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32. Kapitel

Je mehr wir uns Rom näherten, desto brennender wurde meine Sehnsucht, dorthin zu gelangen und desto lebendiger wurde wieder in mir der Arbeitsdrang. Bislang hatte ich nur den Wettbewerb mit meinen Kameraden zu bestehen gehabt; es war mir nicht schwer geworden, aus demselben als Sieger hervorzugehen und das um so weniger, als die Bildhauerei in Frankreich nicht besonders gepflegt wurde. Von den Antiken hatte ich nur das gesehen und bewundert, was in unseren Museen und Galerien ausgestellt war, oder was mir durch Nachbildung und Zeichnung zugänglich geworden. Den Stil der Renaissance hatte ich mir nach meinen besten Kräften zu eigen gemacht, und in manchen meiner Werke kann man den Einfluß von Jean Goujon, Germain Pilon und den der französischen Schule studieren, welche mit Purget und den beiden Couston begann und für mich wenigstens mit Clodion schließt.

Die Natur war mir gegenüber nicht stiefmütterlich gewesen. Ich arbeitete gern und hatte Ausdauer in der Arbeit; meine Begabung förderte zudem meine Arbeitsfreudigkeit. In Paris hatte ich viel Erfolg gehabt; so viel man eben in Paris haben darf. Ich durfte mich als einer der ersten unter den gegenwärtigen und vielleicht auch unter den früheren Künstlern betrachten, allerdings solange ich nicht den Maßstab anlegte, wie ich das in Italien zu tun mich nun veranlaßt fühlte. Welcher Unterschied zwischen mir und denjenigen, als deren berufensten Nachfolger meine Bewunderer und Freunde, oder diejenigen, welche mir verpflichtet waren, mich proklamiert hatten, ohne daß ich dagegen mich besonders verwahrt hätte! Wie viel hatte ich noch zu lernen, um selbst nur denjenigen Künstlern ebenbürtig zu werden, deren Namen bei uns unbekannt waren, und deren bewunderungswürdigste Werke ich auf meiner Weise kennen lernte. Jedes einzelne derselben hätte seinen Schöpfer unsterblich machen können. Mein durch die Ereignisse der letzten Zeit bis zur Exaltation aufgeregter Geist schien hier durch das Entzücken, welches den Künstler ergriff, wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Ich fühlte, daß ich meinen Schmerz vollständig bezwingen, daß ich ihn meiner Kunst und meinem Ruhme dienstbar machen müsse, wenn ich mich zu den Auserwählten unserer Kunst zählen wolle. So muß das Eisen, um Elastizität und Dauerhaftigkeit zu erlangen, im Feuer glühend rot gemacht und sodann in eiskaltes Wasser getaucht werden, um in harten Stahl sich zu verwandeln; und so ist es auch mit dem Geiste. So lange er nicht durch herben Schmerz geläutert wird, ist er menschlich. Er wird göttlich, wenn er durch diese Prüfung hindurch gegangen ist.

Es zog mich mit aller Kraft nach Rom, um dort Sammlung und Ruhe zu finden. Die Sehnsucht nach Einsamkeit stieg in mir auf. Nach schmerzvoller Zeit kommt stets eine Stunde, in welcher uns die Freundschaft, selbst diejenige des treuesten und aufrichtigsten Mannes unnötig erscheint, oder richtiger ausgedrückt, sogar lästig fällt; man glaubt, daß man seiner Hilfe entraten kann, man will seine eigenen Kräfte prüfen, ebenso wie ein Wiedergenesender den Arm zurückweist, welcher ihm während der Krankheit Stütze gewesen. Die Undankbarkeit ist auch ein Symptom der Gesundung.

Mitte Oktober kamen wir endlich in Rom an. Sie kennen die ewige Stadt nicht. Wer sie nicht kennt, dem kann sie auch niemand beschreiben. Mir erschien Rom als die natürlichste Zufluchtsstätte für alle, welche von großem Mißgeschick bedrückt sind. Angesichts der Erinnerungen und Gedenkzeichen an die großen welterschütternden Katastrophen, welche sich hier abgespielt, erscheint das eigene Leid und der selbsterduldete Schmerz unbedeutend und klein. Sobald man den Fuß auf römische Erde setzt, umweht einen der Geist der Vergangenheit; die gewaltigen Ruinen, die den Ankommenden begrüßen, sprechen eine eindringliche Sprache und predigen eine überwältigende, unanfechtbare Philosophie des Lebens.

