Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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LXII. Kapitel.

»Liebe, die des Todes Blick bestand.«

Er vermählte ein Märchen mit einer Sage, das Märchen von der unersättlichen Fischersfrau, die immer nur haben und haben und haben will, ein wunderbar ergötzliches Urbild der unbekümmerten Selbstsucht, und die Sage von dem Prinzen, der in einen häßlichen Fisch verwunschen ward und nur durch die reinste, selbstloseste Güte, nur durch den freiwilligen Kuß einer Menschenjungfrau erlöst werden kann. Und er bettete in dieses Werk hinein, was sich je in ihm bewegt hatte von hoffnungsheller Erden-Werdelust, von glückumschauerter Vollendungssehnsucht des Menschengeschlechts. In den Bereichen, die über das sichtbare Land der Welt hinausliegen, war Asmus ohne Zweifel durch ererbten Anspruch ein Prinz, und in diesem Betracht war also der Prinz kein anderer als Asmus. »O Lutz!« rief der Prinz seinem mitverwünschten Pagen zu:

      »O Lutz, nun glaube einer noch den Müttern!
Noch heute seh' ich auf der Mutter Antlitz
Das rote Licht der Herdesflamme spielen,
Hör' ich sie aus dem warmen Dunkel raunen:
›All' sieben Jahre steigt aus Meeresfluten
Rungholt, die schönste der versunknen Städte.
Mit immergrünen Gärten, roten Dächern,
Mit Silberfenstern und mit goldnen Türmen,
Vom Dufte lichtgetränkten Taus umsponnen,
Steigt sie empor – gleich einem Märchenkind
Mit goldnem Haar, das in der Sonne träumt.
Wer dann vorüberfährt und sie erblickt,
Und wer ihn wagt, den raschen Sprung ans Land,
Der löst vom tausendjährigen Tod die Stadt
Und zieht als König ein zu ihren Toren.‹
Seit jener Stunde kannten Sinn und Seele
Nur einen Strand der Sehnsucht: Rungholts Strand,
Nur eine Rast der Träume: Rungholts Hafen!
Wir fuhren heimlich fort, wir suchten sie –
Wir sahn sie, du und ich, so klar und hell,
Zum Greifen nah – wir wagten kühn den Sprung –
Und jählings stürzten wir in grause Tiefe,
Und Hohngelächter scholl herauf vom Grund.«

Und alles Ahnen und Wissen von künftigem Licht und von Reichen, die kommen werden, war in dem holdseligen Mädchen, das, von seinem herrlichen Gesange gelockt, zum Prinzen hinab ins Meer gesprungen ist und nun erzählt:

        »Wir Menschen, wisse, brauchen Sonnenlicht,
Und unsre Sehnsucht drängt zu ihm hinauf.
Drum liebt der Mensch nicht, was am Boden kriecht
Und was in dunkler Kluft und Höhle schleicht;
Doch eine wundersame Liebe zieht
Ihn zu des Vogels freier, froher Anmut,
Zu allem, was in leichten Lüften schwebt,
Das er beherrscht und das er tief beneidet.
Und weißt du, was ich glaube? Sieh, ich glaube,
Wie über Meer und Land, den dunklen Reichen,
Die dumpf und schwer in ihren Grenzen ruhn,
Das lichte, leichte Meer der Luft sich dehnt,
So strömen jenseits auch des Luftbereiches
Noch immer freiere und hell're Meere,
Bis über Sonn' und Sterne weit hinaus.
Und weil's den Menschen von der Erde fort
Und stets empor und immer aufwärts drängt,
So mein' ich, muß ihm wohl beschieden sein,
Von Reich zu Reich die Flügel einst zu heben,
Bis auch die letzte Last in Licht zerfließt!«

Aber nur, wenn sie dem Prinzen seinen Namen sagen kann, nur, wenn er selbst ihn verrät, darf sie zum Sonnenlicht zurückkehren. Da hilft des Prinzen Feind ihr auf die Fährte. Der Prinz nämlich ist einer von jenen Narren, die das Singen nicht lassen können.

