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38. Kapitel

Ich kam in Paris um sechs Uhr früh an. Ich nahm ein Bad, kleidete mich um, ließ meinen Koffer im Hôtel de Paris in der Rue de Richelieu zurück und suchte Konstantin auf.

Als er mich erblickte, wurde er etwas blaß. Er eilte jedoch auf mich zu und umarmte mich. Ich zeigte ihm den Brief, den ich erhalten. Er warf einen flüchtigen Blick in denselben.

»Es ist wahr,« sagte er.

»Du bist ihr Geliebter?«

»Ich war es eine Stunde, an jenem Tage, an welchem ich dir schrieb. Gott weiß, daß ich es nicht beabsichtigt hatte; sie aber, sie hat es so gewollt. Welcher Triumph für sie, wenn nach all dem, was zwischen uns vorgefallen, ich mich in sie verliebt hätte! Aber ich habe trotzdem eine häßliche Tat begangen. Ich begreife nun auch, was du gelitten haben mußt. Ich bin ihr unterlegen, ich, der ich mich für so stark hielt. Als ich sie verlassen hatte, sagte ich zu mir: »Du hast dich rächen wollen, Schlange, aber Geschöpfe deiner Art haben keine Gewalt über mich. Ich werde dich niemals wiedersehen.« Und am andern Tag suchte ich sie wieder auf. Ich wurde nicht vorgelassen. Das war fein abgekartet! Drei Tage hindurch war ich liebestoll, ich, Konstantin! O! Wäre ich der Gatte dieses Weibes gewesen und hätte sie mich verraten, ich ...«

Er hielt inne und legte die Hand auf die Stirne.

»Was hättest du getan?«

»Das weiß ich nicht.«

»Du hättest sie getötet?«

»Ich sage nicht nein.«

»Nun, wohlan, ich bin stärker als du.«

»Vielleicht! Zürnst du mir?«

»Nein; es wäre mir aber lieber gewesen, wenn du den Mut gehabt hättest, mir direkt die Wahrheit zu berichten.«

»Ich wollte selbst nach Rom reisen, um dir alles mitzuteilen, aber ...«

»Aber?«

»Aber ich unterließ es schließlich. Was willst du übrigens in Paris machen?«

»Ich komme einfach zurück.«

»Für immer?«

»Für immer. Auf Wiedersehen!«

»Wohin gehst du?«

»Vorerst nach Hause; dann zu deinem Vater.«

»Aus baldiges Wiedersehen.«

»Auf Wiedersehen.«

Ich ging.

*

Ich begab mich nach dem Cours-la-Reine, nach dem bekannten Hotel des Grafen Attikoff. Ich zog die Glocke. Das schwere Tor öffnete sich. Ich durchschritt den Hof, welcher rechts und links von Ställen und Remisen flankiert war, deren Zinkdächer wie Silber funkelten. Eine Glocke ertönte zweimal, um die Ankunft eines Besuchers anzukündigen. Ich stieg einige Stufen nach der Vorhalle hinauf, welche nach dem Quai ging, und befand mich einem großen Lakaien in Morgenlivree gegenüber, welcher in der halbgeöffneten Türe stand.

»Madame Iza?« fragte ich.

»Sie ist auf dem Lande.«

»Ganz gewiß?«

»Jawohl, mein Herr.«

»Seit wann?«

»Seit heute früh.«

»Wann kehrt sie zurück?«

»Wahrscheinlich heute abend.«

»Um welche Stunde wird sie zu sprechen sein?«

»Das weiß ich nicht. Wollen Sie gefälligst Ihren Namen einschreiben und wiederkommen. Madame wird mir sodann sagen, ob sie Sie empfangen kann.«

»Gut.«

Dieser Mensch hat ohne Zweifel an dem Tone, in welchem ich sprach, gemerkt, daß es sich um ernste Sachen handele, und daß ich das Recht habe, eine solche Sprache zu führen. Ich fuhr fort: »Wohnt die Frau Gräfin bei Ihrer Tochter?«

»Nein, mein Herr. Sie wohnt ganz in der Nähe. Sie hat sie jedoch heute aufs Land begleitet.«

»Danke. Wo kann ich einige Zeilen schreiben?«

Ich trat in das Vestibül, ein großes Viereck mit Mosaikpflaster und im pompejanischen Stile dekoriert. In der Mitte dieses Raumes, auf einem mit Blattpflanzen umgebenen Sockel, sah ich eine Statue: » Das 307 trinkende Mädchen«, welches Iza unter fremdem Namen hatte kaufen lassen und hier aufgestellt hatte.

