Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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XLIX. Kapitel.

Heautontimorumenos und die Philister.

Als Asmus einmal während einer Erstaufführung im Konversationszimmer des Leipziger Stadttheaters saß und vergnüglich mit den Schauspielern plauderte, kam der Direktor herein und rief verwundert:

»Hier sind' ich Sie? Wollen Sie sich denn Ihr Stück nicht ansehen?«

»Liebster Herr Direktor,« sagte Asmus, »seien Sie mir um Gottes willen nicht böse; aber – ich kann das Stück nicht mehr sehen.«

»Na –!« rief der Direktor, »so ein Autor ist mir noch nicht vorgekommen.«

Er reiste zu den wichtigsten Aufführungen seiner Stücke, weil er aufpassen mußte, daß man ihm aus seinen schüchternen Liebhabern keine geilen Böcke, aus seinen unerschrockenen Jünglingen keine unerzogenen Rüpel, aus seinen anmutig gedachten Mädchen keine Dragoner mache, und weil er die Psychologie der dramatischen Wirkungen im Publikum verfolgen mußte; aber dieses wiederholte Durchkäuen seiner eigenen Werke war ein schweres Opfer, das er seinem Berufe brachte, war ihm eine kaum zu ertragende Pein. Ein unaufhörlich Werdender haßt immer sein Gewordenes, weil es ihn festlegt; das Vergangene kann nicht mehr werden: das ist seine Qual. Wenn ihm etwas fern lag, so war es die Affenliebe zu seinen Geisteskindern; vielmehr: er sah die Fehler und Schwächen seiner eigenen Werke mit den scharfen Augen des Hasses. Nur wenn er nach vielen Jahren einmal wie zufällig diesen Kindern ins Antlitz sah, fand er wohl hier und da einen Zug, bei dem ihn ein freudiges Gefühl durchfuhr: das ist dir geglückt. Aber er verwarf ganze Bücher, die er ehemals geschrieben und ließ sie nicht zum zweiten Male drucken. Wenn er sich mit den Großen seiner Kunst verglich, überfiel ihn immer wieder tiefstes Ungenügen bis zum völligen Verzagen, und mehr als einmal erwog er ernstlich den Gedanken, die Feder für immer hinzuwerfen, weil es keinen Sinn habe, die Literatur der Mittelmäßigkeiten noch zu vermehren. Dann freilich sagte er sich wieder: Vielleicht hat der Dichter für sein eigenes Erzeugnis nicht den richtigen Gesichtspunkt, und selbst die Größten haben stehen lassen, was sie früher geschrieben und was ihnen später mißfiel. Es beschlich ihn aber der Argwohn, ob das nicht Vorspiegelungen der Eitelkeit seien.

Jetzt gab es etwas, das ihn aufrichtete. Wenn er zu den Gipfeln seiner Kunst aufsah, fühlte er sich wie ein Zwerg; wenn er sich die »Kritik« besah, die seine Schuhe zu verunreinigen trachtete, kam er sich wie ein Riese vor. Er hatte sich in seinem Leben oft geschämt, wenn man ihn lobte, weil er nicht begriff, daß man in so wenigem schon ein Verdienst sehen könne; nun durfte er sich mit gleichem Rechte sagen, daß diese Anfeindungen seiner Kraft tief unter seinen Füßen lagen. Er war ein Mensch; also vernahm er ein begründetes Lob lieber als einen unbegründeten Tadel; aber nie fühlte er sich tiefer herabgesetzt als durch wohlfeiles Lob, das dem Stümper so gut und reichlich zufiel wie jedem andern. Auch die abfälligste Kritik war ehrenvoller. Aber diese haßstrotzenden Angriffe waren fast ausnahmslos eine Aneinanderreihung beweisloser Schmähungen, schulmeisterlicher Zensuren: »4–5!« »5!« »5 mit drei Ausrufungszeichen!!!« »Ungenügend!« »Ganz ungenügend!« »Unter allem Luder!« und kamen von Leuten, denen niemand eine Autorität beigemessen hätte, wenn sie es nicht selbst getan hätten, auf die niemand gehört hätte, wenn sie nicht zufällig eine Druckmaschine neben sich gehabt hätten. Er suchte sich fast die Augen aus dem Kopfe, um unter all den faulen Eiern und Äpfeln vielleicht doch ein gesundes Korn zu finden, das sein Künstlertum nähren könne; er fand unter Tausenden kaum einen, der ihn durch einen wohlbegründeten, wertvollen Tadel bereicherte.

Als Verbrechen rechnete man ihm an, daß er gelegentlich sehr gute und sehr böse Menschen darstellte. Die damalige Kritik schien davon überzeugt, daß es nur halbes Licht und halben Schatten in der Welt gäbe, während Asmus das Gefühl hatte, daß die ganzen Konflikte nur in und zwischen den ganzen Menschen entstehen. Die damalige Kritik glaubte nicht an Bösewichter, obwohl der gemütvolle Massenmörder Thomas schon gelebt und geendet hatte und obwohl der Oberst Redl schon längst geboren war; sie glaubten noch viel weniger an Edelmut, obwohl um jene Zeit ein Kellner sieben Menschen nacheinander vom Wassertode rettete und beim achten Versuche ertrank. In ihrer Wut griffen die Zerstörer, die nicht schaffen konnten, zu dem, worauf wutblinde Menschen immer verfallen. Der Lüstling, der bei einer keuschen Frau abgefallen ist, verdächtigt ihre Reinheit; der dunkle Geschäftsmann, dem ein Bestechungsversuch mißglückt ist, zeiht den Unbestechlichen der Unredlichkeit. So nannten sie Sempern, der die längst erstarrten und verspießten Zeitdogmen einer lendenlahmen »Moderne« und die unfehlbaren »Weltanschauungen« beschäftigungsloser Bankiersöhne angezweifelt hatte, einen »Spießbürger«. Weil sie fühlten, daß hier ein Gegensatz ihres beharrenden Philistertums war, nannten sie denselben Mann einen Philister, den der klassische Antiphilister seiner Zeit als einen Bruder im Geiste begrüßt hatte. Wenn man Asmus Sempern irgend etwas nicht vorwerfen konnte, so war es das, daß er in seinem Leben die Ruhe gesucht habe.


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