          »Der Einfaltspinsel leidet, mußt du wissen,
An einer närrischen Krankheit: er muß singen!
Was recht vom Grund ihn freut und was ihn schmerzt,
Das kann er schweigend nicht in sich vergraben,
Das muß heraus, sonst sprengt es ihm das Herz,
Er muß es singen, und er singt es heimlich!
Nun merke: tausend Schritt von hier, nicht ferne
Von Rungholt, der verfluchten Stadt, am Rande
Der Seegraswiese steigt ein Riff empor,
Das übers Meer hinaus die Stirn erhebt.
Auf diesem Felsen sitzt er einsam oft
In weißer Mondnacht, und zum Spiel der Harfe
Entlädt er singend das gerührte Herz.
Leicht, daß er seinen Namen so verrät;
Denn oft schon rief er klagend ihn hinaus,
Und fern ist jede kluge Vorsicht ihm,
Wenn dieser Wahnsinn ihn beim Wirbel packt.«

Und wirklich: die Qual seines Herzens sprengt alle Schlösser, und das Mädchen erlauscht seinen Namen, als er singt. Nun wäre sie frei – wenn sie wollte.

        »So hast du einen Dolch in deiner Hand –
Stoß zu. – – Wie grausam bist du, daß du zauderst.«

Sie aber spricht:

»Wer kann den Vogel töten, wenn er singt?
Und wer, wenn er es könnte, wäre froh?
Ich wollte wohl – doch kann ich nicht. Ich höre
Ja eure Herzen klopfen, und ich sehe
Ja eure dunklen, bangen Augen glühn.
Das fühl' ich wohl in dieser Stunde: Über
Zertretne Herzen führt kein Weg zum Glück.«

Überwältigt von ihrem Herzen, gibt der Prinz sie frei, und überwältigt von so viel Glück, küßt sie seinen Mund. Da ist er entzaubert, und sein Page mit ihm; da will er sie heimführen in sein Land und sie auf seinen Thron erheben; da sind sie glückselig und haben doch das tiefste Glück noch nicht gefunden. Des Mannes Glück wohnt nicht ewig am sicheren Herd, und des Weibes Glück wandert immer mit dem Manne. Als das Mädchen noch auf dem Meeresgrunde weilte und einst durch die toten Gassen Rungholts wanderte, vernahm es den Sehnsuchtsruf der Stadt nach Erlösung.

Da hat es seltsam zu ihm gesprochen:

»Du hast in der Stimm' ein selig Klingen,
Du hast um Stirn und Wangen
Das Licht, nach dem wir bangen;
Aus deinem Herzen strömt ein Hauch,
Davon ein toter Rosenstrauch
Aufs neu' erblühen mag!
O wundersamer Tag,
Geheimnisvolle Stunde!
Aus tiefem Todesgrunde
Wacht längst gestorbnes Hoffen auf
Und langt nach Tag und Licht hinauf –
In diesen Gründen schlief ein Wort
Viel' hundert Jahre – nun klingt es fort:
    ›Liebe, die des Todes Blick bestand,
    Hebt aus tiefer Flut versunknes Land‹ –«

Und als sie nun in ihrem Schifflein heimwärtsfahren wollen, in alle rot und goldene Liebesseligkeit hinein, sieh, da steigt vor ihnen aus den Fluten abermals die verfluchte Stadt, und leuchtender und lockender denn je. »O bindet mich,« ruft da der Prinz:

»O bindet mich mit Stricken an den Mast
Wie jenen Mann, dem die Sirenen sangen!«

Aber die Geliebte kann den Ruf der toten Stadt nicht vergessen.

  »So lang ich lebe, wird in meinem Ohr
Die Sehnsucht dieser Stimme nicht vergehn.
Willst du ein tausendjährig Elend lösen,
So will ich wohl mit dir den Tod bestehn.«

Da wird er wieder ganz er selbst, da wachsen sie kühn empor, ins große, ewige Glück empor.

