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Schluß

Iza machte mir ein Zeichen, mich zu setzen, indem sie mir gegenüber an der anderen Seite des Tisches Platz nahm. Sie nahm ein Papiermesser mit Jaspisgriff, stark vergoldetem, mit Granaten ausgelegtem Stichblatt und feiner Stahlklinge zur Hand.

Tat sie dies, um sich Haltung zu geben, oder wollte sie für alle Fälle eine Waffe in der Hand haben?

Es verschlug mir die Rede. Es entstand eine unheimliche, schwüle Stille. Iza unterbrach diese:

»Wem verdanke ich Ihren Besuch, den ich übrigens vorausgesehen habe?«

»Den Sie vorausgesehen haben?«

»Jawohl!«

»Wieso?«

»Weil es vorauszusehen war, daß Sie nach dem Briefe, den Sie in Rom erhalten haben, sich sofort nach Paris begeben würden.«

»Sie waren es also, die mir den Brief geschrieben hat?«

»Ich war es, welche Ihnen diesen Brief schreiben ließ!«

»Und warum taten Sie dies?«

»Um Sie auf Ihren Freund ebenso aufmerksam zu machen, wie er Sie auf Ihre Frau aufmerksam gemacht hat!«

»Und die Tatsache ist wahr?«

»Hat er sie geleugnet?«

»Nein. Und weshalb diese neue Infamie?«

»Um mich zu rächen.«

»An wem?«

»An Konstantin, welcher mein Feind ist und mir Uebles zugefügt hat.«

»Eine andere Rache haben Sie wohl nicht gekannt?«

»Doch; aber diese schien mir die beste.«

»Sie sind in der Tat ein ganz verkommenes Geschöpf!«

»Ich bin das, wozu Sie mich gemacht haben.«

»Was soll das heißen?«

»Sie hätten mir damals verzeihen müssen!«

»War das denn möglich?«

»Sie würden mir heute vergeben.«

»Sie können dies glauben?«

»Ich glaube es nicht, ich weiß es mit Bestimmtheit; denn Sie lieben mich, und Sie können nie ein anderes Weib lieben als mich. Wären Sie sonst so bleich hier bei mir? Warum sollten Sie mich nicht lieben, da auch ich Sie noch immer liebe!«

»Sie?«

»Jawohl, ich; es gibt Dinge, die man niemals vergessen kann.«

Bei diesen Worten sah sie mich mit ihren großen Augen an. Im Kopfe begann es mir zu schwirren.

»Warum haben Sie mich damals betrogen, wenn Sie mich geliebt haben?«

»Das weiß' ich nicht; weil ich mich gelangweilt habe, weil ich wahnsinnig war.«

»Und diese Männer?«

»Welche Männer?«

»Mit welchen Sie mich betrogen haben!«

»Kenne ich sie denn, diese Männer? Habe ich mir sie denn überhaupt angeschaut? Wie heißen sie denn? Ich weiß es nicht mehr! Mein Geist ist krank. Ich lechze nach neuen Aufregungen; aber im Grunde liebe ich doch nur dich. Warum hast du mich geheiratet? Ich wäre deine Geliebte geworden, du hättest mich geliebt und damit wäre die Sache erledigt gewesen. Habe ich dir nicht diesen Antrag gestellt? Du mußtest ihn annehmen, du, der du die Welt hättest besser kennen müssen als ich. Es ist ein Unglück, daß ich deine Frau bin! Gäbe es ein Mittel, dir deine vollständige Freiheit wieder zurückzugeben, ich würde es mit Freuden ergreifen. Ich habe keinen sehnlicheren Wunsch. Bei uns kann man sich scheiden lassen, wenn man ein Weib hat, wie ich es bin. Es ist nicht meine Schuld! Was geschehen ist, ist geschehen. – Was hast du seit heute früh gemacht?«

»Ich war in Sainte Assise.«

»Da muß es jetzt wunderschön sein! Wie oft hatte ich den Wunsch, hinauszufahren. Möchtest du nicht, daß wir einmal zusammen dorthin gehen!«

