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26. Kapitel

Es war ungefähr 6 Uhr, als Iza ganz leise die Türe ihres Zimmers öffnete.

Ich erwähnte bereits, daß ihr Zimmer nach dem Atelier ging. Iza konnte mich nicht sehen, da ich hinter einer großen Gruppe stand. Ich jedoch sah sie in einem kleinen Spiegel, welcher zu meiner Linken hing, und in welchem sich alle Vorgänge im Atelier widerspiegelten. Das Haar aufgelöst, bekleidet mit einem Hemde, welches von den Schultern herabhing, und in einem einzigen Unterrocke ging Iza mit zurückgehaltenem Atem und auf den Spitzen ihrer nackten Füßchen. Mit der einen Hand hob sie ihren Unterrock aus Musselin auf, in der anderen hielt sie etwas verborgen. Ihre Augen waren scharf auf mein Zimmer gerichtet, um sich zu vergewissern, daß ich nicht aus demselben herauskomme. Auf diese Weise sah sie nach der entgegengesetzten Seite und konnte mich nicht erblicken. Ich glaubte, sie wolle mir einen jener Morgenbesuche machen, welche von dem Ehemann so freudig aufgenommen werden, und die mit dem ersten Schlage der Lerchen, den ersten Strahlen der Morgensonne und dem ersten Erwachen der Natur den hellen Sommertag so reizvoll einleiten! Zu welch anderem Zwecke hätte sie sonst zu so früher Stunde und in einem solchen Negligee ihr Boudoir verlassen?

Ich hielt den Atem an und blieb unbeweglich wie die mich umgebenden Figuren stehen; aber sie ging an meinem Zimmer vorüber und sah sich nochmals um, ob sie nicht überrascht würde.

Sie schlug die Richtung nach dem Vorzimmer ein.

»Oho, wohin gehst du denn?« rief ich plötzlich.

Sie stieß einen unbeschreiblichen, gellenden Schrei aus. Sie drehte sich, wie von einer Feder geschnellt, um und mußte sich an der Wand stützen, um nicht umzufallen. Sie war bleich wie ihre Wäsche geworden, und legte ihre Hand aufs pochende Herz. Ich lief rasch zu ihr; sie hatte Zeit gefunden, sich zu erholen.

»Wie hast du mich erschreckt,« sagte sie, sich den Schweiß abtrocknend, der ihr auf der Stirn perlte. »Du weißt, daß ich den Tod von solchen Scherzen haben kann.«

Und sie atmete tief auf, lächelte mir zu und drückte mir die Hand, wie um nicht zu fallen und mir zugleich zu beweisen, daß sie mir nicht zürne.

»Ja, aber was machst du denn um diese Zeit hier?«

»Ich wollte zu Nounon gehen, (Nounon wurde die Amme von unserem Felix gerufen) des Kindes halber. Ich kann seit zwei Stunden nicht schlafen und ängstige mich, ich weiß nicht warum, um das Kind.«

Tatsächlich war das Zimmer der Amme an diesem Ende der Wohnung.

»Und die Briefe, die du hier in der Hand hast? Was ist mit diesen?«

Sie sah sie an, als ob sie sich erst entsinnen müßte.

»Diese zwei Briefe habe ich geschrieben, da ich doch nicht schlafen konnte. Der eine ist an meine Mutter, welche während deiner Abwesenheit bei mir speisen wollte und der ich abschreibe, da du doch zu Hause bleibst und dir ihre Gegenwart nicht immer behagt. Der andere –,« fuhr sie fort, indem sie die Adresse las, als hätte sie sich dieselbe nicht gemerkt. »Ja so, der andere ist an eine neue Modistin, die man mir empfohlen hat, gerichtet. Ich wollte Nounon bitten, ihn abzugeben, wenn sie mit dem Kinde spazieren geht. Da nimm diese beiden Briefe und gib selbst den Auftrag, sie zu besorgen. Ich zittere so, – sieh, wie ich zittere – daß ich sie fallen lassen könnte. Du darfst mich nicht mehr so erschrecken.«

Ich nahm die Briefe, legte sie auf den Tisch und entschuldigte mich bei Iza.

