Adelbert von Chamisso
Gedichte
Adelbert von Chamisso

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Das Kruzifix.

Eine Künstler-Legende.

1.

                           

Mit Ingrimm mochte nur sein Werk betrachten
    Der Meister, der davor nachsinnend stand –
    Er ward versucht sich selber zu verachten.
Er hat mit Kunst, mit Fleiße, mit Verstand
    Das Bild des Heilands hingestellt, allein
    Ein Bild, ein totes Bild von Menschenhand.
Das Leben drang in diesen Block nicht ein;
    Nicht kann, was Fleisch nicht ward, den Schmerz empfinden,
    Der tück'sche Marmor bleibt ein starrer Stein.
Mag Ebenmaß und schöne Form sich finden,
    Nicht will des kunstgeübten Meißels Spur
    Vor der erwachenden Natur verschwinden:
Natur! o wende dich nicht ab, Natur!
    Ich will zum Ideal dich schon erheben;
    Allein du schweigst, ein Pfuscher bin ich nur.
Und eingetreten in die Werkstatt eben,
    Dem Meister steht ein Jünger seiner Kunst
    Zur Seite, frommem Anschau'n hingegeben.
Der buhlet um derselben Muse Gunst,
    Berauschet sich am Anblick hier des Schönen
    Und fühlt, sein eig'nes Streben sei nur Dunst.
Zu ihm der Meister: »willst du mich verhöhnen?
    Du staunest diesen kalten Marmor an,
    Als wolltest du dem Tode dich gewöhnen.«
Der Fremde drauf: »du wundersamer Mann,
    Mag deinen Christus auch des Todes Ruh'
    So schweigsam, so absonderlich umfah'n;
Dem Großen, Schönen schau' ich staunend zu,
    In mich es lernbegierig einzusaugen;
    Was da ist, frag' ich bloß, was mangelt, du.«
Und auf dem Fremden ruh'n des Meisters Augen –
    Der Jugend Kraft, der hohen Schönheit Zier, –
    Ihm möcht' ein solcher zum Modelle taugen. –
»Du, Jüngling, findest mich verzweifelnd schier; –
    Wie Schmerz und Leben aus dem Stein zu schlagen?
    Das Anschau'n der Natur verläßt mich hier.
Vergeblich wär's, nach Mietlingen zu fragen,
    Und bät' ich dich, den edlen Kunstgenossen,
    Du würdest deine Hilfe mir versagen.«
»Ich würde,« sprach der Jüngling, »unverdrossen,
    Der Kunst zum Frommen und zu Gottes Ruhme,
    Dir leisten, was zu heischen du beschlossen.«
Er sagt's, und strenger Schönheit selt'ne Blume
    Enthüllt sofort dem Meister sich zur Schau
    In der verschloss'nen Werkstatt Heiligtume.
Er prüft mit Kennerblick und prüft genau,
    Und kann sich dem Gedanken nicht entwinden:
    Durchzuckte Schmerz den edeln Gliederbau!
»Und soll ich, was du sprachst, bewähret finden,
    So mußt du mir von diesem Holze hangen.«
    Der Jüngling läßt ans Kreuz sich willig binden.
Und wie er in die Schlingen ihn gefangen,
    Die Nägel holt, den Schläger er herbei,
    Das Opfer muß den Martertod empfangen.
Der erste Nagel faßt, es schallt ein Schrei,
    Er trifft kein Ohr, kein Herz, das Auge wacht
    Allein und forscht, was Schmerzensausdruck sei.
Und hastig wird das Gräßliche vollbracht,
    Und schnell das blut'ge Vorbild aufgestellt,
    Er schreitet nun zur Arbeit mit Bedacht.
Von grauser Freude wird sein Blick erhellt,
    Wie der Natur er jetzt es abgewonnen,
    Wie sich im Schmerz ein schöner Leib verhält.
Die Hand schafft unablässig und besonnen,
    Das Herz ist allem Menschlichen verdorrt,
    Zu fühlen hat der harte Stein begonnen;
Ob aber bete der am Kreuze dort,
    Ob er in hoffnungloser Qual verzage,
    Er meißelt unablässig fort und fort.
So kommt die Nacht heran vom dritten Tage;
    Verschmachtet wird der Dulder bald erblassen,
    Und bald verhallen seine letzte Klage. –
»Mein Gott, mein Gott, so hast du mich verlassen!«
    Es sinkt das Haupt, das sich erhob, zurück;
    Es ist vollbracht, was keine Worte fassen,
Und auch vollendet ist ein Meisterstück.

2.

