Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

20. Kapitel

Die erste Statue, zu welcher mir Iza Modell stand, war » Das trinkende Mädchen«, deren Motiv wir in St. Assise gefunden, und von welcher im Publikum nur Reproduktionen bekannt sind. Sie erinnern sich wohl noch des Erfolges, den dieselben fanden.

Die Statue selbst aber wollte ich nicht nur nicht verkaufen, ich zeigte sie auch niemand außer Herrn Ritz und meiner Mutter. Diese Marmorstatue, in Lebensgröße ausgeführt, stellte ich als ein ewiges Andenken an glückliche Tage zwischen die Fenster unseres Schlafgemaches. Sie ist eine vollständige Abbildung von Iza, welche ich bei verschlossenen Türen bei Nacht vom Kopf bis zu den Zehen modelliert hatte. Ich ließ sodann, um jeden Verdacht fernzuhalten, eines der berühmtesten Modelle, Aurelie, kommen, um – dem Anscheine nach – nach derselben die Statuetten zu verfertigen. Aber ich habe tatsächlich nur nach dem ersten Entwurfe gearbeitet, und sodann die Form und das Tonmodell vernichtet. Ich bedaure jetzt, dies getan zu haben. Man wird nie mehr ein solches Tonmodell finden, dessen Schönheiten vielleicht nur die Natur selbst in solcher Vollkommenheit wiedergeben könnte. Die Kunst hätte aus dieser Schönheit, welche so viel des Unglücks herbeizuführen imstande gewesen, viel Nutzen ziehen können. So ist der ganze Sachverhalt.

Von diesem Momente an hatte ich kein anderes Modell als Iza. Pygmalions Traum schien sich verwirklicht zu haben. Diejenige, welche ich liebte, war meine Frau, oder ward zur Statue, wie ich es wollte. Aber dabei zitterte ich vor Angst, daß man mein Geheimnis erraten werde, und um dem vorzubeugen, veränderte ich die Größenverhältnisse in meinen Werken.

An Erfolgen wurde ich reicher, an künstlerischem Werte sicherlich ärmer. Ich hatte mich entfernt von meinem Ideal, von der reinen, d. h. von der großen Kunst. Ich erniedrigte sie, indem ich sie in den Dienst des Unbedeutenden, des bloß Zierlichen stellte. Fast willenlos durch die Liebe und Begehrlichkeit betrat ich die Wege der sinnlichen Schule der Berin und Clodion. Ich konnte nicht einmal allen Aufträgen entsprechen. Mein Atelier stand keinen Augenblick leer. Ich setzte dennoch meiner Tätigkeit Grenzen, trotz Izas Drängen, welche nach Wohlstand und Luxus einen wahren Heißhunger zeigte. Meine Mutter hatte die Führung unseres Haushaltes unter bereitwilligstem Einverständnisse meiner Frau übernommen.

Schön zu sein, sich das von mir sagen zu lassen, mich zu lieben und mir plastische Motive, in welchen sie eine bewunderungswürdige Erfindungsgabe besaß, zu bieten: das war alles, was sie tat. Die Hälfte meines Talentes war jetzt sie geworden. Hätte ich sie damals verloren, ich wäre von Schmerz und Kummer gestorben, wie der Schöpfer von »Venus und Adonis« nach dem Selbstmord seiner Geliebten.

Wie oft kommt es bei uns Künstlern vor, daß das Weib uns den Tod bringt! Ist es untreu, so tötet sich Giorgione; ist sie verliebt, so erliegt ihr Rafael; stirbt sie selbst, so zieht sie Proudhon nach.

Aber trotz aller Vorsichtsmaßregeln, welche wir ergriffen, schien man den wahren Sachverhalt zu ahnen, und ich konnte nicht daran zweifeln, daß viele Besucher meines Ateliers nicht das Bild kauften, sondern das hübsche Persönchen, welches daselbst die Honneurs des Hauses machte. Ich zog auf diese Weise einen unehrenhaften Gewinn aus einer Neugierde, und ich brachte mich um meine Mannesehre, ohne das geringste zu ahnen.