»Zur Strafe, mein Herr,« sagte sie, »werden Sie mich nach meinem Zimmer tragen, da ich nicht imstande bin, hinzugehen, und dort werden Sie mich einschläfern. Ich hoffte, daß, nachdem meine Unruhe beseitigt und meine Aufträge erledigt, ich bis mittags in einem Zuge werde ruhig schlafen können. Das ist jetzt nur dann möglich, wenn man mir dabei behilflich ist.«

Ich nahm sie wie ein Kind in meine Arme und trug sie, ihren Kopf an dem meinigen, auf ihr Zimmer.

»Du verdienst es gar nicht,« sagte sie, indem sie sich mit tausend zärtlichen Gebärden und liebesdürstigen Herausforderungen an meinen Hals hing. »Aber es ist gleichgültig, du hast gut getan, daß du hier geblieben bist. An solch schönen Tagen sollen Menschen, die sich lieben, nicht so weit von einander entfernt sein, und ich liebe dich wie in der ersten Zeit. Du weißt, daß ich mich nach dir gesehnt hätte, wenn du mich drei lange Tage allein gelassen hättest. Und du, liebst du mich denn noch?«

Ich brachte sie zu Bette.

Als ich sodann das Zimmer verließ, rief sie mir mit matter Stimme nach:

»Vergiß die Briefe nicht, ich will nicht, daß uns heute jemand störe, auch meine Mutter nicht. Wenn Nounon inzwischen weggegangen ist, gib sie dem Kammermädchen.«

Sehen Sie, mein Freund, wäre es einem anderen nicht ebenso gegangen, wie mir? Und ohne den Zufall, ohne die Fügung des Schicksals hätte ich bis heute nicht gewußt, daß einer dieser Briefe den schmachvollsten, schändlichsten und kühnsten Verrat enthielt. Wie kannte mich dieses Weib, wie sicher war sie meines Vertrauens, meiner Blindheit, meiner Dummheit!

Ich begab mich nach dem Zimmer von Nounon, um meinen Sohn zu umarmen, wie ich dies jeden Morgen zu tun pflegte, um dem Mädchen diese Aufträge zu erteilen.

Mit dem Einschläfern Izas hatte ich jedoch viel Zeit verbracht, und es war inzwischen 9 Uhr geworden. Die Amme war weggegangen. Ich rief das Kammermädchen. Mein Diener, mit dem Aufräumen im Salon beschäftigt, hatte die Möbel von den Plätzen gerückt und konnte auch nicht abkommen. Er sagte mir, das Mädchen wäre soeben nach dem Hofe gegangen. Ich öffnete das Fenster. Niemand war zu sehen außer meinem Hunde, der vor der Küchentür lag. Er schaute mich an und wedelte vergnügt mit dem Schweife.

Es war ein herrlicher Tag; Iza schlief, ich hatte auch keine Lust mehr zu arbeiten; ich nahm also meinen Jagdhut, meine Peitsche, stieg die Treppe hinab und rief meinen Hund. Im leichten Morgenrock, mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen, wie ein Mann, der sich geliebt weiß, schlug ich den Weg nach der Avenue Marbeuf ein. Ich war noch keine zehn Schritt gegangen, als ich dem Kammermädchen begegnete.

»Madame hat mir zwei Aufträge für Sie gegeben,« sagte ich zu ihr, »aber Sie waren nicht zu Hause. Falls meine Frau vor Ihrer Rückkehr erwacht, teilen Sie ihr mit, daß ich mich selbst auf den Weg gemacht hätte, um meinen Herrn Hund zu trösten.«

Das war der letzte Scherz in meinem Leben. – Ich gab den Brief bei der Gräfin ab und begab mich sofort nach der Rue du Marché d'Aguesseau 12. So lautete auf dem zweiten Brief die nähere Adresse der Modistin Madame Henri. Warum sollte ich nicht zu derselben hingehen und Iza die Ueberraschung bereiten, ihr einen Hut nach meinem Geschmack zu kaufen!

