Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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XXXIV. Kapitel.

Der Hamburger Mäzen und Asmus als Flieger.

Der Hamburger Kaufmann und der im Dunstkreis des Handels lebende und akklimatisierte Bürger steht künstlerischen und wissenschaftlichen Dingen durchaus nicht mit jener Verständnislosigkeit und Nichtachtung gegenüber, die ihm so gern nachgeschimpft wird. Er hat im Gegenteil einen ganz ehrlichen Respekt vor dem Geistigen überhaupt und beweist oft eine recht sichere Nase für das »Gediegene«. Nur gewisse Ausdrucksformen der Kunst »liegen« ihm weniger, z. B. das Pathetische, das Sentimentale, das Romantische – es erscheint ihm leicht »überß–pannt«. Ihm liegt der Realismus im Blut wie seinem Vetter, dem Holländer. Im übrigen weiß er sehr wohl, daß es auch andere Dinge geben muß als Kaffee und Guano, und daß es Werte gibt, die sich nicht an der Börse handeln lassen. Man muß sich nur seiner Ausdrucksweise, seinen Maßstäben mit Humor anpassen. Man muß ihm einen Künstler wie einen Kommis empfehlen; man muß sagen: »Herr Dabelß–tein, der X. Y. das is' n sehr tüchtigen un zuverlässigen Dichter!« Dann sagt Herr Dabelß–tein: »Djä, denn darf der Mann doch keine Not leiden, das 's ja selbstverständlich« und zieht ohne Gesichtskrampf das Scheckbuch. Der königliche Kaufmann, den Asmus jetzt kennen lernen sollte, war aber von noch wesentlich anderer Art.

Er wohnte in der herrlichsten Gegend Hamburgs, nahe der Alster, wo die Leute so reich sind, daß sie ihre rosenüberwucherten Villen während langer Monate leer stehen lassen, um sich in Taormina oder in der Oase Biskra oder bei der Cheopspyramide aufzuhalten, wohnte in einer Gegend, wo man unwillkürlich das Gefühl hat, daß man überall auf einem zolldicken Teppich von braunen Lappen wandle, und wo man vor jedem Palast oder Landhaus, das daliegt wie ein Traum unter Blumen, sich fragt: »Wieviel Unglück mag darin hausen?« Denn das wußte Asmus nun auch schon, obwohl er ein armer Teufel war, daß das Glück der Menschheit nach »oben« hin nicht zunimmt und daß die »Höhen der Menschheit« – mögen es nun Gold- oder Lorbeerhöhen sein – in einem vielfachen Sinne die Tiefen der Menschheit sind.

Als er die Halle des – übrigens sehr einfachen – Hauses betreten hatte, sah er das ganze Treppenhaus angefüllt mit den schönsten Gemälden und Skulpturen, die ein offenbar wählerischer Geschmack gesammelt hatte. Herr Leipoldt empfing seinen Gast schon auf dem Vorplatze und öffnete die Tür zu seinem Arbeitszimmer.

»Sie sind pünktlich, Herr Semper,« sagte er, »das finde ich hübsch von Ihnen.«

»Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Darlehensucher,« erwiderte Asmus.

»Mein lieber Herr Semper,« sagte Herr Leipoldt mit dem feinmelancholischen Lächeln eines oft Getäuschten, »es gibt Leute, die auch dann nicht pünktlich sind. Bitte, nach Ihnen.«

Das Zimmer befestigte den Eindruck der Vorhalle: ruhiger, besonnener, geschmackvoller Reichtum, ein ganz anderer Glanz, als er ihn bei manchem Hamburger Geldrüpel gefunden hatte.

»Ich habe Ihre Bücher mit großem Vergnügen gelesen,« begann Herr Leipoldt, »und ich will Ihnen gern helfen; aber Sie müssen mir eins versprechen.«

»Bitte?«

»Sie müssen mir wirklich Ihre ganze Schuldenlast nennen. Die Herrschaften scheuen sich oft, die ganze Summe zu nennen, und dann ist nach einiger Zeit die Misere wieder da. Wir müssen tabula rasa machen.«

Asmus nickte heftig Zustimmung.

»Also wieviel ist es?«

»3217 Mark und 50,« sagte Asmus deutlich und fest.

