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8. Kapitel

Herr Ritz empfing einmal in der Woche. Wie es sich bei einem Künstler von seinem Rufe und bei seinen Beziehungen zu Künstlerkreisen und zu der guten Gesellschaft eigentlich von selbst versteht, fanden sich auf dem Parkett seines Salons zwei Klassen von Menschen zusammen, welche auf diesem neutralen Boden gern mit einander verkehrten. Am Faschingsmontag pflegte er einen Kostümball zu geben, zu welchem man sich um die Einladungen eifrigst bewarb. Auf einem dieser Bälle lernte Fräulein Ritz den Grafen Niederfeld, einen jungen reichen Attaché der schwedischen Gesandtschaft kennen, welchen sie wenige Monate darauf heiratete. Auf demselben Balle trug Konstantin, welcher inzwischen nach der Militärschule zu St. Cyr gebracht worden war, eines jener exzentrischen Kostüme, welche Gavardi in die Mode gebracht hatte. Er hielt sich übrigens nicht lange auf. Gegen zwei Uhr nachts wußte er sich zu drücken und ging nach den Variétés, deren Maskenbälle damals als die wildesten Bacchanalien bekannt waren. Am anderen Morgen zeigte Konstantin ein übermüdetes und gelangweiltes Gesicht, und ich sah es ihm an, daß er nach seinen Abenteuern gefragt zu werden wünsche. Ich ließ ihn nicht lange schmachten und tat ihm den Gefallen, ihn auszufragen.

»Ach, lieber Freund,« antwortete er, »ich habe mir das Weib ganz anders vorgestellt.«

Dann erzählte er mir von seiner ersten Liebe, geboren um zwei Uhr nachts, gestorben um acht Uhr morgens, von welcher er sich heute nur auf die Farbe des Kostüms, aber nicht einmal auf den Vornamen zu entsinnen wußte.

Zu den Damen, deren Bekanntschaft ich auf jenem Ball gemacht hatte, gehörte auch Madame Lesperon, welche mir offenbar große Zuneigung entgegenbrachte. Sie war eine Dichterin, ein veritabler Blaustrumpf, eine Närrin, aber herzensgut. Sie machte schließlich nicht schlechtere und auch nicht bessere Verse als zu jener Zeit üblich war, wo man unter dem Eindrucke der romantischen Dichtungen von Lamartine, Viktor Hugo und Alfred de Musset stand.

Diese romantische Schule hat einige Jahre hindurch Dichter gezeitigt, von denen heute nichts übrig geblieben ist, als das Erstaunen darüber, daß sie einmal tatsächlich berühmt gewesen sind. Alle diese Poeten waren begeistert: jeder von ihnen hatte einen geheimen Schmerz, eine unerwiderte Liebe. Es gab nicht einen unter ihnen, der nicht unter irgend einem Fliederstrauche das unbekannte Grab einer Elvire besuchte, wo er heiße Tränen vergoß und mit vorwurfsvollen Blicken den Himmel befragte, warum er ihm das zugefügt, und wo er dann seinem Schmerz in gedrechselten Reimen Ausdruck gab.

Diese von Weltschmerz erfüllten Poeten hatten ihre Zusammenkünfte in gewissen literarischen Salons, wo viel deklamiert, viel geseufzt und viel in Enthusiasmus gemacht wurde – man drückte sich gerührt die Hände, umarmte sich stürmisch, nahm sodann ein großes Glas Zuckerwasser zu sich und ging schließlich hochbefriedigt nach Hause.

Madame Lesperon hatte einen solch famosen Salon, wo sich die Schöngeister dieser Art versammelten. Da die Dame zu den Bekannten des Hauses Ritz gehörte, so mußte mein Meister einmal im Jahre auch bei ihr erscheinen. Er ließ die Elegien und das Glas Zuckerwasser über sich ergehen und kam dann, über diese kleine ehrliche, aber lächerliche Gesellschaft lächelnd, nach Hause. Herr Lesperon, ein höherer Ministerialbeamter, ein ehrenwerter Mann, hatte seine Frau ersucht, ihre »Schmerzen« und »Hoffnungen« unter einem Pseudonym und nicht unter seinem Namen zu veröffentlichen. Er teilte nicht im geringsten die Schwärmereien seiner Gattin, sondern er war ein Freund einer gutbesetzten Tafel und sah von Zeit zu Zeit seine Kollegen mit Frauen und Töchtern bei sich zu einem kleinen, ungezwungenen Tänzchen. Man aß vergnügt, und die Musen und Poeten ahmten schließlich das gute Beispiel nach und amüsierten sich wie die anderen Sterblichen.