»Ich möchte schon.«

»Wirklich? O, wie gut du bist!« sagte sie, indem sie näher zu mir rückte. »Und wann denn, morgen?«

»Ja, aber unter einer Bedingung.«

»Die wäre?«

»Daß wir dort bleiben.«

»Immer? Das ist mir zu lange. Und im Winter! Nein. Dann bin ich auch nicht frei.«

»Elende!«

Ich erhob meine geballte Faust gegen sie. Sie duckte sich rasch, bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, ohne Zweifel, um nicht entstellt zu werden, und blieb in dieser Stellung, als ob sie den Schlag erwartete.

»Wenn du mich töten willst,« sagte sie sodann mit ihrer kindlichen Stimme, »dann laß mich nicht leiden.«

»Hören Sie mich an!«

Sie lugte durch die Finger und schaute mich von der Seite an.

»Duze mich,« sagte sie.

»Willst du, daß wir verreisen?«

»Das kommt darauf an.«

»Antworte!«

»Nein!«

»Machen wir der Sache ein Ende. Willst du mit mir gemeinsam sterben?«

»Welche Torheit! In unserem Alter! Warum sterben, da wir uns doch lieben? Sieh mich an! Ich bin schön, und du bist auch schön, wenn du nicht im Zorn bist. Wir haben Zeit zu sterben, wenn wir alt geworden sind. Warum nimmst du alles gleich so tragisch? Daß wir nach allem, was geschehen, wieder zusammenleben sollten, ist undenkbar. Es wäre gemein und du wärst übler Nachrede ausgesetzt. Und das will ich nicht; ich, die ich am besten weiß, daß du der anständigste Mann von der ganzen Welt bist, wie du auch der größte unter allen Künstlern bist! Das verdankst du allerdings auch ein wenig mir. Du weißt, daß ich von einem Gedanken ganz erfüllt war: » Das trinkende Mädchen« zu besitzen. Du hast es doch gesehen! Welches Meisterwerk! Nun gut, betrachten wir doch die Dinge, wie sie eben liegen. Ich kann ohne Luxus, ohne lärmende Gesellschaft und ohne Torheiten nicht leben. Lasse mich in meinem Lebenselement und verlange von mir nicht mehr, als ich dir bieten kann. Wir werden uns nie mehr verstehen. Du bist ein Kind und ich – ich bin ein elendes Geschöpf; aber ich liebe dich, und ich will dir auch weiter noch angehören. Ich kenne dich; ich bin dessen sicher, daß du mir, trotz deines Grolles, treu geblieben bist. Habe ich recht? Du hast dich mit keinem anderen Weibe eingelassen! Wenn du wüßtest, wie glücklich mich dieser Gedanke macht! Es ist so herrlich, ein Wesen zu besitzen, das niemand anderem als uns zu eigen. Darin mußt du dich schon finden. Du gehörst mir. Zugegeben, daß ich eine Dirne, ein feiles und verächtliches Geschöpf bin; aber du liebst mich. Das ist die Hand des Verhängnisses! Füge dich! Höre nun, was wir machen wollen. Du bleibst in Paris; du mußt hier bleiben, du mußt noch große Werke ausführen und berühmt werden. Ich will dies. Kein Mensch darf wissen, daß du mich wiedergesehen hast; du wirst niemals von mir reden, und wenn dennoch die Rede auf mich kommt, kannst du sagen, ich wäre die Letzte der Straßendirnen. Das ist mir gleichgültig. Willst du mich öffentlich bloßstellen? Willst du mir einen Prozeß machen?

