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25. Kapitel

Herr de Marfi, einer der bekanntesten Lebemänner der Pariser Gesellschaft, Besitzer eines großen Gutes in der Nähe von Chartres, hatte mich oft zur Jagd eingeladen; am 30. April 6 Uhr morgens sollte ich abreisen.

Ich hatte diese Einladung akzeptiert, wie man dies aus Höflichkeit tut, und sich dabei denkt: damit hat es seine guten Wege, bis dahin wird sich schon Rat finden.

Der Termin bricht jedoch an und man steht einem lärmenden Vergnügen gegenüber, welches uns in unseren Gewohnheiten stört und unsere Arbeit unterbricht; einem Vergnügen, welches uns in die Notwendigkeit versetzt, mit neugierigen und geschwätzigen Leuten, die uns gar nicht interessieren, in Verkehr zu treten. Wie gut hätte man die Zeit, die man auf diese Weise zu verbringen gezwungen ist, zu Hause bei der Arbeit ausnützen können! Man hat sich nie in einer so unbehaglichen Stimmung befunden. Aber es hilft nichts. Man muß den Wagen besteigen, ein sicheres Vergnügen verlassen wegen eines zweifelhaften, und von denjenigen scheiden, die man liebt, und die man in der Sorge zurückläßt, daß ihnen während der Abwesenheit ein Unglück zustoßen könnte. Aber man hat zugesagt.

Wird der Zufall uns nicht günstig sein und uns von dem Versprechen entbinden? Was tun? Absagen, eine Ausflucht suchen, lügen? Das kann einen in Verlegenheit bringen und ist auch nicht besonders geschmackvoll. Man wünscht eine wirkliche Indisposition, einen kleinen Zufall herbei, der einem das Recht zur Absage gibt; warum hat man nicht vorausgesehen, wie unangenehm eine solche Einladung einem werden wird! Man ließ es sich ein Stück Geld kosten, wenn man es ungeschehen machen könnte. Aber man sieht im Geiste den Hausherrn, der auf uns rechnet, der Vorbereitungen unseretwegen getroffen hat und welcher sagt: »Der und der wird auch dabei sein, ein reizender Mensch.« – Oder zum mindesten denkt er sich: Hätte ich den nicht eingeladen, so hätte ein anderer kommen können, der ein weit besserer Gesellschafter ist.

Die Zeit rückt heran. Je länger man mit der Absage wartet, desto größer die Unhöflichkeit. Aber je später sie kommt, desto natürlicher, unwiderruflicher erscheint sie. In der letzten Stunde setzt man sich nun mit einem bösen Gewissen und mit inneren Vorwürfen hin, schreibt einen Brief: wie lebhaft man bedaure, nicht mit von der Partie sein zu können, auf die man sich schon lange gefreut, daß aber eingetretene Hindernisse usw. usw.

Man würde gern als Ausrede die plötzliche Erkrankung der Frau oder des Kindes benutzen, aber der Gastfreund könnte den Boten ausfragen und würde beleidigt darüber sein, daß man ihn belogen habe, und dann ist man abergläubisch; man fürchtet, die Krankheit könnte wirklich herbeizitiert werden. Diese Gedanken durchkreuzten mein Gehirn von 8 Uhr bis 10 Uhr abends am 29. April, während Iza meine Reisetasche mit der Sorgfalt einer ausgezeichneten Hausfrau packte. Ich betrachtete mein Gewehr in seinem ledernen Futteral, meine Jagdmunition und meinen Hund, den ich mir einige Tage vorher eigens gekauft hatte, und zu mir ins Zimmer ließ, um ihn an mich zu gewöhnen.

»Nein, ich gehe ganz bestimmt nicht,« sagte ich plötzlich, »ich schreibe Herrn de Marfi ab.«

»Das kannst du nicht mehr,« sagte Iza, »es ist zu spät.«

»Nein, es ist erst 10 Uhr, vor Mitternacht kommt er nicht nach Hause.«

»Das ist aber sehr unhöflich.«

»Was liegt daran?«

»Du wirst dich schon amüsieren.«

»Nein!«

»Aber es wird dir gut tun. Geh' doch; wenn du einmal dort bist, wirst du dich freuen, hingegangen zu sein.«

»Gib mir Tinte und Papier.«

»Ich glaube, der Diener ist schon zu Bette gegangen. Man hat ihm gesagt, daß man seiner nicht mehr bedürfe, und daß er dich um 5 Uhr früh wecken soll.«

»Klingele nach ihm.«

Und ich sagte zu mir: Wenn der Diener schon schläft, so werde ich zur Jagd gehen.

Wovon hängt oft das Schicksal ab! Hätte dieser Mensch schon geschlafen, so wäre vielleicht nichts von dem geschehen, was nun wirklich sich ereignet hat.

Der Diener war noch wach. Ich gab ihm einen Brief an Herrn de Marfi und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus wie ein Sträfling, dem man die Ketten abnimmt. Ich hatte als Entschuldigung angegeben, daß ich binnen 48 Stunden eine wichtige Arbeit zu vollenden habe. Die große Hitze könnte den Ton austrocknen und das Modell zerstören, wenn ich drei Tage abwesend wäre.

Herr de Marfi konnte jedoch die Absicht haben, nach Empfang dieses Briefes persönlich mich zur Teilnahme animieren zu wollen. Ich beschloß also, zwei Stunden zu arbeiten, damit er mich eventuell in der Situation eines Mannes fände, welcher die Nacht durcharbeiten muß. Auf diese Weise hatte ich auch keine unbedingte Lüge geschrieben.

»Meinetwegen,« sagte Iza lachend, »arbeiten wir, und wenn dich dein Freund heute noch aufsucht, dann gehst du morgen auf die Jagd, das bist du diesem armen Menschen schuldig.«

»Einverstanden.«

Durch diese Abmachung in meinem Gewissen ganz beruhigt, setzte ich mich hin und begann das Sujet zu skizzieren, welches ich in den ersten Morgenstunden in Angriff nehmen wollte. Ohne ein Wort zu reden, arbeitete ich und zeigte sodann meine Zeichnung Iza, die mich küßte, als sie sich vorbeugte, um sie in Augenschein zu nehmen. Niemand kam. Um Mitternacht suchte ich mein Zimmer, Iza das ihrige auf. Ich schlief sehr unruhig, als ob ich noch immer um 5 Uhr früh hätte verreisen sollen. Beim Morgengrauen erwachte ich schon und ging sofort ganz ruhig an die Arbeit.


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