Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

10. Kapitel

Ich begleitete die Damen, welche nach den Champs Elysées ihren Weg nahmen. Es war noch ein Glück, daß die Leute, welche wir trafen, mit sich beschäftigt waren; sie hätten sonst der Schönheit meiner jungen Begleiterin noch verkehrsstörende Reverenz bewiesen.

Alle schauten sich nach derselben um. Zwei oder drei blieben vor uns, wie verzückt von Izas Erscheinung, ganz starr stehen, und wir mußten ihnen ausweichen, um unsern Weg fortsetzen zu können.

Iza schien nichts von dem großen Eindruck zu bemerken, welchen sie hervorgerufen; allem Anschein nach machte sie jeden Tag, ohne zu ermüden, solche Spaziergänge.

Wir kamen dahin überein, daß sie mir von morgen ab sitzen solle. Ich trennte mich sodann am Platze Ludwigs XV. von den Damen, da ich bemerkte, daß sie allein zu sein wünschten. Aber ich konnte dem Wunsche nicht widerstehen, ihnen aus der Entfernung zu folgen, gewissermaßen im Kielwasser der Bewunderung, welche sie erregten.

Es war gerade an einem Sonntage. Es wimmelte von Leuten, und die beiden gingen langsam den Champs Elysées zu. Auf dem ganzen langen Wege wiederholte sich derselbe sensationelle Effekt.

Sie kamen bis zu dem »Stern«, wo noch die Gerüste standen, schlugen dann die Richtung nach dem Faubourg du Roule ein, bogen in die Rue Verte ein und verschwanden schließlich in einer großen Mietskaserne, aus welcher sie nicht so bald herauskamen. Wahrscheinlich aßen die beiden Damen dort zu Mittag.

Da ich ihnen eigentlich nicht aus Neugierde gefolgt war, machte ich mich, nachdem sie verschwunden, auf den Heimweg, oder richtiger, ich begab mich zu meiner Mutter, welcher ich selbstverständlich alles erzählte, was mich seit dem gestrigen Abend beschäftigte. Iza war vierzehn Jahre alt, – in acht Tagen sollte sie abreisen; meine Mutter ahnte ebensowenig wie ich irgend ein Unheil, und ich teilte ihr auch alles, was mich in Erstaunen gesetzt hatte, mit, da ich mir über die empfangenen Eindrücke nicht ganz im klaren war.

Dieses Erscheinen im Pagenkleid, dieses zerlumpte Logis, diese Armut, diese Koketterie, all diese Unschuld und diese Hoffnungen, der Thron und das Leihhaus: dieses Kunterbunt machte auch mich verwirrt und beunruhigte mich um so mehr, als mir das Kind tatsächlich Teilnahme einflößte. Aber eine dieser Tatsachen hatte ich schließlich mit ihren unmittelbaren Folgen begriffen: die Armut und das Leihhaus, die Arbeit, die Traurigkeit und Resignation in der Gegenwart; die Hoffnungen, die trügerischen Hoffnungen für die Zukunft. Aber ich konnte mir keinen Vers machen auf das Elend und den Ball, die Wohnung des alten Herrn und die Verbindung mit dem Zaren, das Leihhaus und das Pagenkostüm, die gehäkelte Börse und die Handschuhe beim Schlafen, das alles ging, um mich deutlich auszudrücken, nicht in meinen Kopf hinein; ich hatte niemals eine Welt von solchen Kontrasten gesehen.

Meine Mutter wußte auch nicht mehr und begnügte sich ganz einfach zu sagen: »Die Frau hat weder Verstand, noch scheint sie auf Ordnung zu halten; das ist traurig für die Tochter, von der du sagst, daß sie hübsch und allem Anscheine nach auch gut sei.«

Als ich Herrn Ritz von meinem Besuche und meinen Eindrücken bei der Gräfin erzählte, erwiderte er trocken darauf: »Das Leben allein kann Ihnen diese Widersprüche erklären. Machen Sie eine gute Büste von diesem Mädchen; meinetwegen sogar eine Statue desselben, wenn es die Mutter will, aber kümmern Sie sich nicht weiter um dasselbe. Sie ist weder Ihre Schwester noch Ihre Tochter.«


 << zurück weiter >>