Ich schrieb folgende Worte nieder:

»Erwarten Sie mich heute abend.«

Ich unterschrieb und gab dem Diener das versiegelte Billett.

Was sollte ich bis Abend unternehmen?

Da suchte ich Sie auf, verehrter Freund. Ich erzählte Ihnen alles, was vorgefallen und fragte Sie um Ihren Rat, und welche gesetzlichen Schritte ich gegen einen solchen Gegner unternehmen dürfe. Das Gesetz könne für mich nichts weiter tun, als mich gerichtlich von diesem Weibe scheiden, dasselbe auf ein oder zwei Jahre, oder auch auf länger einsperren, falls ich den Ehebruch nachzuweisen in der Lage sei. Meinen Namen, meine Ehre, meine Freiheit und meine Seele könne mir jedoch das Gesetz nicht zurückgeben. Madame Iza bleibe stets Madame Clémenceau; sie könne auch in Zukunft in demselben Lande wie ich leben, sie könne Reichtümer sammeln und meinen Namen und denjenigen ihres Sohnes entehren. Der Tod allein werde uns eines Tages vollständig trennen. Ich sprach Ihnen meinen Dank für Ihre Aufklärungen aus; sie waren logisch richtig und ganz verständig. Aber in meinem Zustande hatten Logik und Verstand keine Beweiskraft mehr.

Es blieb mir noch viel Zeit bis zu jener Stunde, zu welcher ich Iza aufsuchen konnte. Es war im April, dieselbe Zeit, während welcher wir einst so glücklich gewesen. Wie sah es in jenen Stätten aus, welche die Zeugen unseres Glückes gewesen? Hatten sie sich ebenso verändert wie ich?

Ich machte mich auf den Weg nach Saint-Assise. Brauche ich Ihnen zu schildern, welche Gefühle mich beschlichen, als ich alle jene Orte wieder sah, welche unzählige Erinnerungen in mir wachriefen. Es gibt, wie der Dichter sagt, keinen größeren Schmerz, als im Unglücke sich glücklicher Zeiten erinnern zu müssen!

Die Tage waren noch kurz. Um sieben Uhr lag die Landschaft im Dunkel; ich machte mich auf den Rückweg nach Paris. Um zehn Uhr abends sprach ich neuerdings im Palais am Cours-la-Reine vor. Der nämliche Lakai öffnete mir eine der Seitentüren des Vestibüls. Jetzt war er jedoch in großer Galalivree, und zwei seiner Kameraden, ebenso gekleidet wie er, erhoben sich rasch bei meinem Eintritt und blieben kerzengerade stehen, bis ich an ihnen vorbei geschritten war. Der Diener führte mich durch eine Flucht kleiner, mit wahrem Raffinement ausgestatteter Salons, welche mit kostbaren Gobelins und wertvollen Gemälden, Statuetten und dergl. versehen waren, und durch welche sich ein Duft von Rosen zog. Der Fuß glitt unhörbar über die schweren Teppiche, Vorhänge von auserlesenem Geschmack hielten jedes Geräusch von außen fern. Der Diener öffnete sodann die letzte Tür, und ich befand mich in einem, im Stile Ludwig XVI. eingerichteten Boudoir, welches in Weiß und Gold gehalten war. Die Wandgemälde waren von der Meisterhand Fragonards, die Vorhänge, Sofas, Fauteuils und Sessel mit weißem Atlas überzogen, welcher in Handstickerei Tiere, Drachen und Teufel in chinesischer Manier aufwies. Ein wundervoller Smyrnateppich, eine glänzende Einrichtung, Vasen aus echtem Sèvresporzellan, Nippsachen aus Meißener Porzellan und feingeschliffenem Glase, antike Uhren und glitzernde Spiegel und dies alles von funkelnden Kronleuchtern, in denen Kerzen brannten, in ein Meer von Licht getaucht, als bereite man ein Fest vor.

In dem Boudoir wartete eine Frau. Es war die Gräfin, welche jedenfalls erst meine Absichten kennen lernen und mir auf den Zahn fühlen wollte, bevor sie mich mit ihrer Tochter sprechen ließ. Um sich über die erste Verlegenheit hinwegzuhelfen – obzwar sie sonst nicht so leicht aus der Fassung zu bringen war – hatte sie sich vor den Spiegel gestellt, um ihre Toilette etwas in Ordnung zu bringen, welche im Wagen in Unordnung geraten. Im übrigen sah sie, trotz der vielen Brillantringe, die sie an den Fingern hatte, in ihrer grauseidenen, mit schwarzem Samt aufgeputzten Robe immerhin vornehm genug aus.