Das Gesetz wird uns trennen, da wir doch noch nicht getrennt sind. Du kannst mich zwingen, wieder zu dir zurückzukehren, wenn du willst. Aber das willst du nicht. Du wirst allein nach deiner Wohnung zurückkehren, aber nicht gleich,« sagte sie, indem sie mich mit ihren Armen umschlang, »und von Zeit zu Zeit, wenn du den Wunsch haben wirst, mich zu sehen, schreibst du mir nur das einzige Wort: »Komm'!« Und ich eile zu dir, dicht verhüllt wie damals, als ich von Warschau zu dir kam. Erinnerst du dich noch daran? Niemand wird wissen, daß ich es bin, und ich bleibe bei dir auf einen Tag, auf eine Nacht, auf eine Stunde, wie du es befiehlst, und ich bin ganz dein, die Iza von früher, deine Sklavin, dein Hund. Willst du? Ich will!«

»Mit anderen Worten, meine Frau wird meine Geliebte!«

»Laß doch die Wortklauberei!«

»Und wann wollen wir dieses neue Leben beginnen?«

»Sobald du willst.«

»Sofort!«

»Willst du mich bis morgen mitnehmen?«

»Warum willst du dich denn bemühen!«

»Also hier?«

Sie überlegte einen Augenblick.

»Ja, aber wenn der König käme,« sagte ich, wie wenn ich ihre Gedanken aussprechen wollte.

»Das weißt du auch schon ... Es hat keine Gefahr. Und was liegt mir daran? Ich bin reich. Warte einen Augenblick. Ich will die Leute für heute entlassen. Aber vor Tagesanbruch gehst du weg. Warte hier, bis ich dich rufe.«

Und ich fühlte in diesem Augenblicke auf meinen Lippen einen heißen Kuß, der mich durchschauderte.

»Ich bete dich an!« sagte sie und verschwand.

Auch nicht ein Wort von ihrem Sohne!

Wie versteinert saß ich einige Minuten da, als ich flüstern hörte:

»Komm'!«

Ich trat in das infame Schlafgemach ein, welches ganz mit Seide austapeziert war; ein Kerker aus Watte und Atlas, um die Liebesseufzer zu ersticken. Ein mildes Licht, kupplerisch wie der bleiche Strahl des Mondes, fiel von dem weißen Plafond und zeigte hinter den Vorhängen des Bettes diejenige, welche mir aus demselben ihre marmorweißen Arme entgegenstreckte.

Was für eine Geliebte wartete meiner!

Was für Raffinement in der Liebe und welche Vorbereitungen dazu! Fürwahr eine Dirne, die einen König zum Wahnsinn verliebt machen und ein Reich ins Verderben stürzen konnte!

Und erst 23 Jahre!

*

Gegen ein Uhr morgens schlief ich ein, ruhig wie eine Jungfrau. Fürwahr! Wenn dieses Geschöpf noch bis morgen lebte, so würde sie mich zum erbärmlichsten aller Menschen machen.

Ich erhob mich und ging nach dem Boudoir, um das Messer zu holen, mit welchem sie zwei Stunden vorher gespielt. Dann kehrte ich in das Schlafgemach zurück und legte mich wieder an ihrer rechten Seite nieder. Sie atmete ruhig und regelmäßig. Sie lächelte im Traum. Sie war mir niemals so schön erschienen. Ich betrachtete sie einen Augenblick.

Die Glocke schlug zwei.

Ich berührte leise ihre Schultern. Sie spitzte instinktiv die Lippen zum Kusse.

»Liebst du mich?« fragte ich sie ganz leise.

»Ja,« flüsterte sie leise wie im Schlafe.

Das war ihr letztes Wort. Es sollte auch das letzte sein, welches sie gesprochen. Ich legte meine linke Hand auf ihre Stirne, bog ihren Kopf ein wenig nach hinten und stieß ihr sodann mit aller Kraft mit meiner Rechten das Messer in die Brust, dort, wo ich das Herz schlagen hörte.

Unter der Wucht des Stoßes schnellte sie in die Höhe, fiel aber, nicht mehr als einen Seufzer ausstoßend, zurück aus das Bett.

Ich stieg aus dem Bette, legte mein Ohr an ihre Brust und horchte. Sie atmete nicht mehr.

*

Ich verließ das Haus. Bis zum Morgen irrte ich in den Straßen umher; mit dem ersten Morgengrauen stellte ich mich dem Gericht.

30. Juni 18..

 

Ende


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