»Madame Henri?« fragte ich den Portier, welcher bereits im Sonntagsstaate im Hintergrunde seiner Loge sich aufhielt, bereit, auszugehen. Dieser Mensch war die ganze Woche über bei irgend einem Amte angestellt. An Sonntagen war er frei und wußte nicht, was er mit dem Tage anfangen sollte. Ich habe vergessen, zu erwähnen, daß sich die ganze Szene an einem Sonntage abspielte.

»Madame Henri?« fragte er zurück, »die wohnt nicht hier im Hause.«

»Was denn ... die wohnt nicht hier? Hier ist doch Nummer 12.«

»Jawohl.«

»Rue de Marché d'Aguesseau?«

»Stimmt auch; aber eine Madame Henri wohnt nun doch nicht hier.«

»Eine Modistin,« erklärte ich ungeduldig.

»Im ganzen Hause wohnt keine Modistin,« antwortete der Portier ärgerlich.

»Doch, doch,« rief plötzlich die Portierfrau, welche hinter der Portierloge beschäftigt war. »Madame Henri wohnt hier in diesem Hause. Du kennst nicht alle Mieter. Aber sie ist auf dem Lande. Wenn ein Brief für sie da ist, so soll er hier bleiben.«

Ich hatte so harmlos nach Madame Henri gefragt, in einem so geschäftsmäßigen Ton, daß die Portierfrau sich gar nicht die Mühe gab, mich anzublicken. Sie schaute nur auf, nachdem sie gesprochen hatte, und als sie mich in einem leichten Sommerröckchen mit einer Mütze auf dem Kopfe und einem Hunde an der Leine sah, hielt sie mich wohl für einen jener Zwischenträger, welche derartige Korrespondenzen zu besorgen pflegen. Sie sagte sodann zu mir: »Ihr Brief wird schon besorgt werden. Sie können ihn ruhig hier lassen!« Dabei gab sie ihrem ganz erstaunten Mann ein heimliches Zeichen, welches so viel bedeuten konnte, als:

»Ich weiß schon, um was es sich handelt.«

Allem Anscheine nach erwies diese Frau ihrem Manne nicht die Ehre, ihm von allen geheimen Einkünften ihrer Stelle Mitteilung zu machen. Als die Frau ihrem Manne ein Zeichen gemacht hatte, schoß es mir wie ein Blitz durch das Gehirn. Der erste anonyme Brief, den ich erhalten, tauchte jetzt vor meinen Augen auf, und ich begann an seinen Inhalt zu glauben.

Die Portierfrau streckte schon die Hand nach dem Briefe aus, den ich jedoch instinktiv sofort in meine Tasche gesteckt hatte.

»Ich werde morgen kommen, wenn die Dame zu Hause sein wird.«

»Ist nicht notwendig, man hat Ihnen doch nicht gesagt, daß Sie den Brief eigenhändig übergeben sollen; lassen Sie ihn nur hier.«

»Nein.«

»Wie Sie wollen.«

Ich ging weg, am ganzen Leibe zitternd; die Füße wollten mich fast nicht tragen, der Kopf drehte sich mir im Kreise und das Herz schien stille zu stehen. Als ich auf die Straße kam, mußte ich mich an eine Mauer anlehnen. In einem kurzen Stoßgebet, welches nicht länger als eine Viertelsekunde gedauert haben dürfte, flehte ich zu Gott, er solle mir das nicht zufügen; als wenn Gott etwas daran ändern kann, was bereits geschehen ist.

Ich erbrach den Brief und las:

»Unmöglich, uns zu sehen. Er geht nicht auf die Jagd. Denke an mich. Ich küsse Deinen angebeteten Mund.«

Keine Unterschrift. Deren bedurfte es auch nicht.

Ich kehrte zu der Portierfrau zurück. Sie hatte ihre Arbeit wieder aufgenommen; sie trocknete Geschirr ab.

