Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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XLIII. Kapitel.

Die gottverdammte Hexe und der geistliche Herr.

Immerhin war es im Vergleich zur Ruhm- und Maiweinbowle eine reinere Freude, als einige Tage später ein Geistlicher mit einem silberweißen Stachelkopf ihn aufsuchte. Asmus war nicht wenig erstaunt, als ihm das Dienstmädchen eine Karte brachte, auf der zu lesen stand:

Dr. Clemens Röhrig,
Pastor an St. Magdalenen.

»Sie werden erstaunt sein, Herr Semper,« begann denn auch der Besucher, ein hoher, breitschultriger Mann mit einer angenehmen, nicht gesalbten Stimme, »daß ein Pastor zu Ihnen kommt; ich weiß ganz gut, daß Schwarz nicht Ihre Farbe ist –«

»Das kommt ganz auf die Verbindung an,« versetzte Asmus lächelnd und nötigte den alten Herrn in seinen besten Lehnstuhl.

»Und auf die Schattierung vermutlich,« ergänzte der Geistliche, ebenfalls lächelnd. »Nun, ich bin eigentlich ganz tiefschwarz; aber darum keine Feindschaft nicht. Ich wollte eigentlich schon lange mal zu Ihnen kommen; aber wie das so geht: man verschiebt's von Tag zu Tag; man will nicht aufdringlich sein – ein Pastor muß sich da besonders hüten – und erst, wenn alle Welt von einem Manne redet, tut man mit einem Male auch den Schnabel auf. Ich will das nicht verteidigen; eigentlich ist es Feigheit. Was mich an Ihren Schriften immer erfreut hat – ich lese sie schon lange und bin ja mit vielem nicht einverstanden, na, ist ja auch nicht nötig – aber was mich immer besonders erfreut hat, das ist, daß Sie so unverwüstlich deutsch sind.«

»Nun, das ist doch selbstverständlich und kein Verdienst. Wie soll ein Deutscher denn anders sein?« warf Asmus ein.

»Ganz recht, das ist kein Verdienst und sollte nicht als solches gerechnet werden; aber wie viele sind denn deutsch? Es gibt ja mehr als genug, die ihr Deutschtum immer im Munde führen, die sich wunder wie deutsch dünken, wenn sie Fußsteig statt Trottoir sagen, und ihr Geist und ihr Herz laufen doch immer in fremden Bahnen jedem Rattenfänger nach. Ihre Dichtungen und sonstigen Schriften könnten nirgends entstanden sein als nur in Deutschland – glauben Sie das nicht auch?«

»Darin können Sie recht haben,« sagte Asmus nachdenklich, »und wenn Sie das empfinden, so macht mich das sehr glücklich.«

»Nun, dann tut es mir nur leid, daß ich es Ihnen nicht schon früher gesagt habe. Ich bin ja gar nicht der Meinung, daß es für keinen Menschen in der Welt etwas Größeres und Schöneres geben dürfe als uns und unser Land; solche Überhebung ist unchristlich und etwas ganz anderes als Vaterlandsliebe; aber der liebe Gott hat uns aus deutscher Erde gemacht, und da können wir ihm doch auch so recht von Herzen und redlich nur mit deutschen Kräften dienen. Ich denke, das muß auch Ihre Meinung sein.«

»Es ist vollkommen meine Meinung,« sagte Asmus.

»Sie werden es vielleicht anders ausdrücken –«

»Ich bin nicht nur für Freiheit der Meinungen, sondern auch für Freiheit ihres Ausdrucks,« bemerkte Asmus.

»Ja –« begann der Pastor wieder, »und dann wollte ich Ihnen noch sagen – jetzt werden Sie lachen – wissen Sie, welches Ihrer Werke mir am besten gefallen hat?«

»Nun?«

»Wie ich Ihnen schon sagte, ich bin ein ganz Schwarzer, einer von den schrecklichen ›Orthodoxen‹ – was den Rationalisten immer wie ›rechte Ochsen‹ klingt – ich bin auch in Glaubenssachen für ›fix oder nix‹ – also: am besten hat mir gerade das Stück gefallen, in dem es der Kirche und uns ›Pfaffen‹ ziemlich schlecht ergeht: Ihr ›Verrat‹!«

»Ist es möglich?« rief Asmus.

»Ja. Denn sehen Sie: Was Ihr Held will und durch sein Handeln bestätigt: unerschrockenes Bekenntnis zu seiner Überzeugung und Bereitwilligkeit, für sie zu leiden und zu opfern – mit anderen Worten: selbstlose Hingabe an das große Ziel der Menschheit: das ist doch gerade Frömmigkeit. Einem ehrlichen Geistlichen kann doch nichts entsetzlicher sein als das Maul- und Gewohnheitschristentum des heutigen Geschäftsphilisters, dem das Wort ›Opfer‹ aus dem Chaldäischen zu kommen scheint. Er kommt freilich Weihnachten und Ostern in die Kirche; aber mir ist Ihr Held lieber, der aus Gewissensreinlichkeit ausbleibt.«

»Herr Pastor, da fällt mir ein schönes Wort aus dem ›Nathan‹ ein:

›Ihr, guter Bruder, müßt mein Fürsprach sein,
Wenn Haß und Gleisnerei sich wider mich Erheben sollten.‹

Nachdem Sie mir das gesagt haben, glaube ich fast, daß Sie nicht einmal lachen werden, wenn ich Ihnen sage, daß ich ein sehr frommer Mensch bin.«

»I – den Kuckuck werd' ich lachen,« rief der temperamentvolle alte Herr und lachte, aber nicht vor Zweifel, sondern vor Seelenlust.

