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34. Kapitel

»Es gibt etwas Neues,« schrieb mir Konstantin in einem seiner letzten Briefe. »Deine Frau und ihre Mutter sind verschwunden; subito, wie man bei euch da unten sagt, nachdem sie ihre ganze Einrichtung verkauft hatten. Es scheint, daß sie nicht mehr daran denken, nach Frankreich zurückzukehren. Glückliche Reise! Schon deinetwegen wäre es mir sehr lieb. Nichts würde sodann deiner Rückkehr im Wege stehen, denn du denkst hoffentlich nicht daran, ewig in der ewigen Stadt zu bleiben. Man weiß übrigens gar nicht, wohin sie sich gewendet haben; sie sollen nach England oder Holland, Deutschland oder Schweden gegangen sein. Keinesfalls suchen sie Serge auf; dieser ist in Petersburg und hat mir jüngst geschrieben, daß er sich demnächst verheiraten werde.«

Was glauben Sie nun, was mein erster Gedanke war, als ich diese Nachricht erhielt? Ich bildete mir ein, daß sie Reue fühle, daß sie einsehe, wie schlecht sie an mir gehandelt habe, und daß sie, um mich von ihrer Reue zu überzeugen und den Beweis zu geben, daß sie mich immer noch liebe, ohne jemanden etwas davon gesagt zu haben, abgereist sei, um mich aufzusuchen. Ich hoffte, daß sie zum zweiten Male plötzlich in der Tür meines Ateliers erscheinen werde, daß sie mich um Verzeihung bitten und mir sagen werde, sie könne ohne mich nicht leben. Sie werde dann erklären, (was kann ein Weib dem Verliebten nicht alles begreiflich machen!) wieso und warum alles dieses Häßliche geschehen wäre, wie es nur die Folge eines Wahnsinns, einer Verirrung gewesen, an der ihr Wille keinen Anteil gehabt.

Wie schwach, wie charakterlos kann einen die Liebe machen!

Ich schützte einen Jagdausflug auf das Land vor und begab mich nach Civita Vecchia, fest überzeugt, daß Iza mit einem der nächsten Dampfer ankommen mußte. Acht Tage hindurch verließ ich nicht den Hafen; ich spähte mit fieberhafter Unruhe nach dem Meere hinaus, und mein ganzes Denken war voll Erwarten und voll Hoffnung. Mitunter nahm ich einen Kahn und fuhr, sobald ein Dampfer in Sicht war, demselben entgegen, um früher zu sehen, was ich mit Bestimmtheit erwartete.

Ich sagte mir: wenn sie diese gute Regung gehabt hat, wenn sie aus eigenem Antriebe zu mir zurückkehrt und mich noch immer liebt, will ich vergessen. Wir wollen dann niemals von dem, was geschehen ist, sprechen; wir wollen tun, als sehen wir uns jetzt zum ersten Male. Die Vergangenheit sei tot! Habe ich sie einmal wieder im Bereiche meiner Hände, dann will ich sie mit starkem Arm weiter tragen und nicht mehr loslassen. Die Welt soll sagen, was sie will. – Und dann, sind wir beide nicht Menschen, mit der Erbsünde behaftet, voll von Fehlern und gezwungen, einer den andern zu ertragen, einer dem andern zu vergeben? Bin ich vielleicht der erste, welcher selbst schwach, einem schwachen Weibe verzeiht? Ist nicht eine Liebesgeschichte wie die andere? Das Weib ist schwach, der Mann leidet; das Weib bereut, der Mann vergibt! Die Hauptsache bleibt stets, sich zu lieben und den Wunsch zu haben, das Leben miteinander zu verbringen. Die Liebe, welcher Art sie auch sei, ist die Hauptbedingung der Kunst, sie ist ihr Lebenselement. Das ist auch der Grund, warum ich jetzt nichts arbeiten, nichts schaffen kann, fern von derjenigen, die ich liebe. Sie kommt! Ich fühle es! Ich sehe sie! Sie ist da!

Aber sie kam nicht. Unbekannte, Fremde, Gleichgültige stiegen aus dem Schiffe und gingen an mir vorüber.

»Vielleicht ist sie zu Lande nach Rom gekommen,« sagte ich mir und kehrte eilends zurück.

Wieder nichts!