Ich sehe noch dieses häßliche Geschöpf vor mir, welches für einige elende Goldstücke einem Manne half, mich zu betrügen, und das alles ganz natürlich findet. In derartigen Situationen wünscht man sich die Gewalt eines Nero, um die schrecklichsten Qualen einem solchen Wesen aufzuerlegen, das uns diesen ungeheuren Schmerz zugefügt hat, ohne uns zu kennen, ja selbst ohne es zu wollen. Sie und ihre ganze Familie würde man hohnlachend vernichten und nichts schonen, weder sie noch das unschuldigste ihrer Kinder. Wer kann den Durst nach Rache und Blut in solchen Momenten verleugnen! Jawohl, alle Grausamkeit, alle Qualen und alle Niederträchtigkeiten sind hier Naturrecht, welches der Mensch in Anspruch nimmt gegen denjenigen, welcher unserer Seele einen solch unheilbaren Schaden zugefügt hat.

Ich trat in die Loge ein, um zu erfahren, was eigentlich vorgefallen sei. Auf alle Fälle schloß ich die Tür hinter mir zu.

»Sie werden mir alles sagen!« Das waren die ersten Worte, die ich hervorbrachte, aber so drohend und schrecklich, daß dieses Weib die Katastrophe ahnte.

»Was soll ich Ihnen denn sagen?«

»An wen ist dieser Brief adressiert?«

»Das steht darauf.«

»Halten Sie mich nicht zum Narren, oder ich erwürge Sie!«

Ich war nicht mehr Herr meiner selbst. Der Mann trat ein wenig vor und sagte zu mir:

»Wir sind anständige Leute; machen Sie, daß Sie weiter kommen.«

»Lumpen seid ihr, Mitschuldige an einem Verbrechen, und wenn ihr mir nicht sofort alles sagt, so laß ich euch beide sogleich arretieren!«

Das Ehepaar sah sich an.

»Ich weiß nicht viel mehr als Sie,« begann endlich die Frau. »Ich will Ihnen alles sagen, was ich weiß. Ich fühle mich gar nicht schuldig. Die erste Etage ist an einen Herrn vermietet.«

»Wie heißt der ...«

»Monsieur Henri. Er hat mir keinen anderen Namen angegeben, und da er die Miete im Vorherein bezahlt hat und auch genug Möbel vorhanden sind, woran wir uns eventuell halten können, so hab' ich mich um weiter nichts bekümmert.«

»Er bewohnt diese Gemächer?«

»Nein, er kommt nur hin und wieder.«

»Allein?«

»Allein.«

»Um eine Frau hier zu empfangen?«

»Ich weiß nicht, wer ihn besucht. Er kann tun, was er will, das kümmert mich auch gar nichts.«

»Wie lange dauert denn das schon?«

»Ein, zwei Jahre, ich weiß nicht bestimmt.«

»Zeigen Sie mir die Zimmer.«

»Ich habe nicht die Schlüssel.«

»Sie kennen also nicht die wirkliche Wohnung dieses Mannes?«

»Nein.«

»Dieser Brief war für ihn?«

»Ganz bestimmt; aber ich liebe solche Geschichten nicht. Ich habe einen Mieter, der empfangen kann, wer ihm beliebt, der Herr Henri heißt und dem ich die Briefe übergebe, welche für Madame Henri ankommen. Wenn Ihnen das nicht genügt, gehen Sie nach dem nächsten Polizeibureau, erste Straße links. Ich bin in meinem Rechte, und mit allem übrigen soll man mich in Ruhe lassen!«

Sie hatte recht; ich spielte eine falsche und lächerliche Rolle und entfernte mich, einige Worte stammelnd.