In dem Winter nun, welcher auf meine Zukunft einen so entscheidenden Einfluß nehmen sollte, veranstaltete Frau Lesperon am Faschingsdienstag ein Kostümkränzchen, zu welchem auch ich geladen wurde.

Gegen elf Uhr nachts sahen wir eine Frau zwischen 54 und 55 Jahren eintreten, welche das Kostüm der Rubensschen Maria von Medici trug und sich in ihre Rolle so gut eingefunden hatte, daß sie mit einer gewissen Würde einherschritt und ganz majestätisch grüßte. Das Haar spielte ins Graue, die Figur war mächtig und stark, die Zähne gut erhalten, ein etwas kurzer, fleischiger Hals, weiße, dicke Arme, eine elegante Hand; so stellte sich diese Königin dar, die mit Wachteln und Zuckerzeug genährt schien. In ihrer Jugend mußte sie eine hervorragende Schönheit gewesen sein, und sie schien sich – bei Beleuchtung! – immer noch gut konserviert zu haben; sie konnte sogar noch gefallen, besonders jenen Epikuräern, welche nichts umkommen lassen, was die Natur Gutes zu bieten pflegt, und welche, wenn der Sommer zu Ende gegangen, anstatt sich bis zum nächsten Frühjahr zu bescheiden, auch mit den matten Sonnenstrahlen des Oktobers fürlieb nehmen, um sich wenigstens darin zu sonnen.

Zu ihrem Unglück war Maria von Medici von einem Pagen, der ihre Schleppe trug, begleitet. Dieser Page war ein Kind von 13 bis 14 Jahren, ihre leibliche Tochter: Morgenröte, Rose und Schnee, gekleidet in Sammet und Seide, auf dem goldlockigen Haar ein kleines, dunkles Käppchen. War die Mutter eine Rubenssche Gestalt, so war das Kind eine von Dycksche. Wo soll ich Worte finden, nicht um Ihnen dieses unbeschreibliche Wesen zu beschreiben, sondern nur um Sie dasselbe begreifen und ahnen zu lassen.

Stellen Sie sich vor, daß die Rose eine Frucht gibt von einer Farbe, einer Form und einem Geschmacke in höchster Vollkommenheit der Abtönung und Abrundung, und mit einem berauschenden Dufte; stellen Sie sich nun den Moment vor, wo diese Blüte zur Frucht reif wird, noch durchsichtig, noch geschlossen, und wenn nun alle diese berauschenden Düfte die Sinne gefangen nehmen, – stellen Sie sich dies alles recht deutlich vor, und Sie werden vielleicht den hundertsten Teil jenes gewaltigen Effektes empfinden, welchen diese himmlische Erscheinung auf die ganze Gesellschaft, besonders jedoch auf mich gemacht hat.

Für mich war sie nicht ein junges Mädchen, nicht ein Kind, nicht ein Weib, sondern das Weib: Symbol, Gedicht, die Abstraktion und das ewig neue Rätsel, welches in der Vergangenheit, Gegenwart und in alle Zukunft die gesamte Menschheit erfüllen und beschäftigen wird. Meine ganze Seele konzentrierte sich in meinen Augen. Das erste Mal in meinem Leben konnte ich das bisher Unbegreifliche begreifen. Die Frauenerscheinungen aus der Vergangenheit, welche Reiche stürzten, indem sie die Leidenschaften in den Herzen der Männer anfachten, die edlen weiblichen Gestalten der Poesie, welche ganze Generationen entzückt hatten, und die mir bislang nur als dichterische Gebilde erschienen waren, – mit einem Schlage hatten sie greifbares Leben erhalten. Nichts schien mir einfacher, als für den Besitz eines solchen Wesens den Erdball in Brand zu stecken und von diesen unerklärbaren Geschöpfen zum Helden oder zum Feigling, zum Genie oder zum Schwachkopf gemacht zu werden.