                              »Dein Wort ist Gottesatem,
Und höh'res Leben wird durch ihn der Tod.
Sieh, dürft' ich Rungholts Zauber nicht versuchen,
Verwelken müßt' ich einst am Durst nach ihm!«

Und seinem Knappen befiehlt er's:

  »Lenk unser Schiff, wie's ihre Lieb gebeut;
Nie werd' ich König oder werd' es heut!«

Und König werden sie und Königin. Als sie das Land betreten, sieh, da weicht der Boden nicht mehr unter ihren Füßen, da erstrahlt, was einst nur ein Bild gewesen, durch Liebe erlöst, im vollen Glanze der Wirklichkeit, und aus allen Toren und Gassen strömt neuerwachtes Leben und huldigt den Beiden, die König und Königin wurden durch das Herz. –

Das war das Stück, das wie eine Feuergarbe in ihm aufgeschossen war, als er zu Hilden gesagt hatte: Nur der hat ein Recht auf Glück, der es opfern kann, opfern für ein höheres, edleres Glück.

Die »Urpremière« dieses Werkes fand in Wernigerode statt, in einem kleinen Hotelzimmer, von dem aus man das Schloß aus wiegenden Wipfeln ragen sah. Bei einer Flasche Rheinwein las es Asmus seiner Hilde vor, und diesen Tag vergaßen sie nicht ihr Lebelang, weil sie nicht nur den goldenen Wein, sondern auch die goldene Stunde des Verstehens gemeinsam bis auf die Neige tranken.

Das Schicksal dieses Stückes überraschte unsern Semper nicht im geringsten, wenn er seine Dichtung und seine Zeit bei Lichte nebeneinander hielt. Zwar: an Glückwunschbriefen der vornehmsten Kunstgenossen fehlte es auch diesmal nicht, und als »Rungholt« zum ersten Male gespielt wurde, fand es beim Publikum eine sehr freundliche Ausnahme. Aber Löwenclau, der einen Vers des Stückes mit glücklichster Hand verbessert hatte, schrie nach der Vorstellung: »Dein Stück wird über alle Bühnen des Erdkreises gehen!« und wenn Löwenclau Tatsachen prophezeite, dann stand es schief um ihr Eintreffen. Er war, wie fast alle Pessimisten, in den Einzeldingen des Lebens gewöhnlich ein ganz besinnungsloser Optimist. Schon die Theaterdirektoren und Intendanten versagten mit zwei Ausnahmen im ganzen deutschen Reiche, die meisten schon deshalb, weil die Ausstattung des Stückes Geld kostete. Und die Kritik versagte mit verschwindenden Ausnahmen nicht minder. Sie alle konnten nicht anders; denn

  1. war das Stück deutsch,
  2. war erschlicht,
  3. war es hoffnungsfroh,
  4. war es nicht sexualerotisch und
  5. behauptete es, daß über zertretene Herzen kein Weg zum Glück führe, während im deutschen Theaterpublikum die Meinung spukte, daß »das Individuum seinen rücksichtslosen Willen zur Macht durchsetzen müsse«, eine Meinung, die den Deutschen einmal recht übel ausgelegt werden sollte.

Ein Theaterdirektor sagte dem Stück »Simplizität« nach und traf ins Schwarze; ein Universitätslehrer hatte schon früher etwas ganz Ähnliches gesagt. In einer Zeit der Verrenkungen, die Kraft vorstellen, der Geziertheit, die Feinheit bedeuten, und des Schwulstes, der für Tiefsinn gelten wollte, stand der arme Asmus da wie ein Simplizius Simplizissimus. Er sagte sich das; aber er stellte diese Betrachtungen bei bester Laune an; er setzte sich über das Mißgeschick seines Werkes mit einem »Hopla« hinweg und sagte: »Aufgeschoben ist nicht aufgehoben«. Sein Stück war zehn, vielleicht auch zwanzig Jahre zu früh gekommen; er konnte aber ganz gut bis nach seinem Tode warten.


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