Wie ein Trunkener taumelte ich; es schien mir, als wäre ich nicht wahnsinnig, sondern blöde geworden. Ich fürchtete, daß ich auf der Straße zu lachen oder zu singen anfangen würde. Ich dachte an Gegenstände, die in gar keiner Beziehung zu dem standen, was geschehen war. Historische Erinnerungen, Ausdrücke aus einem Lehrbuche der Chemie, das ich jüngst gelesen, schwirrten in meinem Kopf herum. Ich war wie im Delirium. Ich hörte nicht allein diesen Unsinn in meinen Ohren summen, nein, ich sah ihn vor meinen Augen tanzen. Weshalb das alles! Eine Minute länger, und ich wäre der Länge nach in komplettem Blödsinn und in Paralyse auf die Erde gefallen. Aber ich fürchtete mich, zu sterben, ohne mich gerächt zu haben. Ich gab mir einen Stoß und lief nach meiner Wohnung. Ich sah wie im Traume einen unserer Lieferanten vorübergehen, der mich grüßte. Mechanisch dankte ich ihm. Ich lief und mein Hund trottete vergnügt hinterher.

»Wer ist es, wer ist es!« fragte ich mich in meinem Fieber. Ich ließ alle Namen meiner Freunde vor mir Revue passieren.

Als ich den Hof meines Hauses betrat, blieb ich einen Augenblick stehen. Die Entscheidung war nahe; es verschlug mir den Atem. Ich war zu früh gekommen. Ich hätte vorerst zu der Gräfin gehen sollen. Der Brief, den ich in der Avenue Marbeuf abzugeben hatte, enthielt vielleicht Aufschlüsse. Sollte ich noch einmal hingehen? Nein, ich brauchte keinen Aufschluß. Die drei Zeilen, die in meinen Händen brannten, sagten alles.

Ich trat ein und suchte so ruhig als möglich zu werden. Ich blieb sogar im Hofe einen Augenblick stehen, wie um mich zu vergewissern, daß mein Hund mir folge. Ich streichelte ihn, als er in meine Nähe kam, und warf einen verstohlenen Blick nach den Vorhängen von Izas Fenster. Ich sah, wie ein Vorhang sich leise bewegte. Das Kammermädchen hatte wohl meinen Auftrag ausgerichtet. Iza hatte ohne Zweifel auf meine Rückkehr gewartet, um aus meiner Haltung zu ersehen, ob sie was zu befürchten habe oder nicht.

Der erste Eindruck hatte sie getäuscht. Sie kam ganz angekleidet mir entgegen; aber sie brauchte nur mein Gesicht zu sehen, um alles zu erraten. Sie blieb stehen und erblaßte leicht. Sie hatte noch die Kraft und die Dreistigkeit, mich zu fragen: »Was hast du denn?«

»Den Namen dieses Mannes!« rief ich und zeigte ihr den Brief.

»Beruhige dich, ich will dir alles sagen, du wirst sehen, daß ich nicht so schuldig bin, wie du glaubst.«

Kein Zweifel mehr; sie gestand sofort ein, daß dieser Brief an einen Mann geschrieben sei. Bevor sie gesprochen hatte, war noch nicht alle Hoffnung in mir geschwunden. Ich hegte ja keinen Zweifel; aber in meinem tiefsten Herzensgrunde war dennoch ein leiser Hoffnungsschimmer, daß diese Wahrheit doch nicht wahr sei.

Lächelnd hätte ich mein Leben dafür hingegeben, wenn Iza mit einem Schrei der Entrüstung diese Verleumdung ihrer Unschuld von sich gewiesen hätte. Nun aber war alles verloren; sie wollte sich entschuldigen!

Bis in sein fünfundzwanzigstes Lebensjahr sich für diese einzige Liebe rein erhalten zu haben; sich sodann in vollem Vertrauen und ohne fremden Zwang ein siebzehnjähriges Mädchen zu erkiesen; der erste gewesen zu sein, der sie die Liebe kennen gelehrt; mit seiner ganzen Seele und seinem ganzen Wesen sich diesem Geschöpfe hingegeben zu haben; aus demselben den Mittelpunkt alles Denkens, Fühlens und Tuns zu machen; sich zu sagen, daß sie der Trost in allen Unannehmlichkeiten, Schmerzen und in jedem Mißgeschicke sein sollte; den Tod der Mutter für dieses Weib ertragen, ja sogar denselben vergessen zu haben; jedes ihrer Worte zu glauben; sie zur Vertrauten seiner Pläne, Bestrebungen und Neigungen zu machen; vor ihr seinen Tränen freien Lauf gelassen zu haben, ganze Nächte zu ihren Füßen zu verbringen, trunken vor Liebe und Begierde in ihren Armen zu liegen und in ihren Augen den Widerschein seiner eigenen Gefühle zu sehen glauben; und noch heute morgen dieses Weib schöner, leidenschaftlicher und hingebungsvoller als je an sich gedrückt zu haben, und plötzlich einen Brief zu lesen, wie denjenigen, den ich seit einer halben Stunde in Händen hatte und zu sehen, wie die Wahrheit auf den bleichen, bebenden Lippen dieses Weibes sich verrät! Suchen Sie ein Unglück, welches diesem gleicht. Sie werden es nicht finden!