»Ich bin«, erzählte Asmus, »in einem Hause groß geworden, wo man durchaus radikal gesinnt war und alle Fürsten und Priester in Bausch und Bogen haßte. Zwar mein Vater war ein gebildeter Mann mit einem milden Herzen; er machte Unterschiede und hatte nicht das geringste Talent zum Fanatismus; aber meine Mutter, meine Geschwister und ganz besonders die große Menge der Arbeiter, die ich im Laufe langer Jahre in meines Vaters Hause beobachten konnte, waren meistens ebenso entschieden in ihren Meinungen wie in deren Ausdruck. Da ich immer eine große Ehrfurcht vor älteren Menschen besessen habe und in jedem Erwachsenen eine Autorität erblickte, so habe ich in jenen Jahren manche schlimme Phrase gläubig in mich aufgenommen und habe hart und lange darum gekämpft, sie wieder los zu werden. In meinen frühen Schriften findet sich noch manche Spur davon. Ich war in jeder Hinsicht ein spätreifer Jüngling; Begeisterung war immer in Fülle vorhanden; die Kritik erwachte erst spät. Zu alledem war ein massenhafter, größtenteils erbärmlicher und natürlich zwangsmäßiger Religionsunterricht gekommen.«

»Hm,« machte der Pastor.

»Als ich als junger Seminarist wieder einmal Verse gemacht und sie meinem Bruder Johannes nach Amerika geschickt hatte, da dichtete er mir pegasuswendend zurück:

›Was du auch wirst, es ist mir recht,
Sei's Pädagog oder Dichter.
Nur werd in deinem Leben kein Knecht
Von Fürsten- und Pfaffengelichter.‹

Sie entschuldigen –«

»O, bitte, bitte!« lachte der Pastor, »ich fühle mich gar nicht getroffen.«

»Nun, ein solcher Knecht werde ich wohl in meinem Leben nicht werden; aber Sie ersehen aus jenen Versen die Art der Semperischen Gesinnungen. Und bei solchen Gesinnungen war ich schon damals ein von Grund aus frommer Mensch. Sie wissen, daß man sagt: In der Sixtinischen Kapelle oder bei einer Messe in Sankt Peter wird jeder Mensch zum Katholiken. Bei mir genügt ein weit geringerer Aufwand. Nicht nur bei Bachscher Kirchenmusik, auch, wenn ich von einer ungeübten Gemeinde »Befiehl du deine Wege« singen höre, wenn ich nur zwei Töne einer Orgel höre, ja, wenn ich an einem Alltag allein in einer leeren Heidekirche stehe, kann ich fromm sein, wenn auch meine Gedanken von allem Kirchlichen weit entfernt sind. Ich bin auch fromm, wenn ich die Gräfin in Figaros Hochzeit oder wenn ich den Freischütz höre. Und schließlich brauche ich, um fromm zu sein, nichts als die Welt. In jedem Augenblick der Besinnung kniet meine Seele vor dem heiligen Wunder der Welt und ersehnt, erhofft und erstrebt eine selige Lösung dieses Rätsels und Wunders. Und je älter ich geworden bin, desto mehr ist mein Groll gegen Kirche und Priestertum gewichen, auch – das darf Ihnen nicht unangenehm sein – gegen das katholische Priestertum. Verstehen Sie mich nicht falsch, Herr Pastor, gegen den einzelnen Priester habe ich nie einen Groll gehegt; daß er ein vorzüglicher und verehrungswürdiger Mensch sein kann, ist mir nie zweifelhaft gewesen. Aber auch mit der Priesterschaft und der Kirche als Ganzem habe ich mich versöhnt – unter der Bedingung, daß sie die Menschen und mich in Frieden lassen. Ich habe für die christliche Dogmatik ein mehr als rationalistisches Verständnis; ich beherberge sogar ein gutes Quantum Mystik in mir, und je mehr ich mich mit den höchsten Lehren der Kirche befaßt habe, desto mehr hab' ich gefunden, daß sie wunderbar tiefe, wunderbar wahre Gedanken sein können, daß sie ergreifend, erschütternd anklingen an die erhabensten Gedanken aller großen Denker der Menschheit, wenn – ja, wenn man ihnen frei ins Angesicht schauen darf. Aber das eben ist das große Verbrechen aller Kirchen und Hierarchien, daß sie solch ein freies Anschauen nicht erlauben, daß sie unbedingten Glauben an angeblich zweifellose Wahrheiten, daß sie Unterwerfung verlangen und mit Hilfe des Staates und anderer Machtmittel erzwingen. Und den Zwang der Kirche werde ich allerdings hassen, solange noch ein Rest von Leben in mir ist.«

»Sehen Sie,« rief der Pastor lebhaft, »da sind wir bei dem, was ich noch sagen wollte. Ich bin nämlich nicht nur gekommen, Ihnen Schmeicheleien zu sagen; ich wollte Sie auch einmal ordentlich rüffeln, hahahahaha!«

Das Lachen des alten Herrn klang voll und gut.

»Ich bin auf das Schlimmste gefaßt,« sagte Asmus, schenkte das Glas seines Gastes wieder voll und rückte ihm den Aschenbecher näher.


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