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11. Kapitel

Tags darauf kamen Mutter und Tochter zur verabredeten Stunde nach meinem Atelier. Ich begann mit der Büste, deren Züge ich übrigens meiner Figur » Erstes Erwachen«, welche meinen Ruf begründet, verliehen habe. Nach drei Tagen war sie schon fertig; dann modellierte ich die Hände dieses reizenden Modells, darauf die Füße. Babuschka (mit diesem polnischen Kosenamen, welcher »Großmütterchen« bedeutet, rief Iza ihre Mutter) war so voll Bewunderung für die Schönheiten ihrer Tochter, daß sie, wie Herr Ritz meinte, mir auch die geheimsten gezeigt, falls ich nur einigermaßen darauf bestanden hätte; so glücklich war die Mutter, daß sie endlich jemand gefunden, welcher die Tochter ebenso bewunderte wie sie selbst.

Der Pariser Aufenthalt der beiden Frauen zog sich in die Länge, und wir gewöhnten uns schließlich daran, uns täglich zu sehen.

Bei mir fühlte sich Iza wie zu Hause. Wir blieben drei, vier, selbst fünf Stunden beisammen, welche sie mit Lachen, Spielen, Häkeln, Singen oder Schlafen verbrachte, sie tat alles, was ihr beliebte. Sie wurde tatsächlich ein Teil meiner Arbeit, meiner Gedanken und meines Lebens. Das unaufhörliche Geschwätz ihrer Mutter genierte mich nicht mehr.

Ich fand allmählich sogar Gefallen daran, wie man sich schließlich an den eintönigen Singsang orientalischer Weisen gewöhnt, dessen Monotonie uns einlullt, einschläfert und in unserem Gehirn phantastische Gedanken erstehen läßt. Ich machte gar nicht den Versuch, mir die Gefühle, welche mir dieses schöne Kind einflößte, zu erklären; ich überließ mich denselben wie ein Kind, wie ein Künstler. Ich fühlte mich wohl dabei, wie man sich wohl fühlt in den ersten Sonnenstrahlen des erwachenden Frühlings. Ihre Gegenwart befruchtete meine Phantasie, gab ihr Schwingen und verlieh ihr Spannkraft, wie wir Künstler dessen so bedürfen. Mein Herz und meine Gedanken erweiterten sich zusehends unter diesem neuen Einflusse. Sobald ich allein war, zog es mich hinaus, und ich ging spazieren. Ich holte meine Mutter ab, wir gingen kreuz und quer spazieren und kehrten schließlich in einem Restaurant ein. Ich bot ihr ein Diner an, ich ließ schwere Weine kommen und trank ihr wie einem Kameraden zu, sprach mit ihr von der Zukunft, von der Kunst und von dem wahren Schönen. Ich brachte sie sodann wieder nach Hause, umarmte sie, soweit dies bei meinem Zustande möglich war, ging darauf nach Hause und schlief sodann rasch und ruhig ein.

Um elf Uhr kam die Babuschka mit ihrer Tochter und wir verlebten wieder einen so angenehmen Tag wie gestern. Die Mutter erzählte manchmal mit unnachahmlichem Humor einige polnische Anekdoten, sie hatte sogar Geist, wenn sie sich gehen ließ. Iza und ich lachten darüber aus vollem Halse und waren fröhlich, wie es eben nur die Jugend sein kann. Tausend Jahre hätte ich so weiter leben können. Eines Tages konnte ich mich auch nicht enthalten, zu den beiden Frauen zu sagen:

»Mein ganzes Leben möchte ich auf diese Weise verbringen.«

»Ich auch,« antwortete Iza. »Mama, wie wäre es, wenn wir in Paris blieben?«

»Du weißt ganz gut, daß dies unmöglich ist. Was solltest du auch hier machen?«

»Ich würde groß werden und dann Herrn Clémenceau heiraten – würden Sie mich auch nehmen?«

»Ganz gewiß!«

»Eine prächtige Ehe!« warf die Mutter ein. »Du hast nichts und Herr Clémenceau hat auch nichts.«

»Man kann auch mit wenig auskommen,« sagte Iza.

»Ich werde bis dahin schon genug verdienen,« rief ich erregt.

»Passen Sie auf,« sagte Iza zu mir, »wenn ich nicht den König oder den Prinzen finde, welchen mir Mama in Aussicht stellt, dann verspreche ich Ihnen, Sie zu heiraten. Abgemacht?«

»Abgemacht!«

»Das wäre ein Hauptspaß, wenn es so käme.« Und Iza fing laut zu lachen an.