Also auch ein anderer hat diese Reize gesehen, von denen ich glaubte, daß ich nur allein sie kenne; ein anderer dieses Weib besessen, welches ich anbetete, und meine Lippen haben fremde Küsse von ihren Lippen weggeküßt; sie hat mich vergessen, sich einem anderen hingegeben und in seinen Armen meiner gespottet! Himmlische Gerechtigkeit, was soll ich diesem Weibe, was soll ich diesem Manne antun!

Zur Schande der menschlichen Natur muß man es eingestehen, daß die Eifersucht nur aus absolut materiellen, rein körperlichen Gründen entsteht. Wir vergeben derjenigen, die wir lieben, tausend ehebrecherische Gedanken, so lange dieselben nicht zur Tatsache geworden sind; wir verzeihen ihr, daß sie das Ideal in einem Manne sucht, der nicht wir sind, so lange es sich nur um Gedanken handelt. Wir entschuldigen den Geist, wenn der Körper nicht mitschuldig geworden. So leugnen denn auch die Frauen die Tat, nicht aus Schamhaftigkeit, nicht aus Gewissensbissen, nicht aus Furcht vor der Schande, sondern weil sie ganz gut wissen, daß alles wieder gut werden kann, wenn wir an ihre rein leibliche Unschuld glauben, und daß dies die letzte Grenze unserer Großmut ist, weil es auch die letzte Grenze unseres Stolzes ist.

Wenn trotz des erdrückenden Beweises, den ich in Händen hatte, Iza mich hätte überzeugen können (o wie feig macht doch die Liebe!), daß sie jenem Manne, dessen »angebeteten Mund sie auf dem Papier küßte«, sich nicht hingegeben habe; ich hätte ihr vergeben, vielleicht sogar einen Teil der Schuld auf mich genommen. Das fühlte sie, und sie bereitete sich vor, mich zu besiegen. Ein Psychologe, welcher ungesehen dem Kampfe beigewohnt hätte, der sich zwischen uns nun entspann, wäre erstaunt gewesen über die Schlagfertigkeit, Kühnheit und die reichen Hilfsmittel, mit welchen der Geist eines Weibes ausgestattet ist, das sich verteidigt; er hätte sich entsetzt ob der Grausamkeit einer Frau, welche fühlt, daß sie nichts mehr zu verlieren hat, die sich nun rächen will für ihre Erniedrigung und Schmach.

Sie hatte gesagt: »Ich bin nicht so schuldig, wie du glaubst.«

Ich klammerte mich an diese acht Worte.

»Vor allem,« fragte ich, »wie heißt dieser Mann?«

»Serge.«

»Er ist Ihr Geliebter?«

»Nein.«

»Er ist es gewesen?«

»Höre ...«

»Ich höre gar nichts. Ja oder nein?«

»Nein.«

»Sie lügen ganz gemein! Wofür halten Sie mich denn? Soll ich nicht glauben, was ich schwarz auf weiß hier in diesem Briefe vor meinen Augen sehe?«

»Laß mich sprechen. Willst du, daß ich rede?«

Ich setzte mich, oder richtiger gesagt, ich fiel auf einen Stuhl und sah ihr ins Gesicht.