Ich fand nur einen Brief von Frau von Lesperon vor, welche von meinem Unglück erfahren hatte, und mir ihr Bedauern aussprach. Gleichzeitig beglückwünschte sie mich zu der Idee, Trost zu suchen an der Quelle der großen Poesie der Christenwelt, und rief mir zu: »Mut, Mut!« Sie schloß mit einem pathetischen Gedichte, dessen letzter Vers lautete:

»O wären Flügel mir verliehen,
Nichts hielt mich ab, zu dir zu ziehen!«

Wieder in Rom angekommen, fühlte ich, wie meine Kräfte mich verließen. Der Schrecken und die Aufregung, die Eifersucht und der Zorn, die Rache und der Haß, die Arbeit und die Freundschaft, ja selbst die Verzeihung – alle diese Gefühle waren verschwunden. Ich hatte keinen anderen Wunsch, als von mir, gleichviel auf welche Weise, diese schwere Last abzuschütteln, welche das Schicksal meinem Herzen und meinen Gedanken aufgebürdet hatte. Meine Widerstandsfähigkeit war nunmehr vollständig gebrochen.

Sie haben sicherlich schon einer Jagd auf Edelwild beigewohnt. Sie haben gesehen, wie es von den Jägern plötzlich überrascht wird, wie die tödliche Kugel in das edle Tier dringt, wie dieses dann über Hecken und Zäune springt und im Dunkel des Waldes zu verschwinden trachtet.

»Ich habe es angeschossen,« ruft der Jäger triumphierend, während das Wild, so rasch es ihm möglich ist, seinen Lauf fortsetzt, verfolgt von der bellenden Meute, welche ihm auf der Spur ist. Wenn Sie dem Tiere nachjagten, dann werden Sie bemerkt haben, daß es nach kürzerer oder längerer Zeit stehen bleibt, und den Kopf mit heftiger Bewegung an jener Stelle des Körpers reibt, aus welcher Tropfen Blutes sickern. Von dem uns allen innewohnenden Erhaltungstrieb geleitet, macht es noch einige Schritte vorwärts, bis es zusammenbricht. Einen fragenden, furchtsam traurigen Blick wirft es um sich, dann schleppt es sich ins Dickicht, wo es vor den Jägern und der Meute und vor allen denjenigen sicher ist, die ihm Leid zufügen, um sich ein Vergnügen zu bereiten. Die kleine Wunde, anfangs fast unbemerkbar, hat sich erweitert. Das edle Wild verendet in dem stillen Waldeswinkel, ruhig und ungestört.

Auch ich war auf den Tod verwundet. Was ich in der Aufregung des Kampfes für Kraft gehalten, war nur Fieber gewesen. Bis in mein Innerstes war ich getroffen; es handelte sich für mich jetzt nur darum, so geräuschlos als möglich zu sterben.

Ich wollte mich durch die Arbeit betäuben und verschloß meine Tür jedem Wesen, welches lebte und glücklich war. Niemand durfte meine Schwelle überschreiten, welcher mit dem, was menschlich hieß, Gemeinschaft hatte. Ich zog mich zurück von jenen jungen Leuten, welche übrigens auch gefunden, daß sie sich in mir getäuscht hatten. Die Jugend verlangt Begeisterung und Elastizität; das ist ihr gutes Recht, und man soll es ihr nicht verkümmern.

Ich verbrachte die Tage, stundenlang unbeweglich und stumm sitzend, den Blick in die Ferne verloren.

Wo konnte sie jetzt weilen? Warum hatte sie Frankreich verlassen? In welche Gegend hatte sie ihr Leben und das meinige getragen? Solange sie unter demselben Himmel wandelte wie ich, dieselbe Luft wie ich atmete, solange gehörte sie mir noch. In Gedanken sah ich sie kommen und gehen, ihren Gewohnheiten und Neigungen folgen, die ich alle kannte. Ich war zu milde gewesen. Ich hätte auf ihrer Bestrafung bestehen müssen; ich mußte mich auch jetzt noch rächen! Sicherlich hatte sie einige Zeit gewartet, ob ich nicht zurückkehre. Sie wußte ganz gut, wie sehr ich sie liebe; sie mußte wissen, daß ich ohne sie nicht leben könne. Wie konnte ich das alles jetzt entbehren? Hatte sie einen neuen Geliebten? Noch einen?!

Es war unrecht von mir gewesen, daß ich Konstantins Ratschlägen gefolgt. Wie er sich jetzt um mich kümmerte! Von Zeit zu Zeit sandte er mir gnädigst einen Brief, ein Almosen! O, diese Männer! Jetzt hatte ich sie erkannt! Von meiner Jugend an hatte ich das Gefühl, daß ich auf sie nicht rechnen könnte, aber meine Mutter hatte mich an Konstantin gewiesen. Meine Mutter! Wozu hatte sie mir das Leben geschenkt?! Sie war daran Schuld, daß ich kein anständiges Mädchen hatte heiraten können! Eine anständige Familie hätte meine Werbung zurückgewiesen! Meine arme Mutter! Sie war vor Schmerz gestorben! Sie konnte für mich nichts mehr tun! Kalt und fühllos lag sie in der feuchten Erde! Nicht sie war es, die mich getäuscht hat! Wenn sie meiner Frau Vorwürfe gemacht hätte, so würde ihr dieselbe, da sie alles wußte, haben antworten können: ›Sie haben dazu kein Recht!‹ Wie muß sie gelitten haben! Deswegen wird sie wohl auch geschwiegen haben.

