Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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IV. Kapitel.

Man ahnt etwas, aber nicht das Richtige.

Dem Manne, der soeben ganz alten »Oppenheimer Krötenbrunnen« und allerbesten Pommery getrunken hatte, stand damals gerade wieder das Wasser bis zum Kinn – nein, es lief ihm schon hin und wieder in den Mund, daß er zu ersticken drohte. Der Hauswirt verlangte die Miete; der Schneider wollte den abgetragenen Rock und die durchgedrückte Hose bezahlt haben; der Schuster wollte sein Geld, und der Krämer verlangte Zahlung, und Mutter, Frau und Kinder brauchten Nahrung und Kleidung. »Wenn ich jetzt fünfhundert Mark hätte – o, wie wär' ich glücklich!« dachte er. »Frei wär' ich! Ein König! Ein Gott!« Und jählings schoß ihm eine glänzende Idee durch den Kopf. Nein, daß er darauf nicht längst verfallen war! Das war doch die nächstliegende, selbstverständliche Lösung! Sein reicher Bewunderer würde ja mit Freuden helfen! Das Ei des Kolumbus! Wenn er Sempern so sehr »verehrte«, wie er es immer wieder versicherte, so war's doch selbstverständlich, daß er ihm fünfhundert Mark gab, die für den Reichen weniger bedeuteten als fünf Pfennig für den Armen. Wenn Semper monatlich zehn Mark zurückzahlte, so war die ganze Schuld in etwa vier Jahren getilgt! Als es aber dann an den Brief ging, da wurde es ihm doch verteufelt schwer. Sicherlich kamen viele zu dem reichen Manne, und dann waren fünfhundert Mark doch eine große Summe. Er sprach es aus, daß er sich der Vermessenheit seiner Bitte wohl bewußt sei, daß er aber keinen klaren Gedanken mehr fassen könne vor Sorgen, am wenigsten einen dichterischen, schöpferischen Gedanken. Und er sagte sich, während er schrieb: Da der Rentner von meiner literarischen Sendung so tief überzeugt ist, so muß er ja wünschen, daß ich sie vollenden könne. Und in vollkommener Zuversicht dankte er schon im voraus aus vollem, jubelndem Herzen.

Der Kunstfreund antwortete in vier Zeilen. daß er sich nicht veranlaßt sehe, dem Wunsche des Herrn Semper »näherzutreten«, da er Herrn Semper »noch zu wenig kenne«.

Er war damals noch am selben Tage zu seinem Freunde, dem Dr. Jonathan Rosenberg, gegangen, der auch Schulmeister und Poet dazu war und ein herzwarmes Junggesellenstübchen mit vielen guten, angebräunten Büchern hatte, und hatte ihm die Geschichte mit bitterem Lachen erzählt. Und je weiter er in seiner Erzählung gekommen war, desto heller waren des Doktors Mienen geworden, und schließlich hatte er gelächelt, aber nicht bitter, sondern vergnügt.

»Sehen Sie?« hatte er gerufen, »das ist die gerechte Strafe! Warum sind Sie nicht zu mir gekommen!«

»Zu Ihnen?« hatte Asmus gerufen. »Sie müssen meine Frechheit auch nicht überschätzen. Ich weiß doch, daß Sie auch nur Ihr Schulmeistergehalt haben.«

»Das heißt: weit mehr, als ich brauche, und überdies habe ich noch hübsche Privatstunden. Dreihundert Mark können Sie gleich haben, den Rest in vierzehn Tagen.«

Fünfhundert Mark, die man bangend ersehnt hat, machen fünfhundert lachende Gesichter; aber alle zusammen waren nicht entfernt so schön wie das Lächeln, mit dem sie gegeben wurden. Asmus hatte das gar nicht unrichtige Gefühl, daß er dem guten Rosenberg eine große Freude bereite.

Dann erschien im Zimmer des Doktors der Buchhändler Globendorff mit fünf verschiedenen Zigarrensorten im Preise von 8 bis 10 Pfennigen, die Asmus als Kenner prüfen mußte, und der Kollege Lohfeld der Feine kam, in der einen Hand eine Reproduktion nach Max Klinger und in der anderen eine geräucherte Makrele. Er legte beides auf den Tisch und sagte mit verheißungsvollem Lächeln und hoher Tenorstimme: »Fein, fein!« Und dann ließ Rosenberg den Tisch mit feinstem Linnen decken; seine Wirtin brachte Brot, Butter, Wurst und Bier, und er selbst fügte einen heimatlichen Käse hinzu, von dem Asmus behauptete, daß der freundliche Geber einen Diamanten dazu servieren müsse, mit dem man ihn wenigstens ritzen könne. Schon beim Essen begann der Streit über Jenseitsglauben und Sozialdemokratie, über Judentum und Germanentum, über alte und neue Kunst; der enge Raum dehnte sich zur weiten Gedankenwelt, und aus dürftiger Gegenwart und schwärmender Menschheitshoffnung spann sich wieder eines jener unvergleichlichen Freundschaftsfeste der Jugend, die bis in das späteste Alter hinüberleuchten.

Diese Freunde erschienen einst an einem frohen Maitag unter seinem Fenster, als er gerade mit roter Tinte in einem verbrecherischen Schüleraufsatze herumwütete, und sangen von unten herauf:

O sieh, mein Lieb, mein süßes Lieb,
Zerflattert sind die Sorgen!
Da steigt die Sonne rot empor,
Die sich so lang verborgen.
Was ferne glüht in stiller Pracht
Und was so hell in uns erwacht:
Das ist der Maienmorgen!«

Das waren seine Verse; er eilte ans Fenster und winkte herauf und stürzte dann mit bleichem Gesicht zu Hilden in die Küche.

»Die Freunde kommen zu Besuch,« rief er, »hast du denn was?«

»Nichts als Brot und Butter,« versetzte sie erschrocken, »und auch nur genug für uns.«

»Nun,« rief er hastig, »laß sie vor allem nichts merken; sei fröhlich und freundlich; ich werde Rat schaffen.«

Dann stürzte er an die Treppe, empfing die drei Freunde mit einem in der Eile hergestellten und nicht ganz fertig gewordenen Lächeln und sagte: »Euer vierstimmiger Gesang hat mein Ohr ergötzt. Seid herzlich willkommen!«

Als die Gäste Platz genommen hatten, fuhr er fort: »Ich muß wegen einer notwendigen Besorgung auf eine halbe Stunde verschwinden. Meine Frau wird Euch dafür Gesellschaft leisten. Eure boshafte Bemerkung, daß Ihr dabei nur gewinnen könntet, nehme ich für genossen. Ich brauche mich also gar nicht zu entschuldigen. Also: Auf Wiedersehn!«

Draußen nahm er Hut und Stock und sprang die Treppe hinunter. Wohin? Zu Freudenthal. Geld für die Straßenbahn hatte er nicht; es hieß also laufen.


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