»Du weißt ganz gut, daß ich Serge hätte heiraten sollen. Ich kannte dich damals noch nicht, oder zum mindesten, ich wußte noch nicht, daß ich dich liebte und daß ich dich eines Tages heiraten würde. Ich habe dir damals auch alles geschrieben. Wer zwang mich dazu? Niemand. Ohne mich hättest du niemals etwas davon erfahren. Meine Mutter wünschte, daß diese Partie, welche eine glänzende genannt werden mußte, zustande komme. Sie wollte Serge kompromittieren, um ihn dadurch zu zwingen, mich trotz des Widerstandes seiner Familie zu heiraten. Das war von ihr sehr unvorsichtig; wir beide waren damals noch sehr jung.«

»Sie waren die Geliebte dieses Mannes, bevor Sie meine Frau geworden?«

»Du weißt ganz gut, daß dies nicht der Fall gewesen ist. Kannst du darüber im Zweifel sein. Verdächtige mich und was ich getan, seitdem wir verheiratet sind, du bist in deinem Rechte, und alle Umstände scheinen dafür zu sprechen. Aber beschimpfe und entweihe nicht die erste Zeit unserer Liebe. Ich bin vielleicht inzwischen unvorsichtig gewesen, aber ich habe mir sonst keinen Vorwurf zu machen.«

Da hatten wir's. »Unvorsichtig« und nichts weiter. Das ist das bequeme Wort, mit welchem die Frauen alles entschuldigen, ohne es erklären zu können! Aber es gibt Momente, wo die Leidenschaft geschickter ist, als die weibliche List.

»Lassen Sie die Vergangenheit,« sagte ich. »Sprechen Sie von der Gegenwart.«

Sie änderte sofort ihre Taktik.

»Ich werde gar nichts mehr reden; du glaubst mir ohnehin nicht, was ich von jetzt und was ich von früher dir erzähle!«

»Gut, aber ich sage Ihnen, daß ich Ihren Geliebten töten werde.«

»Was liegt denn mir daran? Lieb' ich etwa denjenigen, den du meinen Geliebten nennst? Töte, wenn es dir gutdünkt, diesen armen Burschen. Die Gewissensbisse wirst du davon haben: die Folgen wirst du tragen müssen.«

Diese letzte Bemerkung war ein Meisterstück.

»Warum nun dieses Duzen in dem Briefe? Warum diese Ausdrücke, warum diese unverschämten Küsse?«

»Das hat bei uns zu Lande nichts zu sagen. Dort küßt sich die ganze Welt auf den Mund.«

Mein teurer Freund, das habe ich mit meinen eigenen Ohren hören müssen!

Die Schwäche, welche mich befallen, bevor ich dieses schuldige Weib gesehen und gehört, war verschwunden; ich fühlte, wie in meinem Innern der eiserne Wille entstand, alles zu wissen und aus diesem Wissen alle Konsequenzen zu ziehen. Wie weggeblasen war alle Liebe aus meinem Herzen; tot und still war es drinnen, nur in meinem Gehirn arbeitete es fieberhaft. Die reizvolle Erscheinung Izas, die mich sonst geblendet hatte, machte keinen Eindruck mehr auf mich. Wozu noch weiter reden! – Sie mußte bestraft werden, weiter nichts; aber welche Strafe genügte für dieses Verbrechen? In diesem Augenblick erinnerte ich mich der Worte, die meine sterbende Mutter zu mir gesagt hatte: »Wenn du in irgend einer ernsten Angelegenheit eines treuen Freundes bedarfst, wende dich an Konstantin; du hast keinen bessern Freund als diesen.«

Ich wurde plötzlich so ruhig, daß Iza Furcht bekam, Furcht in des Wortes eigentlichster Bedeutung. Sie begann zu ahnen, wessen ein in Zorn geratener Mann fähig sei. Sie suchte mit ihren Augen, wo sie entwischen, oder wen sie zu ihrer Hilfe herbeirufen könnte. Ich klingelte.

»Was wollen Sie tun?« fragte sie mich.

Der Diener erschien.