Sie haben Versailles gesehen. Das große Jahrhundert hat in seinen letzten Zügen über die königliche Residenz, über die verlassenen Gärten und verödeten Bauten, über die Straßen und Plätze und selbst über die Einwohner eine gewisse Düsterheit gebreitet, durch welche die Sonne auch heute noch nicht dringen konnte. Man geht gewissermaßen auf den Fußspitzen, als fürchte man, die Schlafenden zu erwecken. Nun, wohlan! Versailles ist Rom, mit dem Unterschiede von 20 Jahrhunderten, mit dem Unterschiede wie zwischen Groß und Unermeßlich, zwischen Thron und Kreuz und wie der Unterschied ist zwischen dem Menschen und Gott! Versailles ist die Mumie eines Zeitabschnittes, Rom das Skelett einer ganzen Welt. Von diesem Gesichtspunkte aus, und nur unter Berücksichtigung der erwähnten Größenverhältnisse, können diese beiden Städte mit einander verglichen werden.

Nach einem Aufenthalte von achtundvierzig Stunden in der ewigen Stadt hielt ich mich für gerettet. Der Künstler hatte den Menschen verdrängt. Es war auch in der Tat so viel des Sehenswerten und Staunenerregenden um mich, daß mein wundes Herz hier Genesung finden mußte. Mein persönlicher Schmerz erschien mir plötzlich inmitten dieses Gigantenartigen kleinlich und lächerlich. Mein erstauntes und entzücktes Auge konnte ihn in den gewaltigen und hehren Räumen fast gar nicht mehr erblicken. Er verschwand vollständig. Es schien mir, daß es eine Ueberhebung, eine Dreistigkeit sei, im Schatten des Kolosseums an diesen Schmerz zu denken, inmitten jener Trümmer, wo Tausende von Männern, Frauen und Kindern unter den unerhörtesten Qualen lächelten und standhaft einem gräßlichen Tode ins Auge sahen. Ich schrieb an Herrn Ritz einen Brief voll Dankesworte für seinen Rat und setzte ihn von meiner Stimmung und meinen Plänen in Kenntnis. Ich lud ihn ein, mich zu besuchen. Ich entwarf Pläne auf Jahre hinaus, mit aller Energie machte ich mich daran, ein neues Leben zu beginnen.

Vom Morgen bis zum Abend durchstreiften Konstantin und ich kreuz und quer die Stadt. Er begleitete mich überall hin und interessierte sich für alles, nur mußte ich mich dazu bequemen, täglich von fünf bis sechs Uhr am Pincio oder bei der Villa Borghese spazieren zu gehen, wo um diese Zeit die Damenwelt und die vornehmen Fremden, welche im Winter das milde südliche Klima ihrer Gesundheit wegen aufsuchen, sich ergingen. Es war die Rede davon, daß sein Vater in Begleitung der Tochter und des Schwiegersohnes mir folgen werden. Herr von Niederfeld wollte sich versetzen lassen, was ihm bei seinen Beziehungen leichtgefallen wäre. Konstantin sollte alles bei seiner Rückkehr nach Paris ordnen und mit der ganzen Familie zurückkehren.

Es muß erwähnt werden, daß ich seit unserer Anwesenheit in Rom in Konstantins Augen sehr gewonnen hatte. In Paris hatte er mich eigentlich nie für voll genommen. Ich war für ihn ein alter Kamerad, den er in gedrückten Verhältnissen kennen gelernt hatte, ich war ein Schüler seines Vaters und demselben zu Dank verpflichtet. Ich machte »männliche und weibliche Figuren aus Marmor«, von denen er nicht viel verstand und noch weniger hielt. Ich verkaufte dieselben sehr gut; um so besser für mich. Aber in seinen Augen war das alles eine Beschäftigung, welche weit unter dem Berufe stand, den er sich erwählt hatte. Er war Soldat, das war ein ritterlicher, angesehener Beruf. Es war bislang in Konstantins Freundschaft für mich ein wenig Protektion, Wohlwollen und Herablassung gewesen. Die Unterstützung, die er mir bei den letzten Ereignissen geliehen, hatte in ihm das Gefühl der Ueberlegenheit noch verstärkt. Ich gehörte eben zu denjenigen, welchen man beistehen muß; für heftige Kämpfe wäre ich nicht veranlagt.

Hier erschien ich ihm nun plötzlich in einem ganz anderen Lichte. Für den Künstler ist das Ausland eine Art lebender Nachwelt, hier wird er nach Verdienst gewürdigt, ohne Rücksicht auf Gegner- und Gönnerschaften. Es stellte sich heraus, daß meine Arbeiten in Italien bekannter waren als in Frankreich. Seit ich in Rom war, erhielt ich von jungen Künstlern Besuche, bei welchen dieselben mir mit der ganzen Aufrichtigkeit und dem Ueberschwange eines jungen Gemüts ihre Bewunderung ausdrückten. Für sie war ich bereits ein vollkommener Künstler, trotzdem ich keine Akademie absolviert hatte, ohne welche nach den Ansichten der Anhänger des alten Zopfes kein Heil in der Kunst sei.

»Durch eigene Kraft!« Das ist der ehrgeizige Traum der Jugend, und diesen sahen sie bei mir erfüllt. Ich lehnte mich in meiner künstlerischen Produktion an niemanden an, ich hielt mich nur an die Natur. Ich war selbstschöpferisch, das ist die Hauptsache in der Kunst.

