Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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XXI. Kapitel.

Ein neuer Feind und viele Nachtigallen.

Er setzte denn auch diese Tätigkeit des Feindemachens mit heiterer Unbesorgtheit und glänzendem Erfolge fort. Eine Berliner Zeitschrift lud ihn ein, Kritik für sie zu schreiben. Mit Freuden sagte er zu; denn erstens konnte man auf diesem Wege – so meinte er – Gutes stiften, und zweitens mußte ihm jede Möglichkeit eines anständigen Erwerbs willkommen sein. Ungeheure Pakete wälzten sich von Berlin heran, und wenn er sie öffnete, war meistens Lyrik darin. Er griff sein Werk mit ungeheurem Eifer an, las bis tief in die Nächte hinein, wenn die Seinen längst in tiefem Schlafe lagen, und las auch das schwächste und schlechteste Buch bis auf den letzten Buchstaben. Denn, sagte er sich, wenn es auch nur eine gute Seite, ein gutes Gedicht enthält, so darf das nicht unterschlagen werden. Seine Gerechtigkeitsliebe ging bis zur Pedanterie; alles wollte er lieber sein als ungerecht. Darum hielt er es auch für seine Pflicht, sein Urteil aufs peinlichste zu rechtfertigen und zu belegen; von seinem Schulmeisterberufe her war er es gewohnt, seine Zeugnisse zu begründen; er besaß wenigstens nicht den Größenwahn, daß man einer nackten Zensur von ihm Gewicht beilegen müsse. Und wenn ihm dann ein Buch wirklich hoffnungslos schlecht schien, dann schlug er mit Keulen drein. Wäre er 20 Jahre älter und im Leben der Kunst erfahrener gewesen, so würde er sich gesagt haben, daß in der Kunst – umgekehrt wie in der Natur – das Leichte von selber sinkt und das Schwere sich oben hält, daß das Falsche immer sich selbst entlarvt, daß man also über Wert und Wirkung der Kritik überhaupt im Zweifel sein kann. Damals aber glaubte er fest und steif, daß man alles Schlechte und Winzige, das sich breit macht, heftig bekämpfen müsse, und als ihm eines Tages zwei dicke Bände Lyrik von einem Herrn Armin Schwollenthin unter die Hände kamen, die auf 600 Seiten nichts enthielten als schlechtesten, zum siebzehnten Male aufgegossenen Baumbach – Armin Schwollenthin trug unverkennbar statt des Herzens einen Wasserkasten in der Brust, und wenn er den Hahn drehte, floß ein »Gedicht« heraus – da entleerte er über das Haupt des »Dichters« eine volle Schale des grimmigsten Spottes.

»Ich habe gebrüllt vor Lachen, als ich Ihre Kritik las!« rief Löwenclau, »und haben Sie bemerkt, welch eine wüste, schamlose Reklame für diesen Schmierifax gemacht wurde? Er sollte um jeden Preis ›gemacht‹ werden. Aber Vorsicht, teuerster Semper, Vorsicht in der Wahl Ihrer Feinde!!! Greifen Sie kein Pech an!«

Dabei ist nicht zu übersehen, daß Dr. Meckehorn seinen Vortrag über die Flagellanten in einen Novellen-Zyklus umgewandelt und dem Vorstand der »Rostra« vorgelegt hatte, und daß Asmus sich mit keiner Silbe dazu geäußert hatte. Da er nicht loben konnte, so schwieg er.

Inzwischen nahm der Spielplan des Hamburger Theaters seinen Lauf, ohne daß Asmussens Trauerspiel »Der Verrat« darinnen aufgetaucht wäre. Nun, dachte Asmus, es wird schon kommen. Ich habe ja das Versprechen.

Soweit neben Mühsal, Sorge und Ängsten der Frohsinn aufkommen kann, soweit war an einem Julitage dieser Zeit auch Frohsinn im Hause Semper. Gesina Chavonne hatte ihrem Seebären Jan Bleicken den Trauring durch die Nase gezogen und führte ihn fröhlich daher, und wenig fehlte, so hätte Jan Bleicken wirklich getanzt. Es gab ein warmes Essen am Abend und ein paar Flaschen richtigen Weins, und die Kinder waren glückselig, daß sie dabei sein durften, und erzählten überall im Haus und auf der Gasse: Bei uns ist Hochzeit.

»Mama, sind wir auch dabei gewesen, als ihr Hochzeit machtet?« fragte die sechsjährige Isolde ihre Mutter.

