Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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XXXVII. Kapitel.

Die Welt stellt sich auf den Kopf und Asmus auf seinen Dickkopf.

Wenige Tage darauf hatte er einen Brief an Honorius zu schreiben, einen trotz seines lateinischen Namens vollkommen deutschen Mann, der in Dresden eine Zeitschrift herausgab. Asmus Semper pflegte sonst seinen Kummer ebenso fest in sich zu verschließen, wie er seine Freude frei heraussprudelte; selbst seiner Hilde verbarg er gern seine größten Sorgen; er hielt es für seine Aufgabe, für die Seinen eine Sonnenuhr zu sein mit der Aufschrift »Horas non numero nisi serenas, nur die heitren Stunden zeig' ich«. Aber es gibt Stunden, da man wie auf höheren Willen anders ist, als man eigentlich ist, und er mußte wohl zufällig eine solche Stunde haben; denn er gestand dem vertrauenswürdigen Manne, daß er ein Stück geschrieben habe und es nirgends anbringen könne. In Hamburg, so etwa schrieb er, gebe es keine Clique, der man sich anschließen könne, wenn man etwa den Geschmack dazu haben sollte, und die Sonne des Berlinertums scheine nicht bis in den Nordwesten Deutschlands. Honorius erbat sich das Stück, und es dauerte kaum eine Woche, da erhielt Asmus auf dem Wege zur Schule einen Brief, den er sofort öffnete und las und der ihn gleich darauf vor Freude über einen Kantstein stolpern machte. Honorius war voll wärmster Anerkennung über das Stück; er wollte in seiner Zeitschrift die Trommel rühren, mehrere Szenen daraus abdrucken und sogar, was sonst bei Nachdrucken nicht seine Gewohnheit sei, Honorar zahlen. Asmus gab zunächst eine sehr konfuse Chemiestunde, bei der er sich die Finger mit Phosphorwasserstoff verbrannte, und schlug obendrein, als die Pause gekommen war, dem strengen Verbot »gegen die Verwendung der Schüler zu Privatzwecken« ein Schnippchen, indem er einen seiner Jungen mit dem Brief zu seiner Frau schickte. Sie sollte es sofort erfahren; vier Stunden Sonne mehr oder weniger bedeutet viel in einem Menschenleben.

»Siehst du? Was hab' ich dir gesagt?!« rief Hilde, als er nach Hause kam. Ihr Optimismus triumphierte über seinen Pessimismus. Es war eine ganz verkehrte und verrückte Welt. Sie sollte aber noch viel verrückter werden.

Honorius rührte die Trommel, und an einem Oktobertage kam wie ein Blitz im Winter ein Telegramm. Der Empfang mußte feierlich bestätigt werden. Das Hoftheater in Dresden erbat sich den »Zweikampf« zur Prüfung. Eine Viertelstunde darauf lag er im Briefkasten. Schon am folgenden Tage kam ein neues Telegramm. Ob das Hoftheater die Uraufführung haben könne? Könne es haben, depeschierte Asmus. Ob es sie haben konnte! Am folgenden Nachmittag, als Asmus sich nach sechs ausgiebigen Unterrichtsstunden hingestreckt hatte, öffnete sich plötzlich die Schiebetür zu einer schmalen Spalte; sie brauchte nur schmal zu sein; denn eine schmale weiße Hand langte hindurch und schwang wie ein Fähnlein ein Telegramm. »Wir nehmen Ihr Stück; Aufführung Anfang Dezember.«

Siehe, da waren Schlaf und Ruhe dahin. Wenn er sehr, sehr froh war, konnte er nicht schlafen. Seine Leiden, Sorgen und Kümmernisse, wenn sie nicht allzu ausgewachsene Bestien waren, hatte er fest an der Kette; er konnte ihnen »Kusch!« zurufen, und dann kuschten sie für mehrere Stunden, und er konnte schlafen durch Willenskraft; aber gegen das Glück war er machtlos; schon ein kleines Glück war oft stärker als er; dann lag er halbe, lag er ganze Nächte ohne Schlaf und starrte lächelnd ins Dunkel und bedauerte nicht seine Wachheit.