Man veranstaltete mir zu Ehren kleine Festlichkeiten. Ich konnte die Denkmäler nicht aufsuchen, ich konnte keinen Ausflug machen, ohne daß eine große Zahl freiwilliger Schüler mit mir ging, die ganz stolz darauf waren, wenn ich mich unter ihnen befand. Sie nahmen sich meiner auch an, fanden für mich ein geräumiges, luftiges Atelier, mitten auf der Piazza del Popolo gelegen, indem sie der Ansicht waren, daß mein Haus in Kürze zum Mittelpunkt des Studiums, des künstlerischen Fortschrittes und der Geselligkeit werden würde. Sie baten mich, in Rom zu bleiben, und versicherten, daß ich allein ein Gegengewicht bilden könne gegen diese frostigen Akademien, welche ihren künstlerischen Geist töteten. Ohne mich zu denselben in einen Gegensatz zu stellen, könnte ich durch meine Person allen ein Beispiel und Vorbild sein und dadurch der Kunst der ganzen Welt nützen.

Konstantin war ganz erstaunt, als er sah, welch einen bedeutenden Mann er seinen Freund nenne. Ich unterließ es nicht, ihn als den Sohn von Thomas Ritz vorzustellen, welchem ich alles verdanke. Aber dieser bekannte Name rief bei meinen jungen Freunden keinen besonderen Eindruck hervor; einige kühle Komplimente, denen man bei Anwesenheit seines Sohnes nicht gut ausweichen konnte, und einige leere Redensarten – das war alles. Man konnte merken, daß, wäre Konstantin nicht anwesend gewesen, an dem Vater eine scharfe Kritik von den jungen Leuten geübt worden wäre. Konstantin entging der Unterschied nicht, welcher in der Behandlung meiner Person und derjenigen seines Vaters gemacht wurde. Er behandelte mich sofort weit rücksichtsvoller und fand, daß auch die Kunst uns berühmt machen könne. Nicht etwa, daß er bedauert hätte, Soldat zu sein, aber es tat ihm leid, daß sein Name nicht ebenso bekannt sei wie der meinige, und daß dessen Erwähnung nicht mit solcher Begeisterung aufgenommen wurde, wie dies bei meinem der Fall gewesen.

Sie werden begreifen, welche Linderung für mein wundes Herz diese Ehrenbezeigungen waren. Meine Kunstgenossen schätzten mich nach meinem wahren Werte, und der künstlerische Ruf sollte mir ersetzen, was mir die Liebe geraubt hatte. Um so schlimmer für jene Frau, welche nicht erkannt und nicht geahnt hatte, was sie an mir besaß, und die sich soweit vergessen konnte, daß sie mich verriet! Sie sollte keinen Anteil mehr an meinem Herzen haben; sie sollte tot, völlig tot für mich sein.

Hatten meine neuen Freunde bereits Kenntnis von der wahren Ursache meiner plötzlichen Abreise von Paris? Waren ihre Sympathiebeweise deshalb so warm und herzlich, weil sie wußten, daß ich des Trostes und des Zuspruches bedurfte? Ich glaube, daß dies der Fall war; denn niemand von ihnen sprach mit mir von meiner Frau, trotzdem sie alle wußten, daß ich geheiratet hatte, wie man überhaupt in der Künstlerwelt gegenseitig über die intimsten Vorgänge unterrichtet ist. Wußten sie von dem Vorfalle durch Nachrichten aus Paris, oder hatte vielleicht Konstantin geplaudert? Es war mir im Grunde gleichgültig, sie kannten dieselben, und da sie noch nicht in jenes Alter getreten waren, wo der Neid jedes Mitleid aus dem Herzen verdrängt, so schmiedeten sie aus meinem Unglück keine Waffe gegen mich, – im Gegenteil, sie suchten durch liebevolle Sorgfalt meine Gedanken davon abzulenken.

Aber die Hand des Schicksals lastete auf mir. Trotz unserer gemeinschaftlichen Anstrengungen konnte ich demselben nicht entgehen. Konstantin wurde durch dienstliche Angelegenheiten wieder nach Paris zurückgerufen, nachdem er mir feierlichst versprochen, nach einem Monate mit oder ohne Familie wieder nach Rom zurückzukehren. Ich war vollständig eingerichtet, hatte bereits viele Aufträge, und tatsächlich stand mir seine Anwesenheit bei deren Ausführung im Wege. Ich begleitete ihn bis nach Civita Vecchia, wir nahmen von einander Abschied, wie für die Ewigkeit, und nicht wie auf vier Wochen.

Man tut immer gut daran, sich so zu verabschieden, wenn ein Freund abreist.

Erst als das Schiff meinen Augen entschwunden war, trat ich die Rückreise nach Rom an.


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