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24. Kapitel

Ich glaubte damals, daß ich den größten Schmerz meines Lebens kennengelernt hätte. Warum hat mich Gott bei diesem Glauben nicht gelassen! Iza weinte sehr viel: ein rein physischer Vorgang, wie das eine Eigenheit der Weiber ist. Alles Schwarze erschreckt sie. Am nächsten Tage denken sie nicht mehr daran. Ich war aber davon sehr gerührt und fand in diesen leicht fließenden Tränen großen Trost. Es verging ein halbes Jahr, ehe ich wieder meiner Frau oder meinem Kinde eine lächelnd-frohe Miene zu zeigen vermochte. Es pflegte plötzlich eine Erinnerung in mir wach zu werden, irgend eine Szene vor mein geistiges Auge zu treten, ein Wort, welches die Dahingeschiedene gesprochen, mir einzufallen und die Tränen übermannten mich. Ich sank Iza zu Füßen, bedeckte ihre Hände mit Küssen und verbrachte so Stunden lang, ohne ein Wort aus mir herauszubringen. Ich arbeitete mit wahrem Feuereifer. Ich begann für meinen Sohn zu sparen, welchem ich nur wenig hinterlassen hätte, wäre ich um jene Zeit gestorben. Was ich verdiente, brauchten wir auf. Der Tod hatte mich auf die ernsten Seiten des Lebens aufmerksam gemacht, welche dem Menschen Pflichten auferlegten. Der Ruf, das Talent, selbst die Liebe waren für mich plötzlich nur flüchtige, vergängliche Erscheinungen. Mein Geist fing wieder an, sich mit religiösen Dingen zu beschäftigen. Hätte ich nach dem Tode meiner Mutter allein in der Welt gestanden, die Kunst allein hätte mich nicht trösten können. Ich hätte mich wahrscheinlich in ein Kloster zurückgezogen; ein Gedanke, welcher bei mir im Hinblick auf meinen Sohn und mein Weib nicht entstehen konnte. Ich vertiefte mich in eine mystische Kunst. Ein ganzes Jahr war ich tatsächlich ein Künstler aus dem Mittelalter. Ich führte in diesem Zeitraum die Statue der heiligen Felicité aus, welche ich nach der Legende darstellte, wie sie zur Strafe vertrieben wird und ihr Kind auf dem Schmerzenswege stillt. Ich verlieh der Heiligen die Züge meiner Mutter, deren Namenspatronin sie gewesen.

Nach wahrer Künstlerart wirkte der Schmerz auf mich – und er fand in meinen Arbeiten seinen Ausdruck. Aber die Zeit machte auch hier ihre mildernden Rechte geltend, die Trauer wurde eine weichere, und ich sah sie nur noch, um mich so auszudrücken, wie ein leichtes Wölkchen, das den blauen Himmel meines Familienglückes umflorte.

Der Schmerz hatte für mich inmitten meiner Arbeit und in der Gesellschaft meiner Frau, sowie auch durch die Lebenskraft, die der Jugend innewohnt, und den selbstsüchtigen Wunsch, zu vergessen und neue Hoffnungen zu schöpfen, seinen Stachel verloren; er klang nur mitunter leise hinein in das Getriebe der Welt, welches mich umwogte.

Eines Tages überraschte ich mich sogar beim Lächeln, als ob meine Mutter noch unter uns weilte. O angeborene Schwachheit des Menschen!

Iza wollte so lange Trauer tragen als ich; ich hatte mich diesem Wunsche widersetzt und ihr nach Ablauf der sechs Monate ihre hellen Kleider wiedergebracht. Mit aller Entschiedenheit lehnte sie dieselben ab. »Laß mich,« bat sie, »ich bin dies deiner Mutter schuldig.«

Eines Tages erhielt ich folgenden anonymen Brief:

»Sie sind ein Ehemann, wie es keinen zweiten mehr gibt. Sie bemerken gar nicht, daß Ihre Frau jeden Morgen ausgeht, sich in den Straßen umhertreibt, während Sie sie ruhig auf ihrem Zimmer wähnen. Gehen Sie ihr einmal nach. Sie werden schöne Dinge zu sehen bekommen. Aber zeigen Sie ihr diesen Brief nicht; Sie würden sonst nichts erfahren.

Ein Freund

Man kann von anonymen Briefen halten, was man will; aber ihren Effekt verfehlen sie niemals. Es ist eine abscheuliche, unanständige und niederträchtige Waffe, aber sie trifft sicher.

So gut ich konnte, verbarg ich den ganzen Tag über meine Aufregung. Ein Dutzendmal war ich auf dem Sprunge, Iza den Brief zu zeigen und Auskunft darüber von ihr zu erlangen. Aber ich bezwang mich.

Am nächsten Morgen war ich schon vor Anbruch des Tages angekleidet und lugte hinter Fenstervorhängen versteckt auf die Straße, um Izas geheimnisvollen Weg zu erspähen. Gegen 8 Uhr verließ Iza, tief verschleiert und ganz schwarz gekleidet, das Haus, nachdem sie sorgfältig ausgeschaut hatte, ob niemand sie sehe. Sie können sich vorstellen, wie mir bei diesem Anblick das Herz pochte. Sie rief einen vorbeifahrenden Wagen an und bestieg denselben. Mit einem Satze war ich ebenfalls auf der Straße. Izas Wagen hätte ich unter tausenden herausgefunden. Ich holte ihn bald ein, oder richtiger, ich folgte ihm von weitem. Der Wagen nahm den Weg über die äußeren Boulevards nach dem Friedhofe Montmartre. Dort stieg Iza aus und betrat die Begräbnisstätte. Der Gärtner grüßte sie, als er sie sah, wie eine ständige Besucherin, begleitete sie mit Blumen bis zum Grabe meiner Mutter, welches ich schon seit einigen Tagen nicht besucht hatte. Iza kniete nieder und schmückte die Ruhestätte mit den Blumen. Dann erhob sie sich und kehrte auf demselben Wege, den sie früher genommen, und unter denselben Vorsichtsmaßregeln nach Hause zurück.

Kaum war sie eingetreten, fiel ich ihr um den Hals und bat sie, indem ich ihr den anonymen Brief zeigte, um Verzeihung, daß ich ihr nachgegangen.

»Wie schwach ist es mit dem Vertrauen eines Mannes bestellt, der uns liebt,« sagte sie mit einem leichten Seufzer.

Von diesem Tage an fragte ich sie nicht, wohin sie gehe, wenn sie sich schwarz gekleidet zum Ausgange rüstete. Ich umarmte sie nur und drückte ihr in stiller Rührung die Hand.


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