»Nein!« lachte Hilde laut heraus, und dies Lachen war der goldigste Wein, den Asmus an diesem Tage trank. Ein Lachen war kostbar in diesen Zeiten, und sonderlich ein Lachen Hildes.

Um des kranken Kindes willen gaben sie ihre sonnenarme Wohnung auf und flohen hinaus an die äußerste Grenze der Stadt, »wo die letzten Häuser stehen«. Wie in seinen sonnigsten Kindheitsjahren wohnte Asmus wieder zwischen lauter Hecken und Wiesen, dort, wo Fuchs und Hase sich Gutenacht sagen. »Am Wiesenborn« hieß es dort. Als sie mit ihrem Einzug fertig waren, trat Asmus allein hinaus in den kleinen, rechtwinkligen Garten, streckte weit die Arme aus, trank mit einem tiefen Zuge den Hauch der Wiesen und Büsche und dachte: Möchte hier doch kommen, was wir ersehnen. Eine Nachtigall schmetterte laut aus dem nahen Knick; eine andere antwortete; eine dritte fiel ein.

Es war ein Nachtigallenparadies; die große Frau Natur wohnte gleich nebenan und war nun die nächste und vertrauteste Nachbarin der Semper. Auf stillen Wegen zog sie den müden Spaziergänger ganz unvermerkt an ihre warme, junge Brust und sprach ihm Trost ein. Und sonderlich seinem alten Freunde, dem Winter, sah er wieder recht mit Andacht in die hellen, stillen Augen.

Wenn die Weihnacht nahekommt, verkriech' ich
Tief und stumm mich in mein Innerstes.
Auf der Heimkehr von der Arbeit such' ich
Stille, kaum betretne Wege dann,
Wo die Sonne, müde schon und rot,
In umnebelten Gebüschen hängt,
Selten nur ein Vogel sich davonhebt
Stummen Fluges durch die träge Luft,
Daß vom kaum gebognen Zweig der Schnee
Lautlos fällt auf Schnee. Auf fernem Wege
Irgendwo – und kaum noch zu vernehmen,
Unter schweren Rädern kreischt der Schnee;
Über einer schwarzen Kate flimmert
Hoch und hell mein Stern von Bethlehem.
Dann geschieht's. Zwei weiche, warme Hände
Kommen leis von hinten und verschließen
Mir die Augen. Süß erschauernd steh' ich,
Regungslos gebannt, doch nicht erschrocken.
Dann mich leise wendend, in die Augen,
Große dunkle, feuchte Augen blick' ich
Eines unergründlich schönen Weibes.
Weich in ihre Arme zieht sie mich,
Und mit warmem Hauch an meiner Wange
Flüstert sie mir zu in Heimlichkeit:
»Mach's in diesem Jahre und in allen
So wie ich.« – Gespannt in allen Fibern,
Hör' ich, wie in leisen, starken Strömen
Neue Kraft die Adern mir erfüllt;
Zitternd steh' ich, dem Kristallgefäß gleich,
Das mit rotem Feuerwein gefüllt wird. –
Bis vom nahen Strauch ein Vogel schwebt
Stummen Fluges durch die träge Luft,
Und vom kaum gebognen Zweig der Schnee
Lautlos fällt auf Schnee. – Mit leisem Frösteln
Fühl' ich, daß sie längst gelöst die Arme,
Daß ich längst allein am Wege stehe.
Aufgerafft dann, mit gestrafften Sehnen
Schreit' ich weiter, immer gradaus blickend;
Gradaus blickend tret' ich in die Türe,
Hut und Mantel leg' ich ab; die Kinder
Klammern jubelnd sich an mich, und endlich
Schüttelt ungeduldig mich das ältste!
»Vater! Vater! Was für Augen machst du!«
Und das nächste ruft mit Händeklatschen:
»Und was hast du heut für rote Backen!«
Schnurrig werdet ihr die Weisheit finden,
Die das Weib mir zugeraunt am Wege,
Rätselvoll zum mindesten erscheint euch
Jenes kurze Trostwort der Sibylle.
Aber ich verstehe sie vollkommen;
Aus der Heide schon in früher Kindheit
Lernt' ich ihre Sprüche still begreifen.
Denn dies Weib mit dicken, braunen Zöpfen,
Jungen Brüsten und erglühten Wangen,
Meine Ur-Ur-Urgroßmutter ist es,
Die Natur.


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