Soll ich nach Paris zurückkehren? Was soll ich dort tun? Mein Kind erziehen und Trost bei demselben suchen? Es zählt drei Jahre; was kann es für mich tun, was kann ich für dasselbe tun? Ich fehle ihm nicht, ihm genügt sein Spielzeug. Und liebe ich denn dieses Kind, welches die Züge seiner Mutter trägt? Es ist besser, ich sehe es nicht. Vielleicht hat auch mein Vater mich aus einem solchen Grunde verlassen; ich habe ihn früher verdammt. Wer weiß, ob er schuldiger war als ich!

Was ist das Leben?! Ich will es Ihnen sagen!

Trotz aller meiner Anstrengungen konnte ich in die Gesellschaft, außerhalb deren Kreise und Gesetze ich geboren, nicht eindringen. Das Gute schien nicht für mich geschaffen zu sein. Ich war ein treuer Sohn, ein rechtschaffener, aufrichtiger und braver Mensch, ich war ein fleißiger und anerkannter Künstler, ich liebte ohne Selbstsucht und gab mich voll Vertrauen hin, ich hatte mir in meiner ganzen Vergangenheit nichts vorzuwerfen. Und was war der Lohn für dies alles? Ich wurde verraten, verlassen und vergessen! So wird es immer sein. Und ich soll nun müde und mutlos, unglücklich und hoffnungslos, ohne Talent und ohne Liebe mein Leben durch diese selbstsüchtige und verabscheuungswürdige Masse, die sich Mensch nennt, schleppen und warten, bis das Alter, das Siechtum und der Tod endlich kommt? Denn ich bin jung und kräftig, und der Tod wird auf sich warten lassen.

Warum auf ihn warten, warum ihm nicht entgegen gehen? Man sagt, der Selbstmord ist das unveräußerliche Recht eines jeden Menschen, welcher über seine Kräfte leidet. Wenn das ein Verbrechen ist, um so schlimmer für Gott, der uns bis zu dieser Tat treiben kann. Existiert überhaupt dieser Gott, dessen Diener uns nur Kampf, Entsagung und Duldung des Leidens predigen, sie, die dem Familienleben entsagt haben und in ihrer Teilnahmlosigkeit weder die Pflichten noch die Gefühle des Menschen kennen, noch dessen Leidenschaften verstehen! Was hat dieser Gott für mich getan, dessen Gebote ich befolgen soll? Habe ich die wenigen Stunden der Freude, die ich genossen, nicht durch harte Kämpfe mit dem Elend, den Vorurteilen und der Ungerechtigkeit erkauft? Habe ich sie nicht bezahlt mit allen Qualen des Herzens, mit allen Schmerzen der Seele und allen Foltern des Geistes? Als ich mit tränenden Augen und einem heißen Gebet auf den Lippen zu Gott flehte, er möchte meine Mutter mir lassen – hat er ihr auch nur eine Minute geschenkt?! Und als ich in jenem stillen Gebete, in das ich meine ganze Seele legte, ihn anflehte, Iza möge mir nicht untreu gewesen sein und das, was geschehen, möge nicht geschehen sein, – hat er mir damals einen Beweis seiner Allmacht und Güte gegeben? Welche Unterstützung, welche Hilfe und welchen Beistand habe ich vom Herrn erhalten, welcher seit Jahrtausenden stumm und untätig die Verbrechen des einen, die Qualen des anderen und den steten Triumph des Schlechten ansieht? Will denn die Menschheit nicht endlich den blinden Glauben an diese Ueberlieferungen, diese Legenden und Dogmen verlassen, welche die Logik eines Kindes mit einem Worte umstoßen kann? Er hat lange genug geherrscht, dieser Gott des Zornes, welcher Milliarden seiner Geschöpfe gestraft hat für die Sünde, die von einem begangen wurde, den er selbst geschaffen. Wenn dieser Gott existiert, dann soll die ganze Menschheit sich zusammentun und ihn aus ihren Gedanken und aus ihrem Herzen streichen! Sie soll ihn in jenem geheimnisvollen Dunkel, in welches er sich hüllt, allein lassen und ohne ihn sich ihre Rechte und ihre Freiheit erringen. Wenn die Menschen einen Gott brauchen, sollen sie sich einen erfinden, den sie begreifen können, der mit ihnen fühlt und gemeinsame Sache mit ihnen macht. Bis dahin ist das Leben ein Unglück und der Tod allein unser Recht.


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