Eva, Pandora, Magdalena, Kleopatra, Psyche, Desdemona, Manon Lescaut, Emma Lyona » Manon Lescaut,« Roman von Abbé Prevost und » Lady Hamilton (Emma Lyona), Die Memoiren einer Favoritin,« herausgegeben von Alexander Dumas – im selben Verlage erschienen wie vorliegende Ausgabe – sind überaus fesselnd geschriebene, lesenswerte Werke. zogen im Geiste an mir vorüber und fragten mich: »Begreifst du jetzt?« Und ich antwortete: »Jawohl, ich begreife!«

Die Königin machte, begleitet von dem Pagen, die Runde durch den Saal, und beide erwiderten die dargebrachten Grüße, sie durch ein leichtes Neigen des Kopfes, der Page durch ein rosiges Lächeln, welches um seine frischen Lippen schwebte.

Die ganze Gesellschaft spielte diese Komödie mit demselben feierlichen Ernst wie die beiden Hauptpersonen, indem sich alle tief wie Mannen und Untertanen verbeugten. Ich hatte mich in die erste Reihe dieser Höflinge gestellt, und ich verschlang mit den Blicken diese Gruppe oder vielmehr das Kind, da mich die Mutter gar nicht interessierte. Ich hatte gegen sie sogar ein gewisses Gefühl des Aergers, weil sie die frühreife Schönheit ihrer Tochter in einem Kostüm zur Schau stellte, welches tausendmal indiskreter war, als das durchsichtigste, noch so tief ausgeschnittene Ballkleid. Mutter und Tochter grüßten auch mich, ohne jedoch mich besonders gesehen zu haben. Nichts sagte ihnen in dieser Stunde, daß ich in ihr Schicksal so verhängnisvoll eingreifen solle, sie ahnten nicht, welchen Einfluß auf mein Leben sie zu nehmen bestimmt waren.

Aber ich hatte dennoch etwas wie eine Vorahnung; damals, als der Page die ganze Gruppe, in welcher ich stand, mit einem sozusagen allgemeinen Blicke begrüßte, ging es mir wie ein elektrischer Schlag durch alle Glieder. Ich entsinne mich dessen jetzt, die Wände des Salons öffneten sich, und ich sah auf einen Augenblick die Zukunft von Angesicht zu Angesicht.

Der Ball begann. Der Page führte die Königin zum Tanze. Als die Quadrille beendet, trat ich, unwiderstehlich zu dem jungen Mädchen hingezogen, an dasselbe heran und bat um die nächste Quadrille. Ich hatte den sehnlichsten Wunsch, daß das kleine Geschöpf mir gehöre, sei es auch nur für die Dauer eines Tages.

»Aber, mein Herr!« antwortete sie lachend. »Die Männer tanzen doch nicht miteinander.«

Damit wandte sie mir den Rücken und forderte ihrerseits ein Mädchen zum Tanze auf. Sie schien für diesen Abend nicht nur das Kostüm eines jungen Mannes, sondern auch dessen Manieren angenommen zu haben. Ich war darüber nicht ungehalten. Sie tanzte zwar nicht mit mir, aber es sollte sie auch die Hand keines anderen Mannes berühren.

Ich ließ sie nicht mehr aus den Augen, ich ebensowenig wie alle anderen, denn das Kind hatte an diesem Abend die ganze Aufmerksamkeit der Gesellschaft erregt. Die Mutter hatte sich in eine Ecke gesetzt, wo sie in lautem Ton das Wort führte und dazwischen mühsam und geräuschvoll Atem schöpfte. Je länger ich sie betrachtete, desto unsympathischer wurde mir deren auf den ersten Anblick nicht unangenehmes Gesicht. Das Auge war kalt und stechend, die Lippen waren dünn und schmal und die Worte kamen hart und schneidend zwischen denselben heraus; in der Stimme selbst lag nicht ein Atom von Wärme und Herzlichkeit.