»Vorläufig reisen wir morgen ab,« fiel die Mutter ins Gespräch, »und es ist höchst wahrscheinlich, daß wir niemals mehr zurückkehren werden.«

Nachdem die Sitzung beendet, nahm mich die Gräfin beiseite und sagte zu mir:

»Mein liebes Kind, ich geniere mich nicht vor Ihnen; es kommt mir vor, als gehörten Sie mit zur Familie. Ich könnte ja von anderen Leuten den Dienst in Anspruch nehmen, um welchen ich jedoch Sie bitten will, schon deshalb, weil Sie sich mir zuerst angeboten haben, und weil man diejenigen Menschen lieben muß, denen man sich in gewissen Verhältnissen anvertraut ... Meine Tochter braucht noch einige Kleinigkeiten zur Reise; wir sind momentan etwas knapp bei Kasse, können Sie mir 500 Franks leihen? Ich sende Ihnen dieselben sofort nach unserer Ankunft in Warschau mit bestem Dank zurück, da ich doch dort, wie Sie wissen, einen größeren Betrag zu erheben habe. Aber Iza darf von nichts wissen!«

Ich hätte die Babuschka vor Freude umarmen können. Sie nahmen wenigstens etwas von mir mit auf die Reise, diese zwei Frauen, welche seit einem Monat mir so viele angenehme Stunden bereitet haben. In der Rührung der Trennungsstunde bildete die Alte und die Junge, das Lächerliche und das Bezaubernde, für mich ein Ganzes, eine süße Erinnerung.

Ich versprach, ihr des Abends eine Abschiedsvisite zu machen, und bei dieser Gelegenheit den gewünschten Betrag zu überbringen. Da sie jedoch durch die Reisevorbereitungen zu sehr in Anspruch genommen seien und sich wenig zu Hause aufhalten könnten, so wollten wir gemeinsam das Diner in einem Restaurant einnehmen. Sie willigten ein.

Um 6 Uhr trafen wir uns im Palais Royal. Während wir uns zum Gruße die Hand reichten, drückte ich in diejenige der Babuschka das Fünfhundertfrank-Billett. Ich bestellte das Beste, was auf der Karte stand, mit der verschwenderischen Unerfahrenheit eines Neulings in diesem Fache. Die Mutter sprach den Getränken gehörig zu und plauderte noch mehr als gewöhnlich. Bei ihrem halbberauschten Zustande hätte ein anderer Mensch als ich eine Menge Widersprüche mit den Erzählungen konstatieren können, welche sie bei klarem Kopfe zum besten zu geben pflegte. Aber ich dachte an nichts anderes als an das Vergnügen, mit diesen beiden Personen so lange als möglich beisammen zu bleiben, da ich sie schon morgen wohl für immer verlieren sollte. Iza war von der ausgelassensten Lustigkeit. Beim Dessert sang sie wie eine Lerche, sich mitunter im Gesange unterbrechend, um Zukunftspläne zu schmieden. »Wenn ich erst reich bin, werde ich das machen, mir jenes kaufen usw.,« als ob sie nicht den geringsten Zweifel darin setzte, daß sie einmal reich, ja sehr reich sein werde.

Ich brachte die Damen endlich nach ihrer Wohnung, wo ich mich von ihnen verabschiedete. Ich gab ihnen das Versprechen, die Büste, die Zeichnungen und die Medaillons, welche momentan noch nicht fertig waren, nachzuschicken. Wir kamen überein, uns zu schreiben und über unser Befinden und unsere Erlebnisse uns Mitteilung zu machen. Die Gräfin versprach mir, daß sie mich dem Kaiser von Rußland warm empfehlen werde, und umarmte mich zum Abschiede. Iza bot mir, mit einer gewissen rührenden Naivität und einer eigenen Eingebung ihres Herzens folgend, ihre Wange zum Abschiedskuß.

»Auf Wiedersehen, mein kleiner Mann,« sagte sie.

»Auf Wiedersehen, meine liebe, kleine Frau!«

Dabei legte sie mit herzhaftem Druck ihre Hand in die meinige, als sollten unsere Abschiedsworte durch Handschlag bekräftigt und feierlich bestätigt werden. Darauf verschwanden beide im Hausflur.

Offen gestanden: Iza und ich schieden mit Tränen in den Augen von einander.


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