Herr Leipoldt zog die Augenbrauen ein wenig hoch, legte den Kopf ein wenig auf die Seite und sagte: »Das ist viel.«

»Ja,« sagte Asmus in derselben Überzeugung; für ihn war es jedenfalls viel.

»Haben Sie viel Krankheit in Ihrer Familie gehabt?«

»Das kann ich nicht behaupten,« erklärte Asmus. »Meine Frau ist wohl einmal schwer krank gewesen, und eines meiner Kinder hat jahrelang gekränkelt; aber mein Arzt ist mein Freund und hat mir sehr menschenfreundliche Rechnungen geschrieben. Das hat kein allzu großes Loch gerissen. Aber wenn man elf Jahre verheiratet ist und fünf Kinder hat – wenn man dann nur die zwei Berufe des Lehrers und Dichters hat – und kein Anachoret ist, der nur von Einsamkeit und Wurzeln lebt – dann kommt es.«

»Ja, das kann ich verstehen,« sagte der Kunstfreund. »Ich weiß ganz gut, wie einem in solcher Lage zu Mute ist. Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß ich einmal vor dem Ruin stand.«

»Nein,« sagte Asmus überrascht.

»Ja. Es war nicht meine Schuld; aber ich mußte meine Zahlungen einstellen. Nun. ich bin wieder hochgekommen; aber ich erblicke die Berechtigung zur Ansammlung größerer Vermögen nur darin, daß man nach Kräften Gutes damit stiftet. Ich werde Ihnen einen Scheck auf meine Bank ausstellen.«

Asmus kniff sich mörderisch ins Bein, um sich zu beherrschen. »Sie können sich wohl kaum vorstellen, was Sie für mich tun,« sagte er. »Jetzt bin ich frei; jetzt kann ich arbeiten.«

»Das ist recht,« sagte Leipoldt, indem er schrieb, »schaffen Sie ein Werk, das uns und Ihnen Freude macht.«

»Wenn es Erfolg hat, soll es mein erstes sein, daß ich Ihnen die Schuld zurückzahle.«

Leipoldt sah ihn groß an. »Das erwarte ich nicht,« sagte er. »Das Geld ist Ihr Eigentum. Aber es soll mich freuen, wenn Sie in die Lage kommen, es zurückgeben zu können

Gefühlsausbrüche sind einem Hamburger Kaufmann gegenüber nicht angebracht, das wußte Asmus, auch diesem gegenüber nicht, der so freigebig Dichter unterstützte und noch immer gern seinen Homer oder Horaz in der Ursprache las. Aber Asmussen war es auch gar nicht nach Gefühlsausbrüchen zumute; er stand plötzlich auf und stand da wie ein einziger eiserner Entschluß, und so eisern, wie er es vermochte, war auch der Händedruck, mit dem er sagte: »Wenn ich's einmal habe, werde ich's nicht behalten.«

Und jetzt hätte Leipoldt ihm die größte Wohltat erwiesen, wenn er ihn hätte laufen lassen. Aber jetzt mußte er erst die ganze Kunstsammlung besichtigen. Zu anderen Zeiten wäre es ihm ein hohes Fest gewesen, heute war's ihm eine Folter. Er mußte sich doch austoben! Ich denke, wir wollen von seinem Kunstsinn nicht allzu gering denken, weil sich in ihm der Eindruck der prächtigsten italienischen, holländischen und deutschen Meister immer wieder zusammenfaßte in das Wort: schuldenfrei! – schuldenfrei! – schuldenfrei! und er bei den kostbarsten Radierungen immer wieder an das graphische Kunstwerk in seiner Brieftasche denken mußte.

Als er endlich entlassen war, da ging es ihm wie damals, als er seine erste Prüfung bestanden hatte: er lief ohne Beine, d. h. er fühlte sie nicht; es war jenes traumhafte Fliegen, wie wir's im Schlaf erleben, immer über den Boden hin, ohne ihn je zu berühren, bald höher, bald tiefer, und dazu das Gefühl: also kann der Mensch fliegen, also kann er doch fliegen! Und der Kopf flog immer für sich davon; der war immer schon am Straßenende, wenn der Rumpf noch am Anfang war. Er hätte jetzt nicht fahren können, nicht umsonst, nicht für einen Lohn! Den ganzen weiten Weg nach Hause wollte er gehen, um doch wenigstens etwas zu tun!


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