Waren durch den Verlust des Vermögens, durch Neid oder das Alter alle diese Eigenschaften hervorgerufen worden? Ohne Zweifel hatten alle diese Tatsachen zusammengewirkt und die Galle war die Beherrscherin dieses dicken und welken Körpers geworden. In ihrer Konversation oder, richtiger gesagt, in ihren Monologen – denn sie sprach ohne Unterbrechung wie ein aufgezogenes Schlagwerk – hörte man die Worte: »Meine Tochter – meine andere Tochter – ihr Vater – meine Tochter – der Mann meiner Tochter« sich stets wiederholen.

Zwei oder drei ältere Personen, welche sich schon, so gut es eben ging, darin finden mußten, die Nacht hier zu verbringen und so lange zu bleiben, bis ihre Kinder sich zum Aufbruch rüsteten, taten so, als ob sie diesen Erzählungen zuhörten, und simulierten durch verständnisinniges Kopfnicken Aufmerksamkeit.

Inzwischen tanzte der Page mit einer fast wilden Unermüdlichkeit; von Zeit zu Zeit mußte das Kind innehalten, um Atem schöpfen zu können, und verschwand auf einen Augenblick in einem der kleinen Nebenzimmer. Dort eingetreten, legte es die Hand auf die Brust, warf das Köpfchen zurück, wie eine Bachstelze, welche einen Tropfen Wasser gierig schlürft, als wollte sie neue Luft zum Atmen in sich aufnehmen. Ohne selbst gesehen zu werden, beobachtete ich sie. Jede ihrer Bewegungen war voller Grazie, jede ihrer Posen ein Tableau. Sie gefiel sich auch darin, alle ihre Bewegungen von den Spiegeln, welche überall hingen, zurückgeworfen zu sehen.

Nach kurzer Zeit setzte sie sich nieder, die Jugend machte ihre Rechte geltend, das Kind war müde geworden. Sie zog ein kleines parfümiertes Spitzentuch aus ihrer Taille und fächelte sich Luft zu, ein Bildchen aus den Zeiten Heinrichs III. Dann schaute sie sich neugierig im Zimmer um, immer mit einer leichten Kopfbewegung die Musik aus dem Nebensaale begleitend, als ob sie wenigstens im Geiste weiter tanzen wollte.

Diese Bewegungen wurden immer langsamer, der Mund blieb halb geöffnet, der Blick war ins Weite gerichtet, der Kopf senkte sich nieder auf das Kissen, das Atmen wurde regelmäßig, die zierlichen Beine streckten sich aus, die Hand ließ das Tuch fallen, die Augen schlossen sich, das Kind war eingeschlafen.

Ich stand an der Tür des Boudoirs und versperrte den Eingang. Ich wollte dieses entzückende Schauspiel für mich allein behalten; dies um so mehr, als mir seit wenigen Augenblicken das Gesicht bekannt vorgekommen war. Ich hatte das Mädchen niemals vorher gesehen, denn es hätte mich damals ebenso überrascht wie heute, aber es hatte ganz bestimmt eine Aehnlichkeit mit irgend jemand, den ich früher gekannt. Aber mit wem? Merkwürdig, sobald ich an diese andere Figur dachte, erschien sie mir als Knabe, als wirklicher Knabe, dessen Name mir auf den Lippen schwebte, aber dessen ich mich nicht entsinnen konnte. Die Aehnlichkeit schien meiner spotten zu wollen. »Was, du erkennst mich nicht?« höhnte es ganz leise neben mir, »du kennst mich ja ganz genau; schau mich nur gut an. Wir zwei sehen uns frappant ähnlich, man kann sich gar nicht ähnlicher sehen.« Und wie ein Phantom löste sich diese Erscheinung in Dunst auf.

