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12. Kapitel

Werden Sie es glauben, verehrter Freund, daß ich die Worte: »Mein kleiner Mann, meine kleine Frau« ganz ernst nahm und mich manchmal fragte: »Warum denn nicht?« Sie wurde das Ziel meiner Arbeit und meines ganzen Strebens. Ich liebte sie, allerdings wie man ein Kind lieben kann, aber es war dennoch Liebe. Meine Seele erglühte unter dem ersten Strahl der Liebe wie die jungfräuliche Landschaft unter dem Strahle des Morgenrots: Es ist noch nicht die ganze Schönheit des hellen Sonnenscheins über ihr ausgebreitet, aber es ist bereits Licht da und es wird klar.

Ich gab mich ganz den Gedanken an meine Zukunft hin, welche aufgebaut worden war auf ein unter zwei Lachsalven gegebenes Versprechen. Bei einem so weichen und gewissenhaften Charakter wie bei dem meinigen mußte diese Liebe zu einem Kinde sich zu einem großen und wahren Gefühle entwickeln, wie ein Samenkorn, welches zufällig in fruchtbares Erdreich gelangt, dort Wurzel treibt und sprießt.

Dieses Versprechen machte mich fest in meinen Grundsätzen, und hätte es auch keinen anderen Zweck gehabt, es war für mich Grund genug, an denselben festzuhalten. Ich hatte eine Art kleine Beatrice, welche die unheilige Liebe von mir fernhielt. Das waren die geheimen Gedanken, welche ich im stillen hegte, heute kann ich von ihnen sprechen, ohne mich der Gefahr auszusetzen, mich lächerlich zu machen.

Seit langem hatte ich mir gelobt, nur ein Mädchen zu heiraten, welches ich wahrhaftig liebte, und mir geschworen, reinen Herzens und keuschen Leibes in die Ehe zu treten. Ich wollte an keinem Weibe, welcher Art immer es auch sei, eine Sünde begehen, wie sie an meiner Mutter begangen worden. Noch weniger wollte ich eine Geliebte haben, welche in meinen Beruf und in mein Leben hätte störend eingreifen können. Wie viele Künstler habe ich neben mir gesehen, welche durch derartige Liebeleien mitten in ihrer Laufbahn aufgehalten wurden durch Liebeleien, welche eingegangen worden waren, eigentlich ohne jede Verbindlichkeit und die sich dann wie ein Bleigewicht an deren Fersen hefteten, sie in Unordnung und Elend brachten, die Schwingen ihrer Phantasie lähmten!

Dieser kleine Roman paßte vortrefflich in das Programm, das ich für mein Leben mir entworfen hatte, und ich stürzte mich kopfüber in die Arbeit, als ob ich in zwei oder drei Jahren berühmt werden müßte, oder als ob ich in diesem kurzen Zeitraume ein großes Vermögen erringen wollte, um das Mädchen meiner Wahl heimzuführen. Schließlich war es nur ein Traum – es ist gleichgültig, was man träumt, aber man hat mit zwanzig Jahren wohl ein Recht darauf, Luftschlösser zu bauen.

Meine Keuschheit, welche durch alle diese Ereignisse und Gedanken nur neue, festere Wurzel in mir schlug, gab meinen minder ideal veranlagten Kollegen stete Veranlassung, mich zu necken. Man suchte hinter dieser Enthaltsamkeit, deren Gründe niemand kannte, ganz andere Motive, als meinen festen Willen. Narcisse, der keusche Josef und jener Sprößling der Venus und Merkurs, welchen auch die Nymphe Samalcis nicht hatte verführen können, mußten zu Vergleichen herhalten. Man hetzte mir die hübschesten, verführerischsten und willfährigsten Mädchen auf den Hals. Ich bewunderte sie, ich benutzte sie als Modell und erklärte denselben, wenn sie etwas zu deutlich in ihren Anspielungen wurden, daß ich keine Zeit zu verlieren habe, sie möchten sich keine Mühe geben.

Ich könnte, wenn ich wollte, für mein Vorgehen Entschuldigungen, oder richtiger gesagt, Beispiele in der alten und modernen Kunst finden. Die ganze Welt weiß, daß unser großer Maler S..., ein Nachahmer Rafaels, ohne durch diese Art der Liebe in seiner künstlerischen Entwickelung Schaden zu nehmen, in seiner Verehrung der Natur so weit ging, daß er vor seinen Modellen niederkniete, sie mit glühenden Küssen bedeckte und dem Himmel dankte, daß er solche entzückende Gestalten geschaffen. Er nannte diese Art von Bewunderung das Meßopfer der Kunst. Ich gehörte auch zu dieser Schule, bis auf das Küssen.

