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31. Kapitel

Wir durchfuhren die Schweiz, die Lombardei und Toskana. Wir besuchten Mailand, Venedig, Ferrara, Bologna, Pisa, Florenz.

Konstantin war von mir entzückt. Er hatte noch niemals eine solche lehrreiche Reise gemacht. Ich erklärte ihm die Entstehung und den Stil der monumentalen Bauten und anderer »Kuriositäten«, wie er es nannte. Er habe nie geglaubt, daß ich ein so klar denkender Kopf sei und mitunter sogar ein lustiger Gesellschafter sein könne. Jetzt käme mein eigentlicher Charakter zum Vorschein und jetzt fühle er auch, was für ein Mensch ich im Grunde sei. Ich analysierte meine Gefühle, ich studierte Psychologie an mir selbst. Man glaubt, daß man sich genau kenne! Man denkt darüber nicht nach, bis man in eine solche Lage kommt, wie die meinige es war, und sich sodann die Mühe nimmt, sich mit sich selbst etwas eingehender zu beschäftigen.

Wenn die Rede auf Iza kam, was selten geschah, so sprach ich von derselben, wie von einer ganz fremden Person. Ich ersuchte ihn gesprächsweise, mir die verschiedenen Liebschaften meiner Frau zu erzählen und die Namen von deren Liebhabern mir zu nennen. Er nahm keinen Anstand, meinem Wunsche zu entsprechen, so überzeugt war er davon, daß ich von dieser Leidenschaft vollständig geheilt sei. Die Reihenfolge könne er nicht verbürgen, aber für die Richtigkeit der Tatsachen garantiere er. Er stimme denjenigen bei, welche sich einem solchen Weibe gegenüber zur Verschwiegenheit nicht für verpflichtet halten. Es sei schließlich abgeschmackt, den Frauen eine größere Achtung entgegenzubringen, als sie selbst für sich fühlen.

Rousseau sagt: »Die Einbildung macht die Leidenschaften der Dummen zu Lastern.« So wäre auch für Iza die Liebe nichts weiter gewesen als Neugierde und Sinnlichkeit. Nach dem ersten Fehltritt, welchen sie unter dem Einflusse ihrer Mutter gemacht, war kein Halt mehr bei ihr. Für die Frauen gibt es überhaupt nur Zweierlei: das Gute und das Schlechte. Sobald sie einmal von dem ersten abweichen, dann sind sie nicht ein, zwei oder drei Viertel schlecht, sondern sie werden es durch und durch. Es kommt nicht darauf an, wie oft sie sündigen. Der erste Fehltritt bedeutet alles; die andern sind nur dessen unvermeidliche und logische Folge. Der Bruch mit Zucht und Sitte kommt ihnen am schwersten an; ist dies einmal geschehen, so kommt dann alles andere schon von selbst. Bei Iza mußte sich diese Entwickelung um so rascher vollziehen, als sie von Geburt und von Erziehung aus korrumpiert war. Von allen fünf Liebhabern hat ihr nur der jüngste den Hof gemacht. Den anderen hat sie sich tatsächlich an den Hals geworfen, weil dieselben niemals auf den Gedanken hätten kommen können, daß ein Weib von zwanzig Jahren, welches an einen Mann von achtundzwanzig Jahren verheiratet ist, sich mit ihnen einlassen würde.

Der jüngste unter diesen Auserwählten war sechsundvierzig Jahre alt, der älteste zählte ihrer schon sechzig. Jeder von ihnen hatte sich für den alleinigen Begünstigten gehalten, und alle waren mehr oder minder verliebt gewesen. Aber nicht einer von allen diesen Männern war vielleicht wegen seiner körperlichen Vorzüge gewählt worden; sie verdankten diese Auszeichnung ihrem Rufe, ihrer gesellschaftlichen Stellung, Iza gab sich nur mit Zelebritäten ab! Es schien diesem durchaus verdorbenen und verkommenen Weibe ein ganz besonderes Vergnügen gemacht zu haben, daß sie sich, wenn man die hohen Eigenschaften eines Mannes rühmte, sagen konnte: »Ich kenne diesen großen Mann ganz genau. Ich habe ihn stammelnd und bebend zu meinen Füßen gesehen, ein willenloses Werkzeug meiner Lust.« Aber daran nicht genug. Sie hat sich manchmal den ganz aparten Hochgenuß verschafft, alle ihre Liebhaber an einer Tafel zusammenzuführen.

Sie haben selbst dieses seltsame Schauspiel gesehen, und Sie haben damals auch mich gesehen, wie ich stolz und vertrauensselig diesen intimen Diners präsidierte, während Serge (den in mein Haus einzuführen sie doch nicht wagte) sie nur aus der Ferne liebte und den glücklichen Gatten verwünschte.

Hier sind die Namen jener Männer. Wenn Sie glauben, daß dieselben in meinem Prozesse als Zeugen vorgeführt werden sollen, so tun Sie dies. Um so schlimmer für diejenigen unter ihnen, welche eine Frau oder eine Tochter besitzen.

Es ist nicht notwendig, daß dieses Geschöpf nur mir allein Leid zufügt.

Es war Lord Affenbury, der englische Parlamentarier, dessen Geist, Beredsamkeit und Sittenstrenge so sehr gerühmt werden; sodann Gantelot, der berühmte Hellenist, ein Mann, der einen Höcker hat! Bedenken Sie, daß es sich hier um meine Ehre, mein Leben, um meine Seligkeit handelt, und daß ich von dem Wesen spreche, welches ich über alles in der Welt geliebt, für welches ich mich an Körper und Geist rein erhalten, welches ich mit dem Ruhm meines Namens bedeckt und welches mich zum Verbrecher gemacht hat! Sie werden begreifen, daß ich dann nichts erfinde und auch nicht zu Scherzen aufgelegt bin. Ich erzähle pure Tatsachen.