Das ist bei Müttern dieser Art nur selten der Fall.

»Guten Tag, mein lieber Sohn, wie geht es Ihnen?« fragte sie mich, als der Diener verschwunden, mit einem mütterlichen Tone, wie wenn sie gar nicht wüßte, was zwischen ihrer Tochter und mir vorgefallen, oder darüber gar nicht erstaunt wäre, sondern es für ganz natürlich hielt. Ich war von diesem Empfange nicht wenig verblüfft.

»Ich danke, Madame, ganz gut,« erwiderte ich, sie begrüßend.

Was konnte ich auch anders machen!

Sie fuhr fort:

»Sie waren schon einmal hier?«

»Heute früh.«

»Wir haben den Tag auf dem Lande verbracht und sind erst vor zehn Minuten zurückgekommen. Iza wird gleich erscheinen. Sie wechselt nur die Toilette; sie war von Staub ganz bedeckt. Es ist ein ganz abscheulicher Wind heute abend. Sie kommen von Rom?«

»Jawohl, Madame.«

»Vor beiläufig vierzig Jahren war ich mit meinem Vater auch in Rom. Damals war ich noch sehr jung. Gedenken Sie sich in Paris dauernd niederzulassen?«

»Das weiß ich noch nicht.«

»Haben Sie dort unten fleißig gearbeitet?«

»Nicht viel.«

Wörtlich!

Ich wollte diese Frau schon fragen, ob sie mich etwa zum Narren halte, als sich die Tür öffnete.

»Da ist meine Tochter,« sagte die Gräfin, stand sofort auf und blieb wie eine Palastdame vor einer Königin ehrerbietig stehen.

Iza trat ein.

Ich überlasse es Ihnen, sich auszumalen, was in diesem Augenblicke in meinem Innern vorging.

Iza trat einige Schritte vor, begrüßte mich mit einer leichten Verneigung des Kopfes; ein feines, fast unmerkliches Lächeln schwebte um ihren Lippen. Sie sprach kein Wort. Sie kam mir größer als früher vor, vielleicht deshalb, weil sie inzwischen an Haltung und Selbstbewußtsein gewonnen. Sie hatte sich in der Tat herrlich entwickelt, sie stand in der vollsten Blüte ihrer Schönheit; nur ein gewisser fremder Zug in ihrer Physiognomie fiel mir auf. Das Leben, welches sie gegenwärtig führte, hatte ihrem Antlitze seinen Stempel aufgeprägt. Die Bescheidenheit und die geheuchelte Schamhaftigkeit waren aus diesem Gesicht verschwunden, welches einen herausfordernden und herrischen Zug erhalten. Sie trug ein ganz einfaches weißes Kleid à la République, mit weiten Aermeln, kurzer Taille und langem Rock. Der Hals war bloß. Kein Schmuck.

Mutter und Tochter wechselten einen schnellen Blick. Derjenige der Mutter schien zu fragen: »Soll ich bleiben?« derjenige der Tochter darauf zu antworten: »Es ist nicht notwendig.«

Ich hatte meine ganze Fassung wiedergewonnen, und keine von den beiden Frauen konnte ahnen, ebenso wenig wie ich, welchen Ereignissen wir entgegengingen.

»Es ist gut, Mama, ich danke dir,« sagte Iza mit lauter Stimme und näherte sich der Gräfin. »Auf morgen.«

Die Gräfin küßte die Tochter auf die Stirne.

»Auf morgen!«

»Wir dinieren zusammen; du vergißt doch nicht?«

»Keinesfalls; um sechs Uhr bei dir.«

»Du kannst auch früher kommen; ich werde nicht ausgehen.«

»Ich verbringe sodann mit dir den ganzen Tag. Du kannst mich zu jeder Zeit rufen lassen,« sagte sie, und fuhr sodann mich anschauend fort: »Es macht mir ein Vergnügen, dich zu sehen. Welches Unglück, daß ihr zwei euch nicht versteht! Hättet ihr auf mich gehört! Ja, ja.«

Sie streckte mir ihre Hand entgegen, welche ich mechanisch drückte. Ich glaubte zu träumen.

Sie verließ das Zimmer. Ich war mit Iza allein.


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