»Eilen Sie zu Herrn Konstantin Ritz. Bitten Sie ihn, sofort hierher zu mir zu kommen. Ich bedürfe seiner dringend.«

Als wir beide wieder allein waren:

»Was soll Konstantin hier?«

»Das werden Sie sehen.«

»Aber ich will nicht mit euch beiden allein bleiben. Ihr werdet mich töten.« Sie lief gegen die Türe. Der Name von Konstantin hatte sie mehr erschreckt, als all mein Zorn.

Ich packte sie am Arm, legte die Hand auf ihren Mund und sagte in kaltem und festem Tone:

»Wenn Sie den Versuch machen, wegzugehen, oder jemand herbeizurufen, zertrete ich Sie mit meinen Füßen! Ich habe alle Beweise, ich bin in meinem Rechte. Setzen Sie sich, warten Sie!«

Dabei stieß ich sie auf ein Sofa, wo sie halbtot hinfiel.

»Ich will meine Mutter sehen,« murmelte sie.

»Beten Sie zu Gott, daß sie jetzt nicht erscheint!«

»Sie haben sich an einem Weibe vergriffen, das sich nicht wehren kann,« stammelte sie, »Sie sind ein Feigling!«

Ihre eigentliche Natur kam jetzt zum Vorschein. Ich schwieg; ich war entschlossen, keine Antwort zu geben.

Merkwürdig; all die widerstreitenden Gefühle, welche seit einer Stunde mich bewegt hatten, waren einer solch tiefen Verachtung gewichen, daß es mir mitunter vorkam, als handelte es sich gar nicht um mich und als hätte ich niemals mit jenem Geschöpfe etwas gemein gehabt, welches mir wie in einem Zaubermärchen in ein abstoßendes Ungeheuer verwandelt schien. Ich nahm meinen Zurichtmeißel, wie wenn nichts geschehen wäre.

In der Situation, in welcher ich mich befand, mußte ich die Zeit bis zu Konstantins Ankunft mit Arbeit ausfüllen, um nicht lächerlich zu werden. Mechanisch arbeiteten meine Hände. Plötzlich stieg die Wirklichkeit wie betäubende Dämpfe in meinem Kopfe auf. In meinen Ohren gellte es und ich hörte ganz deutlich die Worte: »Töte sie doch!« Oder ich fragte mich: Was tue ich diesem Manne an? Und ich suchte eine ungeheuerliche, schimpfliche und erniedrigende Strafe. Ich wollte nicht, daß er sterbe. Sein Tod genügte meiner Rache nicht; er sollte seine Schande überleben und in Verzweiflung mich täglich verfluchen, an seiner Ehre und seinem Leibe geschändet, den Männern zum Spott, den Weibern zur Verachtung, sich selbst zum Schrecken!

»Sie wollen also mit aller Gewalt einen Skandal,« begann Iza nach einem Stillschweigen von einigen Minuten.

Ich gab keine Antwort. »Es ist noch Zeit, um großes Unglück zu verhüten,« fuhr sie fort. »Es ist nicht Serge, an den ich geschrieben habe. Ich habe diesen Namen nur genannt, um Sie auf eine falsche Spur zu bringen. So dumm bin ich nicht, um mich gleich zu verraten.«

Ich schwieg und sie sprach weiter:

»Wir werden uns also trennen! Nicht wahr? Nach dem, was geschehen ist, können wir doch nicht mehr beisammen bleiben. – Lassen Sie meine Mutter rufen und mich mit ihr Weggehen. Ich schwöre Ihnen, daß ich sodann den Namen meines Geliebten sagen werde.«

»Meines Geliebten!« War sie es, die diese Worte gesagt hatte? War ich es, zu dem sie gesprochen worden? Nicht ein Laut kam über meine Lippen; aber ich glaubte, daß mein Herz in Stücke ginge.

»Jawohl, ich habe einen Geliebten, und ich liebe ihn. Ich habe niemals einen anderen geliebt als ihn. Wenn Sie eine Ahnung hätten, wer das ist.«

»... Töte sie doch!« echote es in mir.


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