Zu den Liebhabern gehörte noch der Musiker Hattermann, der Maler Tardin und Ihr Kollege Jean Dax; kurz, eine wahre Musterkarte von Berühmtheiten aller Berufsklassen. Sie widmete sich allen Musen, und die ernsteste lag zu ihren Füßen. Und bei alledem welche Zurückhaltung, welche Scham der Oeffentlichkeit gegenüber, welche Schamhaftigkeit und welch jungfräuliches Erröten, wenn einem meiner Kollegen im Eifer des Gesprächs oder im Scherze irgend ein kerniger Atelierausdruck entschlüpfte! Sie haben dieses Weib nur zweimal gesehen, da Sie so selten zu uns kamen. Aber Sie haben trotzdem Gelegenheit gehabt, zu bemerken, wie sie sich zu geben verstand.

Gantelot war etwas minder vertrauensselig als die anderen und folgte ihr eines Tages unbemerkt. Er sah sie zu Tardin gehen. Ganz in Verzweiflung über diese Untreue, klagte er sein Leid Ihrem Kollegen Dax, ohne zu ahnen, welches Interesse dieser an der ganzen Geschichte nähme. Dieser faßte die Sache so auf, wie man es von einem Manne von Geist nicht anders erwarten durfte; er kalkulierte ganz richtig, daß diese Dame mit zwei Intrigen sich nicht begnügen würde, und kam dahinter, daß sie auch Hattermann besuche. Das wäre nun sehr komisch, wenn es nicht so bodenlos gemein wäre! Hattermann hat nun zuerst mit Konstantin von dieser Geschichte gesprochen und ihn gefragt, ob er denn nicht auch »mit von der Partie wäre?« Konstantin bat ihn, um meinetwillen von alledem nichts verlauten zu lassen. Aber es war zu spät.

Für eine große Anzahl von Leuten war ich bereits Gegenstand des Spottes, des Bedauerns oder der Verachtung geworden. Und bei mir selbst unterhielten sich die Gäste, nachdem sie sich ins Rauchzimmer zurückgezogen, mit halblauter Stimme von dem liederlichen Lebenswandel meiner Frau, was dem Arzt Truchon, welcher sicherlich ebenfalls an die Reihe gekommen wäre, Veranlassung zu Vorträgen über die Physiologie der Sinnlichkeit gab.

»Wenn du gehört hättest,« fuhr Konstantin fort, »in welchem Tone man von deiner Frau sprach und wie gerade diejenigen am schärfsten über sie loszogen, welche eigentlich schon aus Dankbarkeit hätten schweigen müssen! In dieser Gesellschaft fand dich niemand lächerlich. Du gewannst in ihren Augen sogar an Wert dadurch, daß du gar nicht ahnen konntest, wo sich dieses Geschöpf herumtrieb. Alle fühlten tiefes Bedauern mit dir, der an ein so verworfenes Weib gekettet, und dieses Bedauern war eine freiwillige Anerkennung für dein großes Talent, deine unbemakelte Ehrenhaftigkeit und dein Vertrauen. Welcher Zwiespalt findet sich im Herzen der Menschen! Unter allen diesen Männern gab es nicht einen, welcher nicht mit aller Bereitwilligkeit dir den größten Freundschaftsdienst erwiesen hätte, nicht etwa deshalb, um dadurch sein Verschulden dir gegenüber zu verringern oder Gewissensbisse zu beschwichtigen, sondern weil jeder Mann, selbst inmitten der glühendsten Leidenschaft in seinem Innern das Gefühl für das, was recht ist, trägt. Im Grunde seines Herzens fühlt er sich dennoch immer solidarisch und eins mit dem Manne, dessen Nebenbuhler er ist und als dessen Gegner er sich betrachten muß. Man kann in der Liebe, soweit sie nicht durch die Ehe auf eine höhere Stufe gestellt wird, eine merkwürdige Beobachtung machen, von welcher die Frauen keine Ahnung haben. Die Hoffnung und Begierde ist ein stärkeres Ferment dieser Art von Liebe, als die Erfüllung und der Genuß. Die Liebe stirbt bei dem Manne, sobald er nichts mehr zu erwarten, sobald das Weib ihm nichts mehr zu verweigern hat. Wenn die Gefühle der Menschen so unter die Lupe genommen werden könnten, wie sichtbare Gegenstände, so würde man sehen können, wie von diesem Momente an eine Art Bazillus entsteht, welcher mit Zerstörungsorganen versehen ist und sofort sein zersetzendes Werk beginnt.

Wie dumm sind die Weiber,« fuhr Konstantin in seiner derben Ausdrucksweise fort. »Wenn sie nur einmal so viel Verstand hätten, um sich zu sagen, daß wir nur diejenige wahrhaft lieben können, die wir auch achten und schätzen, und daß wir die angebetetste Geliebte weder als Schwester noch als Mutter oder Tochter oder Gattin uns zu denken vermögen! Sie würden uns dann ins Gesicht lachen, wenn wir ihnen von unserer Liebe sprechen, dabei aber von der Ehe schweigen! Es gibt nur eine Art, auf welche man einem Weibe beweisen kann, daß man sie liebt: man gibt ihm, wie du getan, seinen Namen und arbeitet für dasselbe. Andere Beweise gibt es nicht. Da handelt es sich dann nicht um Liebe, sondern man hat es mit Egoismus, Sinnlichkeit und Liederlichkeit zu tun.


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