemand im Zimmer darunter unaufhörlich mit einem Finger auf dem Klavier das Lied spielte:

»Siehste woll, da kimmt er;
Große Schritte nimmt er –«

Er hatte sich den Vorabend großer Ereignisse anders gedacht. Ein Gefühl der Hundeverlassenheit, einer Ernüchterung bis ins Mark der Knochen überfiel ihn. Er lief hinaus, schlenderte stundenlang durch die Straßen und setzte sich endlich ins Kaffee Bauer. Da traf er einen jungen Schauspieler, den er von Hamburg her kannte; der führte ihn an eine Anschlagsäule, und im Dunkel der Nacht entzifferten sie:

Der Verrat.

Ein Drama in fünf Akten

von Asmus Semper

Zum ersten Male stand sein Name an einer Anschlagsäule. Es war doch etwas.

Als er sein an mehreren, nur nicht an den richtigen Stellen »schwellendes« Lager aufgesucht hatte, erlebte er plötzlich etwas höchst Seltsames. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel überfiel ihn schwerste Krankheit und tiefstes Unglück: das Heimweh. Er lachte laut auf; aber das Leiden blieb. Er sagte sich im stillen: Du bist ein Narr, warum fühlst du Heimweh; morgen siehst du deine Frau und übermorgen deine Kinder wieder – also – was soll das? Das Herz schwoll ihm in den Hals und drohte ihn zu erwürgen. Er richtete sich im Bette auf und sagte laut: »Du bist verrückt, mein guter Asmus, du bist kindisch, mach dich nicht lächerlich vor dir selbst und sei kein Waschlappen! –« Das Leiden blieb und wuchs. Es war wie eine Seekrankheit, von der man auch sagt, daß man sie mit Vernunftgründen und Charakteraufwand vergeblich bekämpfe. Nie in seinem Leben hatte er sich so unglücklich und so krank gefühlt. Endlich schlief er ein. Als er erwachte und wieder auf dem festen Boden eines neuen Tages stand, war das Heimweh wie weggeblasen. Aber es war ein tieferes Heimweh gewesen, als er ahnte.

Mit dem hochklopfenden Herzen eines Frischverlobten holte er Hilden vom Bahnhof. Mehr als eine Nacht hatte sie sich von der kleinen Gesina nicht trennen wollen. Er nahm eine Droschke – wer weiß: vielleicht wurde sein Stück jetzt von vielen, vielen Bühnen angenommen! – und zeigte ihr den Siegesplatz, das Reichstagsgebäude, die Linden, den Tiergarten. Dann saßen sie im Theater mitten unter dem Publikum. Bevor der Vorhang sich hob, brachte ihm ein Theaterdiener einen Zettel. Im Halbdunkel des Zuschauerraums entfaltete ihn Asmus und las:

»Mönchlein, Mönchlein, du gehest einen
schweren Gang; aber forcht di nit;
ich, dein Landsmann, bin bei dir.«

Das war Löwenclaus Säbelschrift, und das war Löwenclaus Herz. Und nun folgte ein allererstes Erlebnis. Es war eigentlich zum großen Teil verkehrt, oder schwach, oder ganz schlecht, was die sehr verschiedenartigen Kräfte da unten spielten; aber manches machten sie auch herrlich, und zum ersten Male sah er im Fleische, was bis dahin nur im Geiste gewesen war. Das war wie ein unbekannter Rausch, war, wie wenn ein Jüngling zum ersten Male Wein trinkt, und zwar starken und süßen Wein. Er hörte wohl, daß da oft geklatscht wurde und immer wieder geklatscht wurde; aber es klang wie ganz von weitem, und er drückte immer nur Hildens Hand. Und als man ihn zum Schluß auf die Bühne holte und er sich immer wieder verneigen mußte – er wußte nicht, wie oft, da erschien ihm das Theater so rund wie ein Karussell, obwohl es vollkommen eckig war. Und dann fuhren sie mit einem überfüllten Nachtzuge nach Hamburg und konnten die ganze Nacht kein Auge zutun. Ermattet lehnten sie wohl den Kopf gegen die harte Holzwand des Wagens; aber Asmus konnte nicht schlafen, weil die stampfenden Räder immer

»Triumph – Triumph – Triumph – Triumph«

riefen, und Hilde konnte nicht schlafen, weil ihr Herz immer hin- und herflog zwischen dem Sieg zu Berlin und dem kranken Töchterlein daheim.


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