Ich wäre die ganze Nacht an dieser Stelle stehen geblieben, aber Iza (so wurde das Mädchen, welches Isabella hieß, genannt) konnte den Ball nicht verlassen, ohne daß man es bemerkt hätte. Einige junge Mädchen kamen nach dem Boudoir, um sie zu suchen; ich gab ihnen jedoch ein Zeichen, daß sie schliefe. Man respektierte diesen Schlaf und schließlich drängte sich alles heran, um die Schläferin zu bewundern, wie man bereits seit zwei Stunden alles bewundert hatte, was das Mädchen tat. Man hörte auf zu tanzen, auch die Tanzmusik verstummte.

»Nehmen Sie doch eine Skizze davon,« sagte plötzlich hinter mir Herr Ritz.

Ich hätte ihn vor aller Welt umarmen können, weil er meinen Gedanken so entgegengekommen war.

Ich holte rasch Feder, Tinte und einen großen Bogen Papier herbei; nur mit Tinte konnte man diese Schattierungen wiedergeben. Ein Mädchen setzte sich ans Klavier und spielte die Berceuse von Chopin, wozu sie mit gedämpfter Stimme sang; die einen schauten mir zu; die anderen hörten den Gesang an; aber alle schwiegen. Dieses Schweigen, welches durch den leisen Gesang und das diskrete Spiel am Klavier fast unhörbar gestört wurde, sowie die regelmäßigen Atemzüge der Schlafenden hatten über die Gesellschaft eine merkwürdige Stimmung und Spannung gebreitet – man schien fast losgelöst von allem Irdischen.

Einige Personen, welche hinter mir standen, feuerten meine Hand zu noch größerer Raschheit an, indem sie mir zuriefen: »Bravo! Das ist brillant! Das ist großartig!« während die weiter hinten Stehenden sie zur Ruhe verwiesen, damit die schöne Schläferin nicht zu früh erwache. Inzwischen war der Tag angebrochen und die Morgensonne drang durch die Spalten der Vorhänge. Als nun ein Gast plötzlich die Vorhänge aufzog, während ein anderer rasch die Lichter auslöschte, war draußen heller Tag, vor welchem die Damen, als ob plötzlich ihre Kostüme ihnen von den Schultern gefallen wären, mit einem lauten Aufschrei in das andere Zimmer sich flüchteten.

Dadurch wurde auch Iza wieder aufgeweckt; sie öffnete die Augen, schaute sich anfangs erstaunt um und stand, als sie sich erinnerte, wo sie sich befand, lächelnd auf. Das verräterische Tageslicht, welches die Schminke und die Runzeln, das Uebernächtige und Uebermüdete bei den anderen Ballgästen so unbarmherzig beschien, vergoldete sie mit ihren Strahlen. Der Anblick war um so wundervoller, als Iza sich der in dieser Beleuchtung doppelt entzückenden Reize ihrer faszinierenden Schönheit nicht bewußt schien; sie ahnte nur, daß sie, während sie geschlafen, die Heldin eines kleinen Abenteuers gewesen. Sie trat auf mich zu, um zu sehen, was ich, während sie geschlafen, gezeichnet. Sie erkannte sich in der Skizze und schien ganz entzückt.

»Das gehört doch mir,« sagte sie, indem sie ihre Hand mit der Ungeduld eines Kindes hastig nach meiner Arbeit ausstreckte.

»Ganz bestimmt, mein Fräulein, gehört es Ihnen, aber wir müssen dieses Croquis erst trocknen lassen; das wird bald geschehen sein. Ich werde es noch heute einrahmen lassen, und wenn Ihre Frau Mama es erlaubt, so überbringe ich es Ihnen sodann persönlich.«

»Heute noch?«

»Noch heute.«

Mutter und Tochter wechselten einen etwas unruhigen Blick.

»Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß wir sehr bescheiden wohnen,« fiel die Mutter ein, indem sie unter der Schminke, welche ihr bei helllichtem Tage etwas Fratzenhaftes gab, errötete.

»Das hat nichts zu bedeuten, Madame. Vielleicht ist es Ihnen angenehmer, wenn ich Ihnen diese Zeichnung zusende.«

»Nein, bringen Sie sie selbst,« antwortete die Kleine mit Entschiedenheit.