Nun kamen auch Hamburg, München, Leipzig, Wien und Berlin und nahmen sein Stück, bevor es gegeben war. Die Freunde wurden immer kleinlauter mit ihren Unkenrufen und machten länglich-glückliche Gesichter; Löwenclau aber schrie in einem seiner Briefe – denn er schrie auch brieflich –: »Hurra, mein Semper, jetzt sind Sie durch!!!!!! Das Stück wird einen ko–los–salen Erfolg haben, und den danken Sie Ihrem Genie, Sie Kämpfer! Ich sehe Sie schon als Hoftheaterintendant und Exzelllllllenz mit 97 Orden!!! Und niemand wird sich inniger über Ihr Glück freuen als Ihr Löwenclau.«

Asmus war so glücklich, daß er ihm nicht einmal das »Genie« übelnahm.

Als er gegen das Ende des November in Dresden angekommen war, ging er des Abends in die Hofoper, wo man »Rigoletto« gab. Ja, da spürte man's an jedem Ton und an jeder Gebärde, an jeder Kulisse und jedem Statisten: hier war man in besten, sorglichsten Händen.

Vom »Rigoletto« kam er wieder einmal trunken heim, trunken vom Nachtigallenschlag. Er hatte eine Zeit erlebt, da man sich zu solcher »Leierkastenmusik« nicht bekennen durfte, wenn man sich nicht blamieren wollte. Die Deutschen hatten wieder einmal ein Genie, das diesmal Richard Wagner hieß, in eine Theorie umgeschustert. Diese Theorie verbot die Nachtigallen, weil sie keine Musikdramen singen. Aber es gibt keine Theorien gegen Nachtigallen.

Auf dem Theaterzettel dieser Bühne stand: »In Vorbereitung: Der Zweikampf. Eine deutsche Komödie von Asmus Semper.« Das war schon sehr viel, war schon ein Gipfel, auch wenn das Ende ein Mißerfolg war.

Die Herren von der Bühnenleitung empfingen und behandelten ihn mit ehrenvoller Auszeichnung, und der Generalintendant und sein Stab gaben ihm ein Essen, bei dem Asmus sich sorgenvoll fragte, ob sein Stück mit solchen Rebhühnern und solchem Haut Lafite nicht überzahlt sei.

Tag für Tag gab es dann eine vier- bis fünfstündige Probe. Und hier zeigte Asmus wieder einmal, daß er von Haus aus ein dickköpfiger Kerl war. Eine der Hauptrollen nämlich war falsch besetzt. Und statt nun seelenfroh zu sein, daß sein Stück an einem allerersten Theater gegeben wurde, und zu allem Ja und Amen zu sagen, sagte er gerade heraus, daß der betreffende Schauspieler gar nicht gut sei, sich für die Rolle gar nicht eigne, und sagte es auch in aller Höflichkeit dem Schauspieler selbst. Der gehörte nun zu jenen Bühnenkünstlern, die den Dichter in allen Darstellungsfragen für den natürlich gegebenen Ignoranten halten, wie man denn überhaupt in Deutschland daraus, daß jemand irgend etwas versteht, zuerst und vor allen Dingen den Schluß zieht, daß er von allem andern nichts verstehe. Nun aber hatte Asmus offenbar von irgend einem Vorfahren her einen gewaltigen Einschuß von Theaterblut mitbekommen, und so bestand er auf seiner Meinung, weil er sich im Recht wußte. Der Schauspieler mochte denken: Wie kommt dieser unberühmte Neuling dazu, mir, einem ausgezeichneten Darsteller (der er am richtigen Platze auch war!) Vorschriften zu machen? – und sagte mit einer ungezogenen Gebärde: »Ich werde die Rolle spielen, wie ich es für richtig halte.« »Dann sehe ich nicht ein, warum ich hier meine Zeit verlieren sollte,« sagte Asmus, ging in sein Hotel und benutzte den nächsten Probetag dazu, die Sammlungen im »Zwinger« und dem »Großen Garten« zu genießen. Indessen der Regisseur, ein gebildeter und ernster Mann, stand ganz auf der Seite des Dichters; er mußte wohl eine Unterredung mit dem Schauspieler gehabt haben; denn dieser entschuldigte sich und war nun ganz Höflichkeit und Zugänglichkeit. Er gab auch sein Bestes; aber das Beste der Rolle konnte er nicht geben. Er sollte einen eleganten Mann darstellen, der durch seine Ansichten und Handlungen abstieß, durch sein äußeres Wesen aber immer wieder anzog, weil auf dem untersten Grunde seiner Eleganz doch so etwas wie ein Herz lag, wenn auch ein verkümmertes. Eleganz aber muß angeboren sein wie die Grazie, und Herz kann kein Künstler der Welt spielen, wenn er's nicht hat. So hatte Asmussens Hoffnung auf den Abend der Erstaufführung einen großen wunden Fleck.


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