»Mein Gott, mein Gott, so hast du mich verlassen!«
    Im Dome ward zu Nacht der Ruf vernommen;
    Wer ihn erhob? sie wußten's nicht zu fassen.
Am Hochaltar, worauf ein Licht geglommen,
    Bewegte sich gespenstisch die Gestalt,
    Aus deren Mund der Schmerzensschrei gekommen.
Sie warf sich dann zur Erde, mit Gewalt
    Die Stirne schlagend an des Estrichs Steine,
    Die Wölbung hat vom Schalle widerhallt.
Dann war's, als ob sie unaufhaltsam weine,
    Und in den Thränen Linderung gefunden;
    Sie stöhnte bei der Kerze letztem Scheine.
Und als der Nacht unheimlich bange Stunden
    Verflossen und der Morgen sich erhellt,
    War's still, und die Erscheinung war verschwunden.
Nun eilt zum Kirchgang die erwachte Welt.
    Es drängen sich die Chorherrn zum Altar;
    Drauf ragt ein Kruzifix, erst aufgestellt. –
Ein Gnadenbild, wie nie noch eines war;
    So hat der Gott den Todeskampf gerungen,
    So bracht' er sich für uns zum Opfer dar.
Es sehend, schreit der Sünder reudurchdrungen
    Zu dem, der Sündern auch das Heil gebracht,
    Und: Christ eleison! schallt von allen Zungen.
Nicht scheint das Werk von Menschenhand gemacht;
    Wer möchte so das Göttliche gestalten?
    Wie seltsam stieg es aus im Schoß der Nacht? –
Des Meisters ist es, der uns hingehalten,
    Mit Ausflucht lange zögernd, zweifelsohne
    Das Äußerste der Kunst noch zu entfalten. –
Was bringen wir dem Trefflichen zum Lohne?
    Es ist das Gold, das schlechte, nicht genug;
    Gebührt dem Edlen nicht die Lorbeerkrone?
Und bald geordnet war ein Ehrenzug,
    An welchem Lai' und Priester Anteil nahmen;
    Voran ging, der den grünen Lorbeer trug.
Und wie sie vor des Meisters Wohnung kamen,
    War weit geöffnet, aber still das Haus,
    Auch still beim Widerhall von seinem Namen.
Wohl schallten Pauk' und Cymbeln mit Gebraus
    Zu der Drommeten gellend hellem Ton,
    Doch niemand kam zum Festempfang heraus.
Verödet war das Haus am Morgen schon,
    Aus dem ein Nachbar sich entfernen nur
    Sah pilgernd einen schlichten Menschensohn.
Die Herren traten spähend auf den Flur,
    Sie brachen sich durch wüste Zimmer Bahn,
    Sie trafen nicht auf eines Menschen Spur;
Sie riefen, ohne Antwort zu empfah'n,
    Und hörten leer die Räume widerhallen;
    Sie drangen in die Werkstatt: was sie sah'n –
Darüber läßt das Lied den Schleier fallen.

3.

Den heim sie bringen, haben sie beschuldigt,
    Daß den Propheten er gelästert habe
    Und ihrem falschen Mahom nicht gehuldigt.
Der fremde Pilger ist's am Wanderstabe, –
    Der büßend unter diesen Palmen wallte
    Und uns erzählte von dem heil'gen Grabe.
Wird gegen ihre Henker dieser Alte
    Bewähren eines Christen festen Mut?
    Ihn stärke Gott, daß er am Glauben halte!
Es gleißet arg verlockend zeitlich Gut;
    Ihm ist's beschieden, läßt er sich verleiten,
    Und bleibt er unerschüttert, fließt sein Blut.
Blickt dort nicht hin! Ein Gräßliches bereiten
    Die blutgewohnten Schergen. Wehe, Wehe!
    Vielleicht, daß bald wir ihn dahin begleiten.
Er kommt, – sie führen ihn daher; ich sehe
    Wie ein Geretteter, ihn freudig heiter,
    Als ob er neuem Glück entgegengehe.
Hat er erkauft . . . .? o nein! sie schreiten weiter
    Der blut'gen Stätte zu; so war's gemeint!
    Die Palme winkt dem starken Gottesstreiter –
»Weint nicht! ich habe selber nicht geweint,
    Als ich ans Kreuz den schönen Jüngling schlug;
    Mir war in meiner Brust das Herz versteint.« –
Und angstgepeitscht begann den irren Zug
    Der Frevler unter seiner Sünde Last,
    Der Kain's Zeichen an der Stirne trug. –
»Der du für mich den Tod erduldet hast,
    Verfügst du huldreich, daß die Marter ende?
    Noch hofft' ich, noch begehrt' ich keine Rast.
Unwürdig, daß dein Blick auf mich sich wende, –
    Der Tod, das Leben nicht, ist leicht zu tragen; –
    Nimm, Gott der Gnade, mich in deine Hände!«
Als ihn die Schergen, ihn ans Kreuz zu schlagen,
    Ergriffen, schien es ihm erst wohl zu sein;
    Die ihn umstanden nur erhoben Klagen.
Und als der Schmerz durchzuckte sein Gebein,
    Und er am Marterholz erhoben war,
    Genoß er Frieden vor der innern Pein.
Ora pro nobis! betete die Schar
    Der Gläub'gen, die am Fuß des Kreuzes wachte;
    Sein Dulden war ein Beten immerdar.
Der Tag, die Nacht vergingen, und es machte
    Der zweite Tag kein Ende seiner Qual;
    Die dritte Sonne schon den Lauf vollbrachte;
Und wie sie scheidend warf den letzten Strahl,
    Versucht' er noch ins Auge sie zu fassen,
    Und rief, und atmete zum letztenmal:
»Mein Gott, mein Gott, du hast mich nicht verlassen!«

 


 


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