Die Gesellschaft empfahl sich endlich. Ich folgte den beiden Damen, aber es gab mir einen Stich ins Herz, als ich deren schäbige Maskenkostüme bei Tageslicht sah.

Bevor sie die Droschke bestiegen, welche für sie herbeigeholt worden war, hüllte sich die Mutter in ein großkariertes Tuch, während die Tochter einen schwarzen Merinomantel um die Schultern warf, dessen halbseidenes Aermelfutter so zerschlissen war, daß die Watte heraushing. Auf die Aufforderung ihrer Mutter nahm sie das Pagenkäppchen ab, gab es derselben und setzte eine blaue Wollhaube auf, die in einer Tasche ihres Mantels gesteckt hatte. Maria von Medici zog große Galoschen an, hob ihre Kleider in die Höhe, so daß man ihre dicken Beine in den grobgestrickten Strümpfen und schiefgetretenen verschossenen Satinstiefeletten sehen mußte, schob ihre Tochter in aller Eile mit der Mahnung, sich vor Erkältung in acht zu nehmen, in den Wagen und stieg sodann, von zwei Personen unterstützt, ebenfalls ein. Trotz ihrer königlichen Würde hätte sie es allem Anscheine nach sehr gern gesehen, wenn jemand mitgefahren wäre, um die Droschke zu bezahlen. Um mein Leben gern hätte ich dies getan, aber ich hatte nicht den Mut dazu.

Zwei oder drei Gassenjungen, welche mit vom Frost geröteten Nasen und vor Kälte zitternd in der Straße herumlungerten, anstatt nach der Schule zu gehen, ulkten die Frau mit allerhand Redensarten an. Der Kutscher machte Miene, sich mit der Peitsche seiner Fahrgäste anzunehmen, aber die Jungen liefen schleunigst unter höhnischem Gelächter fort.

Der Wagen setzte sich endlich in Bewegung. Der kleine Page steckte noch den Kopf zum Schlage heraus und sagte mir:

»Vergessen Sie mein Porträt nicht.«

Die Mutter rief dem Kutscher zu:

»Quai de l'Ecole Nr. 78.«

Und das lächerliche Vehikel fuhr mit den beiden Weibern davon und nahm mit ihnen, ohne daß ich es geahnt hätte, mein ganzes Leben mit. Ich verließ den Ball in Gesellschaft Konstantins. Ich sprach nur von Iza und war ganz erstaunt, daß derselbe von ihr nicht ebenfalls so entzückt war wie ich.

»Sie ist noch ein Kind! Und in so was wirst du dich doch nicht verlieben wollen!«

»Ich bin in dieses dreizehnjährige Mädchen nicht verliebt, ich bete es an. Sie ist das reizendste Wesen, das man sich denken kann.«

»Weißt du, wie sie mir vorkommt?« erwiderte Konstantin darauf, und sein Vergleich schien mir zutreffend. »Wie eine Meißener Porzellanfigur; man schwebt stets in der Angst, sie zu zerbrechen. – Weißt du übrigens, wem dieses Mädchen ganz frappant ähnlich sieht?«

»Du findest bei ihr auch eine Aehnlichkeit mit irgend jemand?«

»Jawohl, und noch dazu eine ganz außerordentliche.«

»Sag' nur rasch den Namen. Seit zwei Stunden suche ich denselben zu erraten.«

»Sie sieht einem unserer früheren Kollegen ähnlich, dem du einen so gediegenen Faustschlag versetzt hast.«

»André Minati! Ganz recht. Der ganze Minati. Daß ich nicht gleich von selbst darauf gekommen bin!«

»Wenn sie ihm auch in sittlicher und geistiger Beziehung ähnlich ist, dann wird sie ein merkwürdiges Exemplar einer jungen Dame abgeben. Und diese Mutter! Wie sieht die aus! Was für Abenteuer mag die schon erlebt haben!«

Ich suchte mir einen anderen Gesprächsstoff. Dieses Weib und ihre Tochter gingen mich zwar nichts an, aber ich wollte keine Sottisen über dieselben hören.


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