Was ich aber noch weniger ahnte, war das Vergnügen, welches Iza an dieser Bloßstellung ihrer Person hatte. Sie war es, die mich dazu veranlaßt hatte, daß ich Nachbildungen des »trinkenden Mädchens« in den Handel brachte. Von diesem Augenblicke fand sie eine wahre Freude daran, sich inkognito der Bewunderung des Publikums preiszugeben. Wenn wir abends zusammen ausgingen, blieb sie vor allen Läden, in deren Schaukasten das »trinkende Mädchen« oder »Daphne« ausgestellt war, stehen und flüsterte mir inmitten aller Gaffer zu:

»Die haben gar keine Ahnung davon, daß ich es bin!«

Sie war ganz entzückt von den tausenden unsauberen Begierden, welche sie erregte, und von den schamlosen Huldigungen, welche man dem Marmor und den Bronzen darbrachte, welche sie darstellten. Es war vorerst nur noch geistiger Ehebruch, aber es war schon Ehebruch. Dabei verließ sie mich auch nicht auf einen Augenblick, und wenn wir Besuch hatten, so mußte sie sich Mühe geben, um ihrer Zärtlichkeit mir gegenüber Zwang anzutun. Sie liebte es, sich als meine willenlose Sklavin zu zeigen; sie legte Wert darauf, daß man sehe, daß sie mich anbete und daß sie unnahbar sei. Auch konnte niemand in seinem Anzuge keuscher sein, als es Iza war; man konnte sie in ihrem weißen, herabwallenden Kleide, welches nur das Antlitz, die Hände und Füße sehen ließ, für eine Figur des Perugino, oder für eine Statue des Donatello halten. Die zur Schau getragene Bescheidenheit des Wesens kontrastierte merkwürdig mit den enthüllten Geheimnissen meiner Kunst und machte es den Neugierigen unmöglich, die Aehnlichkeit zwischen Natur und Kunst festzustellen. Dieses alles bereitete diesem nach Bizarrerien lechzenden Geiste großes Vergnügen.

Da sie nur von mir, von mir allein geliebt und bewundert sein wollte, so machte ich mich zum Mitschuldigen dieser Verdorbenheit. Welche Verwirrung kann ein von Geburt aus lasterhaftes Weib ohne eigene Schuld in den Ansichten eines Mannes, der sie liebt, hervorrufen! Ich sage: ohne eigene Schuld, unschuldig, denn auch das Laster hat seine Unschuld und seine Harmlosigkeit.

Es gibt Wesen, welche zum Bösen geboren sind, Wesen, in deren Natur das Böse liegt, welche es tun müssen, und die es tun, ohne Ueberlegung und ohne Absicht. Die Schlange bringt den Tod, der Lotus den Wahnsinn. Weiß das Tier, weiß die Pflanze, was sie tun? Die Natur will, daß sie so sind, ihre Mission ist Vernichtung und sie vernichten. Warum? Nur Gott weiß es. Manche Menschen sind ebenfalls derartig veranlagt, Iza gehörte zu denselben, ohne es selbst zu jener Zeit, d. h. während der ersten Jahre unserer Ehe, zu wissen.

Ich war aber bei meiner Frau, bei meiner Mutter und bei meiner Arbeit glücklich. Was hätte ich sonst noch wünschen können? Ein Kind? Wir hatten keins, als ob die Natur damit gezaudert hätte, sei es aus Furcht, eines ihrer vollkommensten Wesen in den harmonischen Linien seines ebenmäßigen Körpers zu zerstören, um ein anderes zur Welt zu bringen, sei es deshalb, weil sie derartigen Wesen das Mutterglück vorenthält, um sie zu strafen.

Iza bangte vor der Möglichkeit eines solchen Falles; sie fürchtete sich vor den Gefahren und den Verwüstungen desselben. Ich selbst hatte als Kind so viel gelitten, daß ich, obzwar ich für mein Kind ähnliche Leiden nicht zu befürchten brauchte, ebensowenig Sehnsucht nach Vermehrung unserer Familie hegte. Dieses kleine Wesen fehlte mir gar nicht; am meisten war es meine Mutter, welche sich ein Enkelkind wünschte. Betrachtete sie das Glück meines Kindes als Entschädigungen für die Leiden des ihrigen? Oder sah sie die Zukunft besser voraus als ich und hoffte, daß durch dieses neue Geschöpf der Charakter der Schwiegertochter sich ändern werde, deren Neigungen die ihren nicht zu sein schienen? Ich beruhigte sie wiederholt, wenn sie auf dieses Thema zu sprechen kam.

»Iza ist noch so jung; sie ist selbst noch ein Kind, gönne ihr diese Harmlosigkeit noch einige Jahre. Was nicht ist, kann noch werden.«


 << zurück weiter >>