Instinktiv wählte ich zu meinen Arbeiten sittlich unbedenkliche Themata. Ich hatte stets und habe noch, falls dies überhaupt möglich ist, eine wahre Bewunderung vor dem Nackten in der Kunst, ich bin der Ansicht, daß dies die Kunst par exzellence, die edelste und größte, aber auch die gefährlichste Kunst ist. Wenn dieselbe nur Leuten von Geschmack, oder von umfassender Bildung zugänglich gemacht wird, so stehen ihr gar keine Bedenken entgegen. Wenn aber der erste beste in unseren Museen und öffentlichen Gärten diese nackten Figuren sehen kann, dann werden dieselben zum Gegenstande vorzeitiger und unzeitiger Neugierde, zur Quelle überaus deutlicher Vorstellungen für die junge Phantasie, welche durch sie beunruhigt wird. Die Kunst ist eine der höchsten Eindrücke der menschlichen Intelligenz, aber die Tugend steht höher als sie. Haben wir Achtung vor den Kindern! Zwingen wir unsere jungen Mädchen nicht, vor unseren Werken die Augen niederzuschlagen, oder sich vor ihren Müttern zu verstecken, um dieselben betrachten zu können. Die Natur selbst zeigt in der Kunst an, was geändert und was entschleiert werden darf – was wir mehr daran ändern wollen, wovon wir die Hülle reißen, ist im Grunde sodann weder schön, noch würdig, gezeigt zu werden.

Mehr wie je beschäftigten mich derartige Gedanken, während ich nach Izas Abreise an der Statue der Claudia arbeitete, jener unter falschem Verdacht stehenden Vestalin, welche zu ihrer Rehabilitierung nur ihren Gürtel in das Schiff zu werfen brauchte, welches die Standsäule der Cybele trug, worauf es trotz des heftigsten Sturmes in den Tiber einlief. Die bekannte Macht der Unschuld! Jeanne d'Arc von Orleans brachte dasselbe Wunder zustande, nur daß die christliche Jungfrau nicht erst ihren Gürtel lösen mußte, sondern daß das Gebet allein die Kraft besaß, die Schiffe, welche ihre Soldaten trugen, trotz der Ungunst des Wetters die Mündung der Loire erreichen zu lassen.

Meine »Claudia« erzielte einen ungeheuren Erfolg, und mehrere meiner Freunde kamen überein, dieses Ereignis festlich zu begehen. Man veranstaltete ein Festmahl. Aber eine Verschwörung, an die ich nicht denken konnte, verbarg sich unter Blumen.

An dem Bankette, welches im eleganten Atelier des Kollegen Eugene F ... stattfand, nahmen nur Männer teil. Ich folgte der Einladung, mehr glücklich als stolz auf meinen Erfolg, der mir meine Karriere sicherte. Die Anwesenheit des Herrn Ritz ließ keinen Verdacht in mir aufkommen. Mein Meister war unfähig, sich zu einem schlechten Scherze herzugeben; aber er verließ die Gesellschaft noch ziemlich zeitig und die Nacht war noch so lang. Man trank mir ein Räuschchen an; nichts war leichter als das, da ich bislang nur an Wasser gewöhnt war.

Sie wissen ebensogut wie ich, wie weit die Freiheit der Sprache und der Sitten nach einem üppigen Mahle unter jungen Männern, unabhängigen Künstlern geht, welche niemandem über ihre Reden und Taten Rechenschaft schuldig sind. Man sagte mir schlankweg, immer mit lachendem Munde, wessen man mich in Künstlerkreisen beschuldigte und riet mir, dieser Gleichgültigkeit in Liebessachen, die mich kompromittiere und lächerlich mache, ein Ende zu setzen.

Und wissen Sie, was meine Antwort auf diese höhnischen Stachelreden und befremdlichen Provokationen war?

Plötzlich erhob ich mich, trunken und wütend, warf Gold auf den Tisch und ohne Uebergang, unter dem tierischen Beifallsgebrülle der Tafelnden schlug ich, Clémenceau, eine ganz unerwartete und ganz gemeine Wette vor – ich fühlte, wie mir die rohe, häßliche und blinde Begierde, die Ursache von Raub und Totschlag, zu Kopfe stieg, mir den Hals zuschnürte, wie um mich zu erwürgen.

Welcher neue Mensch war in mir durch den Geist der Trunkenheit erstanden und hatte mit einem Schlage alle meine reinen und mir teuren Entschlüsse über den Haufen geworfen! War ich so wenig Herr meiner selbst, daß zwei oder drei Gläser Wein mich in ein wildes Tier, in einen gemeinen Wüstling verwandeln konnten, daß sie mich, wenn auch nur auf einen Augenblick, dem niedrigsten Pöbel gleichzustellen vermocht hatten!

Ich prüfte mich, ich dachte nach